Benutzer Diskussion:Epipactis/Archiv 2015

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Letzter Kommentar: vor 8 Jahren von C.Koltzenburg in Abschnitt Erlesnis (und wie es umschrieben wird)
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Fund

Schnittblumenstrauß
Schnittblumenstrauß
Einfach mal ein kleines Dankeschön …
… für eine bereichernde Diskussion bei der Grillenwaage im Januar.
Liebe Grüße
C.Koltzenburg (Diskussion) 11:38, 8. Mär. 2015 (CET)

Da habe ich gestern in einer Fußnote was "gefunden", heute als neuer Artikel(anfang) mit Dank, und als Gruß hier zu deiner Kenntnis. --C.Koltzenburg (Diskussion) 11:38, 8. Mär. 2015 (CET)

Im Grunde ist das ja banal. Sämtliche erdenklichen Sujets sind ausgequetscht bis zum Letzten und waren es bereits in der Antike. Schon Salomo fand nichts Neues mehr unter der Sonne, und auch Goethe (bzw. Mephisto) und Tucholsky kamen zu keinem anderen Schluss. Das Interessante bzw. Unterhaltsame ist eigentlich nur noch, wie der Autor sein Objekt angepackt und wie er es bewältigt hat. Homer meistert die zehn Jahre Odyssee mMn souverän, obwohl sich sein Held (der Ärmste) allein acht davon nur bei irgendwelchen Weibern herumgedrückt hat. Defoe dagegen hat sich beim Robinson Crusoe zwar noch ein paar Jahre mehr aufgelastet, scheitert aber mit der Umsetzung absehbar und von Anfang an. Auch der Übersetzer kann ein Werk ja regelrecht ermorden, oder ihm umgekehrt erst die Würze geben, die es im Original vielleicht gar nicht hat. Usw. usf.
Mit der Stimmung ist es wieder ein anderes Ding, die kommt zu 99% vom Rezipienten selber und ist nicht übertragbar. Sie wird nur einmal geprägt und ändert sich dann nicht mehr, egal wieviel man sich späterhin mit dem Werk befasst und darüber erfährt. Deshalb empfindet man Neubearbeitungen auch häufig als unbefriedigend bis enttäuschend, bzw. umgekehrt: wer seinen Erstkontakt mit der Neubearbeitung hatte, findet eher die alten dröge und altbacken. Insofern werde ich mich also sicher täuschen, wenn ich trotzdem an die Möglichkeit einer Vollkommenen Version glaube, die dann nicht mehr zu toppen ist. Vielen Dank und Grüße --Epipactis (Diskussion) 19:59, 8. Mär. 2015 (CET)

Diskursbeispiel: Eine Textfläche entwickelt sich (Jelinek)

Hallo Epipactis, was hältst du von einer solchen Veranschaulichung? Deine Meinung dazu würde mich interessieren. Gruß, --C.Koltzenburg (Diskussion) 07:16, 12. Aug. 2015 (CEST)

Grundsätzlich halte ich diesen Ansatz für nutzbringend, denn mMn ist das Beachtenswerte bzw. Interessante an einem Kunstwerk doch zum großen Teil die Umsetzung des Themas bzw. die Herangehensweise des Autors, besonders wenn es sich um ein Thema handelt, das an sich ungefähr so attraktiv und sensationell ist wie eine Waldbrandwarnstufe.
Eigentlich geht es also um nichts Geringeres als die Technik des Künstlers transparent und bestenfalls sogar die Wirkung des Werkes nachvollziehbar zu machen - jedenfalls habe ich den Eindruck, dass der Artikel diese Intention verfolgt, bzw. sagt er mir in dieser Hinsicht tatsächlich schon etwas. Vieles hängt dabei freilich von den Vorkenntnissen ab, die von beiden, Werkautor und Artikelschreiber, zu einem gewissen Grad vorausgesetzt werden. --Epipactis (Diskussion) 00:21, 13. Aug. 2015 (CEST)

"The aim of art is simply to create a mood." - Oscar Wilde

Hallo Epipactis, das Wilde-Zitat erinnerte mich an die interessante Debatte im Januar 2015, habe ich jüngst hier gefunden (mit Dankeschön an Benutzer:Missyfox). Gruß, --C.Koltzenburg (Diskussion) 08:25, 28. Aug. 2015 (CEST)

Der Mann hat recht. Wenn man die Stimmung bzw. Wirkung abzieht, was bleibt dann von einem Kunstwerk noch übrig? Geschmacksneutraler Inhalt, gewissermaßen eine Art Wikipedia-Artikel.
Umgekehrt hat demnach der Enzyklopädist, der einem Werk wirklich gerecht werden will, allerdings fast Übermenschliches zu vollbringen: im Prinzip dasselbe wie der Künstler, aber eingeschränkt auf nur ein paar Dutzend Zeilen, einen möglichst enzyklopädischen Stil, und wenns geht auch noch quellenbasiert. --Epipactis (Diskussion) 00:40, 29. Aug. 2015 (CEST)
Viel bleibt, nämlich: der Anlass für das, was wirkt. Ich denke, je nach der Gestaltung des Kontakts liegt der Anlass etwa je hälftig beim Text und bei der Person, die den Kontakt sucht – aus welchen Gründen auch immer. Sie schätzt vielleicht die Zeit, die mit dem Kunstwerk zu verbingen ist oder verbracht wurde, die Vorfreude darauf, die anhaltende gedankliche und emotionale Arbeit danach, das Reden-drüber und nicht zuletzt das Gewahrwerden, dass Leute in anderen Gegenden, zu anderen Zeiten, in einer sicherlich anderen Art von Leben künstlerisch etwas gestaltet haben, was mich bewegt usw.
Und mir geht es beim Schreiben eines Wikipedia-Eintrags dann oft so, dass ich denke: Mir selbst bedeutet die Zeit, die ich mit dem Werk verbringe oder verbracht habe, noch viel mehr als hier dann zu lesen ist. Dennoch: Wenigstens eine Andeutung zu formulieren, dass ein Kunstwerk sogar viel mehr sein kann als ein Wikipedia-Eintrag gemeinhin als dessen "Wirkung" hergibt, nämlich seine kulturelle Substanz und anhaltende Wirkmächtigkeit, das ist mir für einen Eintrag ebenso wichtig. --C.Koltzenburg (Diskussion) 09:04, 29. Aug. 2015 (CEST)
Sicher, aber das ist dein Hintergrund, der nicht unbedingt auch beim Leser vorauszusetzen ist. Ich dachte oben vorwiegend an Interessenten, die nahezu gar keine Voraussetzungen mitbringen und eventuell sogar weder einen direkten Kontakt mit dem Kunstwerk haben oder suchen, noch in ähnlichem Maße wie der Sachverständige davon berührt würden, aber trotzdem erfahren möchten, was es damit auf sich hat - ungefähr so, wie man sich als fachlicher Laie bspw. für die Chinesische Mauer oder die Relative Zeitdehnung interessiert. (Auf diesen Typ von Interesse bzw. Interessenten einzugehen, scheint den Sachverständigen aller Couleur immer mehr oder weniger gegen den Strich zu gehen, aber genau das ist mMn die Produktphilosophie eines Universallexikons: den völlig Ahnungslosen zumindest eine Ahnung des Wesentlichen zu vermitteln.) --Epipactis (Diskussion) 21:38, 29. Aug. 2015 (CEST)
Stimme dir weitgehend zu. Ich vermute allerdings, dass im Kontakt mit Kunst aller Art dennoch allgemein gesprochen die Menschen nicht "ahnungslos" sind (sofern sie sich von ihnen berühren lassen wollen), zumindest wäre es eine andere (angenommene) Ahnungslosigkeit als beim Thema "Chinesische Mauer" oder "Relative Zeitdehnung". --C.Koltzenburg (Diskussion) 21:46, 29. Aug. 2015 (CEST)

Kafka revisited

„2014 leitete der irakische Autor Abbas Khider [...] eine Schreibwerkstatt in Kairo mit jungen arabischen Autoren. Als Thema hatten sich die Teilnehmer keinen Stoff aus ihrem Kulturraum ausgesucht, sondern das Werk des Prager Juden Franz Kafka, in dessen klaustrophobischen Szenerien sie ihre eigene Situation wiederfanden. Offenbar muss das Eigene erst fremd werden, damit man von ihm erzählen kann“, schreibt Christopher Schmidt („Fremdenzimmer. Über schreibende Weißbrote und Onkel-Tom-Literatur“, Süddeutsche Zeitung, 24. Januar 2015, Bayern-Ausgabe S. 15). --C.Koltzenburg (Diskussion) 08:04, 11. Sep. 2015 (CEST)

Naja, in dem Fall sollte das Wiederfinden nicht sonderlich überraschen, denn Kafkas Hauptthema, das Leiden an übermächtigen Widrigkeiten, ist doch nahezu jedermanns "eigene Situation".
Aber "klaustrophobische Szenerien" - sieh' an, was haben wir denn da? Doch nicht etwa ein Leseerlebnis? --Epipactis (Diskussion) 00:14, 12. Sep. 2015 (CEST)
Ich denke es handelt sich in diesem Fall seitens Christopher Schmidt um das Schreiben über einen Bericht anderer, in dem Leseerlebnisse eventuell zusammenfassend angedeutet wurden. Und weil diese Formulierung von Schmidt an "richtiger" Stelle (SZ) zu finden war, habe ich daraus im Artikel zu Khider vorläufig eine Aussage mit Beleg gemacht (auch wenn die Aussage nur indirekt mit Khider zu tun hat; aber es sagt etwas über seine Arbeit aus). --C.Koltzenburg (Diskussion) 06:39, 12. Sep. 2015 (CEST)
Ein anderes Beispiel, in dem die Leitung einer Lektüregruppe sich selbst darüber äußert, unter welchen Gesichtspunkten ein Autor, auf den Bezug genommen wird (Vladimir Nabokov), mit der eigenen Situation zu tun hat, ist: “Our world under the mullahs' rule was shaped by the colourless lense of a blind censor. (“The chief film censor in Iran, up until 1994, was blind. Well, nearly blind.” p. 24) Not just our reality but also our fiction had taken on this curious coloration in a world where the censor was the poet's rival in rearranging and shaping reality, where we simultaneously invented ourselves and were figments of someone else's imagination. [...] like Lolita we tried to escape and to create our own little pockets of freedom.” (p. 25) Azar Nafisi: Reading Lolita in Teheran (2003)] Dies würde ich schon eher als Leseerlebnis ansehen, weil die Person, die schreibt, sich selbst explizit einbezieht. Wie sieht du das? --C.Koltzenburg (Diskussion) 06:39, 12. Sep. 2015 (CEST)
So good is my English not, aber das scheint in die richtige Richtung zu zielen. Ich würde es ungefähr so definieren: Das Leseerlebnis wird erst beim Leser generiert. Im Werk selbst ist es noch gar nicht existent und kann deshalb auch von der Analyse nicht gefunden werden.
Nehmen wir nochmal Kafka: Bei genauem Hinsehen gibt es da nämlich überhaupt keine "klaustrophobischen Szenerien". Das ganze Ambiente ist eigentlich völlig normal, manchmal sogar ausgesprochen weitläufig. Es ist die "klaustrophile" Einstellung der Protagonisten, die den Leser sozusagen infiziert, so dass er sich hinterher kaum erklären kann, wie ihm geschehen ist. Freilich muss der Leser für diese "Infektion" auch sozusagen disponiert sein, sonst äußert sie sich vielleicht nur als Ärgernis. Deshalb kann auch die neutrale Interpretation oft nichts erhellen, und produziert in dieser Verlegenheit oft und unnützerweise eine Anamnese des Autors. --Epipactis (Diskussion) 19:58, 12. Sep. 2015 (CEST)
Ich finde, deine Anmerkung macht deutlich, dass unterschiedlich verstanden werden kann, was Christopher Schmidt mit seiner Wendung "klaustrophobische Szenerien" vermutbarerweise bezeichnet wissen will. Eventuell gehören für ihn die Protagonisten dazu. Man könnte ihn direkt fragen.
Zu Sprachkunst gibt es meines Erachtens keine neutrale Interpretation (genausowenig wie es einen neutralen Standpunkt geben kann). Würdest du mir mal eine Interpretation nennen, die du als neutral erachtest? Und gern würde ich mir eine Analyse nennen lassen, von der du sagen würdest, dass durch sie im Werk etwas gefunden wurde.
Dass Leseerlebnisse oft dem Objekt Werk oder gar der Person des Autors zu geschrieben werden, darin stimme ich dir zu. Würde es soetwas heißen wie: Was während eines Leseprozesses generiert wird, hat nur mittelbar mit dem Werk zu tun? Das sprachkünstlerische Werk wäre demnach eine Projektionsfläche. In meiner Diss argumentiere ich, dass Literatur ein Prozess ist und kein Objekt. Wie lässt sich der Vorgang beschreiben, dass Leser meinen, sie fänden in einem Werk etwas? Kannst du mit dieser Idee was anfangen oder würdest du es anders formulieren? --C.Koltzenburg (Diskussion) 08:34, 13. Sep. 2015 (CEST)
Interpretation fokussiert, soweit ich das überblicke, vornehmlich auf die (gemutmaßte) Message, und weniger oder garnicht auf die (Sprach)Kunst. Manchmal kommt man sich wie bei einer Art Wissensquiz vor: welches Detail des Werkes spielt auf welche der persönlichen Befindlichkeiten bzw. Lebensumstände des Künstlers, Konstellationen der zeitgenössischen Weltlage, Menschheitsfragen, usw. an? In der Regel gibt es dann auch einen Kanon "richtiger" Antworten, abhängig von der Erkenntnislage und ganz erheblich auch vom Zeitgeist. (Einen Auswuchs zeitgeistiger Ausdeuterei erleben wir ja aktuell: Autoren bzw. Werke, die generationenlang wegen ihrer humanistischen Gesinnung gewürdigt wurden, werden nach den neuesten Maßstäben plötzlich als übelste Rassisten bzw. Rassismus entlarvt.)
Unter Analyse verstehe ich eigentlich nur die Enthüllung und Beschreibung der "technischen" Details, darunter fällt für mich allerdings der größte Teil des Aspektes "Kunst", und freilich gibt es eine gewisse Wechselwirkung mit der Interpretation im o.g. Sinne.
Auf eine einfache Formel gebracht: Interpretation befasst sich mit dem Sinn, Analyse mit der Form. Da beide aber mit bzw. innerhalb von Konventionen und Schemata operieren, ist ihre Neutralität sozusagen reglementiert.
Die Wirkung (bzw. das Erlebnis) ist sicher wenigstens teilweise schon im Werk angelegt, aber vermutlich oft in Form von subtilen Details, die durch das Raster der Analyse und Interpretation hindurchfallen. Bekanntlich können unterschiedliche Bearbeitungen eines Werkes gravierend unterschiedliche Wirkungen hervorrufen, selbst wenn sie an der "Kernsubstanz" kaum oder gar keine Veränderungen vornehmen.
Ein Beispiel: Ich erinnere mich, wie angetan seinerzeit das DDR-Publikum von der Filmversion des Musicals Cabaret mit Liza Minelli war. Seitdem habe ich mir das Werk noch oft im TV angesehen, um diese Stimmung wieder zu spüren, aber vergeblich: Der Film wird nur noch in der westdeutschen Synchronisation gesendet und ist damit irgendwie völlig saft- und kraftlos, obwohl sich die Texte wohl nur ganz geringfügig unterscheiden. Woran mag es also liegen? Ich bin sicher, dass man bei einer Befragung von Zeitgenossen nach ihren Erinnerungen an diesen Film noch heute einen gravierenden Ost/West-Unterschied feststellen würde.
Der restliche Anteil der Wirkung wird mMn erst vom Publikum selbst beigesteuert, wobei dessen persönlicher Hintergrund d.h. wiederum Zeitgeist oder eher noch Zeitgeschmack eine Rolle spielen. Eigentlich sind das ja ganz triviale Tatsachen, aber zugleich ganz wesentliche Erscheinungen, die man nicht aus der Enzyklopädie ausklammern sollte. Eventuell wird ihre Behandlung die Einführung einer zeitlichen Dimension erfordern, sofern man nicht fortwährend die Sichtweise der Vorfahren austilgen und durch die der Gegenwärtigen ersetzen will. Also eine Art Nachbildung der Auflagen gedruckter Enzyklopädien. Das wäre überhaupt mal ein bedenkenswerter Aspekt: Verändern die elektronischen Medien das Erscheinungsbild des Phänomens "Geschichte"? --Epipactis (Diskussion) 23:49, 13. Sep. 2015 (CEST)
Diese letzte Frage könnte man gut mal auf die Grillenwaage legen! Die Einführung einer zeitlichen Dimension ist mMn für jede wissenschaftliche Arbeit relevant, denn sie betrifft nicht zuletzt den eigenen Blickwinkel, aus dem heraus "wissenschaftliche Fakten" etabliert werden sollen. Meist werden die eigenen relativen Bedigungen einer Erkenntnis ("innerhalb von Konventionen und Schemata" nennst du es oben in einem anderen Zusammenhang) unter den Teppich gekehrt, denn nur für Aussagen mit Objektivitätsanspruch gibt's wohl Fördermittel... Mit der beliebäugelten Unabhängiglkeit von Wissenschaft ist es demnach also meist nicht weit her. Wenn in den Kunstwissenschaften (inkl. Literatur als Sprachkunst) also Objektivität hergestellt wird, zu welchem Zweck? --C.Koltzenburg (Diskussion) 09:23, 14. Sep. 2015 (CEST)
Übrigens, dass sich zu einem Sprachkunstwerk Form und Inhalt (wenn ich dich richtig verstanden habe: zwei Aspekte eines Kunstwerks für die Vorgehensweisen Analyse und Interpretation) enzyklopädisch sinnvoll getrennt voneinander behandeln lassen, stelle ich in Frage und probiere es hier anhand eines neuen Artikels aus: Der falsche Inder. --C.Koltzenburg (Diskussion) 11:36, 14. Sep. 2015 (CEST)
Das wollte ich auch gar nicht behaupten. Obiges ist lediglich als Begriffsbestimmung gedacht, um zu zeigen, was ich meine, wenn ich diese Ausdrücke benutze. Denn es ist ja ohne weiteres möglich, dass ein anderer damit einen beträchtlich anderen Bedeutungsinhalt verknüpft, und dann diskutiert man aneinander vorbei. Der eigentliche Zweck dieser Begriffsbestimmung besteht aber darin, die Sphäre einzugrenzen bzw. ausfindig zu machen, in welcher das ominöse "Erlebnis" vermutlich angesiedelt ist oder angesiedelt werden kann. Am ehesten würde ich es nunmehr unweit einer Rezension einordnen (unter Rezeption verstehe ich eher eine Art Anthologie von Rezensionen.) MMn handelt es sich aber um eine ganz eigenständige Kategorie.
Nehmen wir mal ein Werk, dessen "Erlebnis" legendär ist, weil es in Einzelfällen angeblich sogar tödlich war: den "Werther". Auch der Wikipedia-Artikel räumt dieser Wirkung üppig Platz ein und anerkennt damit ihre Relevanz, gibt aber eigentlich keine Antwort. Wie oder womit hat Goethe diese Wirkung erzielt? War etwa die Sprache besonders suggestiv, das Thema besonders virulent, oder was sonst? Zweierlei fällt zunächst auf: Auch die zeitgenössischen Rezensenten bzw. Kommentatoren gehen auf diese Frage nicht ein, sondern verlieren sich in Meta-Erwägungen. In der Gegenwart scheint selbst die Wirkung gänzlich verflogen, und lediglich aus Respekt vor dem prominenten Autor verkneift man sich gerade noch das Wort "Schmonzette". Die Psychologie bemüht den Nachahmungseffekt, aber das scheint mir zu primitiv.
Nur ein Statement in dem langen Abschnitt "Rezeption" finde ich bemerkenswert, weil es mMn ganz dicht dran ist: „Wie ein perfekter Regisseur seines eigenen ‚Naturtheaters‘ setzt Werther alles, was ihn emotional berührt, buchstäblich in Szene“. Ah! Nur ist es ja wohl nicht Werther, sondern Goethe, der da inszeniert und die Leser zu seinen Schauspielern macht. Es ist gar nicht das Schicksal des Protagonisten, das sie in seinen Bann zieht, sondern das Schauspiel. Es sind Regieanweisungen, die sie in die Lage versetzen, die Geschichte nicht nur zu er-lesen sondern zu er-leben.
Also im Grunde vergleichbar mit dem, was im "Don Quijote" thematisiert wird: auch der inszeniert sich, und eigentlich könnte man seine Geschichte fast auch als "Wertheriade" bezeichnen. Die distanzierte Perspektive erlaubt dort jedoch bestenfalls Anteilnahme, keine Teilnahme. Kein Mensch reißt sich um die Rolle eines Don Quijote, obwohl er doch gar kein übler Kerl und von edler Gesinnung war. Bei unveränderter Handlung, nur anders erzählt, könnte er sicher zumindest ein völlig anderes Image haben. --Epipactis (Diskussion) 00:30, 15. Sep. 2015 (CEST)
Dass man vom Urheber eines Sprachkunstwerks sagen könnte, die Leser würden zu Schauspielern gemacht, das finde ich einen brillianten Gedanken: Beim Lesen würde ich also zu einer Figur, die in einer bestimmten Inszenierung einen Platz einnimmt und ihre Rolle spielt, sie also mit allen Emotionen verkörpert, und vor meinen Augen spielt sich inklusive meiner selbst alles Mögliche und Unmögliche ab, während ich "dabei bin", die Geschichte zu lesen? --C.Koltzenburg (Diskussion) 14:40, 15. Sep. 2015 (CEST)
Natürlich nur, sofern es die Geschichte darauf abgesehen hat und ihr diese Absicht auch gelingt. Inwieweit das der Urheber bewusst steuern kann oder vom Effekt vielleicht selbst überrascht wird, ist eine gute Frage. Sicherlich versucht er, mit der Erzählstruktur zumindest eine Grundstimmung zu erzeugen, z.B. eben den Leser zum Mitspielen zu animieren oder auch auf den Zuschauerrang zu beschränken, aber das Gelingen hängt mMn dennoch überwiegend von Unwägbarkeiten ab. Wenn der Leser mit den Figuren beim besten Willen nicht warm werden kann, ist es für ihn weder interessant noch spannend sondern nur peinlich bis peinigend, mit ihren Querelen behelligt zu werden. Freilich kann eben das auch die Essenz der Geschichte sein. Keine Ahnung, ob er es so beabsichtigt hatte, aber Kafka ist jedenfalls ein begnadeter Peiniger. --Epipactis (Diskussion) 00:37, 16. Sep. 2015 (CEST)
Ich würde es so sagen: Viele, viele Leute sagen nach ihrer Lektüre von Kafka etwas in dieser Art, eventuell sogar, ohne die Aussagen anderer bereits zu kennen. --C.Koltzenburg (Diskussion) 06:57, 16. Sep. 2015 (CEST)
Weiter oben meintest du: "Unter Rezeption verstehe ich eher eine Art Anthologie von Rezensionen". Meinst du sowas wie: über die Zeit hin sorgsam ausgewählt? Bei einem Autor des 20. Jahrhunderts wie Kafka, dessen Werke teilweise zu Lebzeiten, aber größtenteils posthum an die Öffentlichkeit gelangten und manche erst 20 Jahre nach dessen Tod, wäre zu erwarten, dass es eine eigene Rezeptionsforschung gibt, die vermutlich Überlegungen zu verschiedenen Rezeptionsphasen angestellt hat. Dies würde in den Abschnitt Rezeption gehören. Zwar liegen meiner Meinung nach auch der Rezeption nichts anderes als Leseerlebnisse zugrunde (andersherum gefragt: was sonst sollte ihr zugrunde liegen?), aber das Berichten über einzelne Leseerlebnisse passt irgendwie nicht in den Abschnitt Rezeption, also in einem Unterabschnitt oder, besser noch: in einen eigenen Abschnitt. Bei zeitgenössischen Sprachkunstwerken würde es vermutlich Ergebnisse der Rezeptionsforschung nur ausnahmsweise bereits geben, also müsste der Abschnitt Rezeption wegfallen oder mit was anderem gefüllt werden (Verkaufszahlen ;-) oder Bemerkenswertes zu den Auflagen wie ich es im Fall von La vie commune beabsichtigt hatte). --C.Koltzenburg (Diskussion) 06:57, 16. Sep. 2015 (CEST)
Ich hatte mich bisher ja mit Werken ab 1989 befasst. Bei Kafka (oder Th. Mann, siehe die Erlesnis-Beispiele im Essay von Ulrike Draesner, die ich in meiner Diss typologisch als Idealfall ansehe - am ausführlichsten in der Wiki-Fassung) wäre es schon sehr interessant, nach einzelnen Stimmen zu suchen, die man (aus welchen Gründen auch immer) als besonders relevant und nennenswert erachtet (ich würde sagen: zu Kafkas Josefine, die Sängerin oder Das Volk der Mäuse Nina Ort zum Beispiel) und insbesondere deren Erlesnisse (meine Begrifflichkeit habe ich hier auf einer Disk nochmal erläutert). --C.Koltzenburg (Diskussion) 06:57, 16. Sep. 2015 (CEST)
Etwas genauer beschreiben zu können, in welcher Sphäre (oder zunächst: Art von Sphäre) über Erlesnis zu sprechen ist, wäre interessant. Es hat wohl damit zu tun, wo und wie wir meinen, dass es entsteht, und: wie es von da woanders hingelangt und in welcher Form, denn es ist allem Anschein nach ziemlich ephemer. --C.Koltzenburg (Diskussion) 06:57, 16. Sep. 2015 (CEST)
"Herauszufinden" (d.h. sich vorläufig mal verständigen) ist es sicher nur in einer Debatte mit mehreren Beteiligten, in der alle schonmal etwas in der Art von Erlesnis erlebt und nachträglich als solches erkannt zu haben meinen. Meiner aktuellen Einschätzung nach geht es erstmal darum, es für sich zu entdecken und dann darum, es in Worte zu fassen, mit welchem Adressanten auch immer. Und dann, na, es scheint jedenfalls für renommierte über-Literatur-Schreiber in deutscher Sprache ein sehr weiter Weg zu sein (außer vielleicht für Ulrike Draesner, die meines Erachtens den Weg für sich schon kennt). Ich hätte große Lust, mal ein Erlesnis-Schreibexperiment in der Weböffentlichkeit zu unternehmen. --C.Koltzenburg (Diskussion) 06:57, 16. Sep. 2015 (CEST)
MMn sind Erlesnisse durchaus persistent und können manchmal sogar einer anderslautenden Realität widerstehen. Ephemer ist aber zumeist ihre öffentliche Darbietung bzw. die dafür verfügbaren Formen (Periodika-Artikel, Umschlagtexte, Vor- und Nachworte, Foren, Talkshows usw.), die sich ja nicht sonderlich nachhaltig im öffentlichen Bewusstsein verankern. Bestenfalls bleibt der Grundtenor in Erinnerung, eventuell vielleicht noch einzelne Statements besonders prominenter Vertreter der Zunft.
Andererseits, und obwohl ein solcher Anspruch diesen Formen gegenüber sicher unangemessen ist, wird von ihnen wegen ihrer Öffentlichkeit anscheinend doch ein hoher Grad von Objektivität erwartet, oder diese Erwartung unterstellt. Ich könnte mir vorstellen, dass öffentliche "über-Literatur-Schreiber" deshalb ihre vermeintlich privatesten Empfindungen bewusst zurückhalten oder wenigstens nach Kräften mit einem scheinobjektiven Duktus verschleiern, und dass deshalb "offenherzige" und damit für uns verwertbare Beispiele so rar sind. --Epipactis (Diskussion) 23:23, 16. Sep. 2015 (CEST)
Danke herzlichst für das Widersprechen zu meiner Aussage, Erlesnisse seien ephemer. Ich stimme dir zu, dass sie für mich selbst durchaus persistent sein können, und zwar sehr. Mit "ephemer" meinte ich, dass bisher (zumindest in deutschsprachigen Diskursen) kaum fassbar zu sein scheint, wie das Erlebte (bzw. das Wahrnehmen des neu erworbenen nicht-propositionalen Wissens während oder nach einer Lektüre) in Worte gebracht werden kann, einmal sprachlich und zweitens situativ und drittens, welche der Erlesnisse oder Aspekte davon ich mich traue, aus meiner Privatsphäre in die Öffentlichkeit zu entlassen (oder zunächst in einen Dialog, in den Freundeskreis usw. wie Lorenz 2012 den möglichen Vorgang auf Quellenbasis beschreibt). --C.Koltzenburg (Diskussion) 06:59, 17. Sep. 2015 (CEST)
Im Text der Diss habe ich dies gefunden:

Mit den Bezeichnungen „Leseerlebnis“ und Erlesnis ist jeweils die in Sprache gefasste Form gemeint, ähnlich wie es im Gebrauch des Begriffs „Lektüre“ üblich ist, wenn es im Feuilleton heißt, jemand präsentiere Lektüren (Beispiel: „Zugleich aber bietet er zarte, mitfühlende, fast liebevolle Lektüren an“ (Martus 2011:50) Es können auch Wendungen vorkommen wie „Schreibweisen über Erlesnisse“. Damit ist dann gemeint: „wie in Erlesnissen (bzw. genauer gesagt: in Erlesnis-Berichten) über Erlesnisse geschrieben wird.“

Die Überlegung, dass Erlesnisse dennoch in der Öffentlichkeit einen ephemeren Anschein haben, weil Konventionen anderes unmöglich zu machen scheinen, finde ich sehr interessant, weil es mir jedenfalls für das deutschsprachige (bzw. nur im deutschen?) öffentliche Sprechen wirklich zuzutreffen scheint. In meiner Diss-Phase war mir erst im Oktober 2014 dieser Dreh mit Erlesnis als meinem Formalobjekt gekommen, und zwar hatte mich meine Lektüre von Rezensionen zum jüngsten Werk des gerade neuen Nobelpreisträgers Patrick Modiano, Damit du dich im Viertel nicht verirrst dazu angeregt. Dank Aussagen von Olivia de Lamberterie und Bruno Corty war es mir so augenscheinlich geworden, dass ich es am 25.11. als in einem Wikipedia-Artikel formulierbar angesehen habe, tags darauf einen dezidierten Abschnitt "Leseerlebnisse" einführte und aus dessen Inhalt sogar etwas in der Einleitung des Artikel platziert habe. Auch im englischsprachigen Raum fand ich Beispiele (in Rezensionen zu Alfred and Emily von Doris Lessing), und daraufhin machte ich mich auf die Suche nach Beschreibungen von Leseerlebnissen, die in deutscher Sprache publiziert wurden. --C.Koltzenburg (Diskussion) 06:59, 17. Sep. 2015 (CEST)
Werden Erkenntnisse aus Literaturlektüre also weitgehend als Privatsache behandelt – durch mich selbst, durch andere –, vor allem dann, wenn es um Erlesnisse geht? Und vor allem in deutscher Sprache bzw. in DE (mit regionalen Varianten in ost-west-süd-nord-mitte oder klassenspezifisch etc.)? --C.Koltzenburg (Diskussion) 06:59, 17. Sep. 2015 (CEST)
Sie sind Privatsache, aber sie werden nicht so behandelt, es wird ihnen nicht zugestanden. Anders als im Gewand des Renommierten und Belegten werden sie "öffentlich" nicht akzeptiert, das hast du ja selbst erlebt. Umgekehrt ist es vielleicht geradezu ein Gradmesser für das Renommee und damit die Akzeptanz, wenn ein Rezensent seine Eindrücke öffentlich unter dem Pronomen "ich" kundtun darf und sich nicht mehr hinter Avataren wie "man", "einer" oder "der Leser" verschanzen muss.
Vorhin las ich in meiner Tageszeitung eine Rezension, die auch fast durchweg in dieser unpersönlichen Diktion verfasst war. Zwischen den Zeilen schimmerte durch, dass es sich bei dem besprochenen Werk offenbar um völlig konfuses Gefasel handelt. Das wollte der besoldete Rezensent aber anscheinend so drastisch nicht schreiben, also hat er sich mit kühler Routine aus der Affäre gezogen. Nur in zwei Sätzen, die sich wenigstens durch ein vorsichtiges "uns" als persönlich empfunden zu erkennen geben, zeigt er seine Ratlosigkeit. --Epipactis (Diskussion) 01:35, 18. Sep. 2015 (CEST)
Ich stimme deiner Gradmesser-Vermutung zu, übrigens ein sehr interessanter Blickwinkel, bin mir aber nicht sicher, ob ich den Bezug richtig verstehe: Wenn sich also jemand traut (zum Beispiel Ulrike Draesner), sein Erlesnis in "ich"-Form in die Öffentlichkeit zu bringen, wessen Akzeptanz steigt dann, was genau wird deiner Meinung nach akzeptiert:
a. das geschilderte Erlesnisses,
b. dass ein Erlesnis wesentlich (um nicht zu sagen: "stichhaltig") sein kann,
c. dass über ein Erlesnis öffentlich gesprochen werden kann
d. die Person, die über ein Erlesnis berichtet oder
e. noch was anderes? alles zusammen?
--C.Koltzenburg (Diskussion) 08:03, 18. Sep. 2015 (CEST)
Mit der "ich"-Form wird m.E. signalisiert, dass das Statement als persönlicher Eindruck zu verstehen ist und keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit erhebt. Mit "Akzeptanz" meine ich nur allgemein a) ob persönlichen Eindrücken überhaupt Zugang gewährt wird, und b) ob ihnen Wertschätzung oder wenigstens Beachtung zuteil wird.
Im "seriösen" Sektor, denke ich, gehört schon ein gewisser Prominentenbonus dazu, um persönliche Eindrücke vortragen zu dürfen. Bspw. zu verkünden, dass ein Buch ausgesprochen schlecht sei, konnte sich vielleicht ein MRR erlauben. Der unprominente Kolumnist irgendeiner Tageszeitung würde dagegen höchstens auf augenscheinliche Schwächen hinweisen und das Urteil dem Publikum überlassen. In der "privaten Öffentlichkeit" der Neuen Medien, wo solche Hemmungen nicht bestehen und jeder seinen Senf dazugeben kann, wird diesem Senf allerdings entsprechend wenig Bedeutsamkeit zugemessen.
Darin besteht ja die Problematik: Wo Reputation erteilt wird, werden persönliche Eindrücke gar nicht erst zugelassen, und wo sie zugelassen werden, ist keine Reputation erhältlich. Auf dieser Schiene braucht man also eigentlich gar nicht weiter zu argumentieren, das muss man einfach so hinnehmen.
Um persönlichen Eindrücken regelkonform Zugang zur hiesigen Plattform zu verschaffen, gibt es m.E. nur einen Weg: es müssen Pilotobjekte ausgewählt bzw. formuliert werden, die offensichtlich d.h. mit hoher Wahrscheinlichkeit nachvollziehbar sind und somit keiner Nachweise bedürfen. Man sollte also nicht aufs Geratewohl beginnen und schon gar nicht mit ausgesprochen überkandidelten Kopfgeburten, die für den gemeinen Verstand schon ohnehin kaum zu entschlüsseln sind. Am besten wäre ein Beispielfall, bei dem es schon eine etablierte "öffentliche" Meinung gibt, d.h. bei dem in weiten Kreisen und übereinstimmend von einem "Erlesnis" berichtet wird.
Außerdem sollte m.E. aus den einschlägigen Theorien auch noch ein drastisch simplifizierter Extrakt für den Hausgebrauch destilliert werden. --Epipactis (Diskussion) 22:53, 19. Sep. 2015 (CEST)
Deine Argumentation leuchtet mir von ihrer Pragmatik her ein. Ich finde, dass man den von dir angenommenen gemeinen Verstand als Horizont für Wikipedia-Einträge mal genauer in Augenschein nehmen sollte. Bisher dachte ich, dass der Suchweg, der zu einem Wikipedia-Artikel führt, von einem Interesse an einem bestimmten Thema (Stichwort) aus gedacht werden müsste, zum Beispiel einem Buchtitel. Ob es sich dabei um ein spezielles oder ein gelegentliches Interesse handelt, tut für den technischen Vorgang der Suche selbst nichts zur Sache, und auch nicht dafür, ob es eine Ergebnisanzeige gibt, die unter anderem einen Wikipedia-Eintrag anzeigt. Wohl aber für die Erwartungen an einen solchen Wikipedia-Eintrag hat die Art der Motivition der Suche eine Bedeutung, denke ich. Deine spontan formulierten Fragen im Januar bei der Grillenwaage-Debatte haben es sehr gut auf den Punkt gebracht (d.h. ich halte deine Frage für stichhaltig, da für Leute in einem literaturinteressieren gesellschaftlichen Segment als wahrscheinlich anzunehmen), denn bis dahin hatte ich mir eine so konkrete Frage zur Nutzungsmotivation eines Werkeintrags noch gar nicht gestellt, sondern war, wie oben geschildert, über eine von mir angenommene kulturelle Differenz zu "Erlesnis" als einer eigenständigen konzeptionellen Größe gelangt. --C.Koltzenburg (Diskussion) 09:05, 21. Sep. 2015 (CEST)
Danke inbesondere für das Identifizieren der Problematik, ich halte es in gewisser Hinsicht für treffend, wenn du schreibst: "Wo Reputation erteilt wird, werden persönliche Eindrücke gar nicht erst zugelassen, und wo sie zugelassen werden, ist keine Reputation erhältlich." Meine Frage ist, ob es wirklich nur diese beiden gesellschaftlichen Kreise und Verfahren gibt und sie als Gegensätze gesehen werden müssten. Wer schreibt Reputation zu und wird dafür von welchen anderen anerkannt? Es könnte immerhin sein, dass Literaturinteressierte sich auf der Suche nach Meinungen anderer möglichst überall informieren, im Netz und anderswo, und ihrerseits nicht groß nach erwartbarem Renommee einer Quelle auswählen, sondern nach dem, wo sie rankommen. Darüber hab ich aber noch keine Studie gelesen, denke aber, es könnte inzwischen Untersuchungen geben, nur eventuell nicht auf Deutsch. Mit anderen Worten: Als Ausganghypothese finde ich deine Skizzierung der Problematik super. --C.Koltzenburg (Diskussion) 09:05, 21. Sep. 2015 (CEST)
Welche einschlägigen Theorien meinst du hier, zu denen du gern etwas Allgemeinverständliches in knapper Form lesen würdest? Womit würden sich diese Theorien befassen, mit der Bedeutung von Leseerlebnissen oder mit etwas anderem, also zum Beispiel was für bestimmte Werke als spezifisch angesehen würde und mit welchenm Vorannahmen das erst "zu sehen" wäre? --C.Koltzenburg (Diskussion) 09:05, 21. Sep. 2015 (CEST)
Die hier geforderte "Reputation" ist anscheinend eine rein publizistische Kategorie - einfach eine identifizierbare Präsenz auf einer zitierfähigen Plattform. Insofern gibt es auch nicht zwei Kreise sondern nur diesen einen, alles außerhalb gilt als nichtig. Ob die jeweilige Quelle auch "reputierlich" im gesellschaftlichen Sinne ist, spielt dabei vorderhand anscheinend keine Rolle. Einer renommierten Quelle scheint man allerdings einige Freiheiten in der Enzyklopädie zuzugestehen.
Dass nach einer Vielfalt von Erlebnisberichten gesucht wird, halte ich für gar nicht sicher. Ist es nicht eher so, dass man vorrangig oder am liebsten nur ein, nämlich das eigene, Erlebnis (zumal wenn man seiner noch gar nicht recht sicher ist) von anderen bestätigt sehen möchte?
Was es an Theorien, außer deiner, zum fraglichen Gegenstand noch gibt, weiß ich gar nicht. Ich habe bloß wie selbstverständlich angenommen, dass es da sicher schon einige gibt, und dass sie vermutlich nicht weniger umfänglich sind als deine. Ich will sie eigentlich auch gar nicht im einzelnen kennenlernen, sondern die in den Grundzügen ja einigermaßen umrissene Idee hier ohne weiteres zur Gebrauchsfähigkeit eindampfen bzw. aus dem Nebel kondensieren. Mein Versuch weiter oben, sie zwischen den etablierten Betrachtungsansätzen zunächst erstmal zu verorten, kam also nicht von ungefähr. MMn muss sie eine Rolle bekommen, denn daran hängt ihre Relevanz. --Epipactis (Diskussion) 00:30, 22. Sep. 2015 (CEST)

[... setze mal wieder an den linken Rand]
Ich finde deine Idee gut, eine Rolle zu definieren und fast fände ich es am besten, du nimmst dir einfach den Raum, den du dir dafür vorstellst und lässt mich etwas daran teilhaben. Es ist ja vermutlich schon klar geworden, dass ich deine Art, eigene Blickwinkel auszuformulieren, sehr schätze. Ansonsten, zu Theorien: Spätestens in der 1970er Jahren wurde in den Wissenschaften auf breiterer Basis damit begonnen, nicht dem Werk alles Mögliche zuzuschreiben, sondern dasjenige einzubeziehen, was durch "Mitarbeit" der Leser/Betrachter/Zuhörer entsteht. Schau vielleicht mal bei Rezeption_(Kunst) (und in den Weblink), und lass mich wissen, was du an diesem Eintrag nicht gut findest (unverständlich etc.), ich würde mit dann vornehmen, ihn zu aktualisieren. Der kurze, derzeit letzte Absatz zu Literaturrezeption ist von mir und ich habe ihn vor allem deswegen ergänzt, weil es "Leser" als Instanz im Rezeptionsprozess demnach gar nicht gibt ;-) Ich nehme in meiner Diss nun nicht explizit Bezug zu den einschlägigen Rezeptionstheorien, aber sie klingen auch in dem mit, was ich bei Forschungsstand zum Besten gebe. --C.Koltzenburg (Diskussion) 06:58, 22. Sep. 2015 (CEST)

Was man sucht, wenn man über Leseerlebnisse anderer etwas in Erfahrung bringen will, ist, denke ich, am meisten vom Typ des Suchenden abhängig. Und manche Suchen werden vielleicht im öffentlichen Raum aus kulturellen Gründen besser bedient als andere. Manche würden gern genau eine Interpretation (Lesart) hinterfragt wissen, andere interessieren sich eventuell für die Bandbreite möglicher Lesarten. In diesem Bild würde ich in die zweite Gruppe gehören. --C.Koltzenburg (Diskussion) 06:58, 22. Sep. 2015 (CEST)

Dass wir es in status-quo-Argumentationen bei Wikipedia scheints mit einer rein publizistischen Kategorie zu tun haben, finde ich eine gute Beobachtung. --C.Koltzenburg (Diskussion) 06:58, 22. Sep. 2015 (CEST)

Gestern habe ich mir ein noch pragmatischeres Projekt ausgedacht und mal telefonisch mit einer derjenigen Kontakt aufgenommen, die sich demnächst an einer Veranstaltung namens "Literarisches Quartett" in einem lokalen Kontext als Mit-Vortragende beteiligt (18. Oktober, also nach der Frankfurter Buchmesse). Ich habe ihr mein Konzept vorgestellt (da konnte sie was mit anfangen), sie hat mir das Format der Veranstaltung erläutert (da konnte ich was mit anfangen) und wir sind so verblieben, dass ich sie demnächst nochmal anrufe. --C.Koltzenburg (Diskussion) 06:58, 22. Sep. 2015 (CEST)

Gut, ich fange mal einen neuen Abschnitt an.

Auf der Suche nach dem Leseerlebnis

Ein Gespenst geht um in Wikipedia - das Gespenst Lieschen Müller. Davor gruseln sich die Enzyklopädisten, und sicher nicht ganz zu unrecht. Offenbar wird also neben der - wie auch immer gearteten - "Reputation" auch eine bestimmte Qualität erwartet. Drüben auf der Grillenwaage fiel vorhin das Wort: " ... einer der besten Leser ...". Das alles deutet allerdings darauf hin, dass der Ausdruck "Leseerlebnis" ungeachtet diverser Vorbehalte oder vorgeschützter Unkenntnis doch jeweils eine mehr oder weniger konturierte Vorstellung hervorruft, und dass sich bereits einzelne Eckwerte auszuprägen beginnen. Die übrigen muss man nun noch finden oder erfinden, bis die Kontur sich rundet. Davon abgesehen sagt einem eigentlich schon die Logik, dass persönliche An- und Einsichten längst diffus innerhalb der Rubriken Analyse und Interpretation präsent sein müssen, denn würde man sie leugnen, sägten sich diese beiden Komplexe faktisch den Ast ab, auf dem sie sitzen. --Epipactis (Diskussion) 00:46, 23. Sep. 2015 (CEST)

Um ehrlich zu sein, interessieren mich Leseerlebnisse allgemein nicht besonders, sondern vielmehr Erlesnisse; aber ebenso gern gebe ich zu, dass mir der Weg ziemlich vielversprechend zu sein scheint, den du ankündigst. Also bin ich weiterhin gespannt. --C.Koltzenburg (Diskussion) 17:53, 23. Sep. 2015 (CEST)
"Erlesnis", wenn ich das recht verstehe, ist eine Abstraktion von Erlebnis(sen), also ungefähr so etwas wie Erkenntnis? --Epipactis (Diskussion) 00:12, 24. Sep. 2015 (CEST)
ja, auf nicht-propositionales Wissen bezogen, das jemand meint, bei Literaturlektüre erworben zu haben. Bei Wikiversity ist nun in meinem BNR eine Unterseite: Erlesnis zu finden, mit wesentlichen Textstellen aus meiner Diss, die sich mit dem Konzept Erlesnis befassen (Reihenfolge wie in der Diss). Den Abschnitt Wie sähe ein angemessener Eintrag zu einem Sprachkunstwerk aus? verlinke ich einfach, denn er ist in Gänze interessant für meine Argumentation bezüglich der Bedingungen und Möglichkeiten aufseiten von Wikipedia (und nicht aufseiten der Literaturkritik, - wissenschaft etc.). Sieh jene Seite bitte als eines Diskussionsseite an. --C.Koltzenburg (Diskussion) 03:48, 24. Sep. 2015 (CEST)
nicht-propositionales Wissen, das jemand meint, bei Literaturlektüre erworben zu haben - also eine Meta-Meta-Ebene. Ich fürchte, die wird kaum noch eine physische Ausdehnung haben. Denn bei weitem nicht jedes Werk bietet ja überhaupt ein Erlebnis, das zu einem Erlesnis Anlass geben könnte. Und wenn doch, kommt es sicher längst nicht bei jedem Leser zu diesem Effekt. Und wo doch, wird er längst nicht von jedem als solcher bewusst wahrgenommen. Und wenn doch, verspürt längst nicht jeder das Bedürfnis, sich darüber zu äußern. Und wenn doch, hat nicht jeder die Fähigkeit dazu. Und wenn doch wie durch ein Wunder etwas durchdringt, ist immer noch nicht gesagt, ob man damit etwas anfangen kann. Du aber sitzt an deinem Fenster und erträumst sie Dir, wenn der Abend kommt. (Eine kaiserliche Botschaft)
Mit dem erdnäheren Erlebnis, meine ich, könnte man dagegen eher etwas anfangen. Mit ausreichend Chuzpe lässt sich daraus möglicherweise sogar das Erlesnis extrapolieren, wenn es sich nicht von selber herablässt. --Epipactis (Diskussion) 00:24, 25. Sep. 2015 (CEST)
Ja genau. Was es alles an Hürden geben kann, ist in deinem Beitrag hier gut beschrieben. Ich habe es mir in der Diss an diesem Punkt einfach gemacht und das Herstellungsverfahren nicht weiter befragt, sondern spekuliert, wie dasjenige auf dem Weg des Nachsinnens über das Leseerlebnis entsteht, was beim Schreiben über Literatur dann als Erlesnis(-bericht) zu lesen sein würde. So dass wir es in Wikipedia-Artikeln referenzieren können. Dass längst nicht jeder ein Bedürfnis verspürt, sich darüber zu äußern, denke ich auch. Allerdings: „Man schreibt nicht, was man will“, meinte Flaubert (Pierre Bourdieu zitiert es als Motto seines Kapitels Flaubert als Analytiker Flauberts in Die Regeln der Kunst); nun weiß ich noch nicht, was Flaubert damit meinte, aber auf unseren Zusammenhang hier bezogen könnte es eben sein, dass die kulturellen Normen, mit denen man so lebt, gerade auch an diesem Punkt sehr wirkmächtig sein können. Und ob Lieschen Müller, wenn sie über Leseerlebnisse in Foren schreibt, diese Zwänge weniger gut blickt als Friedrich Schiller, wenn er theoretisiert, ist dabei gar nicht mal gesagt, meine ich. --C.Koltzenburg (Diskussion) 07:10, 25. Sep. 2015 (CEST)
Das befürchte ich auch. Je größer die Eloquenz, desto geringer wahrscheinlich die Authentizität. Dermaleinst, wenn die Kultur der Erlebnis- und Erlesnis-Berichte so hoch entwickelt sein wird, dass sie den Anforderungen der Enzyklopädie genügt, werden sie vielleicht genauso vertüftelt und berechnet sein wie die Interpretationen. So gesehen muss ich allerdings zugeben, dass mein obiger Gedanke auf nichts anderes hinausläuft als eine Interpretation von Rezensionen.
Aber irgendwie und eigentlich lief es ja die ganze Zeit und von Anfang an darauf hinaus, nicht wahr? Indem man die Stimmen unter eine entsprechende Überschrift stellt, interpretiert man sie bereits, nämlich im Sinne der Überschrift. --Epipactis (Diskussion) 23:07, 25. Sep. 2015 (CEST)
Mal überlegen: Wenn ich also Erlesnisse für wesentliche Ereignisse der Literaturlektüre halte und "Literatur" nicht als ein Objekt, sondern als einen Prozess auffasse, wäre es naheliegend, über Erlesnisse anderer zu Beginn eines Wikipedia-Eintrags zu berichten. Denn da gibt es keine andere Überschrift als das Lemma selbst. Gestalterisch für denkbar halte ich sowas wie eine Blogroll vielleicht. --C.Koltzenburg (Diskussion) 06:57, 26. Sep. 2015 (CEST)
Beispiel gebastelt: La vie commune --C.Koltzenburg (Diskussion) 07:49, 26. Sep. 2015 (CEST)
Über die konkrete Darstellung bzw. Darstellbarkeit habe ich mir eigentlich noch gar keine ernsthaften Gedanken gemacht, mich beschäftigen noch die elementaren Grundlagen. MMn handelt es sich in dem Beispiel im wesentlichen um Erlebnisse, aber ein mMn eminent wichtiger Punkt befindet sich ebenfalls darunter und ist in der allgemeinen Geringschätzung seitens der Skeptiker unverdienterweise verkannt worden und untergegangen, nämlich das mit-anderen-Augen-sehen. Dies, und das obige kafkaeske Problemewälzen (das ich nicht ohne Absicht so zelebriert habe) lassen bei mir nämlich langsam eine Idee dämmern (nach so vielen Jahren!), worin eigentlich mein Erlesnis aus sämtlicher Kafka-Lektüre besteht, es lautet ungefähr so:
  • Die Schwierigkeiten sind immer unendlich und schier unüberwindlich. Ein Menschenleben ist nichtmal ausreichend, um sie überhaupt nur zu erfassen, geschweige denn zu überwinden. Es ist also ziemlich gleichgültig, an welchem Punkt man sich einfach von ihnen abwendet und "zur Tagesordnung übergeht" - versäumen oder verpassen wird man dadurch jedenfalls nichts.
Man sieht schon, glaube ich, dass das weder etwas mit Textanalyse noch Interpretation noch Deutung noch Erlebnis zu tun hat, aber dennoch eine Wirkung ist. Im Rückschluss ergibt sich daraus nun meine Definition von "Erlesnis":
  • Ein "Erlesnis" ist ein nachhaltiger Einfluss auf die Befindlichkeit (des Lesers).
Müsste man nun nicht wiederum fragen, was "Befindlichkeit" ist? Nein, muss man nicht. Denn erstens würde man damit wieder in die Kafkasche Falle tappen, die bekanntlich darin besteht, vom Hundertsten ins Tausendste zu kommen, und zweitens ist es belanglos, wie der Einzelne (Leser) "Befindlichkeit" für sich definiert - der essentielle Punkt ist nämlich der nachhaltige Einfluss. Ebensowenig von Belang ist, ob dieser Einfluss in praktische Konsequenzen umgesetzt wird. Es genügt, darum zu wissen.
Keine Ahnung, ob und wie diese Überlegungen evtl. für dein Vorhaben verwertbar sind, es fehlt ja auch noch der gesamte prozessuale Aspekt. Ich könnte mir aber vorstellen, dass meine obige Definition zumindest als Filterkriterium brauchbar ist, um zwischen Erlebnis und Erlesnis zu unterscheiden.
PS: Und entschuldige bitte, falls du das alles in deiner Arbeit bereits erwähnt hast und ich es nur nicht gefunden/erkannt/begriffen habe. --Epipactis (Diskussion) 19:06, 26. Sep. 2015 (CEST)
Vorab: Oh, na klar ist das alles interessant und vor allem: Du stellst Überlegungen an, die für mich neu sind! Was ich in der Diss formuliere (z.B. dass Erlesnisse ephemere Phänomene sind), könnte sich ja immerhin als Beginn einer längeren Reise herausstellen. Naja, den Anschein hat es derzeit für mich und das finde ich höchst erfreulich.
  • Kafka-Erlesnis: Sehr sehr cool. Weil es ein Ergebnis des Nachsinnens ist und hier in schriftlicher Form abgefasst. Dass es sich aus deiner Sicht um eine Kafkasche Falle handelt, ist demnach nicht Teil deines Erlesnisses, richtig verstanden?
  • mit-anderen-Augen-sehen: Genau deshalb hatte ich im Leseerlebnis-Abschnitt von La vie commune das Zitat von Myrinna an den Schluss gestellt: hier wird nicht nur ein Leseerlebnis, sondern ein Erlesnis anformuliert. Nun sagt Myrinna aber nicht, aus wessen Augen man anders sieht als zuvor. Mein Verständnis der Aussage wäre: Ich sehe es nun anders. Und dahin gekommen wäre diese Leserin* dann, weil Salvayre etwas (WAS) so (WIE) beschrieben hat, dass man beim Lesen in die Lage versetzt wird, es aus einem neuen Blickwinkel zu betrachten (oder später etwas Vergleichbares aus dem hier erfahrenen neuen Blickwinkel betrachten zu können). Frage: Ist es dieser Vorgang oder dessen neues Wissen, das du als einen andauernden (nachhaltigen) Einfluss ausmachst – wie du es in deiner Definition von Erlesnis formulierst – oder noch etwas anderes?
  • Thomas Manns Worte jagten mir Schauer über die Haut und versetzten mich in die Lage, mir etwas vorzustellen, das ich nicht kannte. Nur eines war mir daran vertraut: das wunderbare ‹in die Lage versetzt werden›. Es ist, was ich bis heute ‹lesen› nenne.“, schreibt Ulrike Draesner (Zitat aus meiner Diss, wo ich mir die Erlesnis-Leckerli aus ihrem Krull-Wiederlesen-Essay einzeln auf der Zunge zergehen lasse). Ich meine, dass Draesner nun mit ‹in die Lage versetzt werden› etwas anderes meint als Myrinna mit ‹En lisant ce roman, vous ne regarderez plus votre collègue de la même façon› (indem du/während du diesen Roman liest/nachdem du diesen Roman gelesen hast, betrachtest du deine Kollegen nicht auf dieselbe Art und Weise): Für Draesner umschreibt das ‹in die Lage versetzt werden› den Vorgang oder die Essenz des Lesens, für Myrinna ist es der Effekt des Lesens, genauer: ihrer Lektüre eines bestimmten Werks (La vie commune von Lydie Salvayre, 1991) zu einem bestimmten Zeitpunkt. Nun scheinen sich mir deine Kafka-Lektüren auf mehrere Werke und über einen längeren Zeitraum zu beziehen und dennoch kannst du daraus ein Erlesnis insgesamt formulieren.
  • um zwischen Erlebnis und Erlesnis zu unterscheiden: Dein Weg ist eine gute Idee, finde ich. Für mich bleibt derzeit Erlesnis noch Teil eines Leseerlebnisses; kommt aber vielleicht darauf an, welcher Situation oder Phase (oder welchem Objekt ;-) ich die Entstehung zuschreibe – ob auch ich dann zwischen Erlebnis und Erlesnis strenger zu unterscheiden beginnen würde? Mal experimentieren...
  • ‹Es genügt, darum zu wissen.› Ja. Und wie ich dahinkomme, dass ich meine jetzt mehr zu wissen als vorher, das ist sicher auch eine spannende Frage, die sich nicht allein damit lösen lässt, dass ich (wie bisher) sage: Spätestens wenn du es aufschreiben kannst, merkst du es ;-) --C.Koltzenburg (Diskussion) 14:12, 27. Sep. 2015 (CEST)
Die "Kafkasche Falle" ist natürlich nur ein Joke - ein geflügeltes Wort, das erst noch erfunden werden muss, aber mMn ganz brauchbar wäre, um ein bestimmtes Phänomen zu charakterisieren.
Hinsichtlich der Draesner-Krull-Begegnung war ich mir lange nicht sicher. Gemäß dem oben entworfenen "Filterkriterium" qualifiziert sich Draesners Empfindung zwar ohne weiteres, aber quasi eigenmächtig, als Erlesnis. "Mit-anderen-Augen-sehen", "In-die-Lage-versetzt-werden" und der von dir genannte "andere Blickwinkel" sind nämlich m.E. synonym und gleichermaßen Indizien wenn nicht Beweise für das Vorliegen eines Erlesnisses. Andererseits scheint es sich bei Draesners Empfindung um ein klassisches Coming-of-Age-Erlebnis zu handeln, das sich möglicherweise auch beim Kontakt mit irgendeinem anderen literarischen Werk wenn nicht überhaupt in irgendeinem ganz anderen Zusammenhang hätte einstellen können, da die Zeit dafür gekommen war. Jeder anderen Person dürfte es möglicherweise schwerfallen wenn nicht unmöglich sein, dem Krull eine gleiche oder ähnliche Wirkung abzugewinnen. Insofern möchte ich diesem individuellen Erlebnis die Qualität eines Erlesnisses absprechen, da es als Erlebnis zwar unvergesslich sein mag, aber sozusagen nicht Krull-spezifisch ist.
Demnach postuliere ich ein weiteres identifizierendes Merkmal, eigentlich sogar eine Forderung an das Erlesnis, die mMn auch entscheidend für seine enzyklopädische Relevanz ist: Das Erlesnis sollte mit dem Wesen des Werkes im Zusammenhang stehen bzw. idealerweise etwas davon erhellen. Andere Leser sollten das geschilderte Erlesnis wenn nicht direkt mitempfinden so doch bei nochmaliger gezielter Lektüre zumindest rational nachvollziehen bzw. als plausibel empfinden können, insbesondere wenn sie zuvor nichts dergleichen verspürt haben.
Zu ergänzen wäre vielleicht noch, dass das Erlesnis nicht allzu trivial sein sollte. Dass jemand nachhaltig z.B. nach Ekelschilderungen gewisse Dinge nicht mehr essen mag, nach Horrorgeschichten gewisse Lokalitäten meidet oder durch erotische Schilderungen an gewissen Praktiken Gefallen findet usw., wäre nach dem Filterkriterium zwar wohl auch als Erlesnis einzustufen, rational nachvollziehbar und plausibel, aber nicht unbedingt enzyklopädisch relevant.
Ob mein o.g. "Erlesnis" nach diesen Maßstäben bestehen könnte, ist sehr ungewiss, denn in Wirklichkeit ist es eher ein rückblickendes Fazit, während man von einem "echten" Erlesnis anscheinend eher eine zukünftige Wirkung erwartet, und überdies ist es wahrscheinlich nur aus meiner eigenen Perspektive plausibel.
Ohne solche Maßstäbe und Kriterien oder sonstirgendeine Konkretisierung und Eingrenzung kann ich mir jedenfalls unter "Erlesnis" tatsächlich nichts vorstellen und ihm demzufolge auch nichts zuordnen. Es ist vielleicht ein Zirkelschluss, aber so ergibt sich für mich auch die Unterscheidung zwischen Erlebnis und Erlesnis. Wäre es ein- und dasselbe, brauchte man ja nicht zwei Begriffe, und gebraucht man zwei Begriffe, muss es auch eine in Worte zu fassende Differenz geben. Auch du gebrauchst ja sozusagen ein Differentialkriterium, nämlich (nicht-propositionales) Wissen - anhand welcher Merkmale oder Indizien würdest du das denn identifizieren bzw. sein Vorhandensein diagnostizieren? --Epipactis (Diskussion) 23:37, 27. Sep. 2015 (CEST)
Bisher sage ich ja ziemlich lapidar: Es ist nicht zu beweisen, schwer zu formulieren und bedarf des Nachsinnens. Ich vermute aber, dass eine Schwierigkeit darin liegt, dass bei Literaturlektüre propositionales ebenso wie nicht-propositionales Wissen entstehen kann und diese beiden nicht immer leicht zu unterscheiden sind. Mit Blick auf die von dir formulierten Einwände: Welche Anhaltspunkte mir die Fachleute, auf die ich mich in meiner Argumentation bisher stütze, dafür bieten würden, das Erlesnis weiterhin als erkennbar (d.h. eigenständig genug) anzusehen, das lese ich jetzt mal nach. --C.Koltzenburg (Diskussion) 14:50, 28. Sep. 2015 (CEST)
Hm, einen Begriff in den Raum stellen und als nichterkennbar und unbeweisbar deklarieren, grenzt ja schon an Philosophie und hat damit natürlich das Potential, sich jahrtausendelang damit beschäftigen zu können. Der profane Ansatz, Erkennbares und Beweisbares unter einem Begriff zu versammeln, hat aber auch seinen Reiz, nämlich fassbare Resultate zu liefern. Davon abgesehen scheint mir, dass du Erlesnisse hauptsächlich auf einem eher schwierigen Terrain suchst, nämlich der Sprache. Dem bin ich bisher wohlweislich ausgewichen und habe mich mehr an Handlung und Aussage gehalten, wo man möglicherweise leichter fündig wird oder sich zumindest die Befunde leichter aufbereiten lassen. --Epipactis (Diskussion) 23:15, 28. Sep. 2015 (CEST)
Mit welchen Mitteln würdest du Befunde aus Handlung und Aussage am liebsten aufbereitet wissen? --C.Koltzenburg (Diskussion) 14:39, 29. Sep. 2015 (CEST)
In Form von kurzen und möglichst klaren Statements, die dem oben entworfenen Rahmen bzw. Raster entsprechen. Gesucht werden also Leserberichte über durch die Lektüre gewonnene nachhaltige persönliche Einsichten oder Erkenntnisse. Nur dafür gibt es mMn noch eine "Marktlücke" bzw. enzyklopädische Nische, eventuell auch unter dem Dach der Rubrik "Rezeption". Alle anderen Aspekte werden bereits von den Rubriken Analyse, Interpretation und Deutung abgedeckt. MMn können nachvollziehbare "Erlesnis"-Statements gegenüber den mitunter heillos an den Haaren herbeigezerrten Interpretationen und Deutungen allemal bestehen. --Epipactis (Diskussion) 23:45, 29. Sep. 2015 (CEST)
Deine letztgenannte Meinung teile ich, vor allem in Bezug auf Einträge zu literarischen Werken der Gegenwart. Was meinst du: Woran würde erkennbar sein, dass ein bestimmtes Erlesnis-Statement als nachvollziehbar gelten kann? --C.Koltzenburg (Diskussion) 10:35, 30. Sep. 2015 (CEST)
Das erkennt man daran, dass man es selber nachvollziehen kann. In dieser Frage kann man auf nichts anderes als die eigene Einschätzung bauen. Darin sehe ich auch überhaupt kein Problem, denn es geht ja vorerst nur darum, aus Vorgefundenem eine Auswahl zu treffen. Auf dem Gebiet der Interpretationen und Deutungen geht es nicht anders zu, die werden genauso willkürlich nach persönlichem Gusto ausgewählt. Darüber hinaus ist man dort aber schlimmstenfalls sogar genötigt, irgendetwas zu akzeptieren, nur weil es in einem "reputablen" Medium veröffentlicht wurde, ungeachtet ob es vielleicht offensichtlich hanebüchen ist. Jedenfalls gibt es keine Handhabe, dergleichen abzuweisen. Das könnte auf dem Gebiet der Erlesnisse anders ablaufen. Da diese Rubrik ja sozusagen von Natur aus nicht-reputabel ist, sollte auch die Beschaffenheit der jeweiligen Quelle keine entscheidende Rolle spielen, und die Auswahl könnte nur auf dem Wege des Aushandelns getroffen werden. --Epipactis (Diskussion) 23:12, 30. Sep. 2015 (CEST)
Gut, probieren wir es aus, welchen Artikel nehmen wir? Am besten wohl ein Werk, das wir beide kennen oder lesen wollen, denn sonst kann ich selbst ja nicht in erster Person sagen, dass ich ein von anderen geäußertes Erlesnis nachvollziehbar finde – oder sollte es doch gehen? Allerdings, dass Erlesnisse lediglich in sogenannt nicht-namhaften Quellen zu finden wären, halte ich für nicht zutreffend (in meiner Diss reputabel z.B. Sergeant und Draesner). Aber wir beide meinen eventuell noch nicht ganz dasselbe, wenn wir von Erlesnissen reden. Machen wir es also mal an einem Beispiel, wo wir Vorfindbares kennen, aus dem wir eine Auswähl treffen könnten, und dann verstehe ich vielleicht besser, was du meinst. --C.Koltzenburg (Diskussion) 10:26, 1. Okt. 2015 (CEST)
Dass Erlesnisse lediglich in nicht-namhaften Quellen zu finden seien, behaupte ich keineswegs. Die Quellen können beliebig namhaft sein. Das Erlesnis selbst ist aber trotzdem immer und zwangsläufig nicht-reputabel, weil es eine persönliche An- oder Einsicht ist, die der Betroffene nicht beweisen und belegen kann. Vorausgesetzt natürlich, dass man das Phänomen Erlesnis in ebendiesem Sinne definiert, nämlich als eine persönliche Ansicht, Einsicht, Schlussfolgerung, Erkenntnis o.dgl., die keines Beweises oder Beleges bedarf.
Ja, ich will das Phänomen bzw. den Ausdruck "Erlesnis" auf einen ganz bestimmten und eng definierten Bedeutungsinhalt festnageln, weil ich mir nur in dieser Gestalt davon einen Mehrwert und damit eine "Vermarktungschance" verspreche. Bei den meisten persönlichen An- oder Einsichten handelt es sich nämlich um nichts anderes als Interpretationen oder Deutungen, also die üblichen intellektuellen Konstrukte, denen das Publikum erstens mit Recht einen Beweis oder Beleg abverlangen würde, und deren es zweitens schon mehr als genug aus "berufenen" Quellen gibt, so dass von noch weiteren aus unberufener Quelle m.E. kaum Mehrwert zu erwarten wäre.
So gesehen sind die Anforderungen an ein erwähnenswertes Erlesnis tatsächlich ziemlich hoch, und ich wüsste momentan nicht, wo man eins finden könnte. Es gibt zwar ein ganzes Genre, das es explizit auf Erlesnisse abgesehen hat und sicher auch nicht wenige hervorbringt, nämlich missionarische Literatur jeglicher Art (religiös, politisch, esoterisch, alternativmedizinisch usw.), aber dieses Pflaster mag ich überhaupt nicht. --Epipactis (Diskussion) 00:09, 2. Okt. 2015 (CEST)
Mir kommen folgende Fragen: Wie sähe für dich ein anerkennbarer Beleg für ein Erlesnis aus? Wie würdest in Sachen Erlesnis ein intellektuelles von einem anderen Konstrukt unterscheiden? Welche Bedingungen muss ein Bericht über durch die Lektüre gewonnene nachhaltige persönliche Einsichten oder Erkenntnisse erfüllen, um aus deiner Sicht erwähnenswert zu sein? Kann es deiner Auffassung nach ein Erlesnis ohne ein "intellektuelles Konstrukt" geben? Bisher meine ich ja, dass ein Erlesnis ohne ein Nachsinnen nicht zustandekommen kann. Dass ein Nachsinnen wiederum auf Konstrukten beruht, davon gehe ich aus (Denkstile und Schreibkonventionen sorgen mE dafür, vor allem diejenigen, deren Wirkung auf mich ich mir eventuell nicht so recht eingestehen würde). Also ist das Ergebnis eines Nachsinnens über den eigenen Lektüregewinn höchstwahrscheinlich ebenfalls ein "Konstrukt", meine ich – na und? – sogar Fakten werden gemacht (siehe factum = "gemacht"). --C.Koltzenburg (Diskussion) 17:27, 2. Okt. 2015 (CEST)

(nach links) Da ich in Sachen Erlesnis der Beschaffenheit der Quelle keine Bedeutung beimesse, würde ich als Beleg praktisch alles anerkennen, was sich irgendwie referenzieren lässt. Demnach wären für mich sogar Beiträge akzeptabel, die hierselbst d.h. im betreffenden Artikel generiert werden.

"Intellektuelles Konstrukt" ist natürlich polemisch und überdies ein Pleonasmus. Gemeint sind damit Statements, die nicht dem persönlichen Empfinden entspringen sondern der rein rationalen Verarbeitung von gängigen Lehrmeinungen und Schemata, also ungefähr in der Art des sprichwörtlich-schüleraufsatzmäßigen "Was wollte uns der Dichter damit sagen?". Von "Nachsinnen" kann man zwar in jedem Fall sprechen, der entscheidende Punkt besteht aber mMn darin, was im Fokus des Nachsinnens steht: das Werk als Objekt oder die Wirkung des Werkes auf das persönliche Empfinden. Selbst wenn man in beidem u.U. "Konstrukte" erkennen kann, handelt es sich im ersteren Fall dann doch mMn um sozusagen mechanische, im letzteren dagegen um sozusagen organische - eben das, was ich mir unter "Erlesnis" vorstelle. --Epipactis (Diskussion) 22:37, 2. Okt. 2015 (CEST)

Gut. Ich denke, es könnten sich zwei Leute auf der Disk oder sonstwo einigen, was das Werk ausmacht, das schreiben sie rein und fertig. Dabei könnte es sich um Einsichten/Erkenntnisse oder gar Erlesnisse aus eigener Lektüre handeln, deren Formulierbarkeit und Formulierungen diese Leute miteinander ausgehandelt haben und im Abschnitt "Inhalt" belegfrei oder im Vorspann als allgemeine Aussage platzieren. Gerne würde ich so an Artikeln zu literarischen Werken arbeiten. --C.Koltzenburg (Diskussion) 19:01, 3. Okt. 2015 (CEST)
Frei von gängigen Schemata denken die wenigsten Leute, und erst recht dann nicht, wenn sie über ihre Literaturlektüre schreiben. Mich interessiert als Nächstes, was du und ich in Hinsicht eines Erlesnisses zu einem bestimmten Werk aushandeln würden. Welches kennen wir beide und hat es schon einen Eintrag? --C.Koltzenburg (Diskussion) 19:01, 3. Okt. 2015 (CEST)
Das würde mich natürlich ebenfalls interessieren, aber wenn es um Beispiele geht, komme ich echt in Verlegenheit, denn in Wahrheit habe ich hier fürchterlich hochgestapelt und bin in Literatur alles andere als bewandert, schon gar nicht in aktueller. --Epipactis (Diskussion) 01:29, 4. Okt. 2015 (CEST)
ach, die Wahrheit ;-) Es geht mir gar nicht darum, dass jemand, der ein Erlesnis formuliert, "bewandert" sein müsste, was allein zählt, ist, ob die Person merkt, dass sie nicht-propositionales Wissen erwirbt oder erworben hat und wie sie dies in Worte fasst. Wir könnten vielleicht eine von Kafkas Erzählungen nehmen. Da ich von folgenden einige literaturwissenschaftliche Interpretationen kenne, diese bitte nicht auswählen: Das Urteil, Die Verwandlung, Josefine, die Sängerin oder Das Volk der Mäuse, aber alle anderen von mir aus gern! Da wir zu Kafka insgesamt schon ein ausformuliertes Erlesnis kennen (s.o.), könnte es von mir aus auch was Kurzes von jemand Anderem sein, egal aus welcher Zeit.
Da fällt mir Die liebe Dame ein, sehr schön kurz, 3 Seiten. Petruschewskaja lässt hier glaub ich die Erzählstimme selbst ein Erlesnis formulieren ;-) --C.Koltzenburg (Diskussion) 08:23, 4. Okt. 2015 (CEST)
Letztere Sorte von Geschichten im Dao- oder IKEA-Stil, bei denen der Weg das Ziel ist und die man sich erst selbst zusammenschrauben muss, mag ich nun gerade nicht besonders. (Erwähnte ich schon, dass ich vom ganzen Grass nur ungefähr fünf Seiten gelesen und dann kapituliert habe? Der Kerl nervt einfach, und wenn seine Botschaften tatsächlich so bedeutsam wären, wie sein Ruhm vermuten lässt, hätte er mMn solche Mätzchen nicht nötig gehabt. Soweit mein Erlesnis aus fünf Seiten Grass.)
Erlesnis hat meiner These gemäß auch nichts mit Interpretation zu tun (oder sollte es jedenfalls nicht), und Interpretation nichts mit Wissenschaft. Wenn ich zu Kafka eine Interpretation liefern müsste, lautete sie so: Kafkas Dauerthema in allerlei Varianten ist die Obsession, d.h. die zwanghafte und intensive Befassung mit einer Sache, die aus rationaler Sicht diese Intensität weder verdient noch lohnt. Dabei spielt er auch verschiedene Varianten des mehr oder weniger schmerzhaften Befreiungsschlages gegen die Sache durch, nur den nächstliegenden Ausweg versagt er seinen Protagonisten (und sich selbst), obwohl er immer offenzustehen scheint: sich dem Zwang zu widersetzen und die Sache einfach fallenzulassen.
Eine Erkenntnis fürs ganze Leben verdanke ich auf jeden Fall Max Frischs Stiller und Mein Name sei Gantenbein: Niemand kommt gegen das Bild an, das sich die Umwelt von ihm gemacht hat, oder höchstens in einer Sternstunde. - Keine Ahnung, ob die Romane das explizit so hergeben (im Artikel ist neben allerlei Interpretationen auch von dissoziativer Identitätsstörung die Rede), das Erlesnis liegt Jahrzehnte zurück und die Romanhandlungen sind mir heute gar nicht mehr erinnerlich, mMn auch belanglos. Sicher ist das Phänomen schon seit Jahrtausenden bekannt, aber mir ist es in der obigen Ausformulierung, in der es ausnahmslos jeden betrifft, erst durch Frisch aufgegangen, und seither habe ich es oft selbst erlebt oder beobachten können.
Noch eins, etwas anders gelagert: Stanislaw Lem beschreibt in einer grotesk-humoristischen SciFi-Kurzgeschichte (Sterntagebücher, Elfte Reise) den Wirkmechanismus repressiver Regimes, die den Übergang von der gewalttätigen zur subtilen Phase gemeistert haben, derart knapp und präzise, dass ein George Orwell dagegen als ahnungsloser Phantast und das in Institute für Totalitarismusforschung investierte Geld als pure Vergeudung erscheint. --Epipactis (Diskussion) 23:38, 4. Okt. 2015 (CEST)
Wenn ich deine Antwort richtig verstehe, könnten wir es also mit unserer Lektüre von Frisch und Lem ausprobieren; du formulierst hier quasi deine Erlesnisse, richtig? Unklar ist mir aber: Die Erkenntnis, die du der Lektüre zweier Werke von Frisch verdankst, wäre sie deiner Ansicht nach zu banal, um sie für einen Wikipedia-Eintrag zu nutzen? Und – Vorschlag einer Probe aufs Exempel – dein Resumee zur Lektüre von Lems Elfter Reise, wäre es aus deiner Sicht im Artikel ergänzenswert, nachdem wir die Formulierung auf der Disk ausgehandelt haben?
Zu "Keine Ahnung, ob die Romane das explizit so hergeben" – was meinst du mit "explizit" und mit "hergeben"? Und: Was verbindest du mit dem Begriff Interpretation und aus welchen Gründen meinst du würde ein Erlesnis mit Interpretation nichts zu tun haben sollen? --C.Koltzenburg (Diskussion) 10:49, 5. Okt. 2015 (CEST)
Weiter oben (22.9.) meintest du, wir müssten eine Rolle definieren, um die Idee gebrauchsfertig machen zu können, denn an der Rolle hänge die Relevanz. Ich meine: Die Rolle des eigenen Erlesnisses besteht (auf den Rahmen Wikipedia bezogen) darin, zwischen "habe gelesen" und "habe Lust, einen Artikel zu verfassen" die Brücke zu bauen. Wenn ich über diesen Impuls nachsinne, gelange ich zumindest an dasjenige Erlesnis, das diese Rolle erfüllt (ich habe meist mehrere Erlesnisse und wähle dann wikipedianisch aus). Wenn ich dann Rezensionen lese, hinterher (oder meinetwegen vor der eigenen Lektüre), kann ich mein Erlesnis in Relation setzen zu dem, was in Veröffentlichtem (nicht) gesagt wird. Daraus entsteht vermutlich die Gewichtung dessen, was ich an Aussagen anderer und eigenen Formulierungen im Artikel nutzbar machen will. Demnach hätte in diesem Zusammenhang ein Erlesnis die Rolle, mir meinen eigenen Standpunkt klarer zu machen, auch emotional, bevor ich einen Artikel anfange. --C.Koltzenburg (Diskussion) 13:17, 5. Okt. 2015 (CEST)
So viele Fragen. Unter "Interpretation" verstehe ich ein Produkt nüchterner zielgerichteter Überlegung, eine bewusst in Angriff genommene Auseinandersetzung des Lesers mit dem Werk. Dagegen ist ein "Erlesnis" für mich etwas, das den Leser unvorhersehbar und unberechenbar überkommt, quasi die Auseinandersetzung des Werkes mit dem Leser. Interpretation versucht die Absichten des Werkes zu ergründen, Erlesnis beschreibt die tatsächlich eingetretene Wirkung, ihr Verhältnis zueinander ist also ungefähr wie das von Emission und Immission. Daraus ergibt sich auch die besagte Rolle des Erlesnisses unter den übrigen Betrachtungsarten: es füllt eine Lücke, die von den anderen nicht abgedeckt wird - weder Analyse noch Interpretation noch Rezension verraten mir etwas über die Wirkung des Werkes.
Max Frisch thematisiert in den beiden Romanen die menschliche Identität, aber ich weiß nicht mehr, ob er dabei tatsächlich, wie im Artikel interpretiert wird, pathologische Zustände im Auge hatte. Mich hat er jedenfalls auf die ganz gewöhnliche alltägliche Schubladisierung aufmerksam gemacht, vor allem aber auf die Unentrinnbarkeit. Wieso ist mir diese Einsicht aber nicht schon viel früher oder anderwärts gekommen, Identitätsaspekte gehören doch zu den meistgebrauchten Requisiten der Literatur? Keine Ahnung - vielleicht war ich seinerzeit dafür nur gerade besonders disponiert, ähnlich wie ich es weiter oben U. Draesner unterstellte. In dem Falle wäre die Relevanz allerdings fraglich.
Davon abgesehen meinte ich mit "Aushandeln" eigentlich nur die Herangehensweise beim Auswählen, sofern man mehrere als "Erlesnis" identifizierte Berichte zur Auswahl vorliegen hätte. Bisher habe ich allerdings noch keinen einzigen gesehen, der in das Suchraster passen würde. An Werken kommt für mich praktisch nur das in Betracht, was ich auf Projekt Gutenberg oder zeno.org nachlesen könnte. --Epipactis (Diskussion) 00:27, 6. Okt. 2015 (CEST)
Viele Fragen? Naja, ich bin froh, dir Fragen stellen zu dürfen (die Art und Richtung meiner Fragen trägt dann eben was bei). Denn, wie durch meine Diss inzwischen offenbar geworden ist, habe ich mindestens einen literaturwissenschaftlichen Hintergrund. Fachbegriffe, die mir aus diesem Grunde geläufig erscheinen, können anderswo auf andere Weise verstanden werden, sich interessanterweise auf andere begriffliche Rahmenpunkte beziehen als ich erwarte. Weil ich zudem einigermaßen weit rumgekommen bin, also mich sogenannt interdisziplinär unterwegs befinde, habe ich mir ein solches Fragenstellen angewöhnt ;-) Denn dies hat mir nicht selten völlig neue Einsichten ermöglicht. So auch hier. Danke herzlichst dafür. Ich folge dir also vorläufig darin, dass bei Literaturlektüre ein Erlesnis etwas Unvorhersehbares und Unberechenbares ist. Ebenso darin, dass Rezensenten* (gemeinhin – meine Ergänzung) über die Wirkung eines Werks (auf sie selbst – meine Ergänzung) wenig schreiben.
Was wir Erlesnis-bezogen zu Wirkung zählen würden und was nicht (und warum nicht), das könnten wir gut mal an einem Beispiel erkunden.
Für ein Leseexperiment schwebt mir nunmehr vor: 1. etwas Kürzeres, eine Geschichte (mein Wunsch, meinetwegen nicht Petruschewskaja, sondern traditioneller erzählt), 2. was frei im Netz zu lesen ist (dein Wunsch) und, ja: 3. über dessen Autor* wir nichts wissen (mein Wunsch, denn ich würde Folgendes möglichst rauslassen wollen: Vermutungen über Autor*intentionen als angebliche Ursachen für eine bestimmte Wirkung. Dieser Reflex tritt oft anhand zugeschriebener Identitäten zutage, nicht zuletzt anhand von (Vor-)Namen); 4. der leichteren Verständigung halber: Ich denke, das Beispiel sollte in deutscher Sprache sein, egal ob übersetzt oder nicht. Für "frei im Netz lesbar" muss der Autor* nicht unbedingt vor 70 Jahren gestorben sein, denn die Geschichte kann schließlich gleich im Netz frei zugänglich publiziert worden sein. Ich meine: Am besten sucht jemand Drittes es aus und spielt uns das Stück Prosa ohne Autor*namen zu. Was würdest du davon halten? --C.Koltzenburg (Diskussion) 08:15, 6. Okt. 2015 (CEST)
Dass der Autorname mein durch keinerlei Sachverstand getrübtes Urteil schwerwiegend beeinflussen würde, glaube ich eigentlich nicht, meinetwegen kann er also durchaus genannt werden (außerdem würde ich ihn sowieso ergoogeln :-). Ursprünglich hatte ich mir die Sache ohnehin ganz anders vorgestellt, nämlich so, dass man aus den in einschlägigen Medien massenhaft herumschwirrenden Erlebnis- und Erlesnisberichten nur einfach die tauglichsten und daraus dann die schönsten herauszupicken braucht. Wenn allerdings eine derartige Dürre herrscht, dass man sie sich selber basteln d.h. mehr oder weniger abzwingen muss, geht das natürlich zu Lasten ihrer Authentizität. Aber egal - nenne irgendein Werk und dann lass uns weiter sehen. --Epipactis (Diskussion) 00:34, 7. Okt. 2015 (CEST)

Text 1

Gut, einverstanden, also hier ein Textvorschlag.
Dürre an Erlesnissen, ja, zumindest gemessen an dem, was ich bisher (nicht) gesehen habe, im deutschsprachigen Raum. Außer bei Ulrike Draesner: In ihren Essays lese ich eine Fülle davon, in vielen Varianten. Hinweise auf weitere Namen sind mir höchst willkommen, in Hülle und Fülle!
Mein Zwischenfazit lautet etwa so: Wenn wir zu einem Artikel auf dessen Disk Formulierungen aushandeln dazu, was das Werk ausmacht, wird es enzyklopädisch nennenswert, denn das ist der Spielraum, der uns als Wikipedia-Autoren* zusteht, weil schließlich niemand zu 100% nachplappern will oder kann. Das ist für mich eine wichtige Erkenntnis aus unserem Dialog: Erlesnisse, auch meine, auch deine, und seien es nur Erlesnisse auf Basis von Rezensionen anstelle des Werks, sind ein wesentlicher Bestandteil eines Wikipedia-Eintrags zu nem literarischen Text, ob es nun offiziell zugegeben wird oder nicht. Ohne sie geht es nicht. Die Frage ist nur, wie explizit sie im Artikel auftauchen. Das betrifft Einträge zu allen Themen mehr oder minder stark (je nachdem wie sehr allein propositonales Wissen zu einem Thema als nenneswert erachtet wird), aber die Frage der Explizitheit betrifft alle. Gegenrede gern gesehen :-)
Den vorgeschlagenen Text hab ich kurz überflogen und lese ihn morgen früh. --C.Koltzenburg (Diskussion) 10:25, 7. Okt. 2015 (CEST)
zu meiner Lektüre ein paar Stichworte, s. meine Spielwiese --C.Koltzenburg (Diskussion) 08:42, 9. Okt. 2015 (CEST)
Obwohl man meint, Fühllosigkeit zur Genüge trainiert zu haben, können Aussagen anderer für Erkundungen des Vorliebens wegweisend werden. Erlesnis von der Spielwiese hierherkopiert. --C.Koltzenburg (Diskussion) 14:13, 31. Okt. 2015 (CET)
Sorry, möglicherweise habe ich noch nicht ganz kapiert - soll der oben verlinkte Text, der wie eine willkürlich mitten aus einem Roman gerissene Seite anmutet, schon das Testobjekt sein? Wenns sein muss, fällt mir zwar auch zu dieser einen Seite dies und das ein, aber ob es dem Roman insgesamt gerecht wird, ist natürlich äußerst fraglich ... --Epipactis (Diskussion) 22:48, 9. Okt. 2015 (CEST)
Ich denke es ist ein Stück Kurzprosa. So wie ich Draesner einschätze, hätte sie es sonst vermerkt. Insofern: ja, das Textobjekt ist aus meiner Sicht in dieser Form komplett. --C.Koltzenburg (Diskussion) 06:30, 10. Okt. 2015 (CEST)
Faszinierend. Für mich steht drumherum unsichtbar unweigerlich ein ganzer Roman, und den werde ich nun auch nicht mehr los. Es dürfte sich etwa um die Seite 30 von 300 handeln, jedenfalls ungefähr in dieser Relation, anders ergibt dieses Textfragment für mich überhaupt keinen Sinn. Als Gleichnis oder Parabel enthält es viel zu viele visuelle Details, insofern ist es eigentlich sogar eine Filmszene.
  • Leseerlebnis: Dieses Stück Kurzprosa (sofern es sich um ein solches handelt) sagt mir nichts - wenn man mir etwas mitteilen möchte, muss man es anders anstellen.
  • Erlesnis: Dieses Stück Literatur ist nicht für mich bestimmt.
Im Rahmen des imaginären Romans könnte ich dagegen durchaus ein paar Impressionen formulieren (falls es dich interessiert - evtl. auf deiner oben verlinkten Spielwiese?), allerdings in Ermangelung des ganzen Restes wahrscheinlich kein Erlesnis. --Epipactis (Diskussion) 21:11, 10. Okt. 2015 (CEST)
Ja, gern auf der Spielwiese, klar interessiert es mich, ich komme mit. Die Formulierung „wie eine willkürlich mitten aus einem Roman gerissene Seite anmutet“ schien mir schon ein Erlesnis (unvollständig, weil mir ... fehlt) anzudeuten. --C.Koltzenburg (Diskussion) 10:49, 11. Okt. 2015 (CEST) (zwei Wörter ergänzt --C.Koltzenburg (Diskussion) 10:54, 11. Okt. 2015 (CEST))
ui, interessant! Der Rahmen des imaginären Romans, den ich mir nun vorstellen kann, wäre eine selbständige Rahmenhandlung, in der (vielmehr: durch die) bildungsbürgerliche Weltwahrnehmungseckwerte und deren Formulierungs-Absurditäten thematisiert werden. Ähnlich vielleicht wie bei Der falsche Inder im Verriss des Lektors eines Nobelpreismacher-Verlags die Rahmungskonstruktion völlig übersehen zu werden scheint: Das Sujet und der Stil der Binnenerzählung zog alle Aufmerksamkeit auf sich und das sollte es dann gewesen sein. Gut denkbar für mich, dass dieses Stück Kurzprosa ohne die selbst erdachte Rahmung kaum Wirkung erzielt. In meinen Spielwiese-Notizen lese ich nun, dass ich mir die Rahmung quasi biografisch anhand der sporadischen Angaben geschaffen hatte, aber deren gesellschaftliche Verfasstheit dabei nicht kritisch befragt habe. Mein Erlesnis habe ich formuliert, als ich sah, dass du was geschrieben hast, aber noch bevor ich meine Beigabe an Sandkastenförmchen mir deinen vergleichen konnte. --C.Koltzenburg (Diskussion) 09:23, 12. Okt. 2015 (CEST)
Insgesamt scheint sich aber zu bestätigen, was ich viel weiter oben schon mal vermutet hatte, nämlich dass du dein Augenmerk bevorzugt auf die Komposition bzw. Ästhetik richtest, ich dagegen fast ausschließlich auf die pure Information. Dann kommt es natürlich sehr darauf an, in welche dieser Komponenten der Künstler sein hauptsächliches Anliegen eingebettet hat, und welche ihm nur sozusagen als Gerüst oder Beiwerk dient. Demnach kann es mir bei meiner einseitigen Betrachtungsweise also leicht widerfahren, dass ich den eigentlichen Wert, den Großartigen Gedanken, vergeblich suche, weil ich ihn evtl. bereits als vermeintlich bedeutungslose Verpackung beiseitegeworfen habe und dann nur noch in der tatsächlich bedeutungslosen Füllmasse herumstochere.
Was aber (und das ist vermutlich der häufigste Fall), wenn der Leser weder über einen besonders geschulten Blick für den informativen Gehalt des Textes noch für seine literarische Virtuosität verfügt? Ein Grund mehr, ihm mit ausformulierten Erlesnissen auf die Sprünge zu helfen. Auch ich bin ja bezüglich unseres Textbeispiels nun darauf angewiesen, mir das Wesentliche von jemandem vorsagen zu lassen, der etwas davon versteht bzw. erkannt hat, nachdem ich selber nur ein ziemlich nachlässig skizziertes naturwissenschaftlich-technisches Gerippe finden konnte, nebst ein paar Attitüden, die ich als allürenhaft empfinde.
Mal abgesehen davon, dass es nach 3000 Jahren Literaturgeschichte ohnehin äußerst schwerfallen dürfte, einem Text noch irgendetwas Bedeutsames abzuwinnen. --Epipactis (Diskussion) 23:54, 12. Okt. 2015 (CEST)
Re Bedeutsames: Man könnte mit dem beginnen, was man als Wirkung auf sich selbst wahrnimmt und selbst in Worte gefasst bekommt. Dass dies anderen auf die Sprünge helfen kann, habe ich an mir selbst schon gemerkt und ich finde, es wäre super, wenn sich mehr Leute trauten, Erlesnisse tatsächlich zu äußern. Mir sind anlässlich des diesjährigen Nobelpreises an Alexijewitsch (für ihr literarisches Verfahren in Kombination mit den Inhalten) noch ein paar Gedanken über den Weg gelaufen, zum Beispiel: Auch Erlesnisse können ohne eigenes Weltbild und Alltagswissen nicht entstehen (und User:Mautpreller würde sagen: ein guter Wikipedia-Artikel genausowenig).
Apropos: Ob du darauf angewiesen bist, dir „das Wesentliche“ in Aussagen anderer zu suchen, sei mal dahingestellt. Ob ich mehr „erkannt“ habe (wovon?) als du, ist gar nicht die Frage, finde ich. Erlesnisse machen, was sie wollen.
Sag mal bitte, was ist für dich pure Information? Woraus besteht sie (nicht)? --C.Koltzenburg (Diskussion) 06:25, 13. Okt. 2015 (CEST)
Nachprüfbare Fakten, würde ich mal grob vereinfacht sagen. Sobald sich Literatur eines realitätsnahen Hintergrundes oder der Realität entnommener Requisiten bedient, kann ich es mir nicht verkneifen, diese Hintergründe bzw. Requisiten auf ihre Richtigkeit hin zu beäugen. Das ist ein unsinniges Unterfangen, ich weiß, denn es ist ja Literatur und keine Dokumentation oder wissenschaftliche Abhandlung. Trotzdem wird mein Urteil davon beeinflusst. Wenn sich ein Werk den Anschein gibt, sein Hintergrund bzw. seine Requisiten seinen recherchiert und stimmig, dieser Anschein aber einer Überprüfung nicht standhält, hat es bei mir gleich viel schlechtere Karten. Ja, ziemlich konsequent und gravierend sogar, wie ich jetzt stichprobenartig rückblickend feststelle. An offensichtliche Fiktion bzw. Unüberprüfbares kann ich dagegen viel entspannter herangehen, auch die Wirkung ist dann stabiler.
Dazu ganz gut passend einige vorhin in meiner Tageszeitung gelesene Äußerungen von Iris Radisch (Feuilletonistin Die Zeit) im Zusammenhang mit dem diesjährigen Nobelpreis: Sie bemerke mit Sorge,
... dass Literatur zunehmend mit außerliterarischen Kriterien beurteilt und gewertschätzt wird
sowie kritisch bezüglich Alexijewitsch:
Literatur muss etwas Schöpferisches haben. Sie muss "fiction", eine eigene Erfindung sein, sie muss eine besondere Sprachqualität haben, und sie muss - das ist ganz wichtig - eine eigene imaginative und weltverwandelnde Kraft haben.
Ja, ungefähr so stelle auch ich mir den "Nährboden" für Erlesnisse vor, die ich als enzyklopädisch erwähnenswert einstufen würde. "Weltverwandelnde Kraft" klingt zwar etwas hochtrabend, aber ich habe es oben ja kaum weniger pathetisch "Großartiger Gedanke" genannt. Genau das vermisse ich im Textbeispiel, und so kann man darüber zwar fast beliebig viele mehr oder weniger subtile Überlegungen anstellen, aber Erlesnis würde ich das nicht nennen. --Epipactis (Diskussion) 00:13, 14. Okt. 2015 (CEST)
Übrigens, spätestens als ich beim Überfliegen des Draesner-Textes das Wort "Nichts" las, dachte ich: diesen schlage ich dir mal vor, denn das Wort "nichts" kam in deinem Erlesnis zu Kafka ebenfalls an bedeutsamer Stelle vor.
Hm, sag, könnte es sein, dass du dieses Stück Prosa anders gelesen hättest, wenn es auf Papier wie "als Literatur" gedruckt gewesen wäre, sagen wir: auf einem Tisch in einem Cafe? in einem Bistro? und nicht im Web, als quasi-Blogeintrag?
Zu Radisch (danke für den Hinweis) meine ich: 1. sie hat sich eventuell mit der Literarizität der Werke der Nobelpreisträgerin Alexijewitsch noch nicht befasst und bisher wenig mehr als die eine Zeile der Nobelpreis-Jury 2015 zur Kenntnis genommen, 2. ignoriert sie mit ihrem bürgerlich-konservativen Literaturbegriff (innerhalb/außerhalb, oben/unten) vermutlich ebenso die bevorzugte fiction der Generation Harry Potter.
Apropos Nährboden: Wie wär's mit der Bezeichnung sichtändernde Qualitäten? „Eine der am deutlichsten formulierten Erlesnis-Chancen bezieht sich: auf ein Sachbuch [23.]“ schrieb ich in meiner Diss und bezog mich auf diese beiden Teaser:
  • Kritiker bescheinigen Annawadi oder Der Traum von einem anderen Leben sichtändernde Qualitäten.
  • Dem Sachbuch Annawadi oder Der Traum von einem anderen Leben wird eine nachhaltige Wirkung auf den Leser bescheinigt.
Apropos Sachtexte: Vielleicht sollte ich mal ausprobieren, ob ich nicht auch bei deren Lektüre Erlesnisse produzieren kann oder anhand sogenannter wissenschaftlicher Literatur? Dazu: „Beispiellos ernüchternd“ ist für Burri das kartesianisch-newtonsche Weltbild, auf dem die naturwissenschaftlichen Methoden fußen, insofern Weltbilder emotionale Bedürfnisse und den Wunsch nach Aufgehobensein/ Im-Einklang-mit-der-Natur-Sein befriedigen sollen und seiner Ansicht nach das Mythologisch-Narrative ein einflussreicher Sinn- und Orientierungsstifter geblieben ist. Alex Burri, Das wissenschaftliche Weltbild und sein narratives Gegenstück, in: Wahrheit, Wissen und Erkenntnis in der Literatur. Philosophische Beiträge, herausgegeben von Christoph Demmerling und Íngrid Vendrell Ferran, Berlin, de Gruyter, S. 25-39, S. 26, S. 31. (Seine bipolare Gegenüberstellung Wissenschaft <--> Mythos/Religion halte ich für zu einseitig und ich würde mindestens die Künste als Weltbildgeneratorinnen mit einbeziehen.)
(Mir kam die Frage, ob man sich heute zum Beispiel mit einem Biologie-Weltbild trotz taxonomischer Denkgeländer und der aktuell einflussreichsten Variante an Theoretischer Biologie „im Einklang mit der Natur“ fühlen kann. Aber das nur nebenbei.)
Vielleicht kommst du beim Lesen ohne "Faktencheck" aus, wenn die beschriebene Wirklichkeit dir in hinreichendem Maße unvertraut ist? In dieser Hinsicht könnte sich Textvorschlag 2 gut eignen; da ich dich aber nicht kenne bzw. darüber mit dir noch nicht geredet habe, ist es nur eine Vermutung.--C.Koltzenburg (Diskussion) 13:20, 14. Okt. 2015 (CEST)
"Sichtändernde Qualität" hat u.U. auch der Text ein Mineralwasseretiketts (und ich weiß, wovon ich rede, denn ich lese auch Mineralwasseretiketten), aber dadurch ist er noch lange keine Literatur. Ich glaube schon, dass ich mit meiner oben rein gefühlsmäßig zusammengesponnenen Definition "nachhaltiger Einfluss auf die Befindlichkeit" einen wesentlichen Punkt getroffen habe. Es gibt doch diese Sorte von Parodien, bei denen irgendein möglichst simpler und profaner Gegenstand wie ein hochwertiges Kulturgut besprochen und zelebriert wird. Mitunter entwickeln sich solche Gegenstände aber auch sozusagen im vollen Ernst zu "Kult" samt der entsprechenden Wertschätzung, weil Emotionen ins Spiel gekommen sind. Im Umkehrschluss scheint mir deshalb, dass Texte, die nicht in irgendeiner Weise an die emotionale Befindlichkeit rühren, entweder gar keine Literatur oder bloße Parodien auf Literatur sind, so virtuos sie das Werkzeug und Material dieser Kunstgattung vielleicht auch handhaben mögen. Das kann man meinetwegen "bürgerlich-konservativer Literaturbegriff" nennen, aber für mich muss Schokolade einfach nach Schokolade schmecken, saure Gurken nach sauren Gurken und Literatur nach Literatur. Wie das Kind in Des Kaisers neue Kleider bin ich weder gewillt noch in der Lage, mich umso feinsinniger und kompetenter zu wähnen, je mehr ich im Nichts zu entdecken vermeine. Natürlich kann man über jede beliebige Buchstabenanhäufung beliebig lange sinnieren, aber man muss dabei mMn immer mal prüfen, ob man das Entdecken nicht vielleicht nur parodiert.
Sachtexte können zwar u.U. ebenfalls an die emotionale Befindlichkeit rühren, aber das ist nicht ihr vordergründiger Zweck, sie sind eine ganz andere Sparte mit anderen Werkzeugen und Materialien. Der Unterschied ist ungefähr wie zwischen Pferden vor dem Pflug oder auf dem Ponyhof. --Epipactis (Diskussion) 01:05, 15. Okt. 2015 (CEST)
Dass ein (reden über ein) Entdecken etwas parodieren kann, finde ich ne gute Idee. Wie bei Information, die es nicht pur gibt, weil ihr Aussagewert nur relativ zum Kontext entstehen kann, kommt es meines Erachtens auch bei Schokolade, Gurken oder Literatur darauf an, in welchem Zusammenhang Parodie überhaupt funktionieren würde. Mein Eindruck ist, dass du ein gutes Gespür für das Allürenhafte des offiziellen Literaturbetriebs und manche seiner Texte hast; was dir aufgrund dieses Gespürs andererseits entgeht, kann ich aber nicht einschätzen. Ne gewohnte Brille wieder abzusetzen, bedeutet meist, dass unsere Sehorgane sich ne Weile lang in Umstellungsphase befinden (und vielleicht gerade dann einige Sachen besonders gut sehen, die einem vorher gar nicht in den Sinn gekommen wären). So geht es mir in unserem Dialog hier und ich genieße es.
Übrigens, bisher habe ich nicht darauf geachtet, ob Parodie auch in Interpretationen als literarisches Mittel eingesetzt wird, ich frage mal rum. In oder mit meinen vier Essays habe ich zwar keine Parodie intendiert, aber weiß ich, ob andere sie als Parodie lesen wollen und können?
Es kommt mir als sehr wahrscheinlich vor, dass wir beim Reden oder Schreiben über Literatur**lektüre meistens dermaßen viele Konventionen bedienen, dass wir es gar nicht mehr merken, egal wie nah wir uns zum 'Literaturbetrieb' zählen. Sogar als ich meine Lektüreschnipsel für die Spielwiese erst zusammengeschrieben und anschließend arrangierte, habe ich mich von der Vorstellung beeinflussen lassen, dass ich nachher meine kleine BlackBox auf Spielwiese auspacke, um dir (und denen, die vielleicht mitlesen wollen) meine Bauklötzchen zu zeigen.
Eine Frage kam mir noch: Wie kurz war in deinem Leseleben bisher der kürzeste Text, bei dessen Lektüre ein "nachhaltiger Einfluss auf die Befindlichkeit" entstanden ist?
Ups, und noch eine: Meinst du, auch ein Erlesnis kann etwas parodieren? --C.Koltzenburg (Diskussion) 06:57, 15. Okt. 2015 (CEST)
Proust lässt seinen Erzähler in Combray im Garten (Band 1 der Suche nach ..., Kapitel II, 1913) Überlegungen dazu anstellen, warum die Gefühlsintensität beim Lesen anders ist als im Leben. Hätte mich schon interessiert, was Proust zu unserem Austausch über Erlesnis meint, nunja. --C.Koltzenburg (Diskussion) 19:33, 15. Okt. 2015 (CEST)

(linksrück) Meist sind es nur einzelne Sätze oder Passagen, die auf mich Einfluss ausüben, selten das Werk als Ganzes. Kafka bildet eine solche Ausnahme, weil bei ihm die einzelnen Sätze mMn keine explizite Aussage bzw. "Information" tragen sondern nur sozusagen als Farbstoff dienen, um eine Gesamtstimmung bzw. Befindlichkeit auszumalen. Das hat wohl auch Tucholsky in seiner Rezension zum Prozeß so empfunden und nur noch nicht klar benennen können, wenn er schreibt: ... aber hier hat das Buch nun schon beinah ganz die Erde verlassen – wie eine schwarze Kugel schwebt es durch den Raum.

Das Gegenstück ist bspw. der Faust, dessen konfuse "Handlung" mMn von vornherein bewusst auf Schlüssigkeit und Grundstimmung verzichtet und sich nur als Vehikel für eine Unzahl kleiner und großer Weisheiten (Informationen) versteht, die man im Einzelnen durchaus mit Gewinn zur Kenntnis nimmt. Goethe wollte eben keine reine Sprüchesammlung a la Salomo erschaffen.

Insofern ist die Länge des Werkes für mich also bedeutungslos, aber wenn ich unbedingt kürzeste nennen soll, denen ich Erlesnisse zuschreiben würde, sind das wahrscheinlich einige der Galgenlieder von Chr. Morgenstern. Gerade die werden ja mitunter recht pauschal als Parodien gedeutet, und manche sind es auch tatsächlich (nämlich mehr oder weniger drastisch überzeichnete Form ohne Sinn), aber die meisten sind mMn das genaue Gegenteil, nämlich auf höchste Dichte komprimierter Sinn in einer auf ein Minimum reduzierten Form.

Erlesnis ist Erlesnis und Parodie ist Parodie. Insofern können Erlesnisse nichts parodieren, wohl aber kann man Erlesnisse parodieren, sobald sie eine irgendwie stereotype Form annehmen, an welcher die Parodie ansetzen kann, und wie schon bei den Interpretationen wird man dann Ernstgemeintes und Hoax kaum unterscheiden können. Umgekehrt können Parodien natürlich Erlesnisse generieren. Bspw. haben die parodistischen Interpretationen, die Morgenstern zu einigen seiner Gedichte gleich selbst liefert, meine Ansichten über Interpretationen ganz sicher nachhaltig beeinflusst. --Epipactis (Diskussion) 00:04, 16. Okt. 2015 (CEST)

Wenn Tucholsky seine Aussage als Erlesnis formuliert hätte, wäre ich da sehr neugierig gewesen. Bei der Buchmesse heute hab ich neuen Stoff gefunden, der für meine Idee von Erlesnis ertragreich werden könnte, mal sehen, wann ich da drankomme und es durchgekaut habe. Morgenstern würde mich interessieren, ich meine: Dein Erlesnis. --C.Koltzenburg (Diskussion) 23:10, 17. Okt. 2015 (CEST)
Die Tucholsky-Rezension steht hier, vermutlich sind sie da alle zugänglich. Es ist zwar schon Jahrzehnte her, dass ich die Tucholsky-Sammelbände gelesen habe, aber aus der Erinnerung möchte ich meinen, dass es darin an Erlesnissen nicht fehlen sollte.
Mein Erlesnis aus Morgenstern lautet ungefähr so: Man kann Interpretationen beliebig weit ins Absurde treiben. Kein Mensch kann entscheiden, wo das Seriöse aufhört und das Absurde beginnt, solange nur die Diktion einigermaßen seriös bleibt und sich nicht durch irgendein Augenzwinkern verrät.
Mittlerweile ist mir übrigens noch einer eingefallen, dessen Werke, zumindest manche, auch aus reiner Stimmung bestehen: Hermann Hesse. Bspw. wird ja niemals so recht klar, was es mit dem Glasperlenspiel eigentlich auf sich hat - das Buch malt von Anfang bis Ende nur die eigentümliche, völlig aus Raum und Zeit gefallene Szenerie aus. Kein Wunder, dass Hesse dann ebenso wie Kafka keinen befriedigenden Schluss findet - denn was soll auch bei einer Stimmung ein Schluss? --Epipactis (Diskussion) 00:38, 18. Okt. 2015 (CEST)
Meinst du sowas wie: Der Plot ist egal, solange eine Stimmung rüberkommt, die eigentümlich ist und auch nach der Lektüre anhält? Deine Anmerkung mit dem Schluss scheint mich für mein Erlesnis von Text 2 etwas inspiriert zu haben... Bei welchen anderen Lektüren ist es dir mit dem Schluss so ergangen? Ich selbst kenne viele Leseerlebnisse, bei denen ich dir den Schluss nicht und manchmal auch den Beginn des Werks nicht wiedergeben könnte. Oft bin ich völlig erstaunt, wenn ich, am Ende angekommen, nachsehe, wie es eigentlich anfing. --C.Koltzenburg (Diskussion) 13:10, 18. Okt. 2015 (CEST)
Ob der Plot oder die Stimmung oder die handwerkliche Ausführung - auf mindestens einem dieser Felder muss der Text etwas leisten. Wenn man mir lediglich eine Klecksographie vorsetzt, zu der ich mir bitteschön meine eigenen Gedanken machen möge, spiele ich nicht mit. Insofern bin ich genau die Sorte Publikum, die im Vorspiel zum Faust beschrieben wird: ... Und jedermann erwartet sich ein Fest. / Sie sitzen schon mit hohen Augenbraunen / gelassen da und möchten gern erstaunen. Ja, ich erwarte ein Erstaunen oder ein Fest, gern auch beides. Unter ersterem verstehe ich Gedanken, auf die ich selber eben nicht kommen würde, unter letzterem meinetwegen auch Altbekanntes, aber zumindest attraktiv zelebriert.
Dass der Beginn eines Werks oft nicht haften bleibt, ist begreiflich. Zwangsläufig ist er ja irgendwo mittendrin im Weltgeschehen angesiedelt (außer vielleicht beim Alten Testament, aber der ist eben darum wohl auch ganz gut erinnerlich :-) und außerdem wird er meist eher belanglos sein, da eine Werk i.d.R. nicht gleich am Anfang sein Pulver verschießt. Auch das Ende ist sicher oft nur belangloses Nachgeplänkel, sofern die "Auflösung" nicht tatsächlich erst im allerletzten Satz kommt. --Epipactis (Diskussion) 22:14, 18. Okt. 2015 (CEST)
Bei Text 1 hatte mich vor allem dessen Literarizität angesprochen, das ist nach meiner Auffassung die einem Text eigentümliche Kombi aus den von dir genannten Faktoren plus Art der Sprache (da es sich um ein Sprachkunstwerk handelt), was in deiner Terminologie am ehesten wohl Teil von handwerkliche Ausführung ist. Testfrage: Könnten Plot und Stimmung in anderer sprachlicher Gestalt rüberkommen? Meine Antwort: Nee. Also ist die spezifische Sprachlichkeit für was Wirken des Textes wesentlich.
Nach eigener Einschätzung lese ich erstens literaturwissenschaftlich trainiert, also in Kenntnis mehrerer Sichtweisen (bin 80s/90s-sozialisiert an einer südwestdeutschen Uni, überwiegend Anglistik) und zweitens verfahre ich frei nach dem Motto: „Die Kombinationen, Permutationen und Gebrauchsweisen sind dem Buch nie immanent, sondern hängen von seinen Verbindungen mit diesem oder jenem Außen ab. Jawohl, nehmt, was ihr wollt!“ aus Deleuze/Guattari, dt. Rhizom, 1977, S. 40).
In meinem Lesegefühl bei Text 1 trugen Plot und Stimmung lediglich zur ästhetischen Ver-Rätselung bei und ich begann, mir den Aufbau anzusehen. Am meisten interessiert mich nun, sieben Morgende später, was mit diesem Satz ist: „Sie fliegen ja schon.“ Mein Rätseln darüber ist seither das anhaltende Empfinden, also, dass da etwas für mich Rätselhaftes ist, meine Erlesnis-Vorstufe wiederum die Frage, warum es mich beschäftigt und was ich aufgrunddessen lerne (bzw. als mein neues nicht-propositionales Wissen der Lektüre dieses Textes zuschreibe).
Meine Erlesnisse wandeln sich also mit der Zeit. Ich versuche sie als Mikroformate zu denken (und herzustellen) und sie bestehen bei mir scheints aus Empfindungssequenzen, die ich versprachlichen suche. --C.Koltzenburg (Diskussion) 10:28, 19. Okt. 2015 (CEST)
Zu Positionen wie den von Iris Radisch vertretenen (s.o.) scheint mir Andreas Platthaus' Buchmessen-Kommentar mit der Diagnose „Engagement in der Literatur ist bei Teilen der Kritik unerwünscht“, FAZ, 10. Oktober 2015, gewissermaßen eine Replik zu sein. Ich teile seine Position weitgehend. --C.Koltzenburg (Diskussion) 08:03, 20. Okt. 2015 (CEST)
Dem könnte man entgegenhalten: Kritik an der Literatur ist bei Teilen des Engagements unerwünscht. Aber wer weiß, vielleicht steuern wir ja wieder auf eine Gutmenschen-Diktatur zu. Dann werden mir meine Erfahrungen und "Erlesnisse" aus der verflossenen sicher von Nutzen sein, bspw. dass die richtige Position das Allerwichtigste ist (damals nannte man das bloß etwas markiger "Standpunkt").
Aber bis es so weit ist, hier noch meine ... ähm (fast hätte ich "Position" geschrieben :-) ... also, Sichtweise gewissermaßen:
Ich erwarte von Literatur nicht, dass sie mir Fragen stellt, sondern dass sie mir Antworten gibt, je klarer desto besser. Ein paar Rätsel nehme ich zwar notfalls in Kauf, aber nur als Mittel zum Zweck, bspw. um der Stimmung willen. Zu lösen gedenke ich sie jedenfalls i.d.R. nicht, und wenn ein Zweck wie der genannte nicht ersichtlich ist, stehen sie bei mir unter dem Generalverdacht, lediglich einen schwachen Plot verdecken zu wollen und Bedeutsamkeit vorzugaukeln, wo keine ist. Denn wenn die Geschichte stark ist bzw. etwas zu sagen hat - wozu braucht es dann Rätsel? (Wobei ich "Rätsel" im allerweitesten Sinn meine, also auch unmotiviert bizarre Orthografie, Grammatik, Syntax, Layouts u.dgl.) --Epipactis (Diskussion) 00:16, 21. Okt. 2015 (CEST)
Aha, das habe ich mich noch nie gefragt: Ob ich Antworten will; hingegen, dass mir Fragen kommen, ist bei Lektüre ein für mich vertrautes Gefühl. Wenn ich lese, spüre ich meine Bilder und Empfindungen entstehen und diese befrage ich währenddessen. Und wenn ich sie auch anschließend noch befrage, erscheint mir die Lektüre als wichtig. Manchmal schreibe ich daraufhin dem gelesenen Werk eine gute Qualität zu. --C.Koltzenburg (Diskussion) 07:45, 21. Okt. 2015 (CEST)

Text 2

zweiter Vorschlag --C.Koltzenburg (Diskussion) 15:00, 9. Okt. 2015 (CEST)

Im Prinzip genauso wie Text 1: eine Geschichte wird angerissen und nach wenigen Handlungsminuten bzw. (gefühlt) mittendrin wieder abgebrochen, ohne dass bis dahin irgendetwas Bedeutsames oder sonstwie Bemerkenswertes geschehen ist oder gesagt wurde. Elend, Schicksalsschläge und das takt- und nutzlose Geschwätz selbsternannter Menschenfreunde und -kenner gab und gibt es immer und überall auf der Welt.

Natürlich kann man trotzdem über jedes beliebige Detail der an sich banalen Szenerie beliebig lange nachdenken, aber dann wird der eventuelle Gewinn im Nachdenken selber bestehen bzw. zustandekommen und nicht der Geschichte als Verdienst (Erlesnis) anzurechnen sein. In jedermanns Lebenslauf finden sich unzählige Episoden, die nicht weniger Stoff zum Nachdenken bieten.

Solchermaßen als Meditationsübung benutzt, könnte man wirklich alle erdenklichen Überlegungen an diese Geschichte knüpfen, angefangen vom Kraftfahrzeug als Plattform der Selbstdarstellung über die politische / gesellschaftliche Situation des Handlungsumfeldes bis zu Leben und Tod allgemein, usw. usf.

Wenn ich jedoch unbedingt irgendetwas sagen müsste: Als erstes fiel mir der ziemlich makabere Grundtenor auf, der aber alsbald mit der Eigenart des Protagonisten erklärt und dadurch für mich uninteressant wurde.

Das Zweite ist die Problematik solcher einsamen Arbeitsplätze, deren Auswirkungen ich aus Erfahrung kenne: Bspw. LKW-Fahrer, die Stunde um Stunde, jahraus jahrein stumm und verbissen auf die Straße starren, pflegen oft genauso wie aufgezogen und manchmal geradezu penetrant loszuschwatzen, wenn ihnen endlich ein wehrloser Zuhörer in die Fänge gerät. Noch frustrierender ist es vielleicht höchstens noch, den Arbeitsplatz zwar mit jemandem zu teilen, mit dem jedoch keine ersprießliche Kommunikation möglich ist. Das sind dann wahre Tantalusqualen - erinnert uns das an La vie commune?

Das Dritte und für mich interessanteste ist aber das ziemlich unbekümmerte Schimpfen des Protagonisten auf den Staat und die Verhältnisse, wobei man sich fragt, ob er damit nicht große Unannehmlichkeiten riskiert, falls er mal an den Falschen gerät und denunziert wird. Nicht unbedingt, denn wie schon George Orwell ahnte, können repressive Regimes ihrer "Proles" erstaunlich weitgehende Freiheiten lassen, weil die Disziplinierungsmechanismen mit der Zeit zum Selbstläufer werden und selbst dann noch hinreichend funktionieren, wenn alle insgeheim Gegner des Regimes sind - so wie in Stanislaw Lems Geschichte einer menschenfeindlichen Roboterkolonie, die am Ende ausschließlich aus als Roboter verkleideten Menschen besteht. --Epipactis (Diskussion) 23:34, 17. Okt. 2015 (CEST)

Zwei Leute im Straßenlärm, die in Kürze verschiedene Ziele erreicht haben wollen, müssen wohl oder übel eine Zeit miteinander verbringen; wie es ausgeht, bleibt für beide offen, next please, dieselbe Spule gleich noch einmal: Politik der kleinen Schritte? --C.Koltzenburg (Diskussion) 12:02, 18. Okt. 2015 (CEST)
Andere Kunstwerke, die, soweit es mir bewusst ist, bei meiner Lektüre von Text 2 mitschwingen, sind: Taxi Teheran (Film 2015), Im Taxi. Unterwegs in Kairo (Buch 2007), Il Signor Mani (Buch 1995), Night on Earth (Film 1991). --C.Koltzenburg (Diskussion) 10:39, 19. Okt. 2015 (CEST)
In ein Gesamtkonzept eingebunden können solche fragmentarischen Geschichten auf den ersten Blick zwar tatsächlich etwas plausibler wirken, aber attraktiv wird das Gebilde dadurch noch lange nicht, noch nichtmal originell. Dieses Prinzip der modularen Erzählung d.h. eine Aneinanderreihung mehr oder weniger voneinander unabhängiger, im Grunde austauschbarer Episoden finden wir ja schon in der Odyssee. Recht praktisch für den Schriftsteller, so kann er zwischen ein paar gute Geschichten auch ein paar eher zweitrangige mischen und mitverkaufen. Es sollten bloß nicht durchweg belanglose Stories in einem nicht minder belanglosen Rahmen sein. Wenigstens eine der beiden Komponenten möchte schon etwas zu bieten haben. --Epipactis (Diskussion) 00:20, 20. Okt. 2015 (CEST)
Wenn ich dich richtig verstehe, scheint dir Text 2 eine belanglose Story zu sein? Andererseits schreibst du: „wobei man sich fragt, ob er damit nicht große Unannehmlichkeiten riskiert“ – eben, und meine Frage dazu ist: Warum hat sich Dima Wannous die Mühe gemacht, diese kurze Story zu schreiben und hat nicht einfach den autobiografischen Bericht eines Taxifahrers (in Damaskus vor 1-2 Jahren) 'aufgezeichnet'? Warum haben andere diesen Text für wichtig genug erachtet, um ihn zu übersetzen und in einem Kulturportal frei online zu stellen? Meine Vermutung ist, dass hier etwas Neues ist, etwas, was bisher noch nicht geschaffen worden war, und dass ich es nur nicht so einfach erkennen kann, weil mir der kulturelle und literarische Kontext nicht bekannt ist, in dem dieser Text eventuell mit Konventionen spielt (und sie ändert?). Ich frage mal die Übersetzerin Larissa Bender nach ihren Gründen für das Auswählen dieses Textes im Rahmen des Schwerpunkts Syrien bei faustkultur.de.
Nachtrag, Antwort der Übersetzerin: Die Autorin selbst habe diese und eine weitere Geschichte ausgewählt. Thema sei weniger die Person Sahmih, sondern eher die Absurdität der Situation: um sich greifende Armut, gegenseitige Bespitzelung, gegenseites Misstrauen, denn es wisse niemand, ob sein Gegenüber nicht vielleicht im Auftrag des Geheimdienstes agiere. --C.Koltzenburg (Diskussion) 22:36, 20. Okt. 2015 (CEST)
Übrigens, die Zusammenfassung, die der Story vorangestellt wurde, überzeugt mich nicht so, denn sie hebt scheints allein auf Plot ab. Vielleicht ist es dort wie bei Wikipedia: Es soll möglichst simpel klingen und über Literarizität darf nicht gesprochen werden, weil's ach zu abgehoben klingt?
Lass uns vielleicht als Nächstes mal einen Vorschlag von dir bereden, kann gern älter sein, Tschechow oder so. --C.Koltzenburg (Diskussion) 07:57, 20. Okt. 2015 (CEST)
Wenn es sich beim Text 2 also um eine ausgedachte Szenerie handelt, dann sieht es so aus, als habe die Autorin einfach ihre Gesellschaftskritik einer Figur in den Mund gelegt, die zugleich als etwas sonderbar charakterisiert wird, damit sie (die Autorin) sich notfalls von der Figur und deren Äußerungen distanzieren kann, falls es Ärger gibt. Das ist ein altprobater Trick, genauso hat ja u.a. auch Goethe alle etwas spitzigen Gedanken dem Mephisto untergeschoben, während die angebliche Hauptfigur Faust kaum mehr als ein Stichwortgeber ist.
Aus eigenem Erleben zu DDR-Zeiten ist mir aber erinnerlich, dass die Taxifahrer damals tatsächlich auffallend rücksichtslos auf Staat und Verhältnisse schimpften, so dass man sich als Fahrgast fragte, wieso die keine Angst haben, oder ob sie vielleicht selber zu "denen" gehören und bloß provozieren, während jemand via Taxifunk mithorcht. Das ist für mich das eigentlich Bemerkenswerte an dieser Geschichte, aber eine Erklärung außer den orwellistischen Überlegungen weiter oben habe ich jetzt wie damals nicht. --Epipactis (Diskussion) 00:59, 21. Okt. 2015 (CEST)
Dass die Szenerie fiktional ist, habe ich bei diesem Text vorab unterstellt. Dass Fiktionales mit nichts Anderem zu tun hat als mit Wirklichkeit, schien mir bisher auch klar zu sein, denn: Was sollen sich kreative Leute anderes ausdenken können als das, was mit Wirklichkeit zu tun hat? Viele Kunstwerke bearbeiten nach meinem Empfinden gerade dieses unbestimmbare Verhältnis zwischen dem Vertrauten und seinem Gegenteil. Mit unserem Austausch zu diesem Text ergibt sich für mich ein nächstes Erlesnis, etwa so: Zuverlässigkeit und Unbestimmbarkeit können für eine Situation gleichermaßen charakteristisch sein. --C.Koltzenburg (Diskussion) 07:58, 21. Okt. 2015 (CEST)
Inzwischen habe ich auch die anderen acht Geschichten aus Dima Wannous' Band Dunkle Wolken über Damaskus gelesen, der 2007 publiziert wurde, unter dem Titel Détails (auf Arabisch). Auf Deutsch 2014 erschienen, mit einem neuen Vorwort der Autorin und einem Nachwort der Übersetzerin, vermutlich mache ich dazu einen Eintrag. An meinem Erlesnis zu unserem Text hat sich bisher noch nichts geändert, nur gehört unser Text urspünglich in eine Reihe von neun Détails, also kommt daher vielleicht mein Bild von 'Mosaik', das mir vorhin als Ergänzung/Alternative zu 'Stimmencollage' einfiel. --C.Koltzenburg (Diskussion) 07:12, 27. Okt. 2015 (CET)

Text 3

Ein dritter Vorschlag. --C.Koltzenburg (Diskussion) 08:02, 21. Okt. 2015 (CEST)

Diese Geschichte unternimmt anscheinend den anspruchsvollen Versuch, ein Situations-, Sitten- und Stimmungsbild mit relativ wenigen, aber differenzierten und überlegt positionierten Strichen zu entwerfen, während ein Brachialnaturalist wie bspw. Zola zum gleichen Zweck die Farbe fingerdick und in epischer Breite aufgetragen hätte. Inwieweit der Versuch gelungen ist, lässt sich allerdings schwer beurteilen, weil ihn ein des Schreibens kaum kundiger und obendrein äußerst lustloser Übersetzer regelrecht an die Wand gefahren hat. Selbst wenn die eine oder andere Holprigkeit oder sonstige Schwäche vielleicht bereits dem Original anzulasten ist, hätte der Übersetzer (da es sich doch augenscheinlich nicht gerade um ein Feuerwerk schwer übersetzbarer sprachlicher Raffinessen handelt) mMn alle Möglichkeiten, ja die Pflicht gehabt, sie auszubügeln und das Beste daraus zu machen.
Als Aussage transportiert das Werk mMn eine sehr zaghafte und verschwommene Gesellschaftskritik, wobei mir aber nicht klar wird, ob der Autor damit seine eigene Sicht ausdrückt, oder ob er sie, als Sichtweise seines Protagonisten und typisch für dessen Gesellschaftsschicht, mit Ironie bis Missbilligung darstellen will. Es mangelt da irgendwie an ein paar entscheidenden Worten, die vielleicht ebenfalls der Übersetzung zum Opfer gefallen sind. Es sei denn, diese Unentschiedenheit wäre Absicht und vielleicht der Vorsicht des Autors zuzuschreiben. --Epipactis (Diskussion) 21:17, 22. Okt. 2015 (CEST)
Mein Erlesnis: Die Wahrnehmung der eigenen Welt kann sich ändern, nachdem man versucht hat, auf Umwegen anderen etwas von der eigenen Sicht des Lebens zu erklären. Und jetzt lese ich, was du hier oben geschrieben hast. --C.Koltzenburg (Diskussion) 18:17, 23. Okt. 2015 (CEST)
Dass es bei Tschechow zwischen Autor und Erzähler einen Abstand gibt, halte ich für sehr wahrscheinlich. Cool war es, die Lektüre der Geschichte kurz darauf wieder von vorn anzufangen. Ich hatte em Ende die ersten Urteile des Blickes, die Koroljow zugeschrieben werden, nicht mehr so konkret in Erinnerung, es entstand etwas, das ich als einen interessanten Kontrast empfinde. Apropos: andere Übersetzung (Anfang), russ. Original, im KLL kein Eintrag zu diesem Werk, da hätte ich jetzt doch mal geschaut, was jemand 'Berufenes' meint. An welchen Stellen meinst du die Lustlosigkeit dieses Übersetzers auszumachen? --C.Koltzenburg (Diskussion) 18:33, 23. Okt. 2015 (CEST)
Recht interessant ist, was reclam.de einem Tschechow-Sammelband als "Produktbeschreibung" voranstellt:
»Wenn ich schreibe, rechne ich völlig mit dem Leser, da ich glaube, dass er selber das fehlende subjektive Element der Erzählung hinzufügt«, erwiderte Anton Tschechow auf die Vorhaltung, seine Geschichten seien zu ›objektiv‹ und böten keine Lösung. Er, der Meister des knappen Strichs, der lakonischen Ökonomie des Erzählens, wollte »das Leben beschreiben, so wie es ist«; die Pflicht des Künstlers sah er im richtigen Stellen der Frage, nicht darin, sie zu lösen. Das macht das Spannungsvolle der sechzehn hier versammelten Erzählungen aus [...]
Damit bestätigt sich also die programmatische Knappheit, die ich sofort empfunden hatte, aber mit dem Ansatz einer fragenstellenden Erzählung gerät der Autor bei mir leider an den Falschen. Im Vergleich mit noch weiteren Übersetzungen finde ich die eingangs verlinkte allerdings nicht mehr ganz so schlecht, wiewohl sie einige grobe Schnitzer aufweist und sich meist auf eine schlichte einszueins-Übertragung des Wortlauts beschränkt. Immerhin versucht sie wenigstens an einigen Stellen, den Ton des Originals kreativ wiederzugeben, und die anderen Übersetzungen bewältigen das auch nicht deutlich besser. Womit ich nun nicht behaupten will, dass ich das Original wirklich lesen könnte, aber zumindest glaube ich trotz meiner nur fragmentarischen Russischkenntnisse doch gewisse sprachliche Eigentümlichkeiten des Autors auszumachen. Beispielsweise beginnt Tschechow viele Sätze mit "Und", aber wenn man das direkt ins Deutsche übernimmt, resultiert aufgrund der andersartigen Sprachgewohnheiten mMn ein deutlich anderer Unterton als vom Original beabsichtigt, sodass diese Passagen in der Übersetzung (jedenfalls für mich) irgendwie befremdlich wirken, bzw. sich ihre originale Intention bzw. Intonation mMn nicht zutreffend erschließt. (Mit "Und" beginnende Sätze findet man im Deutschen oft in biblischen Texten, von daher sind sie mit einem gewissen prophetischen Pathos aufgeladen. Im Profanen zeigt man mit einem "Und" am Satzbeginn dagegen lediglich, dass man dem Vorhergehenden noch etwas hinzufügen will. Beides trifft auf die Tschechowschen "Und"-Sätze aber mMn nicht zu.) --Epipactis (Diskussion) 00:59, 24. Okt. 2015 (CEST)
Und trotz alledem, ist dir ein Erlesnis gekommen? Nenn mir mal einen Text, bei dem du meinst, dass nicht mit dir als Leser gerechnet wird, den würde ich versuchsweise gern mal nicht als Leser lesen. --C.Koltzenburg (Diskussion) 12:14, 24. Okt. 2015 (CEST)
Sobald und soweit mit dem Leser gerechnet wird, ist er nicht mehr Leser sondern Mitautor. Das ist aber etwas, dem ich mich konsequent verweigere, denn anderenfalls könnte ich mir die Bücher ja gleich selber schreiben. Jeder Narr, also auch ich, kann mehr fragen als hundert Weise beantworten können. Wievielweniger hilft mir also der Schriftsteller weiter, wenn er auch bloß fragen kann. Wenn er dann zu allem Übel auch noch durchblicken lässt, dass unter meinen bereits hundert Weise überfordernden Fragen noch nichtmal die "richtigen" seien, fühle ich mich erst recht zum Narren gehalten.
Wenn er wenigstens überhaupt fragte, aber das tut er ja gar nicht, er schildert lediglich eine banale und langweilige Alltagsepisode, selbst die "richtigen" Fragen dazu muss man sich selbst ausdenken. Das ist äußerst billig und fällt hinter alles zurück, was Literatur schon vor 3000 Jahren leisten konnte. Da kann ich mir auch Fisches Nachtgesang vornehmen, dazu fallen mir mühelos alle erdenklichen Menschheitsfragen von Anbeginn ein.
Was hat er also Substantielles zu bieten? Vielleicht etwas Zeit- und Lokalkolorit, die freilich der Sparsamkeit des Autors entsprechend sparsam ausfallen werden. Darunter vielleicht der Umstand, dass sie den Teufel für die Misslichkeit der Verhältnisse verantwortlich machen - im westlichen Kulturkreis hätte man wohl eher an göttliche Fügung gedacht. Außerdem fiel oben der Ausdruck "lakonisch" - richtig erkannt, aber ob auch richtig interpretiert? Denn ein eigenartig "lakonischer" Tonfall, der mitunter scharf mit der Dramatik der Handlung kontrastiert, ist mir nämlich, wie ich mich jetzt erinnere, schon mehrfach in aus dem Russischen übersetzten Geschichten aufgefallen. Er ist also möglicherweise weniger dem Autor und mehr den Eigentümlichkeiten der russischen Sprache geschuldet, d.h. hier ist die Kunstfertigkeit und Sensibilität des Übersetzers besonders gefordert.
Wenn du etwas davon als "Erlesnis" werten willst - ich würde es vorläufig noch nicht. --Epipactis (Diskussion) 22:57, 24. Okt. 2015 (CEST)
Allet jut. Es besteht meinerseits keine Eile. Und warum sollte ich etwas werten, wenn dir nach dieser Lektüre eher nicht danach zu sein scheint, eines formulieren zu wollen? Ich hätte als Nächstes Lust auf was von Kafka (welche Texte am liebsten nicht, schrieb ich ja schon). --C.Koltzenburg (Diskussion) 14:21, 25. Okt. 2015 (CET)
Am Formulieren-Wollen soll es nicht scheitern, aber wenn keins da ist, kann ich auch keins formulieren. Außerdem, wie du dich vielleicht erinnerst, fordere ich vom Erlesnis um seiner enzyklopädischen Relevanz willen ja auch, dass es hauptsächlich etwas über das Wesen des Werkes verraten bzw. davon widerspiegeln soll, und nicht nur über das enzyklopädisch weitgehend irrelevante Wesen des jeweiligen Erlesers. Wenn ich mir unter diesem Gesichtspunkt nun dein Erlesnis ansehe (Die Wahrnehmung der eigenen Welt kann sich ändern, nachdem man versucht hat, auf Umwegen anderen etwas von der eigenen Sicht des Lebens zu erklären.), dann muss ich gestehen, dass ich darin das Werk nicht wiederfinde, nichtmal Anhaltspunkte. Ich sehe jedenfalls nicht, dass sich dort jemandes Wahrnehmung ändert. Der Arzt ist sich der Fragwürdigkeit seines Daseins zwar vielleicht um einige Grade bewusster als seine "Patientin", aber über seinen Schatten springen kann auch er nicht. Alles, was jenseits seines eigenen beschränkten Kreises liegt, nimmt er nur als unklares Störgeräusch oder Spukvision wahr, und sein Fazit bei der Abreise ist nichts weiter als der beruhigende Gedanke, dass diese Art von Dasein ungeachtet aller Fragwürdigkeit doch hinreichend angenehm ist. --Epipactis (Diskussion) 19:13, 25. Okt. 2015 (CET)
Gut, wir beiden zumindest würden uns hier nicht einig. Auf einer Artikel-Disk also, wo wir vorbereitend Formulierungen für den Artikel aushandeln, könnte es zwar bis zu einem Grundgerüst kommen, aber es würde uns voraussichtlich zu zweit allein nicht gelingen, uns bezüglich eines Erlesnisses zu verständigen. Denn für dich müsste es das Wesen des Werks wiedergeben, für mich würde eine Sammlung von Erlesnissen aus verschiedenen Perspektiven beschreiben, was Leute beim Lesen an Neuem über sich und ihre Sicht der Welt erfahren haben und indirekt dadurch im Artikel die Rezeption des Werks in einer Stimmencollage (etwa wie bei Alexijewitsch) darstellt, die nicht unbedingt durch einen Überbau 'neutralisiert' worden wäre.
Wikipedia-Einträge zu einem literarischen Werk werden vielleicht auch deshalb anscheinend überwiegend von nur einer Login aus verfasst, weil das, was für manche derjenigen, die sich im September in der Grillenwaage-Debatte zu Aspekten meiner Diss geäußert haben, in einem solchen Eintrag zwischen den Zeilen zur Geltung kommt, eben gerade nicht in expliziten Aushandlungen zustandekommt. Dabei ist für mich noch offen, ob es aus bestimmten Gründen nur nicht angestrebt wird oder ob man meint, für einen solchen Versuch seien prinzipiell keine Erfolgschancen in Sicht.
Kommst du an alles von Kafka dran und ich könnte von daher als Textvorschlag 4 irgendwas auswählen? --C.Koltzenburg (Diskussion) 06:40, 26. Okt. 2015 (CET) --C.Koltzenburg (Diskussion) 07:54, 26. Okt. 2015 (CET)
... für mich würde eine Sammlung von Erlesnissen aus verschiedenen Perspektiven beschreiben, was Leute beim Lesen an Neuem über sich und ihre Sicht der Welt erfahren haben und indirekt dadurch im Artikel die Rezeption des Werks in einer Stimmencollage [...] darstellt, die nicht unbedingt durch einen Überbau 'neutralisiert' worden wäre.
Dieser Satz ist nicht ganz leicht zu entschlüsseln, findest du nicht auch? Davon abgesehen besteht mMn kein prinzipieller Gegensatz oder Widerspruch zwischen unseren Auffassungen.
... was Leute beim Lesen an Neuem über sich und ihre Sicht der Welt erfahren haben ... - aber ja doch! Und zusätzlich auch, „was sie an Altbekanntem mal wieder bestätigt gefunden haben“, was ihnen an längst Geahntem endlich klar geworden ist, usw. usf., hauptsache beim Lesen Erfahrenes, jedoch nachvollziehbar durch das Lesen ebendieses einen konkreten Werkes induziert, damit sich das Erlesnis auch anderen Lesern erschließen und dadurch für sie eventuell von Wert sein kann. Von dieser Bedingung kann ich nicht abgehen, denn wenn solche Berichte für die anderen Leser größtenteils unbegreiflich und damit nutzlos wären, hätte das ganze Unterfangen mMn weder Sinn noch Zweck und daher auch keine Erfolgschance.
(Von Kafka kannst du nehmen was du willst.) --Epipactis (Diskussion) 23:32, 26. Okt. 2015 (CET)
Hm, was jemand anderes nun „größtenteils unbegreiflich und damit nutzlos“ fände, wie findest du das vorher raus? Daher meine Idee mit einer Stimmencollage für diesen Zweck, denn ein Mosaik aus Erlesnissen würde die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass mit wenigstens einem davon etwas anzufangen wäre. Mit Einstimmigkeit hab ich's nicht so.
Und: Diesen Aspekt hatte ich nicht mehr so auf dem Schirm, danke für's erneute Einbringen: „was ihnen an längst Geahntem endlich klar geworden ist“. Und auch für „was sie an Altbekanntem mal wieder bestätigt gefunden haben“, auf diese beiden Aspekte habe ich bisher nicht so besonders geachtet, aber ich finde du hast recht, dass auch sie ein Erlesnis motivieren oder ausmachen können.
Übrigens, seit ein paar Stunden suche ich ein bestimmtes Erlesnis einer meiner Lektüren zuzuschreiben und es ist mir wider Erwarten noch nicht gelungen. Ich weiß nichtmal, wie alt es ist, also wie lange ich dieses Erlesnis-Empfinden schon erinnere. Ein Gefühl ist präsent, das ich einer Lektüre zuschreibe, aber der Entstehungszusammenhang fühlt sich sehr ephemer an. Mir ist das neu, also dies passiert mir meiner Erinnerung nach zum ersten Mal. Kennst du sowas? --C.Koltzenburg (Diskussion) 06:31, 27. Okt. 2015 (CET)

Text 4

Vorschlag: „Beim Bau der Chinesischen Mauer“ von Kafka. --C.Koltzenburg (Diskussion) 06:31, 27. Okt. 2015 (CET)

Wie in den meisten seiner Geschichten entwirft Kafka ein unzweifelhaft als surreal konzipiertes Universum, denn selbst wenn reale Schauplätze und Ereignisse darin vorkommen und selbst wenn man nachweisen kann, dass er sich mit diesen Realien tatsächlich befasst hat, haben sie doch mit der beabsichtigten (?) Aussage nicht direkt zu tun. Kafka kann solche Universen aus ganz unterschiedlichen Arrangements errichten, und er errichtet sie, weil er es kann, weil er ein Paganini der Sprache ist, weil er es nicht wie diverse Gegenwartsautoren nötig hat, dieses Instrument zu malträtieren, um Aufmerksamkeit zu erregen, sondern sich damit begnügen kann, es bestimmungsgemäß zu spielen.
Die Sprache ist außerordentlich virtuos und dabei doch glasklar und makellos, desgleichen auch die Gedankengänge, aber letztendlich - kommt nichts dabei heraus. Die Arabesken sind zwar immer wieder andere und bilden immer neue kunstvolle Schnörkel, doch sie drehen sich immer im selben Kreis. Es ist wie mit diesen faszinierenden irischen Steptänzen, bei denen einem fortwährend der Atem stockt, aber nein, sie stolpern und verheddern sich niemals, und man kann zwischendurch auch unbesorgt aufstehen, zum Supermarkt gehen und ein paar Einkäufe tätigen - wenn man nach einer Stunde zurückkehrt, hüpfen sie immer noch genauso herum, und man hat in der Zwischenzeit nicht das geringste verpasst.
Worum geht es also in dieser Geschichte? Wie in allen anderen: ganz allgemein um das menschliche Nachdenken über Sinn und Zweck, in seiner scheinbar schrankenlosen aber bei Lichte besehen doch höchst beschränkten Komplexität und notorischen Vergeblichkeit. Kafka war eben noch sehr jung und obendrein ein Künstler. Er hat es (noch) nicht fertiggebracht oder wollte es nicht fertigbringen, wie jener alte und abgebrühte Analytiker der Antike einen Strich zu ziehen, Eins und Eins zusammenzuzählen und mit dem Endresultat "Es ist alles eitel und Haschen nach Wind." zu leben.
Deshalb enden seine Geschichten auch wie jene irischen Tänze sozusagen irgendwo mittendrin (je nach Gemütsverfassung kann man sagen: wenns am schönsten ist oder na, jetzt reichts aber allmählich) und ohne dass es eine Steigerung, Entwicklung oder ein Fazit gibt.
Aus diesen brillanten kleinen Kunstwerken nun aber einzelne Brocken herauszumeißeln, um daraus irgendwelche Bezüge zum konkreten Weltgeschehen zu schnitzen, erscheint mir als ebenso plump, profanierend und töricht wie die zahlenmystische Scharlatanerie, die aus den Kantenlängen ägyptischer Pyramiden oder megalithischer Bauwerke Hinweise auf Sternbilder, Außerirdische oder sonstwas ausrechnet. --Epipactis (Diskussion) 00:46, 28. Okt. 2015 (CET)
Mein Erlesnis: Wie sich bei denen, die dort sind, wo sie sich zuhause fühlen, Einschätzungen der Wirklichkeit bilden, ist ein Prozess, der von niemandem durchschaut werden kann. Sehr aktuelles Thema. Und jetzt lese ich, was du geschrieben hast. --C.Koltzenburg (Diskussion) 20:43, 28. Okt. 2015 (CET)
Einerseits und Andererseits
Mein Erlesnis: Tiefgründiges Nachsinnen ähnelt der Struktur von Fraktalen. Um welchen Gegenstand oder Sachverhalt es sich auch handeln mag - es gibt immer ein Für und Wider bzw. Einerseits und Andererseits. Beim ungestörten und hemmungslosen Weiterdenken lässt sich jedes der beiden wiederum in ein Einerseits und Andererseits auflösen, und jedes davon wieder, und wieder und wieder, bis ins Unendliche. Der "normale" Mensch treibt diese Iteration jedoch über kaum mehr als eine oder zwei Stufen und trifft dann irgendeine Entscheidung, und die Summe bzw. das Konglomerat dieser Entscheidungen ist dann seine "Wirklichkeit". Kafka dagegen lässt sich in seinen Geschichten häufig noch ein paar Stufen weiter treiben und zeigt damit, zumindest dem entsprechend geneigten Beobachter, dass es ohne weiteres unbegrenzt so fortgehen könnte. (Der oft gebrauchte Ausdruck "klaustrophobisch" scheint mir dafür aber nicht sehr treffend.) --Epipactis (Diskussion) 23:09, 28. Okt. 2015 (CET)
Intensives Nachdenken führt bei mir zu Empfinden von Freiheit, was ich als das Gegenteil von Eingesperrtsein verstehe. Dein Erlesnis scheint mir sehr passend zu sein und die gewählte Illustration in ihrer Bewegtheit bildet mein Leseerlebnis super ab.
Mein Erlesnis scheint eher ein Ergebnis des von dir „plump, profanierend und töricht“ genannten Verfahrens zu sein, nämlich „einzelne Brocken herauszumeißeln, um daraus irgendwelche Bezüge zum konkreten Weltgeschehen zu schnitzen.“ Dabei interessiert mich am meisten, was du mit „profanierend“ meinst. --C.Koltzenburg (Diskussion) 07:06, 29. Okt. 2015 (CET)
Ich meine das Fixieren auf irgendwelche konkreten Details, bei denen es sich aber (und sicher nicht nur bei Kafka) offensichtlich nur um austauschbare und daher belanglose Staffagen handelt, die jedenfalls nichts mit dem Wesen der Geschichte zu tun haben. Bspw. glaubt der Wikipedia-Artikel in Worten wie "Volk", "Führerschaft", "Blut" u.dgl. ... deutlich das politische Wetterleuchten, das die totalitären Systeme, links wie rechts, vorausschicken ... zu erkennen. Na, da hatte Kafka wohl geradezu Glück, dass er Jude war, sonst würde man ihm heute ganz sicher faschistoide Tendenzen unterstellen.
MMn erzählen bspw. Der Bau oder Das Schloß ganz genau dieselbe Geschichte wie die Chinesische Mauer, zwar in unterschiedliche Arrangements verpackt (welche ich als bedeutungslos ansehe), aber im Kern ist es doch immer die Schilderung eines obsessiven und sich vom Hundertsten ins Tausende verlierenden Nachdenkens, das dennoch immer fruchtlos bleibt, weil sich Argumente und Gegenargumente stets als gleichermaßen plausibel erweisen, oder schlimmer: je nach Blickwinkel alternierend eins immer plausibler als das andere, und demzufolge die eben noch als einzig richtig erkannte Annahme oder Entscheidung schon im nächsten Moment als die allerfalscheste. (Bei solcher Art von Nachdenken empfindet man mMn eher das Gegenteil von Freiheit.) Auch in der Chinesischen Mauer wird jeder anfangs klar und sicher scheinende Gedanke alsbald revidiert oder wenigstens relativiert, um nach einigem weiteren Hin und Her unweigerlich ins Unbestimmte und Unbestimmbare zu zerfließen.
Ich glaube, dass Kafka diese seine Befindlichkeit voll bewusst gewesen ist, u.a. erinnere ich mich an eine selbstcharakterisierende Aussage ungefähr wie: "... er bekommt es nicht zu fassen, es äfft ihn ..." (leider finde ich diese Passage momentan nicht, vielleicht stand sie in den Tagebüchern oder Briefen). Mir scheint auch, dass er bestrebt war, die materiellen Details exakt so auszubalancieren, dass ebendieser strukturelle Grundtenor erkennbar wird. Passagen, in denen das Konkrete allzu üppig ausufert, hat er anscheinend oftmals wohlbedacht gestutzt oder ganz ausgesondert. Gleicherweise erklärt sich m.E. auch die vermeintliche Nichtvollendung vieler seiner Geschichten: die Stimmungslage ist ja jeweils vollendet dargestellt, so dass die lediglich als Vehikel dienende Untermalung, die an sich noch beliebig fortgesponnen werden könnte, konsequenterweise abgebrochen wird.
(Hab die Illustration mal gestoppt, weil sie auf Dauer doch ziemlich nervt.) --Epipactis (Diskussion) 00:49, 30. Okt. 2015 (CET)
Ah, ich fragte nach 'profanierend', weil ich den Begriff bisher als ein Gegenteil von 'verheiligend' aufgefasst hatte. Mit deiner Antwort meine ich zu verstehen, dass, was du als Staffage ansiehst, mit dem, was das Werk ausmacht, eigentlich nichts zu tun hat. Aber warum schreibt Kafka dann Prosastücke dieser Art und nicht vielmehr Essays mit nachvollziehbaren argumentativen Verläufen oder etwa psychosoziale Berichte oder vielmehr noch: denkgeschichtliche Abhandlungen für das Jetzt?
Du äußerst die Meinung, dass man das Gegenteil von Freiheit empfindet bei einer bestimmten Art von Nachdenken (wie sie in diesem Prosastück von Kafka in sprachkünstlerischer Gestalt vorgestellt zu werden scheint, meine Ergänzung). Ich würde sagen, dass es eine Typ- und Erfahrungsfrage ist, wie man Kafkas Schilderungen beim Lesen auffasst und wie die Empfindungen in Sprache zu fassen wären. Diese 'man'-Aussage von mir bringt eine Vermutung des Wie, des Prozesses, zum Ausdruck und weniger eine Vermutung über das Was, den 'Inhalt', dessen, was dabei rauskommt. Über ein Was lässt sich glaube ich keine 'man'-Aussage treffen, wenn es um Empfindungen geht, denn die bringen wir meistens schon allein auf uns selbst bezogen kaum in eine allseits befriedigende sprachliche Form, scheint mir.
Vorhin habe ich ein Zitat gefunden, das ich (in leicht transformierender Lesart) als eine mögliche Beschreibung der Entstehung eines Erlesnisses ansehe:

„Man wittert eine bestimmte Wahrheit; man umkreist sie in immer wieder ansetzenden Schlußketten, anschaulichen Wendungen und vielleicht auschweifenden Reflexionen, um Lücken, Konturen, Kerne, Sachverhalte zu entdecken. [...] Man [...] wird [...] die Empfindung nicht los, daß der eigentliche Prozess der Schöpfung den vollständigen Überblick verstellt oder gar verbirgt.“ Max Bense (evtl. bereits in Co-Autorschaft mit Elisabeth Walther-Bense), „Über den Essay und seine Prosa“, 1952 oder früher. Gefunden in einem Beitrag von Ulrich Stadler (2011), „Kafkas Experimente“, in ISBN 978-3-8353-0582-3, S. 139.

Im Zitat ist die Aussage zwar auf das Wesen (Schreiben) von Essays bezogen, aber für mich passt diese Beschreibung recht gut für das, was meinerseits beim Entstehen eines Erlesnisses vor sich geht, nur dass ich dann Anhaltspunkte nicht im Text suche, sondern im Echo von meiner Lektüre des Textes, also in meinen Empfindungen während der Zeit des Lesens und danach. Reflexionen, Lücken, Konturen, Kerne, Sachverhalte, um sowas ungefähr kreisen auch meine Empfindungs-Erkundungen bzw. -Erinnerungen, wenn ich versuche, ein bestimmtes Erlesnis in Worte zu fassen. Welcher Anteil meines Erlesnisses geeignet wäre, dasjenige zu beschreiben, was du das Wesen des Textes nennst? Keine Ahnung. Andersherum kommt mir gerade eine Frage an dich: Wieviel vom Wesen des Textes müsste ein Erlesnis hergeben, um von dir als relevant genug angesehen zu werden? --C.Koltzenburg (Diskussion) 08:22, 30. Okt. 2015 (CET)

Erlesnis-Kriterien (herausgearbeitet von Epipactis)

Die mMn entscheidenden Punkte sind bekanntlich Nachvollziehbarkeit, Mehrwert und Nachhaltigkeit. An diesen drei miteinander wechselwirkenden Kriterien lässt sich mMn alles festmachen. Die zugrundeliegende Logik habe ich im Verlauf dieser langen Diskussion methodisch zu entwickeln versucht, hier also nochmal kurz zusammengefasst:
Der Idealtyp eines (fremden) Erlesnisberichtes macht mich auf etwas aufmerksam, was mir selber bei der Lektüre bis dahin nicht aufgefallen ist, was ich aber nun, da ich darauf aufmerksam gemacht wurde, ebenfalls erkennen kann. Das setzt allerdings voraus, dass mir der Bericht bzw. dessen Gedankengänge hinreichend begreiflich sind, und das wiederum ist am ehesten bei einem erkennbaren Textbezug zu erwarten. Soll heißen: Der Bericht sollte weder völlig aus der Luft gegriffen wirken noch sich so verrätselt ausdrücken, dass er nur vom Berichtenden selbst verstanden werden kann.
Wenn nun der Erlesnisbericht dergestalt textbezogen und somit für Dritte nachvollziehbar (was durchaus nicht unbedingt nach-fühlbar heißen muss) diesen zu einem erweiterten Verständnis verhilft, dann bildet er mMn zugleich auch etwas vom Wesen der Geschichte ab und ist damit relevant. Ich möchte fast sagen: Erlesnisse, die diesen Ansprüchen genügen, sind das Wesen der Geschichte, oder: es manifestiert sich in ihnen - jedenfalls mMn weit eher als in Analysen, Interpretationen und Rezensionen.
Dabei gehe ich allerdings von der Annahme aus, dass die Leser, bzw. die Menschen überhaupt, sooo furchtbar unterschiedlich gar nicht sind, sodass es also nicht im entferntesten so viele (und grundverschiedene) Sichtweisen wie Leser gibt, sondern i.d.R. kaum mehr als eine Handvoll oder sogar noch weniger. --Epipactis (Diskussion) 00:30, 31. Okt. 2015 (CET)
Gut, also mit den von dir formulierten Kriterien könnten jetzt mal Leute, die alle vier Texte gelesen haben (egal wie lange das her ist), meine vier Erlesnisse durchchecken, oder? --C.Koltzenburg (Diskussion) 14:16, 31. Okt. 2015 (CET)
Das könnten sie, sofern ihnen dieses Konzept ohne weiteres einleuchtend und handhabbar erscheint - was aber alles andere als gewiss ist, denn vorläufig widerspiegelt es kaum mehr als meine Denkungsart bzw. Herangehensweise. Erscheint es dir denn einleuchtend und handhabbar? Falls nicht - was daran nicht, und aus welchen Gründen? --Epipactis (Diskussion) 19:53, 31. Okt. 2015 (CET)
Deinen Vorschlag finde ich in pragmatischer Hinsicht einleuchtend genug, so dass es mir sinnvoll erscheint, meine Erlesnis-Formulierungen mal von einer dritten Person (oder gern auch von dir) kommentieren zu lassen, eben anhand der Kriterien, die du entwickelt hast. --C.Koltzenburg (Diskussion) 20:00, 31. Okt. 2015 (CET)
Gerne, denn erst auf mehrere solcher Kommentare kann ja das nachfolgende Aushandeln Bezug nehmen, dessen Funktion ich mir ziemlich simpel vorstelle: Wenn mehrere Kommentatoren dem Erlesnis - nein besser: Wenn mehrere Kommentatoren mit Hilfe des Erlesnisses dem Werk etwas abgewinnen können (Kriterium: Mehrwert), ist das Erlesnis relevant. --Epipactis (Diskussion) 21:39, 31. Okt. 2015 (CET)
Danke für deine Kommentare zum jeweiligen Erlesnis 1. Ich würde mir vorstellen, dass Mitspieler gebeten werden, zuerst selbst die Texte zu lesen, auch wenn es eventuell für Wikipedia-Leser nicht die wahrscheinlichste Reihenfolge ist, sofern Wikipedia für Erstinformation vor der eigenen Lektüre genutzt wird. Aber das kann uns für Aushandlungen egal sein, weil bei Wikipedia ja allüberall Leute mitschreiben können, die vom Thema keine Ahnung haben (und das meine ich nichtmal hämisch). Wie gehen wir weiter vor? Sollen wir vielleicht noch andere darum bitten, ihre Erlesnisse mit zur Diskussion zu stellen und/ oder vorhandene zu kommentieren? --C.Koltzenburg (Diskussion) 00:50, 1. Nov. 2015 (CET)
Wir sollten das Ding erstmal wirklich zur Praxisreife entwickeln, von der es noch ein gutes Stück entfernt ist (mMn kann es sich sogar immer noch als undurchführbar erweisen), und dann damit über einen aussichtsreichen Artikel herfallen (mMn gibt nur ein Bruchteil aller Werke überhaupt enzyklopädisch erwähnenswerte Erlesnisse her). Ich weiß nicht, ob weitere Mitspieler das Vorhaben voranbringen würden. Dafür müssten sie es mMn von vornherein grundsätzlich befürworten, statt bloß nach den Haaren in der Suppe zu suchen, denn davon sehe ich selber schon mehr als genug. (Dementsprechend sind auch meine Erlesnis-Kommentare bewusst streng ausgefallen, denn in der Praxis wird der Erlesnisbericht ja mindestens solchen und vielleicht noch viel strengeren und skeptischeren Blicken standhalten müssen.) Folgender Punkt scheint mir vordringlich klärungsbedürftig:
  • Anscheinend gibt es einen Widerstreit zwischen der unvermeidlichen Privatheit des Erlesnisses und der im enzyklopädischen Rahmen unerlässlichen Verständlichkeit (aka Nachvollziehbarkeit): Je authentischer das Erlesnis, desto weniger erschließt es sich Dritten. Je verständlicher, desto mehr ähnelt es einer konventionellen Interpretation. Wo verläuft die Grenzlinie, wie erfolgt der Qualitätsumschlag? Gibt es um diesen imaginären Punkt herum eine Zone, die ausreichend breit ist, um damit und darin arbeiten zu können, oder herrscht notorisch Instabilität, sodass das Vorhaben immer nach dem einen oder anderen Extrem hin abkippt?
Ich war beim "Erlesnis" zu Kafka jedenfalls nicht imstande, meinen Eindruck zu schildern ohne ihn zugleich irgendwie zu erklären. Umgekehrt sind mir deine Eindrücke samt und sonders unerklärlich geblieben.
Für mich geben sicher weit weniger als 10% aller Werke überhaupt etwas her, das ich als Erlesnis bezeichnen und für mitteilenswert halten würde. Die Texte 1 und 2 beispielsweise garnichts dergleichen, die sind für mich nur Buchstabensuppe, schade um das Papier. Text 3 ist immerhin ein Zeitdokument, aber weder sonderlich bemerkenswert noch irgendwelche Spuren bei mir hinterlassend - gelesen und vergessen. (Dagegen war Zola schon von ganz anderer Wirkung, bspw. Das Geld - nie im Leben würde ich mir eine Aktie kaufen! :-) --Epipactis (Diskussion) 20:03, 1. Nov. 2015 (CET)
„Je authentischer das Erlesnis, desto weniger erschließt es sich Dritten.“ Diese Hypothese scheint mir nicht besonders aussichtsreich zu sein. Ich meine, es kommt darauf an, wie ein Erlesnis in Sprache gefasst wird, denn Vermittelbarkeit ist nicht zuletzt eine Frage der sprachlichen Form, jedenfalls, wenn ich von meiner bisherigen Praxis des Erlesnis-Formulierens ausgehe. Ich habe bei der Lektüre sprachkünstlerischer Texte jede Menge Erlesnisse, und wenn ich eines davon auswähle und in Worte fasse, verändert es sich, weil ich es in Worte fasse. Damit meine ich: Indem ich es in Worte fasse, nimmt das Erlesnis eine Gestalt an, die es vorher nicht hatte: War es vorher zum Beispiel ein schillerndes Mosaik aus rot-blau-beige, hat mein Versuch, es mit einer sprachlichen Gestalt zu versehen, dazu geführt, dass von dem Mosaik nur noch irgendein Blau zu sehen ist. Wenn ich ein Erlesnis in Worte fasse, nimmt es eine Form an, die mir veröffentlichbar zu sein scheint. Dass deren Inhalt als nicht nachvollziehbar empfunden wird, wundert mich nicht, denn 95% aller Kommunkation geht schief. Und da wir im deutschsprachigen Raum kaum Übung darin zu haben scheinen, über Erlesnisse zu sprechen, klappt es mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht. Wie bei jeder Kommunikation kommt ein weiterer Faktor hinzu: dass beim Gegenüber neben einer gewissen Bereitschaft auch eine gewisse Fähigkeit bestehen muss, sich eine Aussage mit der Perspektive der anderen Person vorstellen zu können und keine 1:1 Überlappung, keine unmittelbare Verständlichkeit zu erwarten - obwohl das im Falle eines enzyklopädischen Texts ja angestrebt werden soll. In dieser Hinsicht halte ich Deine Hypothese zur Art von Erlesnissen: „Je verständlicher, desto mehr ähnelt es einer konventionellen Interpretation“ für interessant. Würdest du zum Beispiel deine Kafka-Erlesnisse (die übrigens für mich nachvollziehbar sind) in der Nähe von Aussagen sehen, die aus deiner Sicht konventionelle Interpretationen sind? --C.Koltzenburg (Diskussion) 10:55, 2. Nov. 2015 (CET)
Übrigens denke ich, dass wie hier mit unseren Erlesnis-Formulier-Arbeiten jenen Leuten, die dazu neigen, interpretatorische Aussagen zu literarischen Texten nach verschiedenen Denkrichtungen oder literaturwissenschaftlichen Schulen zu sortieren, interessanten Stoff herbeifabrizieren. --C.Koltzenburg (Diskussion) 10:55, 2. Nov. 2015 (CET)
Unser Verfahren eines Erlesnis-Checks hier im nächsten Absatz finde ich super, weil es uns gelingt, verschiedene Varianten nebeneinanderzustellen. Meine Erlesnisse entwickeln sich dadurch weiter (speziell deine neueste Formulierung zu Text 3 finde ich brilliant und anregend). In einem nächsten Schritt würde ich gern Aushandlungen dazu beginnen, was annäherungsweise dabei herauskommen könnte. Zwar vermute ich, dass nicht nur ich, sondern auch du, also wir beide (und vielleicht in ähnlichem Maße) bei unseren Aushandlungen die Rahmenvorgaben von Wikipedia im Auge behalten - also: was schreibbar wäre... - und dass dies eine wesentliche Einschränkung ist, aber solange ich mir dessen bewusst bleibe, halte ich es nichtmal für hinderlich. Insofern finde ich deine Überlegung sehr gut, pro Text (oder pro Erlesnis) um einen imaginären Punkt herum eine Zone auszumachen, in der wir beide ein Erlesnis für gut genug formuliert halten. Ich meine übrigens, dass eine solche Zone nichts mit Privatheit oder Authentizität zu tun hat, zumindest nicht direkt, sondern mit dem, was in einem bestimmten Kontext als sagbar empfunden wird. Ist der Kontext Wikipedia, fallen bestimmte Diskurse raus, außer jemand als namhaft Angesehenes hat sich zur richtigen Zeit an passendem Ort belegbarermaßen in diesen zitierbaren Formulierungen geäußert, und dabei scheint es mir tatsächlich prinzipiell egal zu sein, ob diejenige Person die eigene Aussage als authentisch oder in Privat-Modus getätigt einschätzt. --C.Koltzenburg (Diskussion) 10:55, 2. Nov. 2015 (CET)
An der Verständlichkeit kommen wir mMn nicht vorbei, denn das Erlesnis soll ja sozusagen verkauft werden und muss deshalb für die Käufer (Wikipedialeser) irgendwie verwertbar also zumindest begreiflich sein, und davon müssen auch die Mitarbeiter des Einzelhandelsunternehmens (Wikipedia) überzeugt sein, denn anderenfalls fliegt die Ware ganz schnell wieder aus den Regalen oder wird gar nicht erst hineingelassen.
Nun ist so ein Erlesnis ja kein physischer Bestandteil des Textes sondern ein Effekt, d.h. etwas, das sich nicht immer, unbedingt und gleichermaßen einstellt, also etwas, das u.U. erst begreiflich gemacht werden muss. Deshalb halte ich es mittlerweile für zweckdienlich und damit legitim, dem eigentlichen Erlesnis u.U. eine knappe Erklärung anzufügen, sofern das nach menschlichem Ermessen zweckmäßig erscheint.
Damit haben wir, glaube ich, auch eine Trennlinie zwischen Erlesnis und Interpretation: Erlesnisse konstatieren Effekte, Interpretationen suchen nach Bedeutungen, Absichten und sonstigen Hintergründen. So gesehen könnte man also auch die Interpretation prüfen, ob sie nicht etwa in die Gefilde des Erlesnisses abdriftet. --Epipactis (Diskussion) 00:45, 3. Nov. 2015 (CET)
Ich lese eine implizite negative Wertung bei 'abdriften'; sehe ich anders, denn das Mitteilen von Erlesnissen halte ich gesamtgesellschaftlich gesehen für wichtiger als wenn Leute sich daranmachen, Interpretationen zu verfassen, die einen Gültigkeitsanspruch erheben. Warum? Die meisten Literaturleser, die ich kenne, lassen sich für eine solche Arbeit nicht bezahlen, müssen also auch keine Kompromisse mit dem angenommenen Geschmack der Redaktionskollegen oder des Rezensionenlesers machen. Vielmehr lesen sie Literatur, weil sie gespannt sind, welche Erlesnisse dabei rumkommen werden. Also: eher umgekehrt: So gesehen könnte man also Erlesnisse prüfen, ob sie nicht etwa in die Gefilde einer Interpretation abdriften. Wenn Wikipedia eine Volksenzyklopädie ist, warum sollen dann Erlesnisse unbezahlbarer Leser nicht zur Sprache kommen - wo in vielen Artikeln zu literarischen Werken ohnehin nicht über einander widersprechende Interpretationen berichtet wird? Die Drift, die ich in diesem Zusammenhang also kritisiere (obwohl oder weil ich Dr. der Lit.wiss. bin), ist, Theoretisierendem Vorrang einzuräumen vor gut formulierten Erlesnissen, die ich für aussagekräftiger halte.
Mir kommt ne Idee: bei Gehen, ging, gegangen habe ich einige Rezensionen verlinkt, sie aber noch nicht ausgewertet. Das Werk hab ich gelesen, der Abschnitt Inhalt ist von mir. Ich nehme an, du hast es noch nicht gelesen, und ich hätte den Vorschlag, dass wir uns mal die Rezensionen daraufhin ansehen, ob die Unterscheidung zwischen Interpretation und Erlesnis was taugt. Hätteste mal Lust auf sowas? --C.Koltzenburg (Diskussion) 09:49, 3. Nov. 2015 (CET)
Wieso will sich derzeit eigentlich kein Mensch an DAS Buch zur Problematik obskurer Gäste erinnern, nämlich Biedermann und die Brandstifter? Oder: Wie hellsichtig war Max Frisch, als er es Ein Lehrstück ohne Lehre untertitelte.
Warum bist du dir bezüglich deiner Einschätzung "kein Mensch" so sicher? Und worauf bezieht sich deine Assoziation? --C.Koltzenburg (Diskussion) 14:14, 4. Nov. 2015 (CET)
Aber nochmal zurück zum Abdriften: Dass das Genre Erlesnis u.U. bedeutsamer ist als das Genre Interpretation, ist ja ganz meine Meinung. Auf jeden Fall verliert das Erlesnis seinen spezifischen Wert, je mehr es in Richtung einer Interpretation tendiert, und umgekehrt wildert die Interpretation in fremden Revieren, wenn sie Eindrücke vereinnahmt, denen eigentlich der Status eines Erlesnisses zukommt. Will sagen: Interpretationen ist diesbezüglich besonders auf die Finger zu sehen. - Jetzt verständlicher? --Epipactis (Diskussion) 02:17, 4. Nov. 2015 (CET)
Dass Interpretationen Erlesnisse enthalten, ist meines Erachtens ist genausowenig zu vermeiden wie in scheinbar noch so 'neutralen' Wikipedia-Einträgen persönliche Einschätzungen, denn ebensowenig wie es einen neutralen Standpunkt geben kann, habe noch keine Interpretation gelesen, denen nach meinem Empfinden nicht wenigstens 1 Erlesnis zugrundeliegt, von dem aus sich das Bedürfnis speist, sich an die Arbeit zumachen und eine Interpretation zu verfassen. Von dem Kontrollieren-Wollen im Ausdruck 'auf die Finger sehen' halte ich also nichts. Verstehe ich dich richtig, dass du keinen Bock hättest, die im genannten Artikel verlinkten Rezensionen mal auf das Verhältnis von Interpretation zu Erlesnis-Formulierung hin anzusehen? --C.Koltzenburg (Diskussion) 14:14, 4. Nov. 2015 (CET)
Ich habe sie alle angesehen, aber auf den ersten Blick weder Interpretationen noch Erlesnisse entdeckt. Auf den zweiten Blick fiel mir auf, dass z.T. der Protagonist kritisiert wurde. Das finde ich seltsam, fast kindisch. Hat die Autorin nicht das Recht, den Protagonisten nach ihrem Belieben mit Eigenschaften und Verhaltensweisen auszustatten, und seien es auch tadelnswerte? --Epipactis (Diskussion) 01:29, 5. Nov. 2015 (CET)
Ah, das klingt danach, dass die Rezensenten sich mit der Hauptfigur identifizieren wollten und es ihnen teilweise nicht gelungen ist. Und, wenn du mich fragst, klingt es auch so, als ob sie das Werk nicht als Kunstwerk gelesen haben, sondern als Tatsachenbericht. Vielleicht habe ich gar nicht die interessantesten Rezensionen aufgelistet... ich habe noch gar keine davon gelesen und schaue heute mal, ob zu ich zu demselben Eindruck gelange wie du. --C.Koltzenburg (Diskussion) 05:51, 5. Nov. 2015 (CET)

Erlesnis-Check

Text 1: Und so fängt VORLIEBE an

Erlesnis A: Obwohl man meint, Fühllosigkeit zur Genüge trainiert zu haben, können Aussagen anderer für Erkundungen des Vorliebens wegweisend werden.
Kommentar 1: Dieses Erlesnis bleibt mir ebenso verschlossen wie der Text, denn ich kann beim besten Willen die VORLIEBE nicht entdecken. Ich kenne nur die triviale Bedeutung dieses Ausdrucks, nämlich dass jemand einer bestimmten Variante eines Gegenstands/Sachverhalts den Vorzug gibt, wenn er die Wahl zwischen zwar gleichwertigen aber verschiedenartigen hat. Um welche Varianten welchen Gegenstandes könnte es sich handeln und worin zeigt sich die Bevorzugung, oder was könnte sonst gemeint sein? Keine Ahnung. Fazit: Für mich nicht nachvollziehbar. --Epipactis (Diskussion) 00:04, 1. Nov. 2015 (CET)
Erlesnis B: Es fühlt sich so an, als ob der Text nichtmal durch den groß geschriebenen Begriff im Titel verständlicher würde und ich stehe auf dem Schlauch. (= C.Koltzenburgs Variante, aus Kommentar 1 von Epipcatis ein Erlesnis zu destillieren)
Dementi von Epipactis (Diskussion) 21:18, 1. Nov. 2015 (CET): Umgekehrt, der Titel wird durch den Text nicht verständlich.
Erlesnis C: Den Text versteh' ich wohl, allein mir fehlt die Botschaft. (frei nach Faust) --Epipactis (Diskussion) 21:18, 1. Nov. 2015 (CET)

Text 2: Samîh

Erlesnis A: Zwei Leute im Straßenlärm, die in Kürze verschiedene Ziele erreicht haben wollen, müssen wohl oder übel eine Zeit miteinander verbringen; wie es ausgeht, bleibt für beide offen, next please, dieselbe Spule gleich noch einmal: Politik der kleinen Schritte?
Kommentar 1: Zwar größtenteils ohne weiteres nachvollziehbar, rekapituliert dieses Erlesnis allerdings nur das ohnehin Offensichtliche und obendrein Banale, nämlich dass da das gewöhnliche Alltags-Einerlei eines Taxifahrers beschrieben wird. Fazit: Für mich kein Mehrwert.
Bleibt die rhetorische Frage: "Politik der kleinen Schritte?" Hm. Worin bestehen die Schritte? Der Text zeichnet eher das Gegenteil, nämlich eine Atmosphäre der Stagnation. Fazit: Für mich nicht nachvollziehbar. --Epipactis (Diskussion) 00:04, 1. Nov. 2015 (CET)
Erlesnis B: Gesellschaftliche Stagnation kann sich in der Schilderung vom gewöhnlichem Alltags-Einerlei eines Taxifahrers zeigen. (= C.Koltzenburgs Variante, aus Kommentar 1 von Epipcatis ein Erlesnis zu destillieren)
Erlesnis C: Solange sich die Faust nur in der Hosentasche ballt, wird sie von den Machthabern ignoriert. Einmal richtig in Gang gekommen, funktionieren Repressionsmechanismen selbst dann noch, wenn schon sämtliche Beteiligten insgeheim dagegen sind. --Epipactis (Diskussion) 20:43, 1. Nov. 2015 (CET)

Text 3: Ein Fall aus der Praxis

Erlesnis A: Die Wahrnehmung der eigenen Welt kann sich ändern, nachdem man versucht hat, auf Umwegen anderen etwas von der eigenen Sicht des Lebens zu erklären.
Kommentar 1: An sich eine möglicherweise zutreffende Erkenntnis, aber für welchen der Protagonisten ändert sich inwiefern seine Wahrnehmung der eigenen Welt? Der Text zeichnet eher das Gegenteil, nämlich dass alles so bleibt, wie es vorher war. Fazit: Für mich nicht nachvollziehbar. --Epipactis (Diskussion) 00:04, 1. Nov. 2015 (CET)
Erlesnis B: Es kann sein, dass nichtmal die Reise in unbekannte Verhältnisse eine gewohnte Sichtweise zu verändern vermag. (= C.Koltzenburgs Variante, aus Kommentar 1 von Epipcatis ein Erlesnis zu destillieren)
Dementi von Epipactis (Diskussion) 21:50, 1. Nov. 2015 (CET): Der Text beschreibt eher das Gegenteil, nämlich dass der Protagonist sich ausschließlich in den Geleisen ihm bekannter Verhältnisse bewegt. Außerhalb dieser existieren für ihn nur seine Vorurteile, sein Ohr beleidigende Störgeräusche und diffuses Geflüster im Hause. Dass sich dahinter zahlreiche Menschen verbergen, die für lächerlich geringe oder auch überhaupt keine gesonderte Entlohnung gezwungen sind, sich sogar die Nacht vom Sonnabend auf den Sonntag um die Ohren zu schlagen, kommt ihm mit keiner Silbe in den Sinn.
Erlesnis C: Dass man anderen die eigene Sicht des Lebens erklärt, beweist noch lange nicht, dass sie etwas taugt. --Epipactis (Diskussion) 21:50, 1. Nov. 2015 (CET)

Text 4: Beim Bau der Chinesischen Mauer

Erlesnis A: Wie sich bei denen, die dort sind, wo sie sich zuhause fühlen, Einschätzungen der Wirklichkeit bilden, ist ein Prozess, der von niemandem durchschaut werden kann.
Kommentar 1: Zunächst rätselhaft. Inwiefern unterscheidet sich denn der Wirklichkeitseinschätzungsbildungsprozess derer, die dort sind, wo sie sich zuhause fühlen, von dem derer, auf die das nicht zutrifft, sodass sich die Un/Durchschaubarkeit desjenigen der ersteren eventuell von derjenigen der letzteren unterscheidet, und welche Textpassage gibt Anlass zu dieser Differenzierung? Stellen wir das mit dem Zuhausefühlen also vielleicht besser erstmal zurück und betrachten nur die Undurchschaubarkeit. Der Text zeichnet eher das Gegenteil: Der W.E.B.P. des Erzählers ist doch äußerst transparent, denn er schildert seinen Bildungshintergrund sowie das gesellschaftliche Umfeld in Vergangenheit und Gegenwart sehr detailliert, wertet Berichte Dritter gewissenhaft aus und ist in der Lage, seine Einschätzungen zu hinterfragen und zu relativieren. Dementsprechend ist auch seine ohnehin plausible Analyse und Beschreibung der W.E.B.Pe im Volke unbedingt glaubwürdig. Undurchschaubar ist da also eigentlich garnichts, mal abgesehen davon, dass das Ganze ja nur ein Märchen ist. Fazit: Für mich nicht nachvollziehbar. --Epipactis (Diskussion) 00:04, 1. Nov. 2015 (CET)
Erlesnis B: Der Autor verstrickt seinen Protagonisten (wie immer) in ein Dickicht aus Erwägungen und Gegenerwägungen, Relativierungen und Re-Relativierungen usw. usf. bei stets gleichbleibender Schlüssigkeit und scheinbarer Notwendigkeit, sodass weder Ziel noch Ende abzusehen sind, und bringt mich dadurch zu der Erkenntnis, dass man sich manchmal einfach abwenden oder irgendeine Willkürentscheidung treffen muss, um sich, wenngleich man vielleicht auch kein befriedigendes Ergebnis erzielt (hat), doch wenigstens aus dem Dickicht zu befreien. --Epipactis (Diskussion) 01:05, 1. Nov. 2015 (CET)
Kommentar 1: Der zweite Teil wird nur nachvollziehbar durch die im ersten Teil geäußerten Vermutungen über das, was der Autor tut. Es handelt sich um kein Erlesnis im engeren Sinne, denn hier wird selbstreflektierend formuliert, wodurch der Erlesnisschreiber meint, zu einer bestimmten Erkenntnis gelangt zu sein. Dabei mischen sich Analyse und Interpretation (und wird in einem Wikipedia-Artikel idealerweise mit einer ref versehen, um TF zu vermeiden). Das Erlesnis selbst beginnt ab dass man.... --C.Koltzenburg (Diskussion) 08:53, 1. Nov. 2015 (CET)

Kategorisierung von BKS: ausnahmsweise möglich?

Hallo Epipactis, nachdem bei dieser Diskussion hier keine Aussicht auf eine Klärung bzw. Einigung besteht, möchte ich dich um eine Stellungnahme dort bitten. Gruß --Bosta (Diskussion) 21:30, 3. Nov. 2015 (CET)

Interpretation und/oder Erlesnis?

Ich mache mal einen neuen Abschnitt auf. --C.Koltzenburg (Diskussion) 07:50, 6. Nov. 2015 (CET)

Beispiel: Rezensionen zu Gehen, ging, gegangen (Roman, 2015)

Ich habe mir zuerst doch nur die Titel der ausgewählten Rezensionen nochmal genauer angesehen und liste daraus die Informationen zu vier Aspekten auf: "Romaninhalt", "Genre", "Figuren", "Literaturtheorie, Philosophisches, Zeitbezug". Meine Frage ist: Wo beginnt Interpretation? Wie liest sich meine Inhaltsangabe im Vergleich zu den Aussagen in den Titeln der Rezensionen? --C.Koltzenburg (Diskussion) 07:50, 6. Nov. 2015 (CET)

Romaninhalt

  • Flüchtlingskunde (welt.de)
  • Ein ostdeutscher Rentner lässt sich auf Flüchtlinge ein (welt.de)
  • Trifft ein Berliner Professor auf Flüchtlinge (spiegel.de)
  • Flüchtlingsbiografien (taz.de)
  • ein deutscher Rentner will mehr über Flüchtlinge wissen. Nach und nach wird er vom Beobachter zum Unterstützer (taz.de)
  • Lage der afrikanischen Flüchtlinge in Berlin (faz.net)
  • emeritierter Professor tritt mit Flüchtlingen in einem Dialog (br.de)
  • "Gestrandet in der Warteschlaufe" (nzz.ch)
  • der Roman zur gegenwärtigen Flüchtlingskrise (nzz.ch)

Genre

  • Roman (welt.de, spiegel.de, taz.de, faz.net, berliner-zeitung.de, br.de, nzz.ch; "Roman" nicht im Titel derRezensionen in ndr.de und deutschlandradiokultur.de)
  • Crashkurs (welt.de)
  • Moritat (welt.de)
  • Tatsachenroman (faz.net)
  • reflektierte Unterhaltung (faz.net)
  • ein Pionier (deutschlandradiokultur.de)

Figuren

  • Flüchtlinge (welt.de)
  • ostdeutscher Rentner (welt.de)
  • ein Berliner Professor (spiegel.de)
  • der gute Richard (taz.de)
  • Flüchtlinge, die am Oranienplatz in Berlin kampieren (br.de)
  • emeritierter Professor (br.de)

Literaturtheorie, Philosophisches, Zeitbezug

  • Was vermag Literatur zu leisten? Warum brauchen wir fiktionale Welten, die uns auf hintergründige Weise mehr von der realen Welt zu erzählen scheinen als Dutzende von Essays, Leitartikeln, Talkshowbeiträgen oder Facebook-Kommentaren? Mit Jenny Erpenbecks neuem Roman Gehen, ging, gegangen lässt sich die Probe aufs Exempel machen (mdr.de)
  • kein Aufruf zur Weltverbesserung (faz.net)
  • Roman, der das Schicksal von Berliner Flüchtlingen sichtbar macht (berliner-zeitung.de)
  • "Apoll und Tristan am Oranienplatz" (ndr.de)
  • ein Pionier der Willkommenskultur (deutschlandradiokultur.de)
  • der Roman zur gegenwärtigen Flüchtlingskrise (nzz.ch)

Wo Interpretation beginnt? MMn dort wo bzw. in dem Maße wie die Mutmaßungen beginnen, d.h. nicht mehr nur das für jedermann Augenscheinliche und Offensichtliche besprochen wird, sondern das berühmt-berüchtigte "Was wollte uns der Dichter damit sagen?".
In Rezensionen (jedenfalls solchen, wie ich sie aus den Kulturseiten meiner Tageszeitung kenne) kommt dergleichen aber selten und wenn, dann höchstens ansatzweise vor, vermutlich allein schon aus Platzgründen. Von daher sehe ich die spezifische Aufgabe von Rezensionen auch lediglich in der Abgabe eines Gesamturteils, gewissermaßen von Haltungsnoten. Oder, um mal wieder ausm Faust zu zitieren: "Wie machen wir's, dass alles frisch und neu / und mit Bedeutung auch gefällig sei?" - genau darüber informiert die Rezension: mit welchem Grad von Neuheit, Bedeutsamkeit und Gefälligkeit der potentielle Leser rechnen kann.
Die Abgrenzung zwischen Interpretation und Erlesnis hatten wir bereits. Interpretation betrachtet das Werk, Erlesnis betrachtet die eigene Befindlichkeit. Interpretation untersucht die (mutmaßliche) Intention des Werkes oder Autors, Erlesnis beschreibt die tatsächlich eingetretene Wirkung. Emission und Immission.
Deine Inhaltsangabe liest sich wie eine Inhaltsangabe - völlig wertneutral. --Epipactis (Diskussion) 23:12, 7. Nov. 2015 (CET)
Dass dir meine Inhaltsangabe wertneutral erscheint, hängt meiner Vermutung nach wahrscheinlich damit zusammen, dass du das Buch nicht gelesen hast. Bei Sprachkunstwerken halte ich keine wertneutralen Inhaltsangaben für möglich, habe mich im Rahmen von Wikipedia aber damit arrangiert, zu unterstellen, dass es sowas wie nicht-interpretierende Inhaltsangaben von literarischen Werken gebe. Die Frage, wo Interpretation beginnt, hatte ich erneut gestellt, weil wir hier Textbeispiele zu einem aktuellen und bekannten Werk hätten, an denen wir Einzelnes festmachen könnten.
Interpretation ist in meinen Augen etwas wesentlich Anderes als zuzusehen, dass man den angeblichen Zweck (der angeblichen Aussage) eines Werkes 'erkennt'. Damit wurden jahrzehntelang Schüler gequält und werden es aus Mangel an Phantasie und an Fachkenntnissen wahrscheinlich auch heute noch, aber das hat mit der Kunst der Interpretation wie ich sie sehe nicht viel zu tun.
Kunstwerke zeichnen sich meines Erachtens dadurch aus, dass sie ein möglicher Anlass für die Entstehung neuer Sichtweisen sind, und zwar von Sichtweisen, die auf keinem anderen Wege zustandekommen oder zu erlangen sind. Da künstlerische Werke nicht im luftleeren Raum entstehen, sondern mindestens historische, gesellschaftliche, biografische und gestaltungskulturelle Bezüge haben, bedeutet Arbeit an Text, Bild, Ton etc., sich die eigenen Konstruktionen bewusst zu machen, bevor irgendeine Sinnzuschreibung an ein Werk als das Gelbe vom Ei herbeigeredet wird. Rede ich hingegen gar nicht mit anderen darüber, sondern nur mit mir selbst, kann ich allerdings in größerem Maße mit Kunst machen, was ich will. Äußere ich mich aber anderen gegenüber bezüglich meiner Erfahrungen und Erlebnisse im Kontakt mit Kunstwerken, trage ich die Verantwortung, das Können und Bedeuten von Kunst in meinen Aussagen nicht über Gebühr zu vereinfachen. Denn zu verlautbaren, dass an einem Werk nicht mehr dran ist als allein das, was ich zu lesen/sehen/hören meine, beraubt Kunst ihrer wesentlichen Kraft: für jeden Einzelnen spezifisch etwas lesbar, sichtbar, hörbar zu machen, was zuvor nicht vorstellbar zu sein schien (frei nach Paul Klee).
Aus deiner Sicht soll eine Rezension über etwas informieren. Ich habe die Informationen aus den Titelzeilen der im Artikel gelisteten Rezensionen gruppiert und denke, in den Formulierungen überwiegend die Bestätigung eines vorherrschenden Weltbildes zu lesen. Vielleicht lese ich Texte der Rezensionen in den nächsten Tagen wirklich mal, denn meiner Sicht der Titelzeilen nach zu urteilen kann ich mit etwas rechnen, was ich in Kenntnis des Textes für Interpretationen (und nicht für scheinbar neutrale Informationen) halte und dass es eventuell Einiges an (Spuren von) Erlesnissen gibt. --C.Koltzenburg (Diskussion) 10:34, 9. Nov. 2015 (CET)
Demnach interpretierst du also die Titelzeilen, d.h. du mutmaßt bestimmte Zwecke oder Aussagen darin? (Wie du siehst, benutze ich den Ausdruck "Interpretation" hier schon wieder entsprechend meiner Definiton, ohne dass ich mich, oder der Ausdruck sich, dagegen wehren könnte. Das ist aber gar kein Problem, sofern diese Definition nur offengelegt ist. Meine habe ich oben formuliert, über deine bin ich mir allerdings noch nicht im Klaren. Meinetwegen könnte man es auch anders nennen, aber wie man es nennt, ist ja im Grunde belanglos - hauptsache man weiß, was gemeint ist, d.h. welche Gedankengänge mit dem Begriff assoziiert sind.)
Ich habe den Titelzeilen übrigens gar keine Beachtung geschenkt bzw. keine Bedeutung beigemessen, weil ich davon ausgegangen bin, dass man nicht sicher sein kann, ob sie überhaupt von den Rezensenten selber stammen oder erst von der Redaktion hinzugefügt wurden. Falls letzteres zutrifft, stellen sie also bestenfalls eine "Interpretation" des Rezensionstextes durch den Redakteur dar, ungünstigenfalls vielleicht nur einen willkürlichen Zierat, dessen Inhalt und Umfang allein vom Layout der Zeitungsseite diktiert wurde.
"Mangel an Phantasie" - das ist ein unbedingt bedenkenswerter Punkt, aber mMn kann man die Sache nicht einfach so quantitativ abtun, denn sicher gibt es auch ganz unterschiedliche Qualitäten von Phantasie, bzw. ist "Phantasie" sicher ein Komplex aus zahlreichen Aspekten. Dass jemandes Sensorik bspw. auf dem Gebiet sprachlicher Feinheiten vielleicht weniger ausgeprägt (bzw. ausgebildet) ist, besagt ja nicht, dass es demjenigen generell an Phantasie mangelt. Aber selbst wenn letzteres der Fall wäre, muss man innerhalb der Enzyklopädie mMn auch damit realistisch kalkulieren und kann sich dieser Aufgabe nicht einfach mit einem tadelnden Verdikt entledigen. Soll heißen: Vielleicht muss im Rahmen der Enzyklopädie manches um ein, zwei Grade plakativer dargestellt werden, als die jeweilige Sache von sich aus preisgeben will. Wikipedia ist nunmal eine nüchterne Erklär-Plattform und keine Kunstausstellung. --Epipactis (Diskussion) 23:11, 9. Nov. 2015 (CET)
Verstehe ich das richtig, dass mit deiner Gegensatzformulierung gemeint ist, Kunst könne man nicht nüchtern erklären? --C.Koltzenburg (Diskussion) 07:44, 10. Nov. 2015 (CET)
Keine Ahnung, ob man das kann oder nicht, aber das ist ja auch gar nicht die Frage. Mir geht es darum, das ominöse Erlesnis nüchtern zu erklären, zumindest so weit, dass es Gnade vor den Augen der Enzyklopädie findet. --Epipactis (Diskussion) 22:31, 10. Nov. 2015 (CET)
Ah, ein gutes Stichwort für einen neuen Abschnitt. --C.Koltzenburg (Diskussion) 09:09, 11. Nov. 2015 (CET)

Die Augen der Enzyklopädie

Nüchtern etwas zu erklären, um die enzyklopädische Relevanz des Erklärten nachweisbar zu machen, das muss bei Wikipedia letztlich für alle Arten von Wissen und für alle Inhalte gemacht werden. Dieser Prozess wird je nach Zusammensetzung der Befindlichkeiten bzw. politischen Standpunkte der Leute in der Mitleserschaft oder Mitdiskutierschaft mehr oder weniger aufwändig sein, denn manche Sorten von Wissensinhalten haben deutschsprachig-gesellschaftlich zum Beispiel durch Mainstream, Malestream oder auch Rüstungsexportrelevanz automatisch Rückenwind, andere nicht. Nüchternheit ist meines Erachtens anhand von Beispielen am besten zu erzielen. Rezensionen sind eventuell nicht die besten Quellen für Erlesnisse, zumindest allem Anschein nach keine deutschsprachigen Rezensionen. Mit Die Zukunft des Alltagslebens hatte ich neulich ja eine Seite erstellt, die man als kritische Beleuchtung der zurechtgestutzten Variante einsetzen kann. Anderswo sind Erlesnisse ja trotz meiner Hinweise darauf in Ruhe gelassen worden. Mit wessen Augen der Enzyklopädie würdest du also rechnen wollen? --C.Koltzenburg (Diskussion) 09:09, 11. Nov. 2015 (CET)
... manche Sorten von Wissensinhalten ... - ja, darum geht es. Manche Erscheinungen der Wirklichkeit können eben nicht in der gleichen Weise "gesichert" werden wie die Beschreibung einer chemischen Verbindung oder einer Pflanzenart. Trotzdem sind sie (m.E.) relevant in dem Sinne, dass das "Wissen" ohne ihre Zurkenntnisnahme unvollständig wenn nicht gar verzerrt wäre. Zu diesen Erscheinungen gehören mMn auch die (mehr oder weniger) spontanen Äußerungen des Publikums eines Kunstwerkes. Ich will zwar nicht unbedingt sagen, dass ich die "offiziellen" Stimmen für keinen Pfifferling wert halte, aber übermäßig viele Pfifferlinge gebe ich dafür tatsächlich nicht. Vor einiger Zeit las ich im Internet eine Diplomarbeit (die ich trotz wiederholter Suche leider nicht mehr wiederfinden kann), die anhand von über 30 Bearbeitungen des Kohlhaas-Stoffes zeigte, wie jeder Zeitgeist diese Geschichte vereinnahmt und dementsprechend zurechtinterpretiert hat.
Demzufolge halte ich eine (qualitativ einigermaßen ansprechende) Auswahl von spontanen Publikumsstimmen für enzyklopädisch relevant, und zwar ungeachtet der Reputations- und Beleg-Problematik, die im Wesen der Sache liegt und nicht zu vermeiden ist. Insofern ist es also möglicherweise unnötig wenn nicht sogar kontraproduktiv, diesen Komplex unter dem Label "Erlesnis" zu mystifizieren, statt einfach zu bekennen: Ja, hier handelt es sich um Inhalte, die nicht im konventionellen Sinn "gesichert" werden können. (Zumal unsere Diskussion m.E. gezeigt hat, dass das Phänomen "Erlesnis" sehr unterschiedlich aufgefasst werden kann: während du anscheinend in jedem Werk zahlreiche Erlesnisse findest, finde ich in zahlreichen Werken gar keins.)
Dass diese Art von Inhalten manchmal geduldet wird und manchmal nicht, ist m.E. situationsbedingt. Wenn ein Artikel neu und aus einem Guss und gleich mit diesen Inhalten angelegt wird, muss derjenige, der als Außenstehender dagegen (und damit auch gegen den Hauptautor) opponieren will, schon ein gewisses Maß an Sendungsbewusstsein d.h. Energie aufbringen. Fügt man solche Inhalte dagegen erst im Nachhinein in einen bereits bestehenden Artikel ein, belastet man alle eventuell vorhandenen Mitbearbeiter mit einer Art Mitverantwortung. Dann ist es für diese natürlich der Weg der geringeren Mühe, solche Inhalte einfach abzuweisen. --Epipactis (Diskussion) 00:49, 12. Nov. 2015 (CET)
Des Zeitgeistes jeweilige Erlesnisse, die oftmals in die Form von Interpretationen gebracht wurden, sind für mich fast das Interessanteste an Sprachkunstwerken (ich meine: sie kommen gleich nach meinen eigenen Erlesnissen ;-) Das Fachgebiet, das du umschreibst, heißt Rezeptionsgeschichte und zählt für mich zum Spannendsten der Literaturwissenschaften oder Wissenschaften aller Künste allgemein. Die Methoden zur fachlichen "Sicherung", die inzwischen etabliert worden sind, wären meines Erachtens in einem nächsten Schritt für Erlesnisse zu erarbeiten. --C.Koltzenburg (Diskussion) 18:59, 12. Nov. 2015 (CET)
Ich stelle mir unter "Erlesnis" etwas Unvorhergesehenes und Unvorhersehbares, Unberechnetes und Unberechenbares vor, das den Betroffenen selbst überrascht, also etwas Zweckfreies, Unverfälschtes, Authentisches, Ehrliches - oder wie auch immer man das nennen will. Unter "Interpretation" stelle ich mir dagegen etwas Geplantes, Konstruiertes und Berechnetes vor, das nicht selten einen bestimmten Zweck verfolgt, z.B. irgendeine Doktrin zu unterstützen.
Ist es demzufolge nicht eher so, dass Interpretationen oftmals in die Form von Erlesnissen gebracht werden bzw. sich einen solchen Anschein geben, um glaubwürdiger zu erscheinen? Deshalb liegt für mich der Wert von ("echten") Erlesnissen bzw. der Grund, ihnen überhaupt Bedeutsamkeit beizumessen, hauptsächlich in ihrer Gegenüberstellung wenn nicht sogar Konfrontation als Gegengewicht zur Interpretation, bzw. im weiteren Sinne sozusagen als Geschichte in statu nascendi. --Epipactis (Diskussion) 22:38, 12. Nov. 2015 (CET)
Für mich kann eine Interpretation ohne eigene Erlesnisse nix werden. Ich sehe daher keinen Gegensatz wie du ihn hier formulierst. Ich stimme mit dir darin überein, dass Erlesnisse vermutlich unvorhersehbar sind, aber auch beim Verfassen einer Interpretation ist nicht alles planbar, zumindest ist dies meine Erfahrung: Beim schriftlichen Formulieren der Zurechtlegungen meiner Gedanken zu einem Werk entstehen oftmals im Vorgang selbst neue Ideen, die ich, wenn ich sie für tragfähig halte, als Teil meiner Interpretationsprosa wichtig finde.
Allgemeiner gesagt unterscheiden sich unsere beiden Zugangsweisen vermutlich an folgendem Punkt: Etwas Eigentliches gibt es für mich in einem Werk nicht. Demnach suche ich in meinen Interpretationen nicht nach einem (vermeintlichen) Kern, sondern sehe meine Arbeiten lediglich als einen Beitrag zu einem Stimmenmosaik über dieses Kunstwerk. Aus meiner Sicht besteht Rezeptionsgeschichte, sofern sie sich aus schriftlichen Aussagen speist und aus Aussagen bezüglich des sogenannten Inhalts eines Werkes (und nicht aus Verkaufszahlen oder Auszeichnungen) also aus je individuellen Perspektiven. Und erst die Zusammenschau jener Aussagen (sofern sie mir zur Kenntnis gelangen) ergibt aus meiner Sicht die Basis für Interpretationen, bei denen Aussagen anderer zum selben Werk einbezogen werden sollen. Nur in einer solchen Zusammenschau, die zudem im besten Falle ihre Auswahlkriterien reflektiert hat, können Aussagen über ein Sprachkunstwerk in rezeptionsgeschichtlicher Hinsicht perspektivierbar werden. So in etwa denke ich mir das derzeit. Diese Perspektive schafft meiner Ansicht nach einigen Geltungsraum für Erlesnisse. Weitere Perspektiven auf die Rezeption von Sprachkunstwerken, in denen für Erlesnisse angemessen Raum geschaffen wird, halte ich ebenfalls für denkbar, mir fällt nur gerade keine ein.
Perspektivierungsbeispiel: In meiner Diss habe ich eine der vier Interpretationen ohne die Einbeziehung von Aussagen anderer zum selben Werk geschrieben: („Böse, das wär gut“. Fliegende auf einem Bein (Müller)). Hingegen in meinen Interpretationen von Save the Reaper, Alfred & Emily (2008) und rein GOLD (2013) habe ich Positionen anderer referiert. In allen vieren habe ich als rezeptionsgeschichtlichen Zeitpunkt eine durch Wikipedia inspirierte Perspektive eingenommen, die ich vor 2005 (als ich begann, mitzumachen) nicht hätte einnehmen können (und andere Interpretatoren* vor 2001 nicht). Für die Rezeptionsgeschichte von zweien der vier Werke ist dieser Zeitpunkt relevant, denn Reisende auf einem Bein (1989) und Save the Reaper (1998) wurden vor 2001 publiziert. Ich nenne diese Faktoren als meine Beispiele dafür, inwiefern Interpretationen von Sprachkunstwerken abhängig sein können von auch zeitbedingten Kenntnissen der jeweiligen Interpretatoren, was du allgemeiner formuliert am Beispiel einer Abschlussarbeit zur Rezeptionsgeschichte von Kleists Michael Kohlhaas auch schonmal angesprochen hattest, allerdings deinerseits mit negativer Konnotation gegenüber den Wandlungen durch die Zeit, wenn ich das richtig verstanden habe. Also: Da es für mich keinen eigentlichen Kern eines Sprachkunstwerks gibt, der in Interpretationen zutage zu fördern wäre, ist es völlig normal, dass Werke durch die Zeit verschieden aufgefasst werden können. Nicht zuletzt dies macht Literaturgeschichte so interessant, Geistesgeschichte allgemein auch.
Ich könnte es etwas pathetisch vielleicht so formulieren: Ich habe mir für den Zeitgeist nahezu jedes Jahrzehnts seit etwa 1550 eine gewisse Empfindung gespeichert. Ich aktualisiere diese Erinnerung, wenn ich ein Werk erstmals oder erneut lese (oder einen Essay darüber). Lese ich ein Werk, das erstmals 2015 publiziert wurde, zum Beispiel Gehe hin, stelle einen Wächter oder Gehen, ging, gegangen, dann schwingen tausende meiner Erlesnisse mit, die sichn unter anderem aus intertextuellen Bezügen zu Werken oder Essays über sie speisen, deren Lektüre ich erinnere.
Mit den Augen der Enzyklopädie habe ich also vor allem dann Schwierigkeiten, wenn Leute, die als zitierbar gelten, nicht über dasjenige schreiben, was aus meiner Sicht am Relevantesten ist: im hier debattierten Beispiel Erlesnisse. --C.Koltzenburg (Diskussion) 07:54, 17. Nov. 2015 (CET)
Wie es scheint, liefert dir also praktisch jedes Werk fast unerschöpflich Stoff zum Nachdenken? So gesehen wäre es ja fast belanglos, was in dem Werk überhaupt drinsteht. Insofern würden sich unsere Sichtweisen allerdings diametral unterscheiden, denn ich erwarte schon jeweils einen gewissen Knalleffekt. Für mich sind literarische Werke wie Überraschungseier, von denen aber nur ein sehr geringer Teil wirklich eine Überraschung enthält. Alles übrige ist bloß irgendwelche Vollmilchschokolade, die man so nebenher knabbert, ohne tiefgründig darüber nachzudenken. --Epipactis (Diskussion) 00:42, 18. Nov. 2015 (CET)
Um in dem von dir gewählten Bild zu bleiben: Ohne die je spezifische Art von Schokolade 'drumrum' gäbe es einen je spezifischen Knalleffekt meiner Ansicht nach gar nicht. Erneut: Für mich gibt es keinen "Kern", der sich ein für allemal in Worte fassen ließe, sondern alles, was ich an und in diesem Werk wahrnehme, macht das Werk zum (Sprachkunst)Werk. Ich sehe also keinen sehr geringen Teil, auf den ich als Quelle des von mir als Überraschung diagnostizierten Zusammenhangs von Objekten (z.B. Buchstaben) zeigen könnte.
Anderes Bild: Etwa so wie ein Musikstück bei jeder Aufführung anders wirken kann (andere Leute, die spielen, nur im Web/Konserve bzw. anderer Ort, andere Atmosphäre im Raum, weil andere Leute da, etc.), wirkt es erstens nur in diesem Rahmen so, in der spezifischen Situation, UND das Musikstück wirkt auf jeden Zuhörer* anders. Auch bei Literaturlektüre entsteht sowas wie ein Knalleffekt meines Erachtens erst durch A.: das Ergebnis künstlerischer und produktionstechnischer Entscheidungen und B.: durch (mein Verhältnis in Bezug auf) die je spezifischen zeitlichen und räumlichen Bedingungen der Rezeption. Für mich gibt es also keine Trennung in drinsteht und nicht drinsteht, denn alles gehört zusammen. (Wäre spannend, denselben Text mal als e und nicht-e zu lesen. Vielleicht ausprobierbar, wenn zwei Leute ein Werk in beiden Formaten lesen, aber in anderer Reihenfolge...)
Woran ich letztlich mein Erlesnis festmachen würde (wenn ich es wollte), ist mir eigentlich egal, denn Hauptsache ich sehe einen Text als potenzielles Überraschungs-Ei und habe beim Auswählen des Werks das Gefühl, dass es eines werden kann (also mir eine hinreichende Anzahl und Varietät an Erlesnissen bescheren würde). Meine Erwartungshaltung spielt dabei möglicherweise die größte Rolle. Und nicht selten höre ich auf zu lesen, wenn ich diese Chance als nicht groß genug einschätze. Manchmal gehen dann zwar die Geschichten mit all ihren Farben in meinem Kopf weiter, aber dann sind es meine eigenen, und daher sind die Erlesnisse dann vom Text unabhängiger als wenn ich das Werk zuendegelesen hätte. Aber diese Fälle meine ich nicht, wenn es mir um die Bereicherung von Wikipedia-Einträgen gilt. Von mir aus kann man in den Einträgen gern nur jene Erlesnisse referieren, die durch vollständige Lektüre entstanden sind (wobei Rezensenten* vermutlich nur selten zugeben, das Werk nicht zuendegelesen zu haben, aber das sei hier mal nebensächlich, denn der Rezension entnehmen kann ich es dann ohnehin nicht).
Stoff zum Nachdenken, den gewinne ich aus allerlei, aber bei Sprachkunstwerken geht es mir darum nicht zuallererst. Sprachkunst genieße ich, wenn ich im Kontakt mit ihr nicht nur über meine Welt etwas Neues lerne, sondern vor allem darüber, wie jemand mittels künstlerischer Arbeit an Sprache dafür sorgt, dass bei mir die Empfindung entsteht, nicht-propositionales Wissen erworben zu haben. Der Begriff Knalleffekt ist finde ich für diesen Vorgang zu reduzierend. Zumindest suche ich sowas nicht, wenn damit gemeint ist, singuläre Erkenntnisse, die sich als langlebig erweisen können, mit dem Inhalt eines Werkes in fester Verbindung zu sehen. Wenn ich dich richtig verstanden habe, kannst du für das Gesamtwerk von Kafka EIN Erlesnis formulieren, also unabhängig von dem, was allgemeinhin Inhalt (Plot) genannt wird (und dessen scheinbar neutralisierbares Nacherzählen bei Wikipedia als Minimum für einen LW-Artikel gilt). Ich meine, dass Sprachkunstwerke sich eben gerade dadurch auszeichnen, dass es nicht unbedingt auf sowas wie Plot/Inhalt ankommt, sondern mehr auf das Thematisierte und auf das WIE des Thematisierens. Dabei kann es sich übrigens auch um Essays über Literatur oder anderes handeln, ich lese also nicht nur sogenannte fiktionale Werke gleichzeitig auf Thema, Inhalt und Mach-Art hin. Aber um es nicht zu kompliziert zu machen, ist es mir recht, wenn wir erstmal nur über Erlesnisse reden, die wir unserer Lektüre bestimmter fiktionaler Werke zuschreiben. --C.Koltzenburg (Diskussion) 13:59, 18. Nov. 2015 (CET)
Ich denke, dass wir nun allmählich genug geredet haben und dass alles Notwendige beisammen ist, bzw. dass nichts allzu wesentliches mehr hinzukommen wird. Zeit also, ein Fazit zu ziehen, oder besser: einen Modus zu finden. Worum ging es noch gleich? Ah, ich erinnere mich: Nicht-propositionales Wissen aus Literaturlektüre und Bedingungen seiner Darstellbarkeit ... sowie Der Erwerb nicht-propositionalen Wissens und die formulierbaren Ergebnisse eines solchen Prozesses sollten als Teil der Rezeptionsgeschichte meines Erachtens in keinem Eintrag zu einem literarischen Text fehlen – sofern es dazu Belege gibt.
Das schien mir am Anfang lediglich ein bißchen kompliziert formuliert, aber mittlerweile erkenne ich darin (und darüber hinaus fast generell in deinen Überlegungen) ein charakteristisches Muster: es ist (mindestens) doppelt, gern auch noch höhergradig indirekt gedacht. D.h. es geht nicht bloß um Wissen, auch nicht um den Erwerb von Wissen, auch nicht um den Prozess des Erwerbs von Wissen, auch nicht um die Ergebnisse des Prozesses des Erwerbs von Wissen, sondern um die Formulierbarkeit der Ergebnisse des Prozesses des Erwerbs von Wissen. Puh! Diesen Verschachtelungen kann ich i.d.R. nicht mehr folgen, jedenfalls nicht weiter als maximal um eine Ecke herum, spätestens dann handelt es sich für mich schon um eine andere und separat zu behandelnde Frage. (Selbst Bedingungen der Darstellbarkeit ist ja so eine Dopplung. Entweder geht es allgemein um die Darstellbarkeit, oder detaillierter um die Bedingungen der Darstellung - jedenfalls um zwei unterschiedliche Aspekte, die in dieser Verquickung m.E. beide unkenntlich werden.)
Kurz gesagt: Mich interessiert einfach nur das Wissen bzw. die Erkenntnis, die jemand durch das Werk gewonnen hat. Schon der Prozess des Erwerbs ist für mich nicht von Interesse. Ebensowenig, ob dieses Wissen als "nicht-propositional" einzustufen ist, denn die Bedeutung dieses Ausdrucks ist mir nach wie vor völlig unklar.
Also nur immer her mit den Erlesnissen. Sobald sie formuliert sind, müssen sie ja wohl zwangsläufig irgendwie formulierbar gewesen sein, und wenn sie nicht formulierbar sind, werden wir sie logischerweise nie erfahren und brauchen uns darum auch keine Gedanken zu machen. Die Mindestanforderung lautet also, dass sie irgendetwas enthalten sollten, das man als Wissen im weitesten Sinne kategorisieren kann. Die Daseinsberechtigung dieser Rubrik besteht m.E. darin, dass sie eine spezifische Leistung erbringt, die weder von der Analyse noch von der Interpretation noch von der Rezension erbracht wird. --Epipactis (Diskussion) 01:00, 19. Nov. 2015 (CET)
Gut, einverstanden. Wo wollen wir publizierte Erlesnisse finden? --C.Koltzenburg (Diskussion) 06:10, 19. Nov. 2015 (CET)
Keine Ahnung. Ich dachte ja die ganze Zeit, dass du sie schon dutzendweise parat hättest, sodass es nur noch darum geht, die schönsten aus den am besten geeigneten auszusuchen. --Epipactis (Diskussion) 21:48, 20. Nov. 2015 (CET)
Ja, schön wär's, in der Tat. Vielleicht habe ich ja bisher immer in die falschen deutschsprachigen Ecken geschaut und es fänden sich dutzende von Erlesnissen zum Beispiel zu Romanen von Daniel Kehlmann oder anderen Werken, die ich nicht lesen würde. Daher gefiel mir die Idee ganz gut, wenigstens über Aushandlungen auf den jeweiligen Diskussionsseiten das, was wir aus eigenen Erlesnissen als Aussagen erarbeiten können, auf diesem Wege als enzyklopädierelevant zu etablieren. Und mir kam deshalb die Idee, es hier auf deiner Disk ansatzweise anhand von Beispielen zu zweit auszuprobieren, was mir sehr viele neue Einsichten beschwert hat. Falls du eine Idee hättest, für welches Werk, zu dem es noch keinen Eintrag gibt, wir es mit Aushandlungen auf dessen Disk ausprobieren könnten, bin ich ganz Ohr. --C.Koltzenburg (Diskussion) 20:41, 21. Nov. 2015 (CET)
Gibt es denn heutzutage wirklich nichts mehr in der Art einer referenzierbaren Kolumne, die den (allerdings unübertrefflichen) vor der Schilderung persönlicher Eindrücke nie zurückschreckenden Rezensionen eines Tucholsky wenigstens vom Ansatz her ungefähr gleichkommt? Bei Tucholsky, denke ich, ließen sich jedenfalls astreine Erlesnisse herausfiltern.
Übrigens tendieren m.E. auch die von Benutzerin Röder-Rörig in zahlreichen Kafka-Artikeln etablierten "Deutungsansätze" (deren kritische Hinterfragung sie seit Jahren mit bemerkenswerter Chuzpe aussitzt :-) streckenweise eher zu Erlesnissen als zu Interpretationen. --Epipactis (Diskussion) 00:18, 22. Nov. 2015 (CET)
Gut, lass uns die Beispiele ansehen, die du entdeckt hast. --C.Koltzenburg (Diskussion) 22:44, 23. Nov. 2015 (CET)
Sorry - an diesem Punkt werde ich nun wohl kneifen, denn so intensiv und konkret wollte ich mich in der Materie eigentlich gar nicht engagieren. Mich hat hauptsächlich das Theoretische an der Idee interessiert, und vielleicht würde ich mich auf dieser Basis nun sogar, wenn man mir zehn Sentenzen vorlegte, zu entscheiden erdreisten: "Diese zwei sind wirkliche Erlesnisse, diese drei sind eher ausgeklügelte Interpretationen, und diese fünf sind bloß sprachlich virtuose Inhaltswiedergaben.", aber nun Literatur durchzuackern und Recherche zu betreiben, fehlt mir die Zeit und die Lust. Es gibt Jahre, in denen ich ein Buch lese, und Jahre, in denen ich keins lese. So siehts aus. Eines der letzten, auch schon wieder ein paar Jahre her, war übrigens der Wallenstein von Schiller. Ist aber vielleicht gar kein schlechtes Beispiel, denn man kann an dem historischen Gegenstand und an der Person und den Zeitumständen Schillers natürlich ausgiebig heruminterpretieren, aber meiner Meinung nach behandelt er dort und wie immer vor allem sein Haupt- und Lieblingsthema, nämlich den Mechanismus der Kabale oder Intrige: Jemand wirft einen wohlberechneten Funken und kann dann aus sicherer Distanz in aller Ruhe zusehen, wie sich sein nicht gleichermaßen gewiefter Gegner ins Unrecht setzt und scheinbar selbst zugrunde richtet. Da finden sich möglicherweise Parallelen zu La vie commune - das ich allerdings ganz bestimmt nie lesen werde. --Epipactis (Diskussion) 22:09, 28. Nov. 2015 (CET)
Das Theoretische an dem neuen Begriff Erlesnis interessiert mich auch weiterhin und ich habe inzwischen einige interessante Stimmen gefunden, bei denen ich froh bin, sie erst jetzt zu lesen, denn sonst wäre ich mit meiner Diss wohl nie fertiggeworden ;-)
Durch unseren Austausch hier habe ich sehr viele interessante Aspekte dazugelernt und ich bin durch deine Anmerkungen auf Stellen in meinem Denkgebäude aufmerksam geworden, die ich nun besser austarieren kann. Auch fortan werden Erlesnisse in meinen Wikipedia-Artikeln eine wichtig Rolle spielen.
Die neue Gruppe "bloß sprachlich virtuose Inhaltswiedergaben" finde ich übrigens vor allem wegen der abwertenden Formulierung interessant, aber auch, weil bisher weitgehend so getan wird, also ob es die sogenannten Inhaltsangaben ohne Interpretationsleistung geben kann. Es gibt sie meines Erachtens nicht. Aber in einem Umfeld, in dem die Mehrheit der meinungsbildenden Aussagen vor allem dem Fetisch "Fakten" huldigt, ist es eventuell nicht anders zu erwarten und birgt Vorteile, die zu verschweigen nützlich ist. --C.Koltzenburg (Diskussion) 10:43, 29. Nov. 2015 (CET)
Abwertend war die Formulierung eigentlich gar nicht gedacht, höchstens abgrenzend. MMn ist es nicht automatisch abwertend, wenn man ausdrücklich nach etwas Bestimmtem sucht, allem anderen nebenher Gefundenen in dem Moment nicht den gleichen Wert beizumessen. D.h. wenn man umgekehrt auf die Suche nach brillanten Inhaltswiedergaben ginge, wären die eventuell dabei mit aufgestöberten Erlesnisse bloß Beifang.
Anlass war übrigens die Rezension eines Lyrikbandes (neuerdings lese ich haufenweise Rezensionen :-), in der ich ein paar Sekunden lang ein Erlesnis zu wittern glaubte, aber dann doch dachte, dass es etwas anderes ist. Der Rezensent meinte darin, dass der Autor mitunter frappierende Wirkung erziele, ohne sein Sprachmaterial sonderlich zu erhitzen. Das gefiel mir.
Es stimmt übrigens auch nicht ganz, dass ich lange Zeiten rein gar nichts lese, es handelt sich aber oft um nichts Erwähnenswertes, jedenfalls nach meinem Dafürhalten. So z.B. in der vergangenen Nacht binnen anderthalb Stunden anlässlich eines Linkfixes im Artikel Karl Gustav Nieritz eine der im Akkord produzierten Kolportagegeschichten dieses Autors, dessen Werk die Literaturwissenschaft höchstens noch eines Naserümpfens würdigt. Mit jener Story hat es allerdings doch eine besondere Bewandtnis, denn daran hängt ein Erlesnis der speziellen Sorte, nämlich ein Antisemitismusvorwurf, der gleich nach Erscheinen (und m.E. ungerechtfertigt) erhoben wurde und dann, wie ein Implantat aus unverrottbarem Titanstahl, selbst das völlige Zustaubzerfallen und Vergessenwerden des Werkes überdauert hat und nun auch in der Wikipedia prangt und sich damit den Status "gesicherten Wissens" anmaßt. --Epipactis (Diskussion) 15:37, 29. Nov. 2015 (CET)
Sofern sich das bei Wikipedia dargebotene Wissen am Stand der Forschung orientieren soll, scheint mir das Beispiel, das du hier anführst, schlüssig zu sein, auch wenn du selbst eventuell zu einer anderen Einschätzung bezüglich des Werks gelangst. Das gilt aus meiner Sicht auch für Erlesnisse: Wenn die Forschung dazu schweigt (Stand meines Wissens September 2015) und gar auch in Rezensionen zu Neuerscheinungen keine Erlesnisse zur Sprache gebracht werden (weiterhin meine Vermutung, für die ich Gegenbeispiele suche), wie sollen sie dann bei Wikipedia als enzyklopädisch relevant darstellbar werden? Antwort: In Ausshandlungen durch Artikel-Autoren* (vorläufiges Ergebnis unseres Austauschs).
Sag, meinst du mit Erlesnis der speziellen Sorte dein eigenes, das darum kreist, dass du den Antisemitismusvorwurf für ungerechtfertigt hältst oder habe ich das falsch verstanden? --C.Koltzenburg (Diskussion) 09:09, 1. Dez. 2015 (CET)
Hier in Wikipedia wird man zwar darauf trainiert, das eigene Urteilsvermögen sozusagen an der Garderobe abzugeben, aber auf dem "Wissens"gebiet Literatur fällt mir das besonders schwer. MMn existieren innerhalb dieser Materie Grenzen, an denen die Kompetenz von "Forschung" endet, und eine Rezension ist ja im Prinzip auch nur irgendjemandes Einschätzung oder Urteil. Anders gesagt: Ich halte nichts und niemanden für befugt, mir vorzuschreiben, was ich von dem Werk zu halten habe. Vielleicht rührt daher auch mein Beharren auf der möglichst scharfen Eingrenzung und Separation der verschiedenen Betrachtungsaspekte, und andererseits mein Interesse an der Idee des Erlesnisses als einer unabhängigen Größe. --Epipactis (Diskussion) 00:22, 3. Dez. 2015 (CET)
Darüber sind wir uns wohl im Prinzip einig. Mir liegt daran, zu literarischen Werken eine möglichst vielfältige Mischung an Einschätzungen zusammenzutragen, mit denen die Eigenheiten und die jeweilige künstlerische Leistung dargestellt werden. Dabei ist mir die scheinbare oder zugeschriebene Qualität der Quelle (Ort, Zeit, Name etc.) egal, solange ich eine Aussage aufgrund meiner Lektüre und der Urteilsfähigkeit, die ich mir zutraue, für wesentlich halte. Also liegt mir daran, auf Diskussionsseiten in einem offenen Diskurs aushandeln zu können, was für einen Artikel als geeignete Aussage zu einem Werk angesehen werden soll. Leute, die das betreffende Werk nicht gelesen haben, können da also nichts beitragen und sollte auch nicht meinen, es zu können. Wie siehst du das? --C.Koltzenburg (Diskussion) 10:40, 3. Dez. 2015 (CET)
Anhand eines Kriterienkataloges, wie er mir vorschwebt, sollte mMn auch jemand, der das Werk nicht gelesen hat, in der Lage sein, eine vorgefundene Aussage als Analyse, Interpretation, Rezension oder Erlesnis zu klassifizieren und entsprechend zu akzeptieren, eventuell sogar aktiv einzubringen, wenn sie sich irgendwo findet.
Vielfalt halte ich nicht für einen Wert an sich. Wenn das Werk einen einheitlichen Eindruck hervorruft - woher und warum sollte es dann unbedingt zu Vielfalt kommen?
Mir wird auch bei dem Ausdruck "Einschätzung" nicht wohl. Von der Analyse erwarte ich exakte Informationen, selbst von der Interpretation noch etwas halbwegs hieb- und stichfestes. Ein Erlesnisbericht soll im Gegenteil unbefangen, spontan und authentisch sein. "Einschätzung" - das ist wohl ziemlich genau die Umschreibung einer Rezension, also etwas, das zwischen allen Stühlen sitzt und im ungünstigen Fall dem Leser nichts gibt - weder handfeste Sachinformation noch einen ehrlichen persönlichen Eindruck. --Epipactis (Diskussion) 21:57, 5. Dez. 2015 (CET)
Gut, du möchtest gern nach Analyse, Interpretation, Rezension und Erlesnis unterscheiden. Für mich ist einen Erlesnis unabhängig von den ersten drei der genannten, ich meine also, dass Erlesnisse bisher im deutschsprachigen Raum mehr oder minder explizit im Kleide einer Analyse, einer Interpretation oder einer Rezension zu finden sein können. Viel einfacher wäre es natürlich, wenn das Verfassen und Publizieren von Erlesnissen schon eine etablierte Größe wäre. Aber lass uns ruhig erstmal deinen Plan eines Kriterienkatalogs umsetzen.
Vielleicht gibt es noch frischen Wind durch die Begriffsprägung Resonanz (Hartmut Rosa, Radio-Sendung dazu vom 3. Dezember 2015), vor allem im zweiten Teil, wo es um die (schwindende) Bereitschaft und Fähigkeit zur Anverwandlung (unter anderem von langsam Gelesenem) geht. Hartmut Rosa sieht in psychosozialer Hinsicht eine gewisse Gefahr darin, dass eine ständige Vergrößerung von individueller Weltreichweite durch mehr Information (Smartphones etc.) eine zunehmendes Verstummen von Resonanzbeziehungen zur Folge hat. Sich selbst (kaum mehr) als wirksam zu erleben, scheint dabei ein zentraler Aspekt zu sein. Rosa befürchtet, dass mehr und mehr Möglichkeiten verstummen, in sich eine Resonanz auf etwas zu spüren. Ich wäre gespannt zu hören, ob du findest, dass es bei seinen konzeptionellen Vorschlägen ein Potenzial für weitere Aspekte zu Erlesnis gibt. Ich denke, von seinen Gedanken ließe sich eventuell definitorisch profitieren, eventuell aber auch, um zu einer umfassenderen Einschätzung zu gelangen, was die Bedeutung von Erlesnissen angeht, zum Beispiel für die Vermittlung von Resonanzpotential beim Lesen und wie es in Erlesnissen zu beschreiben wäre. --C.Koltzenburg (Diskussion) 11:18, 7. Dez. 2015 (CET)

Bedeutung von Erlesnissen ist ein wichtiger Punkt. Wir haben uns bisher hauptsächlich damit beschäftigt, wie sie beschaffen sind, aber noch kaum damit, wofür sie eigentlich gut sind. "Erlesnis", "Resonanz", "Anverwandlung", oder wie auch immer man es nennen will, ist doch nur die halbe Miete. Das rechte Vergnügen daran stellt sich doch erst ein, wenn man es (mit)teilen kann und (bestenfalls) bestätigt bekommt. Im tiefsten Grunde geht es also möglicherweise um das Bedürfnis nach Synchronisierung - ganz hochtrabend und abstrakt könnte man vielleicht auch Kollektivbewusstsein oder Kultur sagen, wenn nicht gar Leitkultur. Fragt sich allerdings, ob dergleichen angesichts des heillosen Überangebots heutzutage überhaupt noch möglich ist, bzw. welchen Formen es unter diesen Bedingungen zustrebt. (Ich habe ja noch die Zeiten erlebt, in denen die ganze Belegschaft morgens angeregt über den Fernsehfilm des Vorabends diskutierte, den alle gesehen hatten, weil es sonst nichts anderes zu sehen gab.) --Epipactis (Diskussion) 00:12, 8. Dez. 2015 (CET)

Für mich ist die Bedeutung des Redens und Schreibens über Erlesnisse, dass ich Prozesse und Ergebnisse meiner kreativen Lese-Begegnung mit Literatur in Worte fasse. Erlesnisse sind in diesem Sinne Bedeutungsträger meiner Auseinandersetzung mit Sprachkunst und mit meiner Sicht der Welt, wie sie mir durch meine kreative Artbeit am Text verändert in neuen Perspektiven erscheinen kann. --C.Koltzenburg (Diskussion) 12:31, 8. Dez. 2015 (CET)
Ich dachte mehr an die Bedeutung aus der Sicht der Enzyklopädie. Inwiefern sind irgendjemandes Erlesnisse auch für mich oder jeden anderen Leser der Enzyklopädie bedeutsam und damit relevant? Wenn in jedem Literaturartikel drei oder vier Statements stünden, die niemandem verständlich sind außer demjenigen, der sie geäußert hat - wozu soll das gut sein?
Das hatten wir aber weiter oben schon mal. Für mich ist das Werk meistens selbst schon Rätsels genug, und es wäre für mich eher eine Belastung als ein Mehrwert, wenn dann irgendwelche Leute auch noch die Rätsel ihrer eigenen Befindlichkeiten draufpacken. Deshalb verlange ich von Erlesnisberichten ein Mindestmaß an Übertragbarkeit bzw. Nachvollziehbarkeit. --Epipactis (Diskussion) 22:38, 8. Dez. 2015 (CET)
Und wie möchtest du es erreichen, dass das, was du für übertragbar und nachvollziehbar hältst, auch von anderen dafür gehalten wird? Gilt diese Anforderung nicht für alle Arten von Information, die wir in Wikipedia-Einträge schreiben?--C.Koltzenburg (Diskussion) 09:30, 9. Dez. 2015 (CET)
Eigentlich nicht. Gewöhnlich kommt es bei Einträgen doch allein auf die Autorität der Quellen an, und es steht gar nicht zur Debatte, ob die Benutzer die Informationen nachvollziehen können oder nicht. Das wäre bei Erlesnisberichten grundsätzlich anders. Die müssten jeweils von entsprechend interessierten Benutzern begutachtet und entweder akzeptiert oder abgelehnt werden. Wenn dann die Beteiligten bspw. überwiegend der Meinung wären: "Also, wie man anhand des Werkes zu einer solchen Ansicht gelangen kann, ist mir vollkommen schleierhaft, ich kann den Bezug zum Inhalt des Werkes beim besten Willen nicht erkennen.", dann sollte man den betreffenden Beitrag nicht verwenden. Finden sie ihn dagegen mehrheitlich akzeptabel, dann sollte sich die evtl. skeptische Minderheit (z.B. Epipactis :-) gegen diese Entscheidung auch nicht sperren. Ohne einen Kriterienkatalog, auf den sich die Interessierten zuvor verständigt haben, kann ich mir diese Diskussion allerdings nicht vorstellen. --Epipactis (Diskussion) 23:11, 9. Dez. 2015 (CET)
Bisher mache ich bei Artikeln zu Werken der Gegenwartslitertatur die Erfahrung, dass Leute, die dazu was sagen, den Text gar nicht gelesen haben und dennoch meinen, ihre Aussage sei in der Debatte relevant. Aber vielleicht ändert sich daran etwas, wenn man es der WP-Community als einen Wettbewerb a la Kandidaturen verkauft oder als Spiel a la SG bzw. Drei Wünsche... Welches Werk würdest du wenn als nächstes mal lesen wollen, um es auszuprobieren? Oder reicht dir zum jetztigen Zeitpunkt die hier erarbeitete Theorie, um einen Kriterienkatalog zu erstellen? Bei meinen drei Kurzprosa-Vorschlägen neulich kamen du und ich zu verschiedenen Ergebnissen, wobei dir meine Erlesnisse nicht nachvollziehbar erschienen, mir deine hingegen schon. Inzwischen denke ich, dass es eventuell auch damit zusammenhängen kann, dass ich dazu neige, mir zur selben Sache eben mehrere Varianten vorstellen zu können und sie also nebeneinander stehenlassen kann. Wie siehst du in dieser Hinsicht unser Experiment neulich in der Rückschau? --C.Koltzenburg (Diskussion) 06:29, 10. Dez. 2015 (CET)
Der Kriterienkatalog ist ja im wesentlichen ausgearbeitet, denke ich. Das wichtigste bzw. zentrale Kriterium ist der Mehrwert, denn wir befinden uns hier ja nunmal in einer Enzyklopädie, und ein Erlesnisbericht ist hier nur dann existenzberechtigt, wenn er irgendetwas Informatives oder sonstwie Erhellendes zum jeweiligen Artikelgegenstand beiträgt. Nun ist es zwar im einzelnen unmöglich einzuschätzen, ob und für wen was und in welcher Hinsicht informativ ist oder zur Erhellung beiträgt, aber mMn kann man einen pauschalen Rahmen definieren, innerhalb dessen ein solcher Mehrwert zumindest als hinreichend wahrscheinlich angenommen werden kann. Dieser Rahmen bzw. dieses Kriterium heißt Nachvollziehbarkeit und besagt, dass das Zustandekommen des Erlesnisses anhand des jeweiligen Werkes (Textes) für jedermann begreiflich und plausibel sein soll. Ein Erlesnis, dessen Zustandekommen sich nicht ohne weiteres anhand des Textes erschließt bzw. erklären lässt, liegt demnach außerhalb des Rahmens und sollte demzufolge nicht verwertet werden, selbst wenn es an sich vielleicht durchaus bemerkenswerte Gedanken enthält.
In einem gewissen Grade kann man diesen Rahmen auch anwenden, ohne das jeweilige Werk selbst gelesen zu haben, z.B. wenn sich das fragliche Erlesnis ohne weiteres auch von jedem beliebigen anderen Werk ableiten ließe d.h. offensichtlich banal und damit ohne Mehrwert ist. --Epipactis (Diskussion) 01:13, 11. Dez. 2015 (CET)
Was als nachvollziehbar gilt, bestimmen die, die sich auf einer bestimmten Seite dieses Universums gerade äußern. Also sollten wir deine Idee jetzt tatsächlich auf der Disk eines Beispielartikels ausprobieren, damit es nicht bei Theorie bleibt. Es kann übrigens auch ein Autor*artikel sein. Welchen Artikel möchtest du nehmen? --C.Koltzenburg (Diskussion) 08:13, 11. Dez. 2015 (CET)
Am liebsten den Bau der Chinesischen Mauer, denn darin sollte mMn sowieso kein Stein auf dem anderen bleiben, außerdem sehe ich dort schon auf den ersten Blick eine Passage, die ich ziemlich sicher als Erlesnis einstufen würde. --Epipactis (Diskussion) 22:24, 11. Dez. 2015 (CET)
Ok, welche ist das und wessen Erlesnis ist es? --C.Koltzenburg (Diskussion) 06:47, 14. Dez. 2015 (CET)
Mindestens die letzten drei Sätze in Beim Bau der Chinesischen Mauer#Zeitgeschichtlicher Bezug. Wer sie eingefügt hat, müsste man in der VG nachsuchen. --Epipactis (Diskussion) 00:43, 15. Dez. 2015 (CET)
Was möchtest du nun tun? --C.Koltzenburg (Diskussion) 16:31, 16. Dez. 2015 (CET)
Von tun möchten kann eigentlich gar nicht die Rede sein, aber wenn du mich zwingst ... :-) Nun, ich würde den Artikel Satz für Satz durchgehen, vom ersten bis zum letzten, dabei sehen, ob ich etwas beitragen oder verbessern kann, und bei dieser Gelegenheit die Sentenzen gemäß dem oben entwickelten Schema (und soweit es möglich ist) nach Analyse, Interpretation, Rezension, Rezeption und Leseeindruck/Wirkung ein- bzw. umsortieren. --Epipactis (Diskussion) 22:10, 18. Dez. 2015 (CET)
Gut, lass es uns ausprobieren. Ich könnte mir vorstellen, den Text der aktuellen Version auf irgendeine Unterseite zu kopieren und dort nach deinem Schema zu zerlegen. Und auf der Artikel-Disk einen Hinweis mit Link zu hinterlassen. Dann machen wir uns ans Werk. Ich kann zwar deine Einteilung noch immer nicht nachvollziehen, aber das macht nichts, ich mache mit, um es vielleicht zu kapieren. Auf jeden Fall bin ich sehr gespannt auf die Umsetzung unseres Austauschs anhand eines Beispiels. Und dann auch noch Kafka! Falls du das mit der Unterseite ne brauchbare Idee findest, wo legen wir sie an? --C.Koltzenburg (Diskussion) 09:26, 19. Dez. 2015 (CET)
Och, ich würde schon gleich auf der "richtigen" Artikeldisk einsteigen. Erstens weil sich das Urheberrecht auch auf Bearbeitungskopien erstreckt und sie deshalb in der Wikipedia auf vier Wochen limitiert sind - damit habe ich mir schon mal Ärger eingehandelt. Zweitens weil es sicher nicht von Nachteil wäre, wenn auch andere aufmerksam werden und sich beteiligen - so oder so. Bei unüberwindlichem Gegenwind machen wir uns dann wenigstens nicht viel Arbeit für die Katz. Drittens sind in dem Artikel mMn ohnedies auch "konventionelle" Bearbeitungen anzubringen, und ich würde mich zum "Warmlaufen" damit sogar zuerst befassen.
Was das Nachvollziehen betrifft - die Einteilung ist freilich nur mein Phantasma, und wenn es in der Literaturwissenschaft etablierte Definitionen gäbe, was bspw. unter den Begriff "Analyse" fällt und was nicht, müsste ich meine Einteilung evtl. dementsprechend modifizieren. Bisher erscheint mir aber das, was ich in der Wikipedia unter den einschlägigen Überschriften gefunden habe, so inhomogen und undefiniert, dass ich darin ebenfalls keine nachvollziehbare Einteilung erkennen kann. --Epipactis (Diskussion) 00:05, 20. Dez. 2015 (CET)
Dein Argument gegen das Rüberkopieren finde ich stichhaltig und: Einverstanden mit dem Warmlaufen. See you there. --C.Koltzenburg (Diskussion) 08:55, 21. Dez. 2015 (CET)

Erlesnis (und wie es umschrieben wird)

Mit „Leseeindruck/ Wirkung“ umschreibst du ein Erlesnis am Ende des vorigen Abschnitts, 2. die gesellschaftliche Bedeutung eines Erlesnisses könnte als Effekt von „Resonanz“ (Hartmut Rosa) gesehen werden (meinte ich weiter oben), und gestern hörte ich eine Radiosendung, in der ein Autor davon sprach, einen „Augenblick der Selbstaufklärung“ über die eigenen Geschmacksurteile anhand des eigenen Verhältnisses zu einer bestimmten Art von Musik gehabt zu haben. --C.Koltzenburg (Diskussion) 09:50, 19. Dez. 2015 (CET)

Ja, ich wollte das noch nicht etablierte und hier bereits mit Misstrauen beäugte Wort "Erlesnis" vorerst vermeiden.
"Resonanz" - noch ein nichtetablierter Terminus. Ich hab mal irgendwo gelesen, dass es als starkes Indiz für Pseudowissenschaft gilt, wenn eine These nicht ohne neuerfundene Worte dargestellt werden kann.
"Selbstaufklärung über die eigenen Geschmacksurteile" - nicht übel, der hat den Finger drauf. Bildlich gesprochen: Die Zutatenliste, das Herstellungsverfahren und die physische Beschaffenheit einer Speise sind zwar wichtige Informationen, aber noch längst nicht alles. Ich will doch auch wissen, wie sie schmeckt bzw. wie sie anderen geschmeckt hat und wie mein eigener Geschmackseindruck dementsprechend einzuordnen ist. --Epipactis (Diskussion) 00:54, 22. Dez. 2015 (CET)
Dann belassen wir es vorerst so. Und ich hatte deinen Wunsch, das eigene Urteil eingeordnet sehen zu wollen, schon verstanden. --C.Koltzenburg (Diskussion) 09:39, 22. Dez. 2015 (CET)

Da staunt der Laie

ob Deiner Gelassenheit, chapeau! und dass Du immer noch weitermachst. Die gelbe Karte gelber Kreis war doch Deine Erfindung? --Martin Taschenbier [Das Narrenschiff - nie war es so aktuell wie heute] 07:43, 21. Dez. 2015 (CET)

Zumindest ein klitzekleines verbales Kärtchen hatte ich ja gezeigt. Zu der "Erfindung" gehört aber auch, wenn ich mich recht entsinne, die Empfehlung, anschließend konsequent rein garnichts mehr im gleichen Stil zu entgegnen. Es ist zwar nicht so, dass ich es von Anfang an eiskalt darauf abgesehen hätte, und dass es nicht manchmal gewaltig in den Fingern gejuckt hätte, aber als sich diese Konstellation allmählich herauskristallisierte, fand ich die Wirkung gar nicht übel, die hätte ich mit irgendwelchen Demarchen nur kaputtgemacht.
Naja, und in Wirklichkeit habe ich die ganze Zeit ja eigentlich mit einem ganz anderen Teilnehmer diskutiert, der sich währenddessen gar nicht mehr geäußert hat (hoffentlich aus Überlegung und nicht bloß weil er gerade verreist ist oder so). Der könnte der Wirkung jetzt natürlich die Krone aufsetzen und brauchte dafür nur überhaupt nichts zu tun. --Epipactis (Diskussion) 00:00, 22. Dez. 2015 (CET)
Schon klar, es war nur so offensichtlich, dass Dein Moderations-Versuch beim Hauptakteur so ganz und gar nicht ankam. Das hiesige Beziehungsgefüge (kennt und) versteht er nicht. Inhaltlich läuft da vorläufig nix mehr. Mal sehen, was passiert, wenn Matthias wieder auftaucht. --Martin Taschenbier [Das Narrenschiff - nie war es so aktuell wie heute] 07:25, 22. Dez. 2015 (CET)