Generationenraumschiff
Ein Generationenraumschiff ist ein Konzept für einen interstellaren Raumflug, bei dem die Überbrückung weiter Entfernungen mehrere Generationenabstände der Reisenden dauert. Ein anderer Name für dieses Konzept ist Weltraumarche[1] (als Verweis auf die Arche Noah).
Ideengeschichte
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die Idee des Generationenraumschiffs geht zurück auf Überlegungen des Physikers John Desmond Bernal aus dem Jahr 1929 und wurde seit den 1940er Jahren als wiederkehrendes Motiv in der Science-Fiction-Literatur, speziell der Space Opera, bekannt. In den 1970er Jahren bezog die NASA die Idee in Zukunftsstudien ein.[2] Die großen Entfernungen und langen Reisezeiten des interstellaren Fluges sollen durch ein Raumschiff bewältigt werden, auf dem eine Gruppe von Menschen über mehrere Generationen hinweg leben und sich fortpflanzen kann.
Viele Science-Fiction-Autoren konzentrieren sich auf die Entwicklung der sozialen Verhältnisse an Bord solcher Schiffe über sehr lange Zeiträume hinweg, im Gegensatz zu anderen Typen von Space Operas, die primär als Abenteuerromane ausgelegt sind.[3]
Die Idee der Generationenraumschiffe entstand aus der Problematik, dass ein Raumschiff selbst die nächstgelegenen Sternsysteme mit den gegenwärtigen technischen Gegebenheiten erst nach Jahrhunderten oder Jahrtausenden erreichen kann. Nicht nur Science-Fiction-Autoren, auch Wissenschaftler haben über die Möglichkeit von Generationenraumschiffen spekuliert. So wurde vorgeschlagen, die von dem US-amerikanischen Physiker John Desmond Bernal bereits 1929 entworfene Bernal-Sphäre auch für interstellare Raumflüge zu benutzen. 1952 schlug der Physiker L. R. Shepherd vor, einen Asteroiden auszuhöhlen und mit einem Atomantrieb ausgerüstet als Weltraumarche zu verwenden,[4] während andere Vorschläge Varianten der O’Neill-Zylinder beschreiben.[5]
Um hypothetische, besiedlungsreife, ferne Planeten zu bevölkern, bedarf es einer gut ausgebildeten, gemischten Siedlergruppe. Häufig wird von einer Bevölkerung von über 98[6] Personen gesprochen, um eine genetische Verarmung (Inzucht beim Menschen) zu vermeiden.
Es gibt viele Probleme, wenn man an die Umsetzung von Generationenraumschiffen denkt. So müssen künstliche Schwerkraft, Energie, Treibstoff und Nahrungsmittel über mehrere Jahrhunderte regenerativ beschafft werden können. Das gesamte System muss zudem über einen langen Zeitraum funktionsfähig bleiben oder alternativ von der Besatzung in regelmäßigen Abständen instand gehalten werden. Weitere Probleme liegen in der Psychologie des Menschen.
Niemand kann voraussehen, wie sich eine solche Zivilisation sozial entwickelt und inwieweit es zu Störungen kommen kann. Auch die Frage der Motivation zu einer solchen Reise ist zu hinterfragen. Sollte die Erde unbewohnbar werden, läge der Mars als Fluchtpunkt einiger weniger Auserwählter näher. Eine Reise mit einem Generationenraumschiff ist somit eher als Freiwilligenprojekt von Idealisten denkbar.
In Literatur und Medien
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Der kanadische SF-Autor Laurence Manning hat 1934 in seiner Erzählung The Living Galaxy das Thema wohl als erster aufgegriffen. Erstmals große Bekanntheit erlangte das Motiv des Generationenschiffs in den beiden 1941 erschienenen Kurzgeschichten Universe und Common Sense von Robert A. Heinlein, die er 1963 zu dem Roman Die lange Reise (englisch Orphans of the Sky) zusammenfasste.[3] Heinlein schildert darin das Leben an Bord eines solchen Generationenschiffs, das seit einer gescheiterten Meuterei steuerlos durchs Weltall treibt. Die Nachfahren der ursprünglichen Besatzung leben nur noch in einem kleinen bewohnbaren Bereich des Schiffs, das sie für das gesamte Universum halten.
Dieses Konzept, in dem die Besatzung des Generationsraumschiffes vergessen hat, dass die Besiedlung eines Planeten das Ziel der Reise ist, und das Raumschiff selbst für die Welt hält, wird auch von vielen anderen Autoren aufgegriffen. Beispiele dafür sind die 1957 von Wolfgang Jeschke geschriebene Erzählung Welt ohne Horizont und der Roman Die unendliche Reise von Brian Wilson Aldiss aus dem Jahr 1958. In der Star-Trek-Folge For the World Is Hollow And I Have Touched The Sky (1968, dt. Der verirrte Planet) und der kurzlebigen TV-Serie The Starlost (1973) bereitete man das Thema auch für das Fernsehen auf. In dem Animationsfilm Wall-e (2008) spielt die Handlung teilweise in einem Generationenraumschiff. In der The Orville-Folge If the Stars Should Appear (2017, dt. Verschollen im Weltraum) wird das Thema von Heinleins Die lange Reise erneut aufgegriffen. Der Film Voyagers (2021) handelt ebenfalls von einem Generationenraumschiff und auftauchenden Konflikten auf diesem.
Projekt Hyperion
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Projekt Hyperion, im Dezember 2011 von Andreas M. Hein initiiert, ist ein Forschungsprojekt, das sich mit der Entwicklung integrierter Konzepte für ein Generationenraumschiff befasst[8]. Ziel der Studie ist es, die Machbarkeit bemannter interstellarer Raumflüge unter Einsatz aktueller und zukünftiger Technologien zu bewerten. Darüber hinaus soll die Studie zukünftige Forschungs- und Technologieentwicklungspläne unterstützen und die Öffentlichkeit über bemannte interstellare Reisen informieren.[9][10][11] Bemerkenswerte Ergebnisse des Projekts umfassen eine Bewertung von Systemarchitekturen für Weltraumschiffe sowie die Bestimmung einer geeigneten Bevölkerungsgröße[12][13][14][15]. Das Projekt wurde zudem in der TV-Serie Rendezvous with the Future (BBC/Bilibili), populärwissenschaftlichen Büchern[16] und in der Kunst präsentiert.[17] Ein interdisziplinärer Designwettbewerb wurde im Jahr 2024 ins Leben gerufen.[18][19][20][21]
Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Brian W. Aldiss Fahrt ohne Ende
- Poul Anderson Die fliegenden Berge
- Leigh Brackett Alpha Centauri sehen und sterben
- John Gribbin Schiff der Visionen
- Harry Harrison Welt im Fels
- Robert A. Heinlein: Orphans of the Sky. Gollancz, London 1963 (englische Originalausgabe).
- Robert A. Heinlein: Die lange Reise. Heyne, München 1967 (deutsche Erstausgabe).
- Werner Steinberg Zwischen Sarg und Ararat
- Angela und Karlheinz Steinmüller Andymon
- E. C. Tubb Kinder des Weltalls
- Stephen Baxter Die letzte Arche
Sekundärliteratur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Hartmut Kasper: Das Generationenraumschiff in der Science Fiction. Von der Arche Noah zu den Sternenarchen. In: Frank Borsch: Die Sternenarche. Roman. Mit einem Anhang von Hartmut Kasper. Heyne, München 2004, ISBN 3-453-53003-9, S. 298–318 (Perry Rhodan – Lemuria 1).
- Generationenraumschiffe des Perryversums: Übersicht der in der Science Fiction Romanheftserie Perry Rhodan vorkommenden Generationenraumschiffe und deren Daten. Quelle: Perrypedia.
Weblinks
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Die ewige Reise (Deutschlandfunk)
- Diskussionsforen Zukunft der Raumfahrt / Generationenraumschiffe (Astronomie.de)
- Space Settlements: A Design Study, eine Studie des NASA-ASEE Engineering Systems Design Summer Program (entstanden von Juni bis August 1975). Kapitel 1 The Colonization of Space beschreibt im letzten Abschnitt The History of an Idea, wie die Idee des Generationenschiffs entstand.
- Kann man zu den Sternen reisen? aus der Fernseh-Sendereihe alpha-Centauri (ca. 15 Minuten). Erstmals ausgestrahlt am 14. Mär. 1999.
- A.M. Hein, M. Pak, D. Pütz, C. Bühler, P. Reiss: Interstellar Ark Mission Architectures and Various Feasibility Issues. In: Journal of the British Interplanetary Society. Volume 65 (2012), S. 119–133.
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ Patrick Moore, David Hardy: Geheimnis der Sterne: Science Fiction im Spiegel der Wissenschaft. Moewig, Rastatt 1979, ISBN 3-8118-0177-5, S. 58–59.
- ↑ Space Settlements: A Design Study
- ↑ a b Hans Joachim Alpers u. a. (Hrsg.): Lexikon der Science-Fiction-Literatur. Band 1. Wilhelm Heyne Verlag, München 1980, ISBN 3-453-01063-9, S. 61–63.
- ↑ L. R. Shepherd: Interstellar Flight. In: J. British Interplanetary Soc. Band 11, Juli 1952, S. 149–167 (zitiert in Space Settlements: A Design Study, Kapitel 1: The Colonization of Space).
- ↑ Vgl. Hans-Arthur Marsiske: Heimat Weltall. Wohin soll die Raumfahrt führen? Suhrkamp, 2005, S. 125 ff.
- ↑ F. Marin, C. Beluffi: Computing the minimal crew for a multi-generational space travel towards Proxima Centauri b. (PDF) In: Cornell University. 2018, abgerufen am 21. Januar 2020 (englisch).
- ↑ Andreas M. Hein, Mikhail Pak, Daniel Pütz, Christian Bühler, Philipp Reiss: World ships—architectures & feasibility revisited. In: Journal of the British Interplanetary Society. 65. Jahrgang, Nr. 4, 2012, S. 119 (researchgate.net).
- ↑ Robert Gast: Der ultimative Plan, die Erde zu verlassen. Zeit.de, abgerufen am 6. März 2025.
- ↑ Icarus Interstellar: Icarus Interstellar, Interstellar flight. In: Icarus Interstellar. 6. Dezember 2020, archiviert vom am 14. Dezember 2020; abgerufen am 7. Dezember 2020 (englisch).
- ↑ DNews: Icarus Interstellar: Visions of Our Starship Future. In: Seeker. 10. April 2015, abgerufen am 7. Dezember 2020.
- ↑ Steve Mirsky: Darwin in Space: How Multigenerational Missions Could Shape Human Evolution. In: Scientific American. Abgerufen am 24. Februar 2021.
- ↑ Andreas M. Hein, Mikhail Pak, Daniel Pütz, Christian Bühler, Philipp Reiss: World ships—architectures & feasibility revisited. In: Journal of the British Interplanetary Society. 65. Jahrgang, Nr. 4, 2012, S. 119 (researchgate.net).
- ↑ Cameron M. Smith: Estimation of a genetically viable population for multigenerational interstellar voyaging: Review and data for project Hyperion. In: Acta Astronautica. 97. Jahrgang, 2014, S. 16–29, doi:10.1016/j.actaastro.2013.12.013, bibcode:2014AcAau..97...16S (sciencedirect.com).
- ↑ Sarah Fecht: How Many People Does It Take to Colonize Another Star System? In: Popular Mechanics. 2. April 2014, abgerufen am 24. Februar 2021.
- ↑ Mike Wall: Want to Colonize an Alien Planet? Send 40,000 People. In: Space.com. 28. Juli 2014, abgerufen am 24. Februar 2021.
- ↑ Eugen Reichl: Zukunftsprojekte der Raumfahrt: seit 1957 (Typenkompass). 1. Auflage. Motorbuch Verlag, Germany 2012.
- ↑ David Hardy: Project Hyperion: Asteroid Starship. In: ComicArtFans. Abgerufen am 15. Mai 2021.
- ↑ Conor Feehly: Design an Interstellar 'Generation Ship' to Spend Decades Among the Stars with Project Hyperion Competition. In: Space.com. 5. November 2024, abgerufen am 16. November 2024.
- ↑ Bob McDonald Harris: Contest Invites Teams to Design a 'Generation Starship' for a 250-Year Journey. In: CBC Radio. 8. November 2024, abgerufen am 16. November 2024.
- ↑ David Szondy: Spaceship Architects Asked to Design Star-Hopping Generation Ships. In: New Atlas. 15. November 2024, abgerufen am 16. November 2024.
- ↑ Matt Williams: Project Hyperion Is Seeking Ideas for Building Humanity’s First Generation Ship. In: Universe Today. 11. November 2024, abgerufen am 16. November 2024.