István Kardos (Komponist)

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István Kardos (ungarisch Kardos István, * 6. Juni 1891 in Debrecen, Ungarn; † 22. Dezember 1975 in Budapest)[1] war ein ungarischer Komponist, Dirigent, Gesangspädagoge, Pianist und Jazz-Musiker.

Leben und Laufbahn[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Stolperstein am Haus, Nürnberger Straße 3, in Berlin-Charlottenburg

Er wurde als eines von sechs Kindern des Rechtsanwalts und Publizisten Samuel Katz Kardos (1857–1924) und seiner Frau Malvina geborene Engländer (1863–1943) geboren[2]. Er studierte an der Franz-Liszt-Musikakademie in Budapest als Schüler von Viktor von Herzfeld Kompositionslehre und Chordirigieren, absolvierte aber auch ein Jurastudium. Nach seinem Studium arbeitete er als Konzertpianist, wobei er sowohl Sänger begleitete als auch eigene Kompositionen vortrug, sowie als Kapellmeister an Theatern in Budapest und Bern.[3] 1922 heiratete er die Opernsängerin Olga Váradi.[4] Im deutschen Sprachraum trat er unter dem Namen Stephan Kardosch auf.

Ende 1929 übernahm er von seinem Landsmann Pál Abel in Berlin die musikalische Leitung des Abel-Quartetts, das nunmehr unter dem Namen Five Songs auftrat. Im Mai 1932 gründete Kardos seine eigene Gruppe, die Kardosch-Sänger. Erste Plattenaufnahmen der Gruppe entstanden im August 1932 in Berlin mit dem Tanzorchester Hans Schindler für Telefunken. Kardos war jüdischer Herkunft, konvertierte aber 1934 zur ungarischen Reformierten Kirche.

Mit den Kardosch-Sängern nahm er als ihr musikalischer Leiter, Arrangeur und Pianist in den nächsten drei Jahren zahlreiche Schallplatten auf[5] und steuerte Musikeinlagen zu einigen Filmern bei[6]. Die Kardosch-Sänger nahmen einerseits von Kardos am Klavier begleitete Stücke auf, andererseits arbeiteten sie auch mit den bekannten Orchestern der damaligen Zeit, wie z. B. Hans Bund, Hans Schindler, Barnabas von Géczy und Oscar Joost zusammen.

Im Jahr 1935 stand Kardos unter zunehmenden Druck, Mitglied der Reichsmusikkammer zu werden und den dafür benötigten Ariernachweis vorzulegen. Als er eine polizeiliche Vorladung erhielt und ihm eine 30-tägige Frist zur Vorlage des Ariernachweises gegeben wurde, flohen er und seine Frau im November 1935 aus Berlin.[7]

Sie gingen nach Budapest zurück, wo István Kardos zeitweise ein Gesangsquartett[8] leitete, das auch mindestens eine Schallplatte aufnahm[9] und an der Budapester Uraufführung von Paul Abrahams Operette Märchen Im Grandhotel mitwirkte.[10]

Außerdem arbeitete Kardos weiterhin als Komponist und Theaterdirigent in Debrecen und Budapest, begleitete seine Frau und andere Sänger bei Liederabenden[11] und gab privaten Gesangsunterricht, wobei seine Situation aufgrund der auch in Ungarn zunehmenden antisemitischen Gesetzgebung zunehmend schwieriger wurde. Im Jahr 1940/41 hatte er erneut die Leitung einer Gesangsgruppe, die unter dem Namen Kardos-Trio einige Platten mit dem Orchester Solymossy Lulu[9] aufnahm. Ab 1940 bestanden seine Einkünfte ausschließlich aus privatem, illegalem Akkordeonunterricht. Im Juni 1944, nach der deutschen Besetzung Budapests, mussten er und seine Frau in ein sogenanntes Judenhaus ziehen, aus dem sie aber im Oktober flohen. Ab diesem Zeitpunkt bis zur Befreiung Budapests im Februar 1945 hielten sie sich mit falschen Papieren verborgen.[7] Sie erhielten Hilfe von einem Netzwerk um die Geschwister Sándor, Piroska und Balázs Lengyel, und ihre Mutter Irén Gonda. Balász Lengyel war mit der Dichterin Ágnes Nemes Nagy verheiratet, die ebenfalls an den Rettungsaktionen beteiligt war.

Nach dem Krieg, im Januar 1950, kam es zu einem Radioauftritt, bei dem Kardos seinen ehemaligen Kollegen von den Kardosch-Sängern, den Bass Paul von Nyíri, am Klavier begleitete.[12] Zu dieser Zeit arbeitete Kardos regelmäßig für den ungarischen Rundfunk. Nach 1945 wurde er Mitglied des Kulturausschusses in der Textilgewerkschaft und Gründungsmitglied, Mitarbeiter, und dann Vizepräsident der Gewerkschaft der Musiker.[13]

Zwischen 1949 und 1957 war Kardos Dozent an der Musikakademie in Budapest und unterrichtete zwischen 1952 und 1963 auch an der Hochschule für Darstellende Kunst.[13]

1952 veröffentlichte er den ersten Band seiner „Harmonika-Schule“.[14]

Kardos schrieb Begleitmusik für das Theater, symphonische Musik, eine Oper (Mátyás diák) Chorwerke und Kammermusik,[15] und übertrug Opernlibretti (z. B. überarbeitete er die Opern Carmen[16] und Otello[17] für ungarische Aufführungen) sowie Lieder und Gedichte aus verschiedenen Sprachen ins Ungarische. Zudem veröffentlichte er Artikel in Musikzeitschriften. Im Laufe seines Lebens vertonte er hunderte von Gedichten, hauptsächlich von ungarischen Lyrikern (Csokonai, Petőfi, Ady, József, Juhász, Kosztolányi, Radnóti, Tóth, Weöres und viele mehr).[18]

1971 erhielt Kardos den Goldenen Verdienstorden Munka Érdemrend für sein Lebenswerk.

Er starb am 22. Dezember 1975.[19] Sein Grab befindet sich auf dem Farkasréti Friedhof in Budapest.[20]

Am 31. August 2023 sollen in der Nürnberger Straße 3 in Berlin, dem letzten Berliner Wohnort des Ehepaares, Stolpersteine für Olga und István Kardos verlegt werden.

Grave of István Kardos and his wife

Gedenken[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Am 31. August 2023 wurden vor seinem ehemaligen Wohnort, Berlin-Charlottenburg, Nürnberger Straße 3, Stolpersteine für seine Frau und ihn verlegt.

Veröffentlichungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Mit den Kardosch-Sängern, 1932–35
  • Mit dem Kardos-Kvartett 1935/36:
    • Ho 1473 Keresek Egy Jó útitársat - Odeon A 197485
    • Ho 1474 Barcelonában - Odeon A 197485
  • Mit dem Kardos-Trio begleitet vom Orchester Solymossy Lulu, 1941
    • ODK 39 Egyszer Talán Megérzi
    • ODK 40 Lánc, Lánc, Eszterlánc
    • ODK 41 Az Egész Csak Egy Szívdobogás
    • ODK 42 Nem Igaz Hogy Szeretem[9]

Kompositionen (Auswahl)[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Mátyás diák, Oper, 1947
  • Vier Sinfonien: 1919 („Új harcok“), 1958, 1965, 1968
  • Sechs Streichquartette: 1917, 1925, 1951, 1960, 1967 und 1971
  • Zwei Piano Concertos: 1956 und 1963
  • Ünnep, sinfonische Fantasie, 1921 (Uraufführung durch das Philharmonische Orchester Budapest unter Leitung von Ernst von Dohnányi am 24. Oktober 1921)
  • Klaviersonate, 1916
  • Petőfi szülei, Begleitung zu einem Einakter von Árpád Tóth, 1923
  • Virágsuite/Blumensuite (Uraufführung am 10. Januar 1924 durch das Budapester Kammerorchester unter Leitung von Vilmos Komor)
  • Monologe, 1928
  • Az ember tragédiája, Begleitmusik zur dramatischen Dichtung von Imre Madách, 1937
  • Toccata con arietta e fuga, Oktober 1944
  • Gályarabok, Chor, 1946
  • Sonate für Kontrabass und Klavier
  • Capriccio – Solo für Cello, 1958
  • Heroische Ouvertüre / Hősi nyitány (Nach Willi Bredels Roman: „Dein unbekannter Bruder“), datiert 7. Mai 1958
  • Divertimento für Violine und Klavier, 1959
  • Wind Quintett, 1959
  • 12 prelúdium
  • 3 Miniatűr hárfás ötösre (Drei Miniaturen für Harfenquintett), 1962
  • Bipartitum (für Fagott und Piano), 1963
  • Canto tenero (für Violine und Pianoforte), 1964
  • Sonate für Solo-Klarinette, 1965
  • Poéma és humoreszk (Violine, Viola und Harfe)
  • Poéma és burleszk (für Kontrabass und Pianoforte), 1969
  • Intrada, 1968
  • Poema (für Klarinette und Piano), 1969
  • Scherzo Variato, Duett für Klavier und Flöte, 1970
  • Grotesque (für Piccoloflöte, Violoncello und Kontrabass), 1971
  • Notturno (für Flöte, Horn, Violine und Harfe), 1971
  • Sextett Nr. 1 und Nr. 2 (Klavier, Streichquartett und Klarinette), 1971
  • Sonate für Flöte und Pianoforte in drei Teilen, 1972
  • Noa Noa (nach Gauguin), Klangbild für Streich-Trio (Viola, Violine und Violoncello), 1971
  • Ciclus Antiquus, Sechs Lieder nach griechischen und römischen Texten, 1972

Druckwerke[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Harmonika Iskola, 1952

Klasszikus táncok és virtuóz-darabok harmonikára (Klassische Tänze u. virtuose Stücke f. Akkordeon), Zeneműkiadó, Budapest, 1961

Die klassische Sonatenform in Liszt’s h-moll. Musikverlag C. F. Peters, Berlin, 1972

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Commons: István Kardos – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Audiobeispiele[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Kardosch-Sänger, am Flügel Stephan Kardosch: Morgen will mein Schatz verreisen

Die Kardosch-Sänger mit Begleitorchester, dirigiert von Stephan Kardosch: Ade zur Guten Nacht

Die Kardosch-Sänger: Ohne Dich (Stormy Weather)

Kardos-Kvartett: Barcelonában

Piano Concerto Nr. 1: From Hungarian Radio Archives Vol. 6 (1956)[21]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Martina Wunsch: Herr Kardosch und seine Sänger. Fünf Musikerschicksale im Schatten der NS-Zeit, ISBN 978-3-7562-0604-9, Books on Demand, Norderstedt, 26. Oktober 2022
  • Josef Westner, Martina Wunsch: "Wer hat Angst vor dem bösen Wolf? Die Kardosch-Sänger"(Teil 1). in: Fox auf 78, Ausgabe 33, Herbst 2022[22]
  • Wolfgang Schneidereit: Discographie der Gesangsinterpreten der leichten Muse von 1925 bis 1945 im deutschsprachigen Raum - Eine Discographie mit biographischen Angaben in 3 Bänden, Books on Demand, Norderstedt, 2019
  • Josef Westner: "Was hältst Du von Veronika? Von den Abels zu den Kardosch-Sängern." In: Der Schalltrichter. Ausgabe 33, September 2008
  • Berthold Leimbach (Hrsg.): Tondokumente der Kleinkunst und ihrer Interpreten 1898–1945. Göttingen 1991, Stichwort: Die Abels Sänger.
  • Simon Géza Gábor: Magyar jazztörténet (Budapest, 1999)
  • Raisc, István: Kardos István távozására (Nachruf) in Muzsika, 4. Januar 1976 (Digitalisat)

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Hungary, Birth Records collected by Rabbis in Various Counties, 1789–1921, Source: LDS642807 Vol. 2, Page # - Item #: 105-03
  2. Samu Kardos. In: Geni.com. Abgerufen am 16. April 2021 (englisch).
  3. Das Ensemble der nächsten Saison. Der Bund, Band 78, Nummer 185, 2. Mai 1927. In: e-newspaperarchives.ch. Abgerufen am 26. Februar 2022.
  4. Hungary Civil Registration, 1895-1980 Pest-Pilis-Solt-Kis-Kun Budapest (VI. Kerület) Marriages (Házasultak) 1922 (ápr). In: familysearch.org. Abgerufen am 13. April 2021.
  5. Diskografie der Kardosch-Sänger – Die Kardosch-Sänger. Abgerufen am 18. Oktober 2021.
  6. Filmografie der Kardosch-Sänger – Die Kardosch-Sänger. Abgerufen am 18. Oktober 2021.
  7. a b Eidesstattliche Erklärung von István Kardos vom 3. Juli 1956 in: Entschädigungsakte István Kardos LABO Berlin, BEG-Akte, Aktenzeichen 306.359
  8. Das Kardos-Kvartett. In: Die Kardosch-Sänger. Abgerufen am 27. Februar 2022.
  9. a b c Wolfgang Schneidereit: Discographie der Gesangsinterpreten der leichten Muse von 1925 bis 1945 im deutschsprachigen Raum - Eine Discographie mit biographischen Angaben in 3 Bänden. Band 2, S. 664.
  10. Mese a Grand Hotelben. Operettbemutató a Kamaraszínházban. In: Shinházi Müvészet. Budapest 29. Februar 1936.
  11. István Kardos – Konzertliste – Die Kardosch-Sänger. Abgerufen am 27. Februar 2022.
  12. PETÖFI-RADIÓ. In: Népszava. 20. Januar 1950, S. 6.
  13. a b Kardos István | Magyar életrajzi lexikon | Kézikönyvtár. Abgerufen am 12. April 2021.
  14. Kardos István - Harmonika Iskola. Abgerufen am 13. April 2021 (ungarisch).
  15. István Kardos – Werke – Die Kardosch-Sänger. Abgerufen am 27. Februar 2022.
  16. mindustry: OperaDigiTár. Abgerufen am 13. April 2021 (ungarisch).
  17. mindustry: OperaDigiTár. Abgerufen am 12. April 2021 (ungarisch).
  18. István Kardos – Werke – Die Kardosch-Sänger. Abgerufen am 28. September 2022.
  19. Hungary Civil Registration, 1895-1980 Pest-Pilis-Solt-Kis-Kun Budapest (VI. Kerület) Deaths (Halottak) 1975. In: Familysearch.org. Abgerufen am 13. April 2021.
  20. https://kardosch-saenger.de/wp-content/uploads/2021/09/DSCI1091-768x1024.jpg
  21. Internet Archive: From Hungarian Radio Archives Vol. 6. Abgerufen am 28. September 2022.
  22. Josef Westner, Martina Wunsch: Wer hat Angst vor dem bösen Wolf? Die Kardosch-Sänger (Teil1). In: Klaus Krüger (Hrsg.): Fox auf 78. Nr. 33. Dietramszell November 2022, S. 96–102.