JLG/JLG – Godard über Godard

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Film
Titel JLG/JLG – Godard über Godard
Originaltitel JLG/JLG, autoportrait de décembre
Produktionsland Frankreich,
Schweiz
Originalsprache Französisch
Erscheinungsjahr 1994
Länge 53[A 1] Minuten
Altersfreigabe
Stab
Regie Jean-Luc Godard
Drehbuch Jean-Luc Godard
Produktion Jean-Luc Godard mit Unterstützung von
Gaumont
Musik Arvo Pärt,
Ludwig van Beethoven,
Werner Pirchner,
Paul Hindemith,
Dino Saluzzi,
David Darling
Kamera Yves Pouliquen,
Christian Jacquenod
Schnitt Jean-Luc Godard,
Catherine Cormon
Besetzung
Jean-Luc Godard u. a.

JLG/JLG – Godard über Godard (Originaltitel: JLG/JLG, autoportrait de décembre; im Weiteren nur: JLG/JLG) ist ein Film von Jean-Luc Godard. Im Film heißt es, und Godard hat es in Interviews betont: „Ein Selbstporträt, keine Autobiographie.“

Entwurf[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Ideen und Entwürfe für sein Selbstporträt notierte Godard seit Anfang der 1990er Jahre, zu einer Zeit also, in der er parallel und mit Priorität an seinem langjährigen Projekt Geschichte(n) des Kinos (Histoire(s) du cinéma) arbeitete. In einem Text mit dem Titel „Scénario 2“ aus 1993 heißt es:

„Der Film ist aufgebaut, ist zusammengesetzt aus der ineinander verflochtenen und sich gegenseitig stimulierenden Mischung von vier Elementen […]: A: die durchquerten Landschaften / B: die realisierten Filme / C: die nicht realisierten Filme / D: JLGs alltägliches Handeln. […] A: […] Es werden Landschaften der eigenen Kindheit oder jedenfalls der Vergangenheit sein, ohne einen einzigen Menschen darin. Zugleich sind es die gegenwärtigen Landschaften, wo die Filmaufnahmen stattfinden. […] D: […] Und diese ganzen zweiundsechzig plus drei Jahre[A 2] könnten enden mit einer Wiederbegegnung mit der Figur des Idioten und/oder des Fürsten, den man schon in Schütze deine Rechte (Soigne ta droite)[A 3] gesehen hat, wie er jetzt hier durch einen großartigen Rückhand-Return seines Gegners am Tennisnetz passiert wird, wie er – unfähig sich zu bewegen – nur noch einen weißen Blitz vorbeizischen sieht und mit einem Lächeln die Worte von Faulkner hört: „Die Vergangenheit ist niemals tot, sie ist nicht einmal vergangen.““

Jean-Luc Godard: JLG/JLG – autoportrait de décembre – Scénario 2[1]

Der Film wurde schließlich im Auftrag von Gaumont anlässlich der Feierlichkeiten im New Yorker MoMA zum 100-jährigen Bestehen des Filmkonzerns produziert.[2]

Inhalt[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einige der eigenen realisierten Filme – dabei bevorzugt eher unbekanntere – finden Erwähnung, auch das Thema der nicht realisierten Filme klingt an, aber zu wesentlichen Elementen des Films sind diese zunächst vorgesehenen Teile nicht geworden. An ihre Stelle sind zahlreiche zum Teil mit Quellenangabe versehene, zum Teil ohne Quellenangabe vorgetragene Zitate aus (kunst-)historischer und philosophischer Literatur getreten. – In feinerer Aufgliederung als in Godards Entwurf können folgende Elemente identifiziert werden:

  • Zahlreiche Aufnahmen vom Ufer des Genfer Sees und der Landschaft auf seiner Schweizer Seite im Kanton Waadt (frz. Vaud),
  • einige Innenaufnahmen aus Godards Haus in Rolle – auffallend häufig von den Gemälden, Zeichnungen, Drucken an den Wänden,
  • Godard, zitierend aus Büchern[A 4] oder eigene Gedanken darlegend,
  • Filmzitate – mal gezeigt auf kleinen Monitoren, mal nur im Ton dokumentiert,
  • kurze fiktive Sequenzen: Kontrolleure eines „Centre du cinéma“ inspizieren Godards Bücher- und Videokassetten-Regale, oder: eine junge, blinde Schnittassistentin bewirbt sich bei Godard (und macht ihre Arbeit sehr gut),
  • Godard in Alltagssituationen – wie beim schon im Entwurf vorgesehenen Tennisspielen.
  • Die Musik des Films besteht aus kurzen, jeweils deutlich ein- und aussetzenden Ausschnitten klassischer und sogenannter Neuer Musik. Die Komponisten der verwendeten Musikstücke sind Arvo Pärt, Ludwig van Beethoven, Werner Pirchner, Paul Hindemith, Dino Saluzzi und David Darling.[A 5]
  • Neben Sprache, Atmo-Geräuschen und Musik setzt Godard in JLG/JLG drei häufig wiederkehrende Tonelemente ein, die auch in den Histoire(s) du cinéma und anderen Filmen derselben Periode Verwendung fanden: das Schrillen eines Telefons (damit beginnt der Film, noch vor den ersten Bildern), das Schreien von Krähen sowie ein „Klaviercluster-Schlag [tiefer Töne] mit sehr langem Nachhall“ (Jürg Stenzl).

Godard setzt sich abwechselnd in zwei Typisierungen ins Bild: Mal ist er der konzentriert, mit Bleistift in der Hand, erst Wittgenstein, dann Diderot zitierende Bibliophile, mal wirkt er mit Bommelwollmütze und der unvermeidlichen Zigarre als der etwas verwirrte Alte.

Aufführungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Uraufführung von JLG/JLG fand am 6. Mai 1994 in Anwesenheit von Godard in New York im Rahmen einer mehrmonatigen Gaumont-Retrospektive statt.[3]

Die deutsche Erstaufführung von JLG/JLG fand im Februar 1995 bei den Internationalen Filmfestspielen Berlin statt, wo der Film in der Programmreihe „Panorama“ lief.[4] – Die deutsche Fernseh-Erstaufführung war am 1. Februar 2001 im ZDF.[5]

Rezeption – Einige Beschreibungen von Godards Verfahren[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

„Zwei »Landschaften« bestimmen JLG/JLG […]: zum einen das Außen der lichterfüllten Bilder des Genfersees, der Bäume und verschneiten Wege, zum anderen das dunkle Innere von Godards Haus: Ruhige Travellings vorbei an vollen und wohlgeordneten Büchergestellen, Reinigungsarbeiten, Arbeitstische, Filmmonitore und der lesende, vorlesende, monologisierende Jean-Luc Godard. […] Was Godard sprechend und lesend in seinem »Selbstporträt« äußert, sind paradoxerweise größtenteils Fremdzitate.“

Jürg Stenzl: Jean-Luc Godard – musicien[6]

„»Es gibt die Regel. Gut. Es gibt die Ausnahme. Gut. Die Regel ist die Kultur. Nein. Die Kultur ist es, die die Regel ist. Die Teil der Regel ist. Und da ist die Ausnahme, die Kunst ist. Die Teil der Kunst ist.« In seinem filmischen Selbstportrait »JLG/JLG – Godard über Godard« (1994) meditiert der 65jährige Jean-Luc Godard über die Ausnahme. Das Ganze ist aufgenommen mit einer Stehlampe zur Ausleuchtung, der Regisseur wird zur schwarzen Silhouette, weil er von der Kamera aus gesehen vor der Lampe sitzt. Eigentlich organisiert man das Licht für so ein Bild anders. »Alle sagen: ›Die Regel‹. Zigaretten, Computer, T-Shirts, Fernseher, Tourismus, Krieg.« Godard spricht für die Kamera mit sich selbst, es folgt ein Schnitt in den Satz und auf einen Steg, der auf den Genfer See hinausführt, eine Entenfamilie links im Bild, sakrale Musik. Ein Wort auf einem Notizblock (»Windmonat«), eine Eisfläche, die Zeichnung einer nackten Tänzerin an der Wand, die Stimme des Regisseurs, die über die Angst spricht und dann wieder über die Ausnahme, zu der er sich offensichtlich zählt. Mit Recht.“

Benjamin Moldenhauer: In der Zeit und gegen sie[7]

„Was an JLG/JLG von Anfang an auffällt, ist das offensichtliche und unabwendbare Bedürfnis, Gedanken zu formulieren, und der irritierende Kräfteverfall des Gesagten. Dieses «Selbstporträt», das von Beginn an sorgsam die physischen Aspekte seines Studienobjekts in ausgedehnten Dunkelzonen vor uns verbirgt, versucht eine alte Praktik aus der Malerei und der Literatur auf das Kino zu übertragen. Weit davon entfernt, die Charakterzüge und die Lebensgeschichte seines Schöpfers zu erhellen, stürzt sich der Film in die finsteren Regionen des solipsistischen Denkens, wo das Ich, aufgebläht vom Gewicht seines Bewusstseins und seiner Sprache, sich als Qualität gegenüber der quantitativen Existenz der Dinge präsentiert. Es handelt sich also weder um eine Autobiografie noch um eine Psychoanalyse des Ichs des Filmemachers, und noch weniger um einen objektiven Blick auf die Welt, die ihn umgibt. […] Mit sparsamen Bildern und verschwenderischen Deklamationen, die vom Überschattetwerden des Bildes durch den Ton zeugen, geistern die Personen-Gespenster des Films um den in seiner platonischen Pose erstarrten alten Mann herum.“

David Ipacki: Filmbeschreibung für die Viennale 2003[8]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Jürg Stenzl: Jean-Luc Godard – musicien. Die Musik in den Filmen von Jean-Luc Godard. edition text + kritik im Richard Boorberg Verlag, München 2010, ISBN 978-3-86916-097-9, S. 304–310.
  • Jean-Luc Godard: JLG/JLG Selbstporträt im Dezember (orig. JLG/JLG Phrases; aus dem Französischen übersetzt von Thomas Laugstien). Diaphanes, Zürich-Berlin 2014, ISBN 978-3-03734-330-2.

DVD-Veröffentlichung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Jean-Luc Godard Collection No. 1. Tobis / Universum Film, 2006. – Dort als Disc 3: Bonusmaterial. Französisch, wahlweise mit deutschen Untertiteln.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Anmerkungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Die Länge des Films wird an manchen Orten mit 62 Minuten angegeben. Die DVD-Veröffentlichung von Tobis hat eine Länge von 53 Minuten.
  2. „Zweiundsechzig Jahre“: Godards Lebensalter zum Zeitpunkt der Niederschrift des Entwurfs.
  3. Film von Godard aus 1987, in dem er (in Anspielung auf den Roman Dostojewskis) den Idioten / den Fürsten spielt.
  4. Eine – unvollständige – Liste der zitierten Autoren findet sich im Textbuch JLG/JLG Selbstporträt im Dezember (s. Literatur) – allerdings ohne Angaben zu den Werktiteln. – Zwei Beispiele für Godards freien Umgang mit den Zitaten: Kurz vor Ende des Films zitiert eine alte, an einem Waldrand sitzende Frau auf Latein eine Passage aus Ovids Metamorphosen. Aus der „romana potentia“ (der Macht Roms) bei Ovid wird bei Godard die „americana potentia“ (die Macht Amerikas). Die letzten Sätze des Films sind kein wörtliches Zitat, sondern eine Abwandlung, zumindest eine Variation der letzten Sätze von Jean-Paul Sartres autobiographischer Schrift Die Wörter. Bei Godard heißt es am Ende: „un homme / rien qu'un homme / et qui n'en vaut aucun / mais qu'aucuns ne valent“ – „ein Mensch, nichts als ein Mensch, nicht besser als irgendjemand, und niemand besser als er“; so oder ähnlich wurde der Satz, der selbst zu Deutungen Anlass gegeben hat, übersetzt.
  5. Eine detaillierte Auflistung der Musikstücke, mit Timecode und Längenangabe ihrer Verwendung im Film, gibt Jürg Stenzl in Jean-Luc Godard – musicien (s. Literatur), S. 307–308.

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Alain Bergala (Hrsg.): Jean-Luc Godard par Jean-Luc Godard. Tome 2: 1984–1998. Cahiers du cinéma, Paris 1998, ISBN 2-86642-198-1, S. 287–288. – Die betreffenden Textstellen im französischen Original: „Le film se construit, est composé par le mélange entrepacé, entrelardés les uns aux autres, de quatre éléments […]: A: les paysages traversés / B: les films faits / C: les films non faits / D: JLG en action quotidienne. […] A: […] Il s’agira de paysages d’enfance et d’autrefois, sans personne dedans. Et aussi de paysages plus récents, où ont lieu des prises de vue. […] D: […] Et toutes ces soixante-deux et trois années pourraient se terminer à la revoyure par une vision de l’idiot et/ou du prince entrevu dans Soigne ta droite, en train de se faire passer au filet de tennis par un splendide revers de retour de service de l’adversaire amical, regardant passer l’éclair blanc, incapable de bouger, et entendant dans un sourire les paroles de Faulkner: «Le passé n’est jamais mort, il n’est même pas passé.»“
  2. film-documentaire.fr: „Une commande de la Gaumont pour ses cent ans fêtés au MoMA de New York.“ (abgerufen am xx. xxx 2023).
  3. Gemäß Richard Brody: Everything is Cinema. The Working Life of Jean-Luc Godard. Metropolitan Books, New York 2008.
  4. Siehe Programmblatt bei berlinale.de (abgerufen am xx. xxx 2023).
  5. Filmdaten: JLG/JLG – Godard über Godard. Kritik. In: Filmdienst. Abgerufen am 25. Juli 2023.
  6. Jürg Stenzl: Jean-Luc Godard – musicien (s. Literatur), S. 304–305.
  7. Benjamin Moldenhauer: In der Zeit und gegen sie; ursprünglich erschienen in: konkret 2/2021; hier zitiert nach: konkret-magazin.de (abgerufen am xx. xxx 2023).
  8. Viennale ’03 – David Ipacki: JLG/JLG - Autoportrait de décembre. Abgerufen am 26. Juli 2023.