Kurt-Werner Wichmann

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Kurt-Werner Wichmann (* 1949 in Adendorf; † 25. April 1993 in Heimsheim) war ein mutmaßlicher deutscher Serienmörder, der u. a. für die zwei Doppelmorde in der Göhrde verantwortlich war.[1]

Jugend

Wichmann kam mit 14 Jahren erstmals in Jugendarrest, nachdem er eine Untermieterin im Haus seiner Eltern mit einem Messer bedroht und versucht hatte, sie zu erwürgen. Wichmann lebte damals nicht zu Hause, sondern wuchs in einem Fürsorgeheim (Wichernstift) auf. Dort wollte er aber nicht länger bleiben und brach bei seinen Eltern ein, um Geld zu beschaffen. Der Vater war gewalttätig und soll seine Söhne misshandelt haben.[2] Mit 16 Jahren überfiel Wichmann eine Radfahrerin und belästigte sie sexuell, was ihm sechs Monate Jugendstrafe auf Bewährung brachte. 1967 bedrohte er Polizisten mit einer Kleinkaliberwaffe und wurde zu einem Jahr Jugendstrafe verurteilt. 1968 wurde die 38-jährige Ilse G. beim Fahrradfahren in einem Wald bei Lüneburg mit vier Schüssen aus einem Kleinkalibergewehr in den Rücken getroffen und getötet. Zeugen sahen einen Jugendlichen, auf den die Beschreibung Wichmanns passte, fliehen, und die Polizei legte in diesem Zusammenhang eine Akte über ihn an. Man fand bei ihm Kleinkalibergewehre und Zeitungsausschnitte über den Mord, der aber nie offiziell aufgeklärt wurde. 1970 wurde er für die Vergewaltigung einer Anhalterin, die er auch zu erwürgen versuchte, zu fünfeinhalb Jahren Jugendstrafe verurteilt. Die Anhalterin konnte ihn damals überreden, sie laufenzulassen. Als er bald darauf in der Zeitung von dem Fall las, fühlte Wichmann sich falsch dargestellt und ging selbst zur Polizei, um dies richtigzustellen, was zu seiner Verhaftung führte.[2]

Beschreibung

Wichmann war nach den Erinnerungen Bekannter gutaussehend, blond und von biederer, gepflegter Erscheinung. Ein Zeuge bezeichnete ihn als stillen Typ mit kalten, eiskalten Augen, die alles taxierten.[3] Andere beschrieben ihn als Eigenbrötler, arrogant und geltungsbedürftig.[2] Auffallend war, dass er stets Handschuhe und eine Sonnenbrille trug.[4] In einem seiner Autos fand man einen Bundeswehrschlafsack für Übernachtungen im Freien, ein Fernglas und Karten. Zudem hielt er sich häufig im Wald auf. Er wohnte in einem Eigenheim in einer Stichstraße am Rand von Lüneburg direkt am Wald.[5] In diesem Haus war er auch aufgewachsen. Er hatte einen Schäferhund und hing rechten politischen Einstellungen an (auf seinem Grundstück hisste er ab und zu die Reichskriegsflagge). Im Lauf der Zeit hatte er mehrere Umbauten vorgenommen, darunter auch Geheimverstecke. Eine Tür führte ins Nichts: man blickte durch sie von oben in die Garage und hinter ihr war ein Galgenstrick angebracht.[2] Zur Zeit des Mordes an Birgit Meier war er verheiratet, seine 13 Jahre ältere Witwe ist 2006 verstorben. Er war häufig in Geldnot, zur Zeit seines Todes überschuldet und inserierte als Callboy in Pornozeitschriften.

Verschwinden von Birgit Meier

Das Verbrechen an Birgit Meier wurde erst 28 Jahre nach der Tat auf Initiative ihres Bruders, des Polizisten W. Sielaff, aufgeklärt. Zuvor waren jahrelang aus unbekannten Gründen Spuren, die schnell zu Wichmann hätten führen können, nicht verfolgt worden.

Schon 1989, wenige Wochen nach dem Verschwinden Birgit Meier, zeigten sich Verbindungen zwischen Wichmann und ihr. Zunächst vermutete man Suizid oder verdächtigte den Ehemann, jedoch fokussierten sich später die Ermittlungen auf den Lüneburger Friedhofsgärtner Wichmann, den die Verschwundene zuvor nach Aussagen des Ex-Ehemanns auf einer Party kennengelernt hatte.[3] Außerdem hatte er zuvor Gartenarbeiten bei den Nachbarn von Birgit Meier verrichtet. Er wurde vernommen, sein vorgebliches Alibi durch seine Ehefrau aber nicht genauer überprüft. Dass er zur Zeit des Verschwindens von Birgit Meier krankgeschrieben war, verschwieg er und die Polizei fragte auch nicht genauer nach.

Erst mit der Einsetzung einer neuen Staatsanwältin in Lüneburg kamen weitere Ermittlungen in Gang. Im Jahr 1993 wurde Anklage wegen Mordverdacht im Fall Birgit Meier gegen den Gärtner erhoben und die Polizei nahm eine Hausdurchsuchung vor. Die Ermittler fanden zwei Kleinkaliber-Gewehre, einen umgebauten scharfen Schreckschuss-Revolver, Elektroschocker, Schalldämpfer, Handschellen, Beruhigungs- und Schlaftabletten, Folterwerkzeug in einem mit einer schallisolierten Tür verschlossenen Geheimraum, den nur er und sein Bruder betreten durften. Im Garten fand sich ein vergrabenes knallrotes neues Ford-Sportcoupé, auf dessen Rücksitz dem Anschein nach Blut klebte. Die Leichenspürhunde schlugen mehrfach an, man fand aber keine Leichen.

Kurt-Werner Wichmann war vor der Durchsuchung geflohen. Er wurde bei Heilbronn verhaftet, als er in einen Verkehrsunfall verwickelt war und man Waffen in seinem Fahrzeug fand.[6] Mit im Fahrzeug saß sein zehn Jahre jüngerer Bruder, der zu ihm ein enges Verhältnis hatte und der von Wichmann dominiert wurde.[7] Zehn Tage nach seiner Festnahme erhängte sich der 43-jährige Wichmann in der Haft in der Justizvollzugsanstalt Heimsheim.[8] Suizid-Versuche hatte er schon zuvor unternommen. Er hinterließ merkwürdige Abschiedsbriefe, in denen er unter anderem seinen Bruder aufforderte die Dachrinne zu reinigen. Nach seinem Tod endete die Mordserie in den Wäldern rund um Lüneburg. Die weiteren Ermittlungen gegen ihn wurden eingestellt. Sein Fahrzeug und die bei ihm gefundenen Gegenstände wurden von der Polizei entsorgt.

Am 19. Januar 2018 wurde bekannt, dass laut dem Obduktionsgutachten der Medizinischen Hochschule Hannover das Opfer Birgit Meier erschossen wurde.[9] Der Lüneburger Polizeipräsident Robert Kruse teilte mit, dass man beim Täter von einem Serienmörder ausgehe, der möglicherweise auch über Deutschland hinaus zugeschlagen hatte.[10] Er kündigte eine gründliche Überprüfung von Altfällen an, für die Wichmann als Täter in Frage komme. Analysten des Landeskriminalamts Niedersachsen haben daraufhin 24 ungeklärte Taten, vor allem Tötungsdelikte und auch Vermisstenfälle, herausgefiltert. Im Februar 2018 wurde der Fall erneut in der Sendung Aktenzeichen XY … ungelöst im Fernsehen vorgestellt, da die Ermittler von einem Mittäter, Helfer oder zumindest von Mitwissern ausgehen.[11]

Ermittlungen

Erfolgreich wurden die schleppenden polizeilichen Ermittlungen erst, als der pensionierte Polizist Wolfgang Sielaff, der Bruder der getöteten Birgit Meier, im Jahr 2002 mit privaten Recherchen begann und 2017 die Leiche seiner ermordeten Schwester fand. Im selben Jahr stellte die Polizei eine neue sechsköpfige Ermittlertruppe auf, die Verbindungen von Wichmann zu 24 weiteren Mordopfern untersucht.

Göhrde-Morde

Im Dezember 2017, 28 Jahre nach den Morden von 1989, gab die Polizei Niedersachsen bekannt, dass sie den ehemaligen Friedhofsgärtner Wichmann für die Göhrde-Morde für dringend tatverdächtig hält und dass eine Ermittlungsgruppe eingerichtet wurde.[12] Eine wohl in einem der entwendeten Fahrzeuge der Opfer sichergestellte DNA-Spur konnte Wichmann zugeordnet werden. Laut Polizeiangaben handelt es sich dabei um eine neue Spur und nicht die im Laufe der Jahre immer wieder untersuchten Haare.[13] Die Polizei geht davon aus, dass es einen Mittäter gibt, der möglicherweise auch weitere Verbrechen begangen haben könnte. Der wesentliche Anhaltspunkt für eine zweite, in den Fall verwickelte Person leitet sich aus dem Umstand ab, dass Wichmann mit seinem eigenen Kraftfahrzeug in die Göhrde gefahren war, aber mit dem Fahrzeug der Ermordeten zurückkehrte. Wer Wichmanns eigenen Wagen wieder zurückbrachte ist unklar. Nach den Erkenntnissen Sielaffs gab es in Lüneburg und Umgebung 21 bislang ungeklärte Mordfälle, die vom Täterprofil und jeweiligen Aufenthaltsort her eventuell Wichmann zugeordnet werden könnten. [14][4]

Möglicherweise gehen nach Einschätzung der Polizei, die ein Bewegungsprofil Wichmanns erstellte, auch Mordfälle in anderen Gegenden auf sein Konto. So hielt Wichmann sich nach seiner ersten Haftentlassung 1975 drei Jahre in Karlsruhe auf, wo er bei einer älteren Frau lebte, die er durch eine Kontaktanzeige während der Haft kennengelernt hatte. In diese Zeit fallen im Raum Karlsruhe mehrere unaufgeklärte Morde an Anhalterinnen.[2] Wichmann war sehr mobil und besaß fünf Autos.

Einzelnachweise

  1. Anne Kunze, Felix Rohrbeck: Göhrde-Morde: Warum starb Birgit Meier? In: Zeit Verbrechen. Nr. 1, 24. April 2018 (Zeit Online [abgerufen am 25. April 2018]).
  2. a b c d e Anne Kunze, Felix Rohrbeck: Serienmorde: Mörderischer Liebling. In: Die Zeit. Nr. 43, 13. Oktober 2016 (Zeit Online [abgerufen am 31. März 2018]).
  3. a b Anne Kunze, Felix Rohrbeck: Serienmord: Warum starb Birgit Meier? In: Die Zeit. Nr. 42, 6. Oktober 2016 (Zeit Online [abgerufen am 28. Dezember 2017]).
  4. a b Matthias Rebaschus: Kurt-Werner Wichmann: War er ein Serienmörder? In: Die Zeit. Nr. 1, 28. Dezember 2017 (Zeit Online [abgerufen am 28. Dezember 2017]).
  5. Thomas Hirschbiegel: Zu Besuch im Grusel-Haus So lebte Serienkiller Kurt W., Berliner Kurier, 30. Mai 2016
  6. Thomas Hirschbiegel: Nach 23 Jahren .Der schlimmste Serienmörder der Nachkriegszeit? in Mopo vom 27. Mai 2016
  7. Anne Kunze, Felix Rohrbeck, Auf der Lichtung, Zeit Online, 3. November 2016
  8. Thomas Hirschbiegel: Die Abschiedsbriefe des Serienkillers. Rasiert mich, bevor ihr mich verbrennt in Mopo vom 30. Mai 2016
  9. Gutachten der MHH: Birgit M. wurde erschossen bei ndr.de vom 19. Januar 2018
  10. Focus Online nach DPA Pressemitteilung, 19. Januar 2018
  11. [Polizei sucht weiter Mitwisser der Göhrde-Morde Polizei sucht weiter Mitwisser der Göhrde-Morde] bei ndr.de vom 2. März 2018
  12. Göhrde-Morde stehen vor Aufklärung. In: Landeszeitung für die Lüneburger Heide online. 27. Dezember 2017 (landeszeitung.de [abgerufen am 27. Dezember 2017]).
  13. „Göhrde-Morde“: Täter ermittelt, Fragen bleiben. NDR, abgerufen am 28. Dezember 2017.
  14. Gewissheit: Tote Birgit M. identifiziert. ndr.de, 24. Juli 2017, abgerufen am 29. Dezember 2017.