Lonchodraco
Lonchodraco | ||||||||||||
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Die bekannte Schnauzenspitze (A–F) und Schulterknochen (G) von Lonchodraco giganteus. Maßstabsleiste = 10 mm. | ||||||||||||
Zeitliches Auftreten | ||||||||||||
Oberkreide (Cenomanium oder Turonium, eventuell bereits Albium) | ||||||||||||
95,5 bis 92,19 Mio. Jahre | ||||||||||||
Fundorte | ||||||||||||
Systematik | ||||||||||||
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Wissenschaftlicher Name | ||||||||||||
Lonchodraco | ||||||||||||
Rodrigues & Kellner, 2013 | ||||||||||||
Arten | ||||||||||||
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Lonchodraco (von altgriechisch lonchos = "Lanze" und lateinisch draco = "Drache") ist eine ausgestorbene Gattung ornithocheiromorpher Pterosaurier aus der Oberkreide Eurasiens.
Beschreibung
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Von der Typusart Lonchodraco giganteus sind lediglich bruchstückhafte Reste des Skeletts bekannt, darunter insbesonders die Schnauzenspitze (der Lectotypus), aber auch ein unvollständiger Schulterknochen (Scapulocoracoid) sowie Teile von Oberarmknochen, Elle und Flugfinger.
Die überlieferte Schnauzenspitze umfasst Teile des Zwischenkieferbeins, des Oberkieferknochens, des Gaumenbeins sowie des Unterkiefers (Dentale). Das Vorderende der Schnauze ist abgeflacht, wie bei anderen verwandten Pterosauriern befanden sich an Ober- und Unterkiefer knöcherne Kämme. Diese Kämme bewegten sich in ihrer Dicke in etwa zwischen denen von Anhanguera und Coloborhynchus. Anders als bei Arten der Familie Anhangueridae begann der Unterkieferkamm bei Lonchodraco außerdem nicht direkt an der Spitze des Kiefers. Der Unterkieferkamm war flacher als bei seinem nahen Verwandten Ikrandraco.
Lonchodraco hatte lange, kegelförmige Zähne, die leicht erhöht im Verhältnis zum Kieferknochen standen. Die Größenunterschiede zwischen den bekannten Zähnen waren eher gering, insgesamt waren sie kleiner als bei den Anhangueriden. Die Zähne waren regelmäßig angeordnet mit etwa einer Zahnbreite entsprechend großen Lücken zwischen ihnen. Die Zähne standen dichter als bei Ikrandraco.
Charakteristische Merkmale, anhand derer sich Lonchodraco giganteus eindeutig von anderen bekannten Pterosauriern unterscheiden lässt, sind der flache, klingenartige Unterkieferkamm und eine Zahndichte von etwa sechs Zähnen pro drei Zentimeter Kieferknochen.[1]
Forschungsgeschichte
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die ersten Lonchodraco zuordbaren Fossilien stammen aus den frühen Oberkreideschichten (Chalk-Formation) aus der Nähe des englischen Maidstone.[1] James Scott Bowerbank benannte sie 1846 erstmals als Pterodactylus giganteus.[2] Neben der oben erwähnten Schnauzenspitze ordnete Bowerbank mehrere weitere Knochen seinem P. giganteus zu, einige davon wurden gemeinsam mit der Schnauze gefunden, weitere zumindest am gleichen Fundort, wiederum andere stammen von komplett anderen Orten. Richard Owen schlug 1850 aufgrund der trotz ihres Namens nicht gigantischen Fossilien vor, die Art in Pterodactylus conirostris umzubenennen.[3] Das würde laut Bowerbank allerdings der Prioritätsregel in der Taxonomie widersprechen.[4] Owen, der davon ausging, dass es sich bei den von Bowerbank benannten Funden um zwei verschiedene, unterschiedlich große Arten handelte, regte stattdessen an P. giganteus für einen weiteren aus der Chalk-Formation bekannten Knochen zu verwenden.[5][6] Letztendlich konnte sich Owen aber nicht durchsetzen.
Als Problem sollte sich weiterhin erweisen, dass Bowerbank keines der Exemplare eindeutig als Holotypus definierte. Erst Peter Wellnhofer legte 1978 die bekannte Schnauzenspitze als Lectotypus fest.[7]
Auch weil sich die Gattung Pterodactylus zusehends als Papierkorb-Taxon erwies, wurden Bowerbanks Fossilien im Laufe der Jahrzehnte mehreren anderen Gattungen wie Cimoliornis,[6] Ornithocheirus,[8][7] Lonchodectes,[9][10] und Ornithodesmus[11] zugeordnet. Taissa Rodrigues und Alexander Kellner benannten 2013 schließlich mit Lonchodraco eine eigene Gattung für den Lectotypus. Als weitere Art definierten sie Lonchodraco machaerorhynchus aus dem Albium von Cambridge (von Harry Govier Seeley 1869 ursprünglich als "Ptenodactylus" machaerorhynchus eingeführt). Den von Seeley aus dem gleichen Fundort benannten "Ptenodactylus" microdon schrieben Rodrigues and Kellner unter Vorbehalt ebenfalls Lonchodraco zu.[1]
Alexander Olegowitsch Awerjanow dagegen betrachtet "P." microdon als identisch mit "P." machaerorhynchus und stellt Letzteren als Art in die bis dato nur aus China bekannte Gattung Ikrandraco. Ein Unterkieferrest aus dem Cenomanium von Wolgograd könnte laut Awerjanow zu Lonchodraco gehört haben.[12]
Brian Andres fand anhand einer phylogenetischen Analyse "P." microdon und den ebenfalls aus dem Albium von Cambridge stammenden "Ornithocheirus" denticulatus als Schwesterarten von L. giganteus und bezeichnet sie entsprechend als Lonchodraco microdon und Lonchodraco denticulatus.[13]
Systematik
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Ähnlich der komplexen Geschichte um die Bestimmung der Gattung, wurde Lonchodraco giganteus im Lauf der Jahre verschiedenen Familien zugeordnet, darunter der Ornithocheiridae und Lonchodectidae.[7][10] Rodrigues und Kellner argumentieren, dass die Gattung Lonchodectes aufgrund der spärlichen Funde zweifelhaft ist und deshalb auch die nach ihr benannte Familie nicht verwendet werden sollte. Stattdessen führten sie die Familie Lonchodraconidae ein, die lediglich die von ihnen festgelegten Arten von Lonchodraco enthielt.[1] Einige andere Wissenschaftler stimmten zwar mit der Benennung von Lonchodraco überein, bevorzugten aber gleichzeitig die Beibehaltung der Lonchodectidae als Bezeichnung für dessen Familie.[12][14]
Die meisten Wissenschaflter sind heute der Ansicht, dass Lonchodraco verwandtschaftlich in die Ornithocheiromorpha zu stellen ist.[13][15][16] Je nach Analyse steht er entweder nah an der Basis dieser Klade oder ist ein "fortschrittlicheres" Mitglied innerhalb der Lanceodontia.
Verwandtschaftliche Stellung von Lonchodraco nach Andres (2021):[13]
Ornithocheiromorpha |
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Verwandtschaftliche Stellung von Lonchodraco nach Richards et al. (2024):[15]
Lanceodontia |
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Paläobiologe
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]David Martill und Kollegen konnten nachweisen, dass Lonchodraco an der Spitze des Unterkiefers und den Kieferseiten kleine kreisförmige Foramen besaß. Diese interpretieren sie als Mechanorezeptoren wie sie in ähnlicher Form auch an den Schnäbeln vieler Vögel vorkommen, darunter Schnepfenvögel, Löffler oder Enten. Vögel nutzen solche Rezeptoren bei der Nahrungssuche im Erdreich oder im Wasser. Die Schnabelform von Lonchodraco lässt sich allerdings nicht mit derer der genannten Vögel vergleichen, Martill und Kollegen vermuten jedoch, dass Lonchodraco diese Rezeptoren nutzte, um im flachen Wasser Fische und Wirbellose zu erbeuten.[17]
Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ a b c d Rodrigues, T., & Kellner, A. W. A. (2013). Taxonomic review of the Ornithocheirus complex (Pterosauria) from the Cretaceous of England. ZooKeys, (308), 1–112. doi:10.3897/zookeys.308.5559
- ↑ Bowerbank, J. S. (1846). On a new species of pterodactyl found in the Upper Chalk of Kent. Quarterly Journal of the Geological Society, 2(1–2), 7–8. doi:10.1144/GSL.JGS.1846.002.01-02.05
- ↑ Owen, R. (1850). Reptilia, in: Dixon, F. The Geology and Fossils of the Tertiary and Cretaceous Formations of Sussex. Longman. 378–404. [1]
- ↑ Bowerbank, J. S. (1851) On the pterodactyles of the Chalk Formation. Proceedings of the Zoological Society of London, 19, 14–20. [2]
- ↑ Owen, R. (1851a). A Monograph on the Fossil Reptilia of the Cretaceous Formations. Cambridge University Press. 118 Seiten. [3]
- ↑ a b Owen, R. (1851b ). On a new species of pterodactyle (Pterodactylus compressirostris, Owen) from the Chalk; with some remarks on the nomenclature of the previously described species. Proceedings of the Zoological Society of London, 19(1), 21–34. doi:10.1111/j.1096-3642.1851.tb01126.x
- ↑ a b c Wellnhofer, P. (1978) Pterosauria, in Handbuch der Paläoherpetologie, Teil 19. Gustav Fischer Verlag, Stuttgart und New York, 82 Seiten.
- ↑ Lydekker, R. (1888). Catalogue of the Fossil Reptilia and Amphibia in the British Museum (Natural History) (Vol. 1). Order of the Trustees. 309 Seiten. [4]
- ↑ Hooley, R. W. (1914). On the ornithosaurian genus Ornithocheirus, with a review of the specimens from the Cambridge Greensand in the Sedgwick Museum, Cambridge. Annals and Magazine of Natural History, 78, 529–557. doi:10.1080/00222931408693521
- ↑ a b Unwin, D. M. (2001). An overview of the pterosaur assemblage from the Cambridge Greensand (Cretaceous) of Eastern England. Mitteilungen aus dem Museum für Naturkunde in Berlin, Geowissenschaftliche Reihe 4, 189–221. doi:10.1002/mmng.20010040112
- ↑ Arthaber, G. (1922) Über Entwicklung, Ausbildung und Absterben der Flugsaurier. Paläontologische Zeitschrift, 4, 1–47. doi:10.1007/BF03041557
- ↑ a b Awerjanow, A. O. (2020). Taxonomy of the Lonchodectidae (Pterosauria, Pterodactyloidea). Proceedings of the Zoological Institute RAS, 324(1), 41–55. doi:10.31610/trudyzin/2020.324.1.41
- ↑ a b c Andres, B. (2021). Phylogenetic systematics of Quetzalcoatlus Lawson 1975 (Pterodactyloidea: Azhdarchoidea). Journal of Vertebrate Paleontology, 41(sup1), 203–217. doi:10.1080/02724634.2020.1801703
- ↑ Rigal, S., Martill, D. M., & Sweetman, S. C. (2018). A new pterosaur specimen from the Upper Tunbridge Wells Sand Formation (Cretaceous, Valanginian) of southern England and a review of Lonchodectes sagittirostris (Owen 1874), in Hone, D. W. E., Witton, M. P. und Martill, M. M., New Perspectives on Pterosaur Palaeobiology. doi:10.1144/SP455.5
- ↑ a b Richards, T. M., Stumkat, P. E., & Salisbury, S. W. (2024). A second specimen of the pterosaur Thapunngaka shawi from the Lower Cretaceous (upper Albian) Toolebuc Formation of North West Queensland, Australia. Cretaceous Research, 154, 105740. doi:10.1016/j.cretres.2023.105740
- ↑ Kellner, A. W., Caldwell, M. W., Holgado, B., Vecchia, F. M. D., Nohra, R., Sayão, J. M., & Currie, P. J. (2019). First complete pterosaur from the Afro-Arabian continent: insight into pterodactyloid diversity. Scientific Reports, 9(1), 17875. doi:10.1038/s41598-019-54042-z
- ↑ Martill, D. M., Smith, R. E., Longrich, N., & Brown, J. (2021). Evidence for tactile foraging in pterosaurs: a sensitive tip to the beak of Lonchodraco giganteus (Pterosauria, Lonchodectidae) from the Upper Cretaceous of southern England. Cretaceous Research, 117, 104637. doi:10.1016/j.cretres.2020.104637