Otto von Stülpnagel

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Walther von Brauchitsch und Otto von Stülpnagel (rechts) in Paris

Otto Edwin von Stülpnagel (* 16. Juni 1878 in Berlin; † 6. Februar 1948 in Paris) war ein deutscher Offizier, zuletzt General der Infanterie der Wehrmacht. Von Oktober 1940 bis Februar 1942 war er „Militärbefehlshaber Frankreich“ (MBF), dem die meisten Gebiete des besetzten Teils Frankreichs unterstanden.

Familie

Er war der Sohn des königlich preußischen Oberst Otto von Stülpnagel (1822–1899) aus dem uckermärkischen Adelsgeschlecht Stülpnagel und der Ida Michaelis (1856–1909). Sein älterer Bruder war Edwin von Stülpnagel (1876–1933), ebenfalls General der Infanterie.

Stülpnagel heiratete am 2. März 1929 in Potsdam Ilse (geschiedene) von Seydlitz-Kurzbach (* 21. Mai 1891 in Berlin; † 6. Mai 1964 in Berlin), die Tochter des Baumeisters Otto Sohre und der Anna Haselbach. Diese Ehe wurde am 8. November 1946 in Berlin-Charlottenburg geschieden.

Leben

Stülpnagel trat 1897 als Fahnenjunker in das preußische 2. Garde-Regiment zu Fuß ein. Er besuchte die Kriegsschule und die Kriegsakademie und wurde 1909 als Oberleutnant zum Großen Generalstab kommandiert. Im Ersten Weltkrieg diente er als Generalstabsoffizier in verschiedenen Stäben und wurde 1916 zum Major befördert.

Nach Kriegsende in die Reichswehr übernommen, wurde er 1921 als Oberstleutnant zum Leiter der Völkerrechtsabteilung der Friedenskommission ernannt. Als solcher veröffentlichte er in der Folgezeit zahlreiche Schriften und Aufsätze, in denen er den alliierten Vorwürfen deutscher Kriegsverbrechen während des Weltkrieges entgegentrat (siehe auch Leipziger Prozesse). 1925 in den Stab des 14. (Bad.) Infanterie-Regiments versetzt und hier zum Oberst befördert, wurde er im Folgejahr als Vertreter des Reichsheeres zur Vorbereitenden Abrüstungskonferenz des Völkerbunds nach Genf entsandt. Anfang 1927 kam er zum 7. (Preuß.) Infanterie-Regiment nach Schweidnitz, wo er eine Einweisung als Regimentskommandeur erhielt und dann die Nachfolge von Lothar Fritsch antrat. Anfang 1929 wurde er dann in den Stab des Gruppenkommandos 1 nach Berlin versetzt und zum Generalmajor befördert. Wenig später wurde er zum Inspekteur der Verkehrstruppen (In 6) im Reichswehrministerium ernannt. Ende März 1931 wurde er aus dem Dienst verabschiedet, nachdem er zuvor noch zum Generalleutnant befördert worden war.

1934 wurde Stülpnagel, der als junger Offizier eine Pilotenausbildung absolviert hatte, vom Reichsluftfahrtministerium mit dem Aufbau der Luftkriegsschule Berlin-Gatow beauftragt und im folgenden Jahr auch mit dem der Luftkriegsakademie am selben Ort. Am 1. Oktober 1935 trat er als Ergänzungsoffizier in die Luftwaffe ein und erhielt den Charakter eines Generals der Flieger, als welcher er anschließend erster Kommandant der Luftkriegsakademie wurde. 1936 wurde er dann auch aktiver General der Flieger. Ab 1938 erfolgte unter seiner Leitung die Eingliederung der Lufttechnischen Akademie in die Luftkriegsakademie. Ende März 1939 erfolgte dann seine erneute Verabschiedung aus dem aktiven Dienst.

Bei Beginn des Zweiten Weltkriegs zur Verfügung des Heeres gestellt, wurde er bei der Mobilmachung zum Kommandierenden General des stellvertretenden Generalkommandos XVII und Befehlshaber im Wehrkreis XVII (Wien) ernannt. Im Oktober 1940 wurde die Stelle des Militärbefehlshabers Frankreich errichtet, als welcher Stülpnagel jetzt eingesetzt wurde. Er wollte als Militärbefehlshaber keine Kompetenzen an den SS-Sicherheitsdienst abgeben, aber er schloss sich dem Reichssicherheitshauptamt und der deutschen Botschaft an: Mitte Mai 1941 ließ er 3.700 ausländische Juden kasernieren, Mitte und Ende August auf Vorschlag Theodor Danneckers tausende Juden (auch solche französischer Nationalität) ins Sammellager Drancy bringen, und im Dezember noch einmal eine große Zahl von Menschen verhaften. Der größte Teil der Verhafteten wurde, noch in Frankreich oder in den östlichen Vernichtungslagern, ermordet.

Am 21. August 1941 befand er sich in Berlin, als in Paris ein Attentat auf den Besatzungssoldaten Alfons Moser in der Metrostation Barbès-Rochechouart verübt wurde. Nach zwei weiteren Attentaten gegen Besatzer, den Feldkommandanten Hotz in Nantes und den Kriegsverwaltungsrat Reimers in Bordeaux, befahl Hitler dem MBF Stülpnagel, 100 französische Geiseln erschießen zu lassen. Stülpnagel wollte die Zahl herunter handeln, aus Bedenken wegen möglichen politischen Folgen. Schließlich wurden insgesamt 98 Geiseln in Nantes und Châteaubriant auf seinen Befehl hin erschossen.

Stülpnagel hatte auch Konflikte mit dem Oberkommando der Wehrmacht (OKW). Joseph Goebbels schrieb im August/September 1941 in seinen Tagebuchnotizen (die er jeden Morgen über den Vortag diktierte) in mehreren Passagen, dass er die „Schlappheiten“ des MBF in Paris kritisiert habe. Im September behauptete er, dass er dem OKW genaue Anweisungen zum Vorgehen in Paris geben werde. Die Streitigkeiten mit Berlin brachten Stülpnagel im Februar 1942 dann dazu, dort um seine Ablösung zu bitten. Heutige Historiker sind unterschiedlicher Meinung, ob dieses Verhalten lediglich mit „Taktik“ und „Gespür für Pragmatismus“ (also Anpassung) zu erklären ist, oder ob der Besatzungsgeneral auch moralische Gründe hatte. Carl-Heinrich von Stülpnagel, ein entfernter Verwandter, wurde sein Nachfolger im Amt des Militärbefehlshabers.

Ulrich Herbert referiert aus den Militär-Akten zu den sogenannten Geiselaktionen: Im Dezember 1941 waren 743 jüdische Männer, meist Franzosen, in das unter deutscher Aufsicht stehende Lager Compiègne gebracht worden, mit dem Ziel der Deportation in die Vernichtungslager des Ostens. Um die von Berlin geforderte Zahl 1000 zu erreichen, wurden weitere 300 Juden aus dem Sammellager Drancy bestimmt. Stülpnagel wollte die Juden weghaben, um einerseits Berlin durch harte Reaktion auf die Résistance zufriedenzustellen, andererseits aber keine Antistimmung bei den Kollaborationswilligen des Landes zu erzeugen, falls er nichtjüdische Geiseln hätte ermorden lassen. Die Juden hatten also schlichtweg den „Schwarzen Peter“ im mörderischen Spiel, wer in Frankreich für die deutschen Interessen gemordet werden sollte. Stülpnagel legte die Juden als Opfer fest.

Eine etwas diffusere, aber dennoch interessante Sicht auf die Ereignisse vermittelt Ernst Jünger in seinem „Ersten Pariser Tagebuch“. Jünger war als Offizier im Stab des MBF tätig. Für Jünger sah sich Stülpnagel zwischen zwei Extremen in einem Dilemma gefangen, das er nicht anders zu lösen fähig war, als sich an die Juden als allgemein akzeptierte Opfer zu halten. Besonders in Teilen der maßgeblichen französischen Kollaborateurskreise galt ein Opfer der Juden als durchaus hinnehmbar. Stülpnagel hätte Jünger zufolge im Grunde als einzige ehrenhafte Lösung nur der Selbstmord zur Verfügung gestanden, der als Signal bzw. Symbol hätte verstanden werden können. Dazu fehlte Stülpnagel aber wohl die seelische Stärke. Jünger impliziert indirekt eine lose Verbindung Stülpnagels zu den Verschwörern des 20. Juli 1944. Einiges aus seinen Erfahrungen aus dieser Zeit verarbeitete er später in Gestalt der „Parsen“ in den Romanen „Eumeswil“ und „Heliopolis“.

Stülpnagel, der im August 1942 endgültig aus dem Dienst verabschiedet worden war, wurde nach Kriegsende von den Besatzungsbehörden verhaftet und 1946 an Frankreich ausgeliefert. Anfang Februar 1948 beging er im Pariser Gefängnis Cherche-Midi noch vor Beginn seines Prozesses Suizid.

Auszeichnungen

Literatur

Einzelnachweise

  1. a b c d e f g h i j k l m n o Rangliste des Deutschen Reichsheeres, Mittler & Sohn Verlag, Berlin, S. 107.