Philipp Auerbach

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Philipp Auerbach (* 8. Dezember 1906 in Hamburg; † 16. August 1952) war in der Zeit von 1946 bis 1951 Staatskommissar für rassisch, religiös und politisch Verfolgte in München. Er war vor allem für die Wiedergutmachung ehemaliger Verfolgte des NS-Regimes zuständig. Daneben war er Mitglied des ersten Direktoriums des Zentralrats der Juden in Deutschland. 1951 wurde ein Prozess gegen Auerbach geführt. In der Nacht nach der Urteilsverkündigung beging Auerbach Suizid.

Lebenslauf und Wirkung

Philipp Auerbach wurde am 8. Dezember 1906 als Sohn jüdischer Eltern in Hamburg geboren. Er war Mitglied in etlichen jüdischen Gemeinden, der DDP und des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold. 1934 floh er mit Frau und Tochter nach Belgien. Dort baute er sich eine chemische Fabrik und eine Import- und Exportfirma auf. Zeitweise arbeiteten 2.000 Mitarbeiter dort. Durch Lieferung von Benzin, Chemikalien und anderem unterstützte Auerbach Antifaschisten in Spanien. 1940 wurde er von den Nationalsozialisten verhaftet und war Insasse in einigen KZs, darunter Buchenwald und Auschwitz. 1945 wurde er von den Amerikanern befreit und zog nach Düsseldorf. Dort bekam er eine Stelle in der Regierung in der Abteilung „Fürsorge für politisch, religiös und rassisch Verfolgte.“ Auerbach trat der SPD bei. Sein eigenständiges Vorgehen bei der Entnazifizierung brachte ihn in Misskredit bei der britischen Militärbehörde. Unter dem Vorwurf etwa der Undiszipliniertheit und des unberechtigten Führens eines akademischen Grades wurde er am 15. Januar 1946 entlassen.

Am 15. September 1946 wurde Auerbach bayerischer Staatskommissar für rassisch, religiös und politisch Verfolgte in München. Er war allgemein für die Wiedergutmachung von ehemaligen Verfolgten des NS-Regimes zuständig. Sein Aufgabenspektrum war umfassend. Er kümmerte sich um juristischen Rat, Umzüge, Wiedereingliederung in die Wirtschaft, Entschädigungszahlungen und Rückerstattungen. Außerdem half Auerbach auch bei der Entnazifizierung, indem er zu Verhaftungen von ehemaligen Nationalsozialisten beitrug. Er verhalf über 80.000 DPs bei der Auswanderung. Auerbach wirkte auch beim Einführen von Gesetzen wie dem Bundesentschädigungsgesetz mit.

Philipp Auerbach war äußerst ehrgeizig und wollte alle Verfolgte rehabilitieren. Er führte etwa den Begriff der „erotisch Verfolgten“ ein, der ungefähr dem heute verwendeten Begriff Sexuelle Belästigung entspricht[1] , und forderte für diese Opfer und auch für die in der Gesellschaft verschmähten Roma und Sinti Wiedergutmachung. Sein Nachfolger Karl Heßdörfer beschrieb ihn als cholerisches Temperament, als 'Mann mit Eigenschaften': machtgierig, narzisstisch, selbstherrlich, aber auch hilfsbereit, gutmütig und selbstlos. Bei seinen Mitarbeitern (auch den nichtjüdischen) war er sehr beliebt. Vorschriften jeder Art verachtete er, sein Verwaltungsstil hatte einen Zug ins Chaotische.“[2] Auerbach arbeitete sehr unbürokratisch und chaotisch. In seiner Doppelrolle als Vertreter des Staates und als jüdischer Vertreter von Verfolgten kritisierte er öffentlich milde Entnazifizierungsurteile und antisemitische Äußerungen. Er überschritt oft seinen Kompetenz- und Zuständigkeitsbereich, polarisierte und machte sich zahlreiche Gegner. Schon zu seiner Zeit in KZs ergingen gegen ihn unbewiesene Vorwürfe der Zusammenarbeit mit Kapos. Der kommunistisch ausgerichtete VVN machte nach dem Austritt des Gründungsmitglieds Auerbach Kampagne gegen ihn. Jüdische Verbände positionierten sich gegen Auerbach, da er eine pauschale Wiedergutmachung zu verhindern suchte. Auch in großen Teilen der Bevölkerung und bei den Medien wurde Auerbach zum Feindbild. Seine Hauptgegner waren der Justizminister Josef Müller und die amerikanische Militärbehörde. Josef Müller ließ ab 1949 alle Vorwürfe gegenüber Auerbach von einem Anwalt sammeln. Auerbach fand zunächst Unterstützung seitens der amerikanischen Militärbehörde, doch nachdem die meisten DPs ausgewandert waren, wurde er nicht mehr gebraucht. Neue Ziele wie die Bekämpfung des Kommunismus und der Wiederaufbau genossen Priorität. Josef Müller und die U.S. Militärbehörde waren hauptverantwortlich für die Anklagen und den Prozess gegen Philipp Auerbach.

Gerichtsprozess und Folgen

Auerbach wurde angeklagt wegen: 3x Amtsunterschlagung, 2x Erpressung, 5x Untreue, 4x Betrug, 2x wissentlich falschen Versicherungen an Eidesstatt, 1x unbefugtes Führen eines akademischen Grades, 1x Vergehen gegen das Währungsgesetz. Zentralpunkt der Anklage bildete der Fall „Wildflecken“, wonach A. angeblich für 111 fiktiv zur Auswanderung entschlossen jüdische DPs, 250.000 DM von der Stuttgarter Entschädigungsbehörde zu erhalten versucht hatte.

Alle Prozessbeteiligten hatten eine nationalsozialistische Vergangenheit. Der Richter Josef Mulzer war ehemaliger Oberkriegsgerichtsrat und früher Kollege von Josef Müller. Ein Beisitzer war ein ehemaliges Mitglied der SA. Der weitere Besitzer, der Vorsitzende, die Staatsanwälte und der psychiatrische Sachverständiger waren ehemalige NSDAP-Mitglieder.

Auerbach wurde eine Aussage vor dem Untersuchungsausschuss verwehrt und somit eine Gelegenheit genommen, in der Öffentlichkeit die politischen Hintergründe des Falles darzustellen. Der Hauptbelastungszeuge hatte ein laufendes Verfahren wegen Meineides und wurde später zu einem Jahr Haft verurteilt. Der Prozess enthielt starke antisemitische Konturen. Der Anwalt von Auerbach erhielt Schmähbriefe mit Worten wie „du dreckiges, ungeschlachtetes Judenschwein“. Der Richter begegnete dies mit der Aussage, dass er auch Briefe mit Beleidigungen bekäme. Als der Anwalt auf die KZ-Haft von Auerbach verwies, entgegnete der Richter, dass er auch selbst in russischer Kriegsgefangenschaft war, und rechnete das Schicksal des Angeklagten mit seinem eigenen auf. Die Presse, etwa die „Süddeutsche Zeitung“ und „Der Spiegel“ hetzte antisemitisch gegen Auerbach. Unmittelbar nach Ende der Nürnberger Prozesse war dies ein weiterer bedeutender Prozess in Deutschland, worüber unter anderem in der New York Times berichtet wurde.

Die Zeugenaussagen entlasteten Auerbach; einige Belastungszeugen widerriefen ihre Aussagen. Dennoch wurde Auerbach unter anderem wegen: 1x Erpressungsversuch, 3x Bestechung, 4x Untreue, 2x versuchter falscher Versicherung an Eidesstatt, Amtsunterschlagung und unbefugter Führung eines akademischen Grades schuldig gesprochen und zu einer Gefängnisstrafe von 2,5 Jahren und einer Geldstrafe von 2700 DM verurteilt. Er selbst verwies auf Parallelen mit der Dreyfus-Affäre. Er bekannte sich schuldig des unrechtmäßigen Führens eines akademischen Grades. In der Nacht nach der Urteilsverkündigung nahm sich Philipp Auerbach das Leben mit einer Überdosis an Schlaftabletten. In einem Abschiedsbrief schrieb er etwa: „…Ich habe mich niemals persönlich bereichert und kann dieses entehrende Urteil nicht ertragen. Ich habe bis zuletzt gekämpft, es war umsonst.“[3]


Der Fall Philipp Auerbach widerspiegelt deutlich die antisemitischen Ressentiments der Nachkriegszeit. Der Nachkriegsantisemitismus seitens der Massenmedien, Politiker und einem Großteil der Bevölkerung projizierte sich auf Philipp Auerbach. „Jedes vom Juden begangene Delikt war wie eine Rechtfertigung für die Verbrechen der Nazis“[4]. Gewürdigt wurde Auerbach nur durch die französische Regierung, die ihn mit dem höchsten Orden der Widerstandsbewegung auszeichnete.

Literatur

  • Hannes Ludyga: Philipp Auerbach (1906-1952) Berliner Wissenschafts-Verlag
  • Wolfgang Kraushaar „Die Auerbach-Affäre“ aus "Leben im Land der Täter Juden im Nachkriegsdeutschland (1945-1952)" von Julius H. Schoeps Jüdische Verlagsanstalt Berlin S.208 bis 218
  • Karl Bachsleitner „Der Fall Philipp Auerbach“ Unterrichtsmaterialien aus "Geschichte lernen" S.33-41
  • Gerhard Fürmetz „Ein Fall für den Staatskommissar“ aus "Wiedergutmachung als Auftrag Begleitband zur gleichnamigen Dauerausstellung - Geschichtsort Villa ten Hompel" von Alfons Kenkmann / Christoph Spieker / Bernd Walter (Hg.)
  • „Der Spiegel“ „Was nie zur Sprache kam“ vom 20. August 1952
  • Constantin Goschler „Wiedergutmachung - Westdeutschland und die Verfolgten des Nationalsozialismus (1945-1954)

Einzelnachweise

  1. DDR-Justiz und NS-Verbrechen
  2. Gerhard Fürmetz: Neue Einblicke in die Praxis der frühen Wiedergutmachung in Bayern: Die Auerbach-Korrespondenz im Bayerischen Hauptstaatsarchiv und die Akten des Strafprozesses gegen die Führung des Landesentschädigungsamtes von 1952 zit. n. Karl Heßdörfer: Die Entschädigungspraxis im Spannungsfeld von Gesetz, Justiz und NS-Opfern in: Herbst / Goschler (Hg.): Wiedergutmachung 231-248, hier: 233.Online verfügbar abgerufen 28. Mai 2008
  3. Hannes Ludyga: Philipp Auerbach S.129 BW-Verlag 2006 Berlin
  4. Wolfgang Kraushaar: Die Auerbach-Affäre in Julius H. Schoeps: Leben im Land der Täter Juden im Nachkriegsdeutschland (1945-1952) Jüdische Verlagsanstalt Berlin S.217