Phytoöstrogene

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Phytoöstrogene, auch Phytoestrogene, sind sekundäre Pflanzenstoffe, zu denen unter anderem Isoflavone und Lignane gehören. Sie sind keine Östrogene im chemischen Sinne, sondern besitzen lediglich strukturelle Ähnlichkeit mit diesen. Diese Ähnlichkeit ermöglicht eine Bindung an Estrogenrezeptoren, wodurch eine östrogene oder auch antiöstrogene Wirkung erzielt werden kann, d. h., sie wirken als Endokrine Disruptoren. Ihre Wirkung ist wesentlich geringer als die von Östrogen.[1] Die bekanntesten Phytoöstrogene sind die Isoflavone Genistein, Daidzein und Coumestrol.

Entdeckung

Die erste Pflanze, deren phytoöstrogene Wirkung überliefert wurde, ist das Sylphion (Ferula historica). Es diente als Verhütungsmittel, und die Nachfrage danach war so groß, dass es im 2. oder 3. Jahrhundert n. Chr. wegen Übernutzung ausstarb.

Den Chemikern Loewe und Spohr gelang 1926 erstmals der Nachweis des Phytoöstrogens Östriol in Weidenkätzchen (200 Mäuseeinheiten (ME) östrogene Wirksamkeit pro kg Frischsubstanz). In den folgenden Jahren wurden mehrere dieser Stoffe in verschiedensten Pflanzen, wie z. B. Palmenkernen, Rhabarberwurzeln und Rotklee nachgewiesen. Eine Darstellung von 36 verschiedenen Pflanzenöstrogenen gelang 1954 durch Bradbury und White.

Im Jahr 1930 wurden in Westaustralien Weideflächen unter anderen mit Erdklee (Trifolium subterraneum L.) für Schafzüchter erschlossen. 1941 beobachtete man schwerste Fruchtbarkeitsstörungen bis hin zur Sterilität bei den weiblichen Tieren, welche auf die Phytoöstrogene im Erdklee zurückgeführt werden konnten. Die männlichen Tiere wiesen eine starke Vergrößerung der akzessorischen Geschlechtsdrüsen auf, die oftmals bis zum Tod führte. Gleiche Schäden traten auch bei den Weidepflanzen Luzerne und Rotklee auf und ließen sich ebenfalls für Rinder nachweisen. So berichtet Thain 1965 über auftretende Herdensterilität bei Jersey-Rindern in Tasmanien, wo die Weidenarbe bis zu 80 % aus Erdklee bestand. Weiterhin wurde in Israel 1966 von Lotan und Adler ein deutlicher Zusammenhang zwischen Verfütterung von Luzerne und Zyklusstörungen bei Rindern nachgewiesen. Auch ein Pilzbefall der Pflanzen und Silierung scheint die Östrogenwirkung der Pflanzen stark zu steigern. Bei Luzerne bewirkten Blattfleckenkrankheiten abnorm hohe Phytoöstrogengehalte (Krause 1970).[2]

Vorkommen in Lebensmitteln

Besonders reich an den Vorläufern der im menschlichen Organismus aktiven Isoflavone sind Sojabohnen und daraus hergestellte Produkte. Lignane finden sich vor allem in Leinsamen. Weitere Quellen für Phytoöstrogene sind Hülsenfrüchte, Getreidekleie und Getreide. In etwas geringerer Konzentration sind sie auch in vielen Gemüse- und Obstsorten, Samen, Hopfen, Salbei, Tee und einigen alkoholischen Getränken wie Bier, Wein und Bourbon (Whiskey) enthalten. Wie hoch der Phytoöstrogengehalt eines Lebensmittels ist, wird zudem von Sorte, Klima, Erntezeit und Fruchtreife beeinflusst.

Lebensmittel Isoflavone mg/100g (Frischgewicht) Isoflavone mg/100g (Trockengewicht)
Sojamehl 171[3]–173[4]
Sojamehl entfettet 155[4]
Sojabohnen 50–150[3][5][6]
Sojanüsse 149[4]
Natto 82[4]
Miso 60[5]–77[3]
Rotwein 30–50[6]
Bier 15–50[6]
Tofu 14–50[5][6]
Yuba 45[4]
Sojamilch 4,7–9,7[5][3]
Sojasoße 5,2[3]
Lakritze 0,9[3]
Erbsen 0–7,3[5]
Bohnen 0–6,3[5]
Sojaöl 0[4]
Lebensmittel Lignane µg/100 g
Leinsamen 370.000–384.500[6][5][3]
Kürbiskerne 20.300[3]–21.400[5]
Erdbeeren 1.578[5]
Oliven 1.254[5]
Tee, Schwarz 1.100[6]
Cranberry 1.054[5]
Rotwein 1.000[6]
Sonnenblumenkerne 818[3]
Haferkleie 790[3]
Kürbis 695[3]
Weizenkleie 664[3]
Sesamsamen 661[3]
Brombeere 569[3]
Knoblauch 520[3]
Erdnüsse 460[3]
Linsen 457[3]
Spargel 442[3]
Brokkoli 256[3]–437[5]
Weizen, ganzes Korn 410[3]
Karotten 381[3]
Süßkartoffel 336[3]
Aprikose, getrocknet 328[3]
Nüsse 96–257[5]
Sojabohnen 10–200[6]
Roggen 112[5]
Gerste 58[5]
Lebensmittel Coumestrol μg/100 g
Alfalfasprossen 1.197[3]
Mungobohnenspr. 685[3]
Sojabohnenspr. 537[3]
Pintobohnen 301[3]
Lebensmittel Formononetin μg/100 g
Alfalfasprossen 1.126[3]
Lakritze 1.493[3]
Grüne Bohnen 1055[3]
Sojabohnensprossen 187[3]

Ökologische Bedeutung

Eine Pflanzenart, die Phytoöstrogene produziert, hat den Vorteil, dass die Population ihrer Fressfeinde, z. B. Schafe und Vögel, durch die fertilitätsmindernde östrogene Wirkung in Grenzen gehalten wird. Dadurch hat die Art eine größere Überlebenschance. Dies ist allerdings nur ein ökologischer Sekundäreffekt, da er die einzelne Pflanze selbst nicht vor dem Fressfeind schützt. Die wesentliche biologische Bedeutung liegt in der Eigenart dieser Polyphenol-Verbindungen als Farb-, Gerb- und Bitterstoff, welche die Pflanzen ungenießbar oder schwer verdaulich machen oder abschreckend erscheinen lassen. Viele Phytoöstrogene sind zudem Mikrobizide: Sie schützen die Pflanze vor Pilzen und Bakterien.

Gesundheitliche Auswirkungen

Die gesundheitliche Bedeutung von Phytoöstrogenen wird vielfach diskutiert. Zum einen sagt man ihnen positive Effekte auf die Gesundheit und Lebenserwartung nach, daneben existieren auch Hinweise auf negative Eigenschaften bei zu hohen Mengen in der Nahrung. Trotz zahlreicher Studien gibt es bislang kein eindeutiges Bild der gesundheitlichen Wirkungen.[7]

Die Konzentration von Phytoöstrogenen im Urin schwankt je nach Ernährung. Japaner haben Teils um den Faktor 50 mehr Phytoöstrogene im Urin als Amerikaner.[8]

Hormonelle Zusammenhänge

Diskutiert werden positive Effekte bei Brustkrebs und zur Linderung von Beschwerden in den Wechseljahren.

Beobachtungen und Versuche an Tieren zeigten Einfluss auf die Fruchtbarkeit. Hingegen wurde bei Kindern, die lange und regelmäßig Phytoöstrogene konsumierten, im Erwachsenenalter kein Effekt festgestellt.[9]

Babynahrung

Während in den USA Soja-basierte Babynahrung, welche einen hohen Anteil an Phytoöstrogenen enthält, ziemlich gebräuchlich ist, sind solche Präparate in Deutschland nur gegen Rezept erhältlich.

Bei Babys, welche Babymilch auf Soja-Basis bekamen, kann die Konzentration von Isoflavonen im Blut um den Faktor 13.000 bis 20.000 ansteigen. 2006 lagen zu wenige Daten vor, um zu beurteilen, ob dies einen negativen Effekt hat.[10]

Nahrungsergänzungsmittel

Zurzeit ist man sich einig, dass bei Erwachsenen eine Menge, die normal mit der Nahrung aufgenommen wird, relativ unbedenklich ist und sogar gesund sein kann.[11] In einer Mitteilung[12] des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) schließt sich dieses der Einschätzung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) an, dass bei Einhaltung der von der EFSA empfohlenen Dosierung und Dauer die Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln mit isolierten Isoflavonen bei Frauen ohne bestehende östrogenabhängige Erkrankungen in der Zeit während oder nach der Menopause als hinreichend sicher anzusehen ist. Um jedoch das Vorliegen von möglicherweise vorhandenen östrogenabhängigen Erkrankungen abzuklären, empfiehlt das BfR ärztlichen Rat vor Einnahme solcher Präparate einzuholen.

Bier

Es wird inzwischen angenommen,[13] dass die bei regelmäßigem Biergenuss auftretende Gynäkomastie zumindest teilweise auf im Bier enthaltene Phytoöstrogene zurückzuführen ist, da der zur Bierherstellung verwendete Hopfen kleine Mengen dieser wie Östrogene wirkenden Substanzen enthält.[14][15] Allerdings tritt eine sogenannte falsche Gynäkomastie auch im Rahmen einer Adipositas auf, wie sie bei Biertrinkern häufig zu beobachten ist. Diese kann mit einer echten Gynäkomastie (tatsächlich vergrößerte Brustdrüsen) kombiniert sein, da (besonders intraabdominelles) Fettgewebe die Fähigkeit hat, Androgene in Östrogene umzuwandeln.

  • Phytoestrogens auf e.hormone, einer Webseite des Tulane/Xavier Center for Bioenvironmental Research (englisch)

Einzelnachweise

  1. B. Watzl, C. Leitzmann: Bioaktive Substanzen in Lernmitteln. 3. Auflage. Hippokrates-Verlag, Stuttgart 2005.
  2. Arno Hennig (Hrsg.): Mineralstoffe, Vitamine, Ergotropika. Deutscher Landwirtschaftsverlag, Berlin 1972. S. 407ff
  3. a b c d e f g h i j k l m n o p q r s t u v w x y z aa ab ac ad ae Regina Verena Piller: Phytoöstrogene in der Ernährung und ihr Einfluss auf das Risiko für Brustkrebs (Dissertation). In: http://mediatum.ub.tum.de/. Technische Universität München, 12. Juni 2006, abgerufen am 2. August 2020.
  4. a b c d e f Angela Mörixbauer: Soja, Sojaisoflavone und gesundheitliche Auswirkungen. In: https://www.ernaehrungs-umschau.de/. Ernährungs Umschau, März 2019, abgerufen am 2. August 2020.
  5. a b c d e f g h i j k l m n o Dr. oec. troph. Antonie Danz: Phytoöstrogene - Pflanzenstoffe mit Hormonwirkung. In: https://www.ugb.de/. Der Verband für Unabhängige Gesundheitsberatung (UGB), 2015, abgerufen am 2. August 2020.
  6. a b c d e f g h Untersuchung auf östrogenartige Stoffe mit einem Biotest. In: https://www.laves.niedersachsen.de/. Niedersächsisches Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit, 2011, abgerufen am 2. August 2020.
  7. Biomonitoring Summary | CDC. 24. Mai 2019, abgerufen am 4. März 2021 (amerikanisches Englisch).
  8. Biomonitoring Summary | CDC. 24. Mai 2019, abgerufen am 4. März 2021 (amerikanisches Englisch).
  9. Biomonitoring Summary | CDC. 24. Mai 2019, abgerufen am 4. März 2021 (amerikanisches Englisch).
  10. Biomonitoring Summary | CDC. 24. Mai 2019, abgerufen am 4. März 2021 (amerikanisches Englisch).
  11. Tulane University’s endocrine disruption tutorial about Phytoestrogens
  12. Nahrungsergänzungsmittel mit isolierten Isoflavonen (PDF; 41 kB) Mitteilung Nr. 043/2015 des BfR vom 16. November 2015.
  13. JS Gavaler: Alcoholic beverages as a source of estrogens. In: Alcohol health and research world, 1998, PMID 15706799, Volltext (PDF; 153 kB)
  14. ER Rosenblum et al.: Isolation and identification of phytoestrogens from beer. In: Alcohol Clin Exp Res, 1992, PMID 1443418
  15. SR Milligan et al.: Identification of a potent phytoestrogen in hops (Humulus lupulus L.) and beer. In: J Clin Endocrinol Metab, 1999, PMID 10372741