Tanzbär

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Braunbär für Vorführungen in Sankt Petersburg

Ein Tanzbär ist ein Braunbär, der dressiert wurde, auf Kommando tanzähnliche Bewegungen auszuführen. Vorführungen mit abgerichteten Bären auf öffentlichen Plätzen und für geschlossene Gesellschaften waren in Europa vom Mittelalter bis in die ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts üblich. Die nahezu überall als Tierquälerei verbotene Praxis gibt es heute noch vereinzelt, vor allem in Indien, Südost- und Osteuropa.

Geschichte

Tanzbärenhalter spielt Gadulka. Sofia 1994

Seit der Steinzeit sind Bären in Jagdritualen verehrt worden. Ihre magische Bedeutung kommt in zahlreichen nordeuropäischen und nordasiatischen Mythen zum Ausdruck. In Finnland gab es die Vorstellung, dass der Bär nur deshalb angreift, weil in ihn die Seele eines bösen Menschen gefahren ist. In Sibirien wurde die Klugheit des Bären damit erklärt, dass ein Mensch sich in ihn verwandelt habe. Jakuten und andere sibirische Jägervölker betrachteten den Bären als Waldgeist. Trommelnde Schamanen bereiteten die Jagd auf ihn vor. Nur Männer durften sein Fleisch verzehren, wobei seine Knochen sorgfältig gesammelt und hoch an einem Baum oder auf einem Holzgestell im Wald abgelegt werden mussten.[1] Es gab nordamerikanische Indianer, die einen Bärentanz aufführten. In der mittelalterlichen christlichen Kunst galten Bären als mit dem Teufel verbundene Bestien.[2] Die in Europa seit dem Mittelalter durch schriftliche Quellen und Abbildungen belegte Zurschaustellung von dressierten Bären lebt aus der Vorstellung von der Gefährlichkeit des wilden Tieres, das durch etwas so Sanftes wie Musik bezwungen wird und eine Transformation von einem magisch-animalischen zu einem kulturellen Wesen mitmacht. Tatsächlich beruht der vermeintliche Tanz des Bären zur Musik auf einer Täuschung des Publikums, auf die es ebenso der indische Schlangenbeschwörer anlegt, der einer tauben Kobra auf dem Blasinstrument Pungi vorspielt.

Eine Zeichnung von Hans Burgkmair von 1493 zeigt einen aufrecht stehenden Tanzbären, der sich mit seiner linken Tatze auf einen Stock stützt, an den er mit seinem Maulkorb gekettet ist, während die rechte Tatze schlaff herunterhängt. Das Wappen des Malers zierten zwei Bärenköpfe. Sein Werk ist typisch für die damalige Vorliebe für Genreszenen. Burgkmairs Motiv wiederholte der Graphiker Hans Weiditz, der 1521 den Buchstaben K aus dem Kinderalphabet von Augsburg mit einem Tanzbären illustrierte. Dieser auf einen Stock gestützte Tanzbär taucht noch um 1650 auf einem anonymen Kupferstich auf, der in Iohannes Ionstonus, Historia Naturalis de Quadrupedibus, enthalten ist. Hier dirigiert ein Tanzbärenführer in einem römischen Gewand zwei Bären an Ketten: einen stehenden mit Stock und einen sitzenden, der einen Hut zwischen seinen angewinkelten Vorderpranken hält.[3]

Tanzbär. Deutsche Schulbuchillustration von 1810
Der Bärenführer. Gemälde von Friedrich Preller d.Ä., 1824. Begleitet von einem Musiker mit Tabor und Einhandflöte. Museum im Weimarer Stadtschloss

Die mittelalterlichen Tanzbärenhalter waren fahrende Schausteller, die mit ehrlosen Trickspielern, Seiltänzern und Spaßmachern eine kaum geachtete bunte Truppe bildeten und für wenige Tage in einer Stadt auftauchten. Dressierte Hunde, Affen oder Kaninchen wurden in derselben Weise vorgeführt. Neben der Unterhaltungsbettelei vor einfachen Leuten durften Aufführungen auch in Rathäusern und vor Adligen am Hof stattfinden. Dies geht aus dem altfranzösischen, Ende des 11. Jahrhunderts entstandenen Rolandslied hervor, wie aus der altschwedischen Thidrekssaga aus dem 13. Jahrhundert. In letzterer Erzählung näht der Spielmann Isung den Helden Vildiver, der einen Bären erlegt hat und nun dessen Fell mit sich trägt, in ebendieses Fell ein. So treten sie als Tanzbärengespann auf, damit sie unerkannt zum Wilzenkönig Osantrix vorgelassen werden und ihn töten können.[4]

In Russland traten die Skomorochen als Gaukler und Bärenführer seit dem 11. Jahrhundert auf. Genaueres über sie ist seit dem 16. Jahrhundert aus Erlebnisberichten westeuropäischer Reisender zu erfahren, die sich in Moskau aufhielten. Der österreichische Gesandte Siegmund Freiherr von Herberstein (1486–1566) sah 1526 auf einer seiner Reisen, wie in einem besonders kalten Winter Bärenführer mit ihren Tieren erfroren waren und am Wegesrand liegen blieben. Am Hof des russischen Großfürsten wurde er mit anderen Botschaftern zu einem Haus eingeladen, in dem mehrere Bären eingesperrt waren, die einzeln herausgelassen und vorgeführt wurden. Adam Olearius (1599–1671) schreibt in seiner 1656 veröffentlichten Vermehrte Newe Beschreibung Der Muscowitischen und Persischen Reyse über „Bärendäntzer“, die mit „Comedianten“ und „Bierfidlern“ unterwegs waren. Im 16. Jahrhundert reisten in Deutschland besonders Polen als Tanzbärenhalter umher. In den Ratserlässen mehrerer Städte, darunter Nürnberg, wird darüber berichtet. Festgehalten ist, welche Entlohnung die Polen in den Trinkstuben von Leipzig (1585) und Rothenburg ob der Tauber (1597) und im kaiserlichen Schloss in Linz (1732, 1735) erhielten. Eine Konkurrenz zu den umherziehenden Polen und Ungarn stellten seit Anfang des 15. Jahrhunderts die aus dem Balkan kommenden Roma dar.

Die üblichen Begleitinstrumente des Bärentanzes waren Trommeln wie die Rahmentrommel Daira in Rumänien und Pfeifen. Daneben bliesen die Musikanten gebogene „trumeten“ (Trompeten) und das Platerspiel, eine einfache Form der Sackpfeife ohne Bordunrohr, aber mit schrillem Klang. Der mit einer Schnur an einem Nasenring geführte Bär musste dazu mit einer Peitsche angetrieben werden. Nach einem Flugblatt aus dem 16. Jahrhundert gab es damals schon einige Zeitgenossen, die einen solcherart vorgeführten Bärentanz als zwangvoll kritisierten.[5]

Die Dressur

Zwei Bären am Nasenring. Camargue, 1921

Der Bär wird nach dem verhaltenspsychologischen Muster der Konditionierung dressiert: Während dem Bären Musik dargeboten wird, wird er mit einer erhitzten Eisenplatte, Stichen und anderen Qualen dazu gezwungen, einem vorgegebenen Bewegungsschema zu folgen. Nach abgeschlossener Dressur („Akquisitionsphase“) dient die Musik als „konditionierter Reiz“ der klassischen Konditionierung und löst das schmerzvermeidende Bewegungsschema aus, das durch die positive und negative Verstärkung mit der Eisenplatte konditioniert wurde. Zudem umkreisen in Gefangenschaft lebende Bären im Stand häufig die eigene Körperachse mit der Kopf- und Schulterpartie.

Tierquälerei und Tierschutz

Zu den volkstümlichen Vergleichen mit Tierarten gehört: „Er bekommt Prügel wie ein Tanzbär.“[6] Die Dressur wird wegen des Einsatzes intensiver Schmerzreize und der Verletzungsgefahr als Quälerei betrachtet. Da Tanzbären darüber hinaus einen für sie schmerzhaften Nasenring tragen müssen und nicht art- und verhaltensgerecht untergebracht, ernährt und gepflegt werden, ist häufig der Tatbestand der Tierquälerei erfüllt. Tierschützer setzen sich daher für ein Verbot der Tanzbärhaltung und -dressur ein und versuchen, die oft kranken oder extrem verhaltensgestörten Tiere freizukaufen.[7]

In Bulgarien ist die Dressurmethode seit 1998 verboten, es gibt sie aber immer noch. Insbesondere bei den Roma-Familien hat die Tanzbärenhaltung dort eine lange Tradition. Die Tierschutzvereinigung Vier Pfoten gründete ein Reservat in Beliza, in dem 23 ehemalige Tanzbären auf bewaldeten Hügeln leben.[8] Eine Auswilderung von Tanzbären ist nicht mehr möglich, weil die Bären zu wenig Scheu vor Menschen zeigen und nicht gelernt haben, sich in der Natur zu behaupten.[9]

Verbreitung

Ein Tanzbär um 1970 in Samsun. Sein Halter schlägt die Rahmentrommel Def.

Über Braunbären in deutschen Zirkussen wird nur noch äußerst selten berichtet,[10] da keine Haltungsgenehmigungen mehr für Bären in Zirkussen ausgestellt werden. Nach mehreren Unfällen mit Bären, zuletzt im Jahr 2009, wurde dem Circus Universal Renz die weitere tierschutzrechtliche Genehmigung versagt.[11]

Tanzbären finden sich unter anderem in Russland, Bulgarien, Rumänien, Serbien und in der Türkei. Dort dienen sie als Zirkusattraktion oder werden von fahrenden Schaustellern auf der Straße vorgeführt, um Geld zu sammeln. Auch einige Veranstalter von Pauschalreisen und Kreuzfahrten in diese Länder hatten Vorführungen als Touristenattraktion 2005 noch im Angebot.

Am 21. Juni 2007 berichtete n-tv, dass die letzten drei Tanzbären Bulgariens nicht mehr in den Händen ihrer ehemaligen Besitzer sind. Die drei Bären wurden aus dem bulgarischen Gezowo in den 500 Kilometer entfernten Tanzbärenpark in Beliza gebracht, der von Vier Pfoten geleitet wird.[12]

In Rumänien wurde bei der Stadt Brașov von der Tierschutzorganisation World Society for the Protection of Animals (WSPA) ein ähnliches Reservat wie in Beliza für Tanzbären und Bären aus nicht-artgerechter Haltung errichtet. In Rumänien ist die Tanzbärenhaltung und -vorführung gesetzlich verboten.

In Griechenland wurde Ende der 1990er-Jahre von einer NGO namens „Arcturos“ ein Bärenrefugium in Nimphaeo eingerichtet, dort wurden mithilfe der Regierung alle Tanzbären des Landes untergebracht.

In Kroatien und Makedonien verschwand die Tanzbärendarbietung nach dem Zerfall Jugoslawiens. In Serbien ist sie stark zurückgegangen, wird im Osten des Landes aber noch von Roma praktiziert. Nach Auskunft von Vier Pfoten läuft derzeit die Rettung der letzten Tanzbären Serbiens. Auch in Albanien soll es noch Tanzbären geben, ebenso noch etliche in den ehemaligen Staaten der Sowjetunion.

1998 wurde in Indien die Vorführung von Tanzbären verboten.[13] Dennoch fällt es schwer, der sozialen Gruppe der Kalandars oder Madari, die in Indien mit der Dressur und Vorführung von Lippenbären beschäftigt ist, eine alternative Lebensgrundlage anzubieten. Sie machen mit kleinen Sanduhrtrommeln auf sich aufmerksam und singen oder erzählen Geschichten.[14]

Tanzbären in der Kunst und populärer Kultur

Der Tanzbär ist der Titel von Gedichten und Parabeln von Gotthold Ephraim Lessing, Christoph von Schmid, Christian Fürchtegott Gellert (1746) und Gottlieb Konrad Pfeffel (1789).

Ein als Tanzbär verkleideter Mensch spielt eine Rolle in Smetanas komischer Oper Die verkaufte Braut.

Im Kinderbuch Tanzbärenmärchen von Ulrich Mihr und dem darauf basierenden vierteiligen Marionettenspiel der Augsburger Puppenkiste (1984) spielen zwei Tanzbären die Hauptrolle.

Tanzbären war die ursprüngliche Bezeichnung der Goldbären der Firma Haribo.

Belege

  1. Uno Harva: Die religiösen Vorstellungen der altaischen Völker. FF Communications N:o 125. Suomalainen Tiedeakatemia, Helsinki 1938, S. 444f
  2. Wilhelm Molsdorf: Christliche Symbolik der mittelalterlichen Kunst. Karl W. Hiersemann, Leipzig 1926, S. 133
  3. Tilman Falk: Zu Burgkmairs Zeichnung des Tanzbären: In: Berliner Museen, 12. Jahrgang, Heft 1, Staatliche Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, 1962, S. 1–3
  4. Otto Höfler: Kleine Schriften: Ausgewählte Arbeiten zur germanischen Altertumskunde und Religionsgeschichte, zur Literatur des Mittelalters, zur germanischen Sprachwissenschaft sowie zur Kulturphilosophie und Morphologie. Helmut Buske, Hamburg 1992, S. 29
  5. Walter Salmen: Zur Geschichte der Bärentreiber und der Tanzbären. In: Gustaf Hilleström (Hrsg.): Studia instrumentorum musicae popularis III. (Musikhistoriska museets skrifter 5. Festschrift für Ernst Emsheimer) Musikhistoriska museet, Stockholm 1974, S. 203–205
  6. Oskar Weise: Die volkstümlichen Vergleiche in den deutschen Mundarten. In: Zeitschrift für Deutsche Mundarten, 16. Jahrgang, 1921, S. 169–179, hier S. 175
  7. WDR Das Bärenzentrum in Karacabey/Türkei (Memento vom 24. November 2005 im Internet Archive).
  8. Tanzbärenpark Belitsa. Vier Pfoten
  9. Katrin Langhans: Der Der Bär im Hinterhof. reporterreisen.com
  10. Sechs Braunbären verschwinden spurlos aus Zirkus. Focus online, 27. März 2013
  11. Katja Schmidt: Scharfe Kritik an Bärenhaltung. Frankfurter Rundschau, 22. April 2009
  12. n-tv – Leiden beendet – Tanzbären in Schutzpark.
  13. Atula Gupta: Unbearable life of the Dancing Bears. Earth Times, 6. März 2012
  14. Communities for Conservation. (Memento vom 25. Juni 2011 im Internet Archive) Wildlife Trust of India
Commons: Tanzbär – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Wikisource: Der Tanzbär – Quellen und Volltexte

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