Thorak-Atelier

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Südseite des Thorak-Ateliers (2022)

Das Thorak-Atelier ist ein Gebäude in Baldham bei München, das 1941 als Arbeitsstätte für den nationalsozialistisch gesinnten Bildhauer Josef Thorak errichtet wurde. Am 5. Mai 1945 fanden dort die Verhandlungen zur Kapitulation der Heeresgruppe G statt. Später diente es unter anderem als Schule und Filmstudio, bis es 1989 zum Depot der Archäologischen Staatssammlung wurde.

Das Gebäude steht unter Denkmalschutz.[1]

Geschichte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Zeit des Nationalsozialismus (1937–1945)[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

1937 beauftragte Adolf Hitler den führenden NS-Architekten Albert Speer mit der Planung des Baus eines Ateliers für den Bildhauer Josef Thorak, welcher als einer der wichtigsten Bildhauer des Nationalsozialismus galt. Die Baukosten wurden von der bayerischen Finanzverwaltung übernommen. Das Gebäude entstand von 1938 bis 1941 in Baldham.[2] Der ausführende Architekt war Josef Schatz.[3] Das Bauwerk blieb stets im Eigentum des Staates, weswegen es auch Staatsatelier genannt wurde.[4]

In seinem Atelier arbeitete Thorak an monumentalen, oft überlebensgroßen Plastiken und Skulpturen. Dazu gehörten unter anderem Arbeiten für das Nürnberger Reichsparteitagsgelände, das Denkmal der Arbeit (eine der Reichsautobahn gewidmete Steinwendergruppe), eine überlebensgroße Hitler-Büste, sowie Statuen von Johann Bernhard Fischer von Erlach, Matthias Grünewald, Nikolaus Kopernikus und Friedrich dem Großen. Für seine Pferdeskulpturen wurden in einem Nebengebäude Pferde als Modelle gehalten.[5] Im März 1942 besuchten Joseph Goebbels und der italienische Minister für Volkskultur Alessandro Pavolini den Bildhauer in seinem Atelier.[4] 1943 produzierte Leni Riefenstahl unter der Regie von Arnold Fanck und Hans Cürlis die Kurzdokumentation Josef Thorak, Werkstatt und Werk, die Thoraks Atelier und einige seiner Werke zeigt.

Es gibt verschiedene Quellen, die den Einsatz von Zwangsarbeitern in und am Thorak-Atelier thematisieren. Der niederländische Journalist Nico Rost berichtet in seinem Tagebuch Goethe in Dachau aus dem KZ Dachau im Oktober 1944 von zwei Mithäftlingen, die Thorak als Zwangsarbeiter für „sein Atelier in der Nähe von Garmisch-Partenkirchen“ angefordert hätte („Man sende mir umgehend, gegen billigsten Preis, zwei tüchtige Bildhauer!“). Die beiden Häftlinge wurden jedoch letztendlich nicht zu Thorak geschickt, sondern in andere Konzentrationslager verlegt.[6] Nach Ansicht des Historikers Johannes Hofinger war in Thoraks Anfrage das Atelier in Baldham gemeint.[4]

Als Reaktion auf den Freispruch Thoraks vor der Spruchkammer München 1949 erhielt die Spruchkammer eine Einsendung eines Max R., nach dessen Aussage er „als politischer Häftling mit anderen aus [dem] KZ Dachau in Thoraks Park vor dem Atelier arbeiten“ musste.[7] Außerdem befand sich auf dem Gelände ein Gleisanschluss zum Transport von Skulpturen, der von Zwangsarbeitern errichtet wurde.[8]

Kriegsende und Nachkriegszeit (1945–1953)[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Thorak war bereits vor Kriegsende aus seinem Atelier ausgezogen. Danach diente das Gebäude als Lager für einige Exponate Münchner Museen, um sie vor den Bomben zu schützen.[9]

Am 5. Mai 1945 verhandelten der deutsche General Hermann Foertsch und der US-amerikanische General Jacob L. Devers im Thorak-Atelier über die Kapitulation der Heeresgruppe G. Am selben Tag unterzeichnete Foertsch die bedingungslose Kapitulation im Heim der Hitlerjugend im Nachbarort Haar, wobei der genaue Ort der Unterzeichnung umstritten ist.[10] Auf dem Thorak-Gebäude wurde die US-amerikanische Flagge gehisst.[8]

In den folgenden Jahren diente das Gebäude als Offizierskasino der US-amerikanischen Streitkräfte und wurde in dieser Zeit wegen Thoraks Pferdeskulpturen auch White Horse Inn genannt. 1947 zog das Militär ab, zerstörte dabei jedoch die im Park aufgestellten Pferdeskulpturen sowie eine Bronzeplastik Mussolinis.[11][8] Von 1947 bis 1949 wurde das Gebäude als Flüchtlingsunterkunft genutzt, später als Schule (die sog. Waldschule) und sogar als Kirchenraum.[9][12]

Filmstudio Divina-Studio Baldham (1954–1962)[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

1954 ließ Ilse Kubaschewski das Gebäude zum Filmstudio umbauen. Ihre Produktionsfirma KG DIVINA-FILM GmbH & Co. (ursprünglich Diana-Film) produzierte im Divina-Studio Baldham bis 1962 zahlreiche Filme, unter anderem die Filmreihe 08/15 (1954–1955),[2] die Filme Verrat an Deutschland (1955), Kirschen in Nachbars Garten (1956), Wo die alten Wälder rauschen (1956), Das alte Försterhaus (1956), Weißer Holunder (1957), Nachts, wenn der Teufel kam (1957), Heute blau und morgen blau (1957), Die Landärztin (1958), Heimatlos (1958), Der Haustyrann (1959), Heimat – Deine Lieder (1959), Der Gauner und der liebe Gott (1960) und Freddy und der Millionär (1961).[13]

Zu den bekannten Schauspielern und Regisseuren, die in dieser Zeit in Baldham arbeiteten, gehörten Mario Adorf, Karlheinz Böhm, Hans Clarin, Hans Jürgen Dietrich, Erich Engels, Heinz Erhardt, Gert Fröbe, Joachim Fuchsberger, Barbara Gallauner, Marianne Koch, Paul May, Willy Millowitsch, Freddy Quinn, Robert Siodmak, Grethe Weiser und Elmar und Fritz Wepper (noch als Kinderdarsteller).[13]

Lagerstätte für die Bayerische Staatsoper und die Archäologische Staatssammlung (seit 1963)[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Von 1963 bis 1983 diente das Gebäude der Bayerischen Staatsoper als Kulissenlager. Im Juli 1984 zerstörte der Hagelsturm von München das Glasdach und die Inneneinrichtung des Hauptraums, es stand der Abriss des Gebäudes im Raum. Nach einigen Jahren des Leerstands übernahm 1989 das Denkmalamt das Gebäude, es dient seither als Depot der Archäologischen Staatssammlung.[11] Da das Gebäude nicht klimatisiert wird, können nur unempfindliche Objekte, etwa aus Keramik oder Stein, aufbewahrt werden. Zu diesen Teilen gehören mehr als 45.000 Fundstücke aus Grabungen am Münchner Marienhof für die Zweite Stammstrecke München. Das gesamte Lager umfasst etwa 9.300 Regalmeter.[14] Der Öffentlichkeit ist das Gebäude nicht zugänglich, die Eröffnung eines Museums oder einer Dauerausstellung war jedoch mehrfach im Gespräch.[9][15][12]

Architektur und Gelände[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Nordwest-Seite des Thorak-Ateliers (2022)

Den Hauptteil des Gebäudes bildet eine 900 m² große Halle mit schwarzem Marmorboden, die von einem Glasdach bedeckt wird.[8][12] Nach Süden hin verfügt der Raum über drei Flügeltore mit etwa 12 Metern Höhe, um die gewaltigen Skulpturen Thoraks hinein und heraus transportieren zu können.[11] Die Tore basieren auf einer Aluminiumkonstruktion und lassen sich leicht von Hand öffnen.[3][2] Die Deckenhöhe beträgt etwa 17 bis 18 Meter.[Anm. 1] Rundherum schließen etwa halb so hohe Nebenräume an, die auch zum Wohnen genutzt wurden.

Architektonisch diente das Gebäude als Vorbild für das von Hans Freese entworfene Atelier für Arno Breker in Berlin-Dahlem (Kunsthaus Dahlem).[16] Auf dem insgesamt etwa drei Hektar großen Gelände befinden sich zwei Nebengebäude, die als Pferdeställe für Thoraks Pferdemodelle genutzt wurden.

Das Gelände ist heute vollständig umzäunt und grundsätzlich nicht frei zugänglich. Während heute der Eingang von der südlich angrenzenden Fichtenstraße erfolgt, war dieser zu Thoraks Zeiten von der nördlich gelegenen Waldstraße vorgesehen. Daran erinnern noch massive steinerne Pfeiler an der Waldstraße, die eine Toreinfahrt begrenzen. Gegenwärtig befindet sich an dieser Stelle jedoch ein Spielplatz.

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Sebastian Tesch: Albert Speer (1905–1981). Böhlau Verlag, Wien / Köln / Weimar 2016, ISBN 978-3-205-79595-7, S. 281–285.
  • Winfried Nerdinger, Architekturmuseum der TU München in Verbindung mit dem Stadtarchiv München (Hrsg.): Ort und Erinnerung: Nationalsozialismus in München. 3. Auflage. Anton Pustet, Salzburg / München 2006, ISBN 3-7025-0528-8, S. 67.
  • Claudia Friemberger, Bettina Scherbaum, Sabrina Schmidbauer, Silvia Wimmer: Die letzten und die ersten Tage: Amerikaner und Bayern begegnen sich. Fremdsicht und Eigenwahrnehmung am Ende des Zweiten Weltkriegs im Landkreis Ebersberg. Ein Geschichtsbuch von Schülern für Schüler. Hrsg.: Silvia Wimmer. 2008, S. 34 f., 51–53 (erzbistum-muenchen.de [PDF; 3,2 MB; abgerufen am 27. April 2022] Weitere Informationen zum Projekt).
  • Britta Kägler, Bettina Scherbaum, Sabrina Schmidbauer, Silvia Wimmer: Die letzten und die ersten Tage: Kriegsende und Besatzungszeit in Bad Aibling, Traunstein und Vaterstetten. Begleitpublikation zur Ausstellung gezeigt von Oktober 2009 bis Januar 2010 am Gymnasium Bad Aibling, am Humboldt-Gymnasium Vaterstetten und am Chiemgau-Gymnasium Traunstein. Hrsg.: Bettina Scherbaum. S. 16 f., 48 f. (erzbistum-muenchen.de [PDF; 3,5 MB; abgerufen am 27. April 2022]).

Film-Dokumentation[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Commons: Staatsatelier Thorak – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Baudenkmäler in der Gemeinde Vaterstetten. (PDF; 328 kB) Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege, 17. April 2021, abgerufen am 18. April 2022.
  2. a b c Winfried Nerdinger, Architekturmuseum der TU München in Verbindung mit dem Stadtarchiv München (Hrsg.): Ort und Erinnerung: Nationalsozialismus in München. 3. Auflage. Anton Pustet, Salzburg / München 2006, ISBN 3-7025-0528-8, S. 67.
  3. a b Sebastian Tesch: Albert Speer (1905–1981). Böhlau Verlag, Wien / Köln / Weimar 2016, ISBN 978-3-205-79595-7, S. 281–285.
  4. a b c Johannes Hofinger: Josef Thorak. In: Die Stadt Salzburg im Nationalsozialismus. Biografische Recherchen zu NS-belasteten Straßennamen der Stadt Salzburg. Stadt Salzburg, 6. Dezember 2020, abgerufen am 24. Januar 2022 (Version 2).
  5. Josef Thorak, Werkstatt und Werk. Kurzdokumentarfilm, 1943, 13:21 Min., Regie: Arnold Fanck und Hans Cürlis, Produktion: Riefenstahl-Produktion in Zusammenarbeit mit dem Kulturfilm-Institut (Hans Cürlis).
  6. Nico Rost: Goethe in Dachau. List Taschenbuch Verlag, 2001, ISBN 3-548-60023-9, S. 132–135 (niederländisch: Goethe in Dachau. Amsterdam 1946. Übersetzt von Edith Rost-Blumberg).
  7. Claudia Friemberger, Bettina Scherbaum, Sabrina Schmidbauer, Silvia Wimmer: Die letzten und die ersten Tage: Amerikaner und Bayern begegnen sich. Fremdsicht und Eigenwahrnehmung am Ende des Zweiten Weltkriegs im Landkreis Ebersberg. Ein Geschichtsbuch von Schülern für Schüler. Hrsg.: Silvia Wimmer. 2008, S. 34 f., 51–53 (erzbistum-muenchen.de [PDF; 3,2 MB; abgerufen am 27. April 2022] Weitere Informationen zum Projekt).
  8. a b c d Britta Kägler, Bettina Scherbaum, Sabrina Schmidbauer, Silvia Wimmer: Die letzten und die ersten Tage: Kriegsende und Besatzungszeit in Bad Aibling, Traunstein und Vaterstetten. Begleitpublikation zur Ausstellung gezeigt von Oktober 2009 bis Januar 2010 am Gymnasium Bad Aibling, am Humboldt-Gymnasium Vaterstetten und am Chiemgau-Gymnasium Traunstein. Hrsg.: Bettina Scherbaum. S. 16 f., 48 f. (erzbistum-muenchen.de [PDF; 3,5 MB; abgerufen am 27. April 2022]).
  9. a b c Wieland Bögel: Das Haus des Monument-Mannes. In: Süddeutsche Zeitung. 15. Dezember 2017, abgerufen am 24. Januar 2022.
  10. Bernhard Lohr: Die Kapitulation von Haar. In: Süddeutsche Zeitung. 4. Mai 2015, abgerufen am 24. Januar 2022.
  11. a b c Susanne Edelmann: Thorak-Atelier: "Für Lagerräume viel zu schade". In: Ebersberger Zeitung. 12. September 2010, abgerufen am 24. Januar 2022.
  12. a b c Wieland Bögel: Baldham: Thorak-Bau könnte nächstes Jahr Tore öffnen. In: Süddeutsche Zeitung. 27. August 2019, abgerufen am 24. Januar 2022.
  13. a b Georg Reitsberger: Deutsche Filmstars in Baldham. In: B304.de. Markus Bistrick, 12. Mai 2021, abgerufen am 24. Januar 2022 (deutsch).
  14. Michaela Pelz: Archäologische Staatssammlung: Berge von Scherben in Baldham. In: Süddeutsche Zeitung Ebersberg. 3. Juli 2020, abgerufen am 27. April 2022.
  15. Aufgrund der Nachfrage: Nazi-Atelier soll Museum werden. In: Ebersberger Zeitung. 23. August 2019, abgerufen am 24. Januar 2022.
  16. Nikola Doll: Das Staatsatelier Arno Breker. Bau- und Nutzungsgeschichte 1938–1945. (PDF; 146 kB) Kunsthaus Dahlem, abgerufen am 28. April 2022.

Anmerkungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Original-Quellen aus der NS-Zeit nennen eine Höhe von 17 Metern, während neuere Quellen von 18 Metern sprechen.