„Scherung (Mechanik)“ – Versionsunterschied

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== Kinematik der Scherung ==
== Kinematik der Scherung ==
[[Datei:Kurven.png|mini|Streckung und Scherung der Tangenten (rot und blau) an materielle Linien (schwarz) im Zuge einer Deformation]]
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Zur Veranschaulichung einer Scherung kann man sich ein [[Buch]] vorstellen: verschiebt man die Buchdeckel parallel gegeneinander, bilden Buchrücken und Seitenstapel einen Winkel ungleich 90°. Die Abweichung vom rechten Winkel ist die Schubverzerrung γ.
Zur Veranschaulichung einer Scherung kann man sich ein [[Buch]] vorstellen: verschiebt man die Buchdeckel parallel gegeneinander, bilden Buchrücken und Seitenstapel einen Winkel ungleich 90°. Die Abweichung vom rechten Winkel ist die Schubverzerrung oder Gleitung γ.


Mathematisch wird eine lokale Verformung wie im Bild rechts betrachtet. Zwei sich im Referenzzustand (oberer Bildteil) kreuzende materielle Linien (die man sich als oberflächig eingeritzte Linien vorstellen kann) schließen einen [[Rechter Winkel| rechten Winkel]] ein, der zwischen ihren Tangentenvektoren <math>\mathrm{d}\vec X</math> und <math>\mathrm{d}\vec Y</math> gemessen wird. Im Zuge einer Deformation – beschrieben mit der Bewegungsfunktion <math>\vec\chi</math> – ändert sich der Winkel γ zwischen den Tangentenvektoren gemäß
Mathematisch wird eine lokale Verformung wie im Bild rechts betrachtet. Zwei sich im Referenzzustand (oberer Bildteil) kreuzende materielle Linien (die man sich als oberflächig eingeritzte Linien vorstellen kann) schließen einen [[Rechter Winkel| rechten Winkel]] ein, der zwischen ihren Tangentenvektoren <math>\mathrm{d}\vec X</math> und <math>\mathrm{d}\vec Y</math> gemessen wird. Im Zuge einer Deformation – beschrieben mit der Bewegungsfunktion <math>\vec\chi</math> – ändert sich der Winkel γ zwischen den Tangentenvektoren gemäß
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=\frac{\mathrm{d}\vec{x}\cdot
=\frac{\mathrm{d}\vec{x}\cdot
\mathrm{d}\vec{y}}{|\mathrm{d}\vec{x}||\mathrm{d}\vec{y}|}
\mathrm{d}\vec{y}}{|\mathrm{d}\vec{x}||\mathrm{d}\vec{y}|}
=\frac{2\vec{e}_{1}\cdot\mathbf{E}\cdot\vec{e}_{2}}
=\frac{2\hat{G}_{1}\cdot\mathbf{E}\cdot\hat{G}_{2}}
{\sqrt{1+\vec{e}_{1}\cdot \mathbf{E}\cdot\vec{e}_{1}}
{\sqrt{1+\hat{G}_{1}\cdot \mathbf{E}\cdot\hat{G}_{1}}
\sqrt{1+\vec{e}_{2}\cdot \mathbf{E}\cdot\vec{e}_{2}}}
\sqrt{1+\hat{G}_{2}\cdot \mathbf{E}\cdot\hat{G}_{2}}}
=\frac{2 E_{12}}{\sqrt{1+E_{11}}\sqrt{1+E_{22}}}
=\frac{2 E_{12}}{\sqrt{1+E_{11}}\sqrt{1+E_{22}}}
</math> mit <math>
</math> mit <math>
\vec{e}_{1}=\frac{\mathrm{d}\vec{X}}{|\mathrm{d}\vec{X}|},\,
\hat{G}_{1}=\frac{\mathrm{d}\vec{X}}{|\mathrm{d}\vec{X}|},\,
\vec{e}_{2}=\frac{\mathrm{d}\vec{Y}}{|\mathrm{d}\vec{Y}|}
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\,.</math>
\,.</math>


Der Tensor '''E''' ist der einheitenfreie [[Verzerrungstensor#Green-Lagrange-Verzerrungstensor|Green-Lagrange’sche Verzerrungstensor]], dessen Komponenten <math>E_{ij}</math> sich auf das im Referenzzustand von den Vektoren <math>\hat{e}_{1,2}</math> gebildete [[Basis (Vektorraum)|Basissystem]] beziehen. Die Komponenten <math>E_{11}</math> und <math>E_{22}</math> sind Normaldehnungen, die in den 1-2-Richtungen auftreten.
Der Tensor '''E''' ist der einheitenfreie [[Verzerrungstensor#Green-Lagrange-Verzerrungstensor|Green-Lagrange’sche Verzerrungstensor]], dessen Komponenten <math>E_{ij}</math> sich auf das im Referenzzustand von den Vektoren <math>\hat{G}_{1,2}</math> gebildete [[Basis (Vektorraum)|Basissystem]] beziehen, und „<math>\cdot</math>“ ist das [[Frobenius-Skalarprodukt]] von Vektoren. Die Komponenten <math>E_{11}</math> und <math>E_{22}</math> sind Normaldehnungen, die in der 1- und 2-Richtung auftreten.


Im Fall [[Geometrische Linearisierung|kleiner Verschiebungen]] geht der Green-Lagrange’sche Verzerrungstensor in den linearisierten Verzerrungstensor <math>\boldsymbol{\varepsilon}</math> über, kann <math>\sin \gamma\approx\gamma</math> gesetzt werden und der Nenner im obigen Bruch ist ungefähr eins mit dem Resultat
Im Fall [[Geometrische Linearisierung|kleiner Verzerrungen]] geht der Green-Lagrange’sche Verzerrungstensor in den [[Verzerrungstensor#Linearisierter Verzerrungstensor|linearisierten Verzerrungstensor]] <math>\boldsymbol{\varepsilon}</math> über, kann <math>\sin( \gamma) \approx \gamma</math> gesetzt werden und der Nenner im obigen Bruch ist ungefähr eins mit dem Resultat


:<math>\gamma=2\vec{e}_{1}\cdot\boldsymbol{\varepsilon}\cdot\vec{e}_{2}
:<math>\gamma\approx 2\hat{G}_{1}\cdot\boldsymbol{\varepsilon}\cdot\hat{G}_{2}
=2\varepsilon_{12}\,.</math>
=2\varepsilon_{12}=\frac{\partial u_1}{\partial X_2}+\frac{\partial u_2}{\partial X_1}
\,.</math>


Die Komponenten beziehen sich auf ein kartesisches Koordinatensystem, das parallel zu den Vektoren <math>\hat{G}_{1,2}</math> ausgerichtet ist, in dem X<sub>1,2</sub> die Koordinaten, u<sub>1,2</sub> die Verschiebungen und ε<sub>12</sub> die Schubverzerrung sind.
Die Schergeschwindigkeit berechnet sich im Zustand γ=0° mit dem [[Geschwindigkeitsgradient#Dehn- und Schergeschwindigkeiten| Verzerrungsgeschwindigkeitstensor]] '''d''' aus


Die Schergeschwindigkeit berechnet sich im Zustand γ=0° mit dem [[Geschwindigkeitsgradient#Dehn- und Schergeschwindigkeiten| Verzerrungsgeschwindigkeitstensor]] '''d''' aus<ref>Die Groß- und Kleinschreibung der Variablen ist zu beachten. Variablen in Großbuchstaben beziehen sich auf den Referenzzustand und solche in Kleinbuchstaben auf den aktuellen Zustand, der gegenüber dem Referenzzustand stark deformiert und verdreht sein kann.</ref>
:<math>\dot{\gamma}=2\frac{\mathrm{d}\vec{x}}{|\mathrm{d}\vec{x}|}
\cdot\mathbf{d}\cdot\frac{\mathrm{d}\vec{y}}{|\mathrm{d}\vec{y}|}\,.</math>


:<math>\dot{\gamma}=2\hat{g}_1\cdot\mathbf{d}\cdot\hat{g}_2=2d_{12}
Hier werden die Tangentenvektoren also im deformierten Zustand gebildet. Der Verzerrungsgeschwindigkeitstensor ist der [[Symmetrische Matrix|symmetrische]] Anteil des [[Gradient (Mathematik)|Gradienten]] der Geschwindigkeit <math>\vec v</math>: <math>\mathbf{d}=\tfrac{1}{2}(\operatorname{grad}(\vec v)+\operatorname{grad}(\vec v)^\top)\,,</math> worin das Superskript <math>\top</math> die [[transponierte Matrix|Transposition]] anzeigt. Bei kleinen Verschiebungen ''und'' Verzerrungsgeschwindigkeiten ist <math>\mathbf{d}=\dot{\boldsymbol{\varepsilon}}</math> und die Schergeschwindigkeit lautet:
=\frac{\partial v_1}{\partial x_2}+\frac{\partial v_2}{\partial x_1}
\quad\text{mit}\quad
\hat{g}_1=\frac{\mathrm{d}\vec{x}}{|\mathrm{d}\vec{x}|}
\quad\text{und}\quad
\hat{g}_2=\frac{\mathrm{d}\vec{y}}{|\mathrm{d}\vec{y}|}
\,.</math>


Hier werden die zueinander orthogonalen Tangentenvektoren <math>\hat{g}_{1,2}</math> also im deformierten Zustand ausgewählt. Die Komponenten beziehen sich auf ein kartesisches Koordinatensystem, das nun parallel zu den Vektoren <math>\hat{g}_{1,2}</math> ausgerichtet ist, in dem x<sub>1,2</sub> die Koordinaten, v<sub>1,2</sub> die Geschwindigkeiten und d<sub>12</sub> die Schubverzerrungsgeschwindigkeit sind. Bei kleinen Verzerrungen ist <math>\mathbf{d}\approx\dot{\boldsymbol{\varepsilon}}</math> und die Schergeschwindigkeit lautet:
:<math>\dot{\gamma}=2\frac{\mathrm{d}\vec{x}}{|\mathrm{d}\vec{x}|}

\cdot\dot{\boldsymbol{\varepsilon}}\cdot\frac{\mathrm{d}\vec{y}}{|\mathrm{d}\vec{y}|}\,.</math>
:<math>\dot{\gamma}\approx 2\hat{G}_1\cdot\dot{\boldsymbol{\varepsilon}}\cdot\hat{G}_2
=2\dot{\varepsilon}_{12}
=\frac{\partial \dot{u}_1}{\partial X_2}+\frac{\partial \dot{u}_2}{\partial X_1}
\approx\frac{\partial \dot{u}_1}{\partial x_2}+\frac{\partial \dot{u}_2}{\partial x_1}
\,.</math>


=== Scherung in der Geologie ===
=== Scherung in der Geologie ===
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== Dynamik der Scherung ==
== Dynamik der Scherung ==


Eine Schubbeanspruchung ist eine [[Kraft]] oder ein [[Moment (Technische Mechanik)|Moment]], bei der der beanspruchte Körper zumindest lokal eine Scherbewegung ausführt, also eine Gleitung oder Schubverzerrung auftritt. Diese äußere Beanspruchung setzt sich im Körper in [[Spannung (Mechanik)|Spannungen]] um. Scherbelastung tritt nicht nur bei äußerer Belastung auf, sondern zum Beispiel auch
Bei der Scherung – oder allgemein bei einer Schubbeanspruchung – eines [[Hookesches Gesetz|linear elastischen Materials]] steht die [[Spannung (Mechanik)|Schubspannung]] τ und die Schubverzerrung oder Gleitung γ in der Beziehung
* bei thermischer Belastung von miteinander verbundenen Körpern, die unterschiedliche [[Wärmeausdehnungskoeffizient]]en besitzen,
* aufgrund latenter Spannungen bei inhomogener Erstarrung, zum Beispiel beim Schweißen, oder
* bei Beschichtungen, die nach der Aufbringung anders schrumpfen als das Grundmaterial.

Bei der Scherung – oder allgemein bei einer Schubbeanspruchung – steht die Schubspannung τ und die Schubverzerrung oder Gleitung γ im geometrisch linearen Bereich und bei [[Hookesches Gesetz|linearer Elastizität]] in der Beziehung


:<math>\tau = G\gamma\,.</math>
:<math>\tau = G\gamma\,.</math>
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Die Proportionalitätskonstante G ist der [[Schubmodul]] (auch: Scher- oder Gleitmodul). Die Schubspannung wird bei der Scherung auch Scherspannung genannt und hat – wie der Schubmodul – die Dimension [[Kraft]] pro Fläche. Die [[SI-Einheit]] ist damit das [[Pascal (Einheit)|Pascal]] (Pa), also N/m² – [[Newton (Einheit)|Newton]] pro [[Quadratmeter]].
Die Proportionalitätskonstante G ist der [[Schubmodul]] (auch: Scher- oder Gleitmodul). Die Schubspannung wird bei der Scherung auch Scherspannung genannt und hat – wie der Schubmodul – die Dimension [[Kraft]] pro Fläche. Die [[SI-Einheit]] ist damit das [[Pascal (Einheit)|Pascal]] (Pa), also N/m² – [[Newton (Einheit)|Newton]] pro [[Quadratmeter]].


Lokal werden bei einer Scherung im [[Elastizität (Physik)|elastischen]] Bereich im Körper materielle Flächen relativ zueinander, reversibel, parallel verschoben. Die Fläche kann sich dabei verwölben, wie es beispielsweise bei der Torsion eines nicht kreisrunden Stabes oder der Querkraftbeanspruchung eines Trägers passiert. Bei Überschreitung der [[Scherfestigkeit]] wird das Werkstück abgeschert (siehe die Beispiele zum [[Torsionsbruch]], [[Scherschneiden]]). Außerhalb des elastischen Bereichs bis zum Erreichen der Scherfestigkeit verformen sich [[Duktilität|duktile]] Materialien [[Plastizität (Physik)|plastisch]], worauf im Folgenden eingegangen wird.
=== Scherung in Werkstoffen ===
Materielle Flächen im Körper werden bei einer Scherung im [[Elastizität (Physik)|elastischen]] Bereich relativ zueinander, reversibel, parallel verschoben. Die Fläche kann sich dabei verwölben, wie es beispielsweise bei der Torsion eines nicht kreisrunden Stabes oder der Querkraftbeanspruchung eines Trägers passiert. Übersteigt die Scherbelastung die [[Elastizitätsgrenze]] kommt es in [[Duktilität|duktilen]] kristallinen Werkstoffen – insbesondere Metallen – zu [[Versetzung (Materialwissenschaft)#Versetzungsbewegung als Erklärung der Plastizität|Versetzungsbewegungen]]. Im Beispiel mit dem Buch wären die materiellen Flächen die Buchseiten, die nun aufeinander abgleiten. Der Zusammenhalt des Werkstoffs bleibt dabei zunächst bestehen. Bei Überschreitung der [[Scherfestigkeit]] versagt der Zusammenhalt und das Werkstück wird abgeschert (siehe die Beispiele zum [[Torsionsbruch]], [[Scherschneiden]]).


=== Scherung kristalliner Werkstoffe ===
Scherbelastung tritt nicht nur bei äußerer Belastung auf, sondern zum Beispiel auch
Übersteigt die Scherbelastung die [[Elastizitätsgrenze]] kommt es in duktilen kristallinen Werkstoffen – insbesondere Metallen – zu [[Versetzung (Materialwissenschaft)#Versetzungsbewegung als Erklärung der Plastizität|Versetzungsbewegungen]]. In einem kristallinen Werkstoff werden bei der Scherung Kristallteile gegeneinander verschoben. Die Ebene, die die Kristallteile voneinander trennt, ist die ''Gleitebene'', die gemeinsam mit der Gleitrichtung das ''[[Gleitsystem]]'' bildet. Im Beispiel mit dem Buch wären die Gleitebenen die Buchseiten, die nun in der Gleitrichtung senkrecht zum Buchrücken in der Papierebene aufeinander abgleiten. Ist <math>\vec n</math> der [[Normalenvektor]] der Gleitebene und <math>\vec m</math> die Gleitrichtung in der Ebene, dann ist die Schubspannung im Gleitsystem (GS) durch den [[Spannungstensor]] <math>\boldsymbol{\sigma}</math> gegeben:
* bei thermischer Belastung von miteinander verbundenen Körpern, die unterschiedliche [[Wärmeausdehnungskoeffizient]]en besitzen,

* aufgrund latenter Spannungen bei inhomogener Erstarrung, zum Beispiel beim Schweißen, oder
:<math>\tau^{(GS)}=\vec{m}\cdot\boldsymbol{\sigma}\cdot\vec{n}
* bei Beschichtungen, die nach der Aufbringung anders schrumpfen als das Grundmaterial.
\quad\text{mit}\quad \vec m\cdot\vec n=0\,.</math>

Wird die [[kritische Schubspannung]] <math>\tau_\text{krit}</math> von der Schubspannung <math>\tau^{(GS)}</math> im Gleitsystem überschritten, gleiten die Atome beiderseits der Gleitebene aneinander ab und es kommt zu plastischer Verformung.

=== Scherung polykristalliner Werkstoffe ===
In polykristallinen, isotropen Werkstoffen wechselt die Kristallorientierung mit den Kristallkörnern, deren Verformungen sich gegenseitig behindern könnnen, wodurch die Schubfließgrenze <math>\sigma_F</math> ansteigt. Der Zusammenhang zwischen der Schubfließgrenze und der kritischen Schubspannung ist der ''Taylorfaktor'' M:

:<math>\sigma_F=M \tau_\text{krit}\,.</math>

Bei [[Kubisch flächenzentriertes Gitter|kubisch flächenzentriertem Gitter]] ist M=3,1 und bei [[Kubisch raumzentriertes Gitter|kubisch raumzentriertem Gitter]] ist M=2,9. Der Taylorfaktor berechnet sich aus den statistischen Eigenschaften der Kristallkörner im Polykristall.

=== Scherung von Thermoplasten ===
[[Thermoplast]]e können sich plastisch verformen, indem sich die Kettenmoleküle, aus denen sie bestehen, lokal strecken. Dadurch entstehen – insbesondere unter Druck – ''Scherbänder'', die in einem Winkel von 45° bis 60° zur Belastungsrichtung orientiert sind, wo lokalisiert große plastische Verformungen von 100% und mehr auftreten, abseits von denen die Verformungen aber gering sind.


== Beispiel ==
== Beispiel ==
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== Siehe auch ==
== Siehe auch ==
* [[Mohrscher Spannungskreis]]
* [[Mohrscher Spannungskreis]]
* [[Scherkraft]]
* [[Schmidsches Schubspannungsgesetz]]
* [[Abscherung (Geologie)]]
* [[Abscherung (Statik)]]
* [[Burgersvektor]]

== Fußnoten ==
<references />


== Literatur ==
== Literatur ==
* {{Literatur| Autor=H. Balke| Titel=Einführung in die Technische Mechanik| TitelErg=Festigkeitslehre| Auflage=3.| Verlag=Springer-Vieweg| Jahr=2008| ISBN=978-3-642-40980-6}}
* {{Literatur| Autor=H. Balke| Titel=Einführung in die Technische Mechanik| TitelErg=Festigkeitslehre| Auflage=3.| Verlag=Springer-Vieweg| Jahr=2008| ISBN=978-3-642-40980-6}}
* {{Literatur | Autor=H. Altenbach | Titel=Kontinuumsmechanik: Einführung in die materialunabhängigen und materialabhängigen Gleichungen | Verlag=Springer | Jahr=2012 | ISBN=3-642-24119-0}}
* {{Literatur | Autor=H. Altenbach | Titel=Kontinuumsmechanik: Einführung in die materialunabhängigen und materialabhängigen Gleichungen | Verlag=Springer | Jahr=2012 | ISBN=3-642-24119-0}}
* {{Literatur|Autor=J. Rösler, H. Harders, M. Bäker|Titel=Mechanisches Verhalten der Werkstoffe|Auflage=4.|Verlag=Springer-Vieweg|ISBN=978-3-8348-1818-8|Jahr=2012}}


[[Kategorie:Technische Mechanik]]
[[Kategorie:Technische Mechanik]]

Version vom 2. November 2015, 13:44 Uhr

Scherung bei der Torsion eines Rundstabes mit Schubverzerrung γ und Schubspannung τ

Eine Scherung tritt in der Mechanik bei der Scherbewegung eines Körpers auf. In der Kontinuumsmechanik wird Scherung und Schubverzerrung synonym benutzt und in der technischen Mechanik wird Scherung und Scherbelastung synonym benutzt. Ersteres wird im Abschnitt „Kinematik der Scherung“, letzteres im Abschnitt „Dynamik der Scherung“ behandelt.

Von reiner Scherung wird gesprochen, wenn bei der Scherung keine Normaldehnungen oder keine Normalspannungen auftreten.

Scherung tritt unter anderem bei der Torsion wie im Bild oder der Querkraftbeanspruchung von Trägern auf.

Kinematik der Scherung

Streckung und Scherung der Tangenten (rot und blau) an materielle Linien (schwarz) im Zuge einer Deformation

Zur Veranschaulichung einer Scherung kann man sich ein Buch vorstellen: verschiebt man die Buchdeckel parallel gegeneinander, bilden Buchrücken und Seitenstapel einen Winkel ungleich 90°. Die Abweichung vom rechten Winkel ist die Schubverzerrung oder Gleitung γ.

Mathematisch wird eine lokale Verformung wie im Bild rechts betrachtet. Zwei sich im Referenzzustand (oberer Bildteil) kreuzende materielle Linien (die man sich als oberflächig eingeritzte Linien vorstellen kann) schließen einen rechten Winkel ein, der zwischen ihren Tangentenvektoren und gemessen wird. Im Zuge einer Deformation – beschrieben mit der Bewegungsfunktion – ändert sich der Winkel γ zwischen den Tangentenvektoren gemäß

mit

Der Tensor E ist der einheitenfreie Green-Lagrange’sche Verzerrungstensor, dessen Komponenten sich auf das im Referenzzustand von den Vektoren gebildete Basissystem beziehen, und „“ ist das Frobenius-Skalarprodukt von Vektoren. Die Komponenten und sind Normaldehnungen, die in der 1- und 2-Richtung auftreten.

Im Fall kleiner Verzerrungen geht der Green-Lagrange’sche Verzerrungstensor in den linearisierten Verzerrungstensor über, kann gesetzt werden und der Nenner im obigen Bruch ist ungefähr eins mit dem Resultat

Die Komponenten beziehen sich auf ein kartesisches Koordinatensystem, das parallel zu den Vektoren ausgerichtet ist, in dem X1,2 die Koordinaten, u1,2 die Verschiebungen und ε12 die Schubverzerrung sind.

Die Schergeschwindigkeit berechnet sich im Zustand γ=0° mit dem Verzerrungsgeschwindigkeitstensor d aus[1]

Hier werden die zueinander orthogonalen Tangentenvektoren also im deformierten Zustand ausgewählt. Die Komponenten beziehen sich auf ein kartesisches Koordinatensystem, das nun parallel zu den Vektoren ausgerichtet ist, in dem x1,2 die Koordinaten, v1,2 die Geschwindigkeiten und d12 die Schubverzerrungsgeschwindigkeit sind. Bei kleinen Verzerrungen ist und die Schergeschwindigkeit lautet:

Scherung in der Geologie

In der Geologie unterscheidet man zwischen den beiden Endgliedern reine Scherung (auch koaxiale Scherung oder reine Kompression) und einfache Scherung (auch nicht-koaxiale Scherung). Eine einfache Scherung beinhaltet im Vergleich zur reinen Scherung eine zusätzliche Rotationskomponente. Diese beiden Komponenten werden auch zur Diskussion von transpressiver (Kompression plus Lateralbewegung) und transtensiver (Extension plus Lateralbewegung) Tektonik gebraucht.

Dynamik der Scherung

Eine Schubbeanspruchung ist eine Kraft oder ein Moment, bei der der beanspruchte Körper zumindest lokal eine Scherbewegung ausführt, also eine Gleitung oder Schubverzerrung auftritt. Diese äußere Beanspruchung setzt sich im Körper in Spannungen um. Scherbelastung tritt nicht nur bei äußerer Belastung auf, sondern zum Beispiel auch

  • bei thermischer Belastung von miteinander verbundenen Körpern, die unterschiedliche Wärmeausdehnungskoeffizienten besitzen,
  • aufgrund latenter Spannungen bei inhomogener Erstarrung, zum Beispiel beim Schweißen, oder
  • bei Beschichtungen, die nach der Aufbringung anders schrumpfen als das Grundmaterial.

Bei der Scherung – oder allgemein bei einer Schubbeanspruchung – steht die Schubspannung τ und die Schubverzerrung oder Gleitung γ im geometrisch linearen Bereich und bei linearer Elastizität in der Beziehung

Die Proportionalitätskonstante G ist der Schubmodul (auch: Scher- oder Gleitmodul). Die Schubspannung wird bei der Scherung auch Scherspannung genannt und hat – wie der Schubmodul – die Dimension Kraft pro Fläche. Die SI-Einheit ist damit das Pascal (Pa), also N/m² – Newton pro Quadratmeter.

Lokal werden bei einer Scherung im elastischen Bereich im Körper materielle Flächen relativ zueinander, reversibel, parallel verschoben. Die Fläche kann sich dabei verwölben, wie es beispielsweise bei der Torsion eines nicht kreisrunden Stabes oder der Querkraftbeanspruchung eines Trägers passiert. Bei Überschreitung der Scherfestigkeit wird das Werkstück abgeschert (siehe die Beispiele zum Torsionsbruch, Scherschneiden). Außerhalb des elastischen Bereichs bis zum Erreichen der Scherfestigkeit verformen sich duktile Materialien plastisch, worauf im Folgenden eingegangen wird.

Scherung kristalliner Werkstoffe

Übersteigt die Scherbelastung die Elastizitätsgrenze kommt es in duktilen kristallinen Werkstoffen – insbesondere Metallen – zu Versetzungsbewegungen. In einem kristallinen Werkstoff werden bei der Scherung Kristallteile gegeneinander verschoben. Die Ebene, die die Kristallteile voneinander trennt, ist die Gleitebene, die gemeinsam mit der Gleitrichtung das Gleitsystem bildet. Im Beispiel mit dem Buch wären die Gleitebenen die Buchseiten, die nun in der Gleitrichtung senkrecht zum Buchrücken in der Papierebene aufeinander abgleiten. Ist der Normalenvektor der Gleitebene und die Gleitrichtung in der Ebene, dann ist die Schubspannung im Gleitsystem (GS) durch den Spannungstensor gegeben:

Wird die kritische Schubspannung von der Schubspannung im Gleitsystem überschritten, gleiten die Atome beiderseits der Gleitebene aneinander ab und es kommt zu plastischer Verformung.

Scherung polykristalliner Werkstoffe

In polykristallinen, isotropen Werkstoffen wechselt die Kristallorientierung mit den Kristallkörnern, deren Verformungen sich gegenseitig behindern könnnen, wodurch die Schubfließgrenze ansteigt. Der Zusammenhang zwischen der Schubfließgrenze und der kritischen Schubspannung ist der Taylorfaktor M:

Bei kubisch flächenzentriertem Gitter ist M=3,1 und bei kubisch raumzentriertem Gitter ist M=2,9. Der Taylorfaktor berechnet sich aus den statistischen Eigenschaften der Kristallkörner im Polykristall.

Scherung von Thermoplasten

Thermoplaste können sich plastisch verformen, indem sich die Kettenmoleküle, aus denen sie bestehen, lokal strecken. Dadurch entstehen – insbesondere unter Druck – Scherbänder, die in einem Winkel von 45° bis 60° zur Belastungsrichtung orientiert sind, wo lokalisiert große plastische Verformungen von 100% und mehr auftreten, abseits von denen die Verformungen aber gering sind.

Beispiel

Scherung eines Quadrats (gelb) in Parallelogramme

In der x-y-Ebene erfahren die Punkte eines Einheitsquadrats mit die Verschiebung

Der Parameter γ ist die Gleitung und φ bewirkt eine Drehung. Aus Ableitungen nach dem Ort berechnet sich der linearisierte Verzerrungstensor

der – anders als im Bild – nur zulässig ist bei Mit dem Hooke’schen Gesetz ergibt sich der Spannungstensor

in Abhängigkeit vom Schubmodul G und der ersten Lamé-Konstanten λ. Der Operator Sp bildet die Summe der Diagonalelemente (Spur) und ist der Einheitstensor. Die Schubspannungen haben die Größe Der Verzerrungs- und Spannungstensor besitzen hier – im Rahmen der geometrisch linearen Betrachtung – keine Normalkomponenten.

Der linearisierte Verzerrungstensor ist der symmetrische Anteil des Verschiebungsgradienten

Durch Addition des nicht linearen Anteils

zum linearisierten Verzerrungstensor ergibt sich der Green-Lagrange’sche Verzerrungstensor

Bei der Scherung eines Quadrats zu einem Parallelogramm treten deshalb bei großer Scherbewegung je nach Randbedingung auch Normaldehnungen oder Normalspannungen auf.

Siehe auch

Fußnoten

  1. Die Groß- und Kleinschreibung der Variablen ist zu beachten. Variablen in Großbuchstaben beziehen sich auf den Referenzzustand und solche in Kleinbuchstaben auf den aktuellen Zustand, der gegenüber dem Referenzzustand stark deformiert und verdreht sein kann.

Literatur

  • H. Balke: Einführung in die Technische Mechanik. Festigkeitslehre. 3. Auflage. Springer-Vieweg, 2008, ISBN 978-3-642-40980-6.
  • H. Altenbach: Kontinuumsmechanik: Einführung in die materialunabhängigen und materialabhängigen Gleichungen. Springer, 2012, ISBN 3-642-24119-0.
  • J. Rösler, H. Harders, M. Bäker: Mechanisches Verhalten der Werkstoffe. 4. Auflage. Springer-Vieweg, 2012, ISBN 978-3-8348-1818-8.