Achsknick

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Achsknick der Pfarrkirche St. Peter im Moos in Niederösterreich
Grundriss mit Achsknick der Pfarrkirche St. Peter im Moos

Der Achsknick im romanischen und gotischen Kirchenbau bedeutet eine zeitliche getrennte Ostung der Längsachsen von Langhaus und Chor nach der aufgehenden Sonne am örtlich gegebenen Horizont. Der Knickpunkt wurde zumeist dort festgelegt, wo Langhaus und Chor aneinanderstoßen, bei der Triumphpforte zwischen Langhaus und Chor.[1][2]

Das Langhaus entsprach dem irdischen und der Chor dem himmlischen Bereich, bei denen gemäß der kanonischen Anforderungen beim Abstecken des Kirchengrundrisses zuerst das Langhaus und danach der Chor abgesteckt wurde. Aus der Stärke des Knicks lassen sich die Tage zwischen den beiden Absteckvorgängen errechnen. Da eine Steigerung der Höhe des Festtages eingehalten wurde, wie auch thematische Hintergründe des Patronatsherrn wie auch des Bischofs die Festtage bestimmten, lässt sich anhand des Achsknicks, der eine Zeitmarke darstellt, das Gründungsjahr der Kirche und teils auch die damit verbundene Stadtgründung oder Stadterweiterung bestimmen.

Die interdisziplinäre Beachtung naturwissenschaftlicher Methoden der Vermessung, das Wissen um die damalige Arbeitstechnik mit Groma und Messkette, das Wissen zu den üblichen Aufteilungsformen mit Klaftern, das errechnete Wissen zum Sonnenstand zum örtlichen vermessenen Horizont bezogen auf die wahrscheinlichen Jahre einerseits wie der Beachtung der Festtage nach Liturgie und Patronat und der chronologischen Steigerung der Festtage, also mit historischen und theologischen Begründungen andererseits, erbringen die Abstecktage und das Gründungsjahr. Die Verpflichtung zur Orientierung nach der aufgehenden Sonne wurde beim Konzil von Trient (1545–1563) aufgehoben.

Knicke in Gebäudeachsen kommen aber auch in nicht-mittelalterlicher Architektur vor, so im Felsengrab der Nefertari oder der Pfarrkirche Liesing (dort als „gebrochene Hauptachse“ bezeichnet). Sie werden auf sehr verschiedene Ursachen zurückgeführt (gekrümmter Jenseitsraum der ägyptischen Mythologie oder bessere Bauplatzausnutzung).

Beispiele

Der Stephansdom in Wien:[3] Die Achse des Langhauses ist auf den Sonnenaufgang am Stephanitag 26. Dezember 1137[Anm. 1] orientiert, die Achse des Chores zum Sonnenaufgang am folgenden Sonntag, den 2. Jänner 1138.

Der romanische Dom von Wiener Neustadt:[3] Hier weist die Achse des Langhauses zum Sonnenaufgang am Pfingstsonntag, den 24. Mai 1192, den Tag der Belehnung von Herzog Leopold V. durch Kaiser Heinrich VI. mit der Steiermark. Die Achse des romanischen Chores weist auf den Sonnenaufgang am Pfingstsonntag, den 16. Mai 1193.

Die gotische Stadtpfarrkirche hl. Margareta in Marchegg als Gründung von König Přemysl Ottokar II. von Böhmen:[3] Ihre Langhausachse weist zum Sonnenaufgang am Gründonnerstag, den 5. April 1268 und die Achse des Chores auf den Sonnenaufgang am Ostersonntag 8. April 1268.[4]

Weitere Beispiele sind die Pfarrkirche von Laa an der Thaya, deren Orientierungstage dem Palmsonntag und dem Ostersonntag des Jahres 1207 entsprechen, auch in den früheren Kirchengrundrissen der Klosterkirchen Stift Heiligenkreuz [2] und Stift Göttweig ist ein Achsknick belegbar, aber nicht mehr erkennbar: Bei diesen Kirchen wurde der romanische Chor später durch einen gotischen Neubau ersetzt, der keinen Achsknick aufweist.[5] An der Pfarrkirche von Unterloiben ist der Achsknick auch im Verlauf des Daches deutlich zu erkennen.[6]

Die These über die Herkunft des Achsknicks und ihre Belege wurden zunächst an Beispielen aus Ostösterreich erarbeitet. Als Beispiele aus anderen Gebieten werden der Brixner Dom, die Kathedrale St. Pierre in Genf, Mont St. Michel, Southwark Cathedral und der Dom von Passau genannt,[3] weiters der Dom von Speyer,[7] der Dom zu Caorle in Italien und die Kathedrale Notre Dame de Vitrè in Frankreich.[8] Der weitere Erklärungsansatz, die geknickte Kirchenachse mit dem geneigten Haupt Christi am Kreuz zu begründen, wird von Reidinger als Fehlinterpretation bezeichnet.[1] Als weitere Gründe für einen Achsknick werden später entdeckte Unregelmäßigkeiten im Baugrund (z. B. ein wenig tragfähiger Bodenbereich) oder ein Patroziniumswechsel (allenfalls nach längerer Bauzeit) genannt, nach dem eine Neuausrichtung einer Kirchenachse erfolgte.[9]

Literatur

Anmerkungen

  1. Diese Jahresangabe folgt der Zeitrechnung des 20./21. Jahrhunderts. Damals allerdings wurde als Jahresbeginn (nach dem sogenannten „Weihnachtsstil“) der 25. Dezember verwendet, sodass beide Daten ursprünglich in das Jahr 1138 fielen. Siehe dazu auch Reidinger: Stadtplanung, S. 173 Fußnote 37.

Einzelnachweise

  1. a b Erwin Reidinger: St. Stephan: Lage, Orientierung und Achsknick, ein Vergleich mit der Tempelanlage in Jerusalem.. In: Karin Domany, Johann Hisch (Hg.): Der Stephansdom. Orientierung und Symbolik. Wiener Dom-Verlag, Wien 2010. ISBN 978-3-85351-216-6. S. 85.
  2. a b Erwin Reidinger: Die Stiftskirche von Heiligenkreuz. Achsknick und Orientierungstage. Antworten aus der Gründungsplanung. Erstveröffentlichung in: sancta crux. Zeitschrift des Stiftes Heiligenkreuz. 70. Jahrgang 2010 Nummer 126. ZDB-ID 302220-1 S. 37.
  3. a b c d Erwin Reidinger: Stadtplanung. S. 159–174.
  4. Stadtkirche Marchegg
  5. Reidinger: Orientierung. S. 46–47.
  6. Reidinger: Speyerer Dom. S. 53.
  7. Reidinger: Speyerer Dom. S. 111
  8. Reidinger: Speyerer Dom. S. 54.
  9. Gottfried Kiesow: Die Sonne und der Achsenknick. Vier Thesen zur Achsenverschiebung im Kirchenbau. 2005.