Augustputsch in Moskau

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Sowjetische Panzer T-80 auf dem Roten Platz während des Augustputsches

Während des Augustputsches in Moskau vom 19. bis 21. August 1991 versuchte eine Gruppe von Funktionären der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (KPdSU), die sich als Staatskomitee für den Ausnahmezustand bezeichnete, den Staatspräsidenten Michail Gorbatschow abzusetzen und das Land unter ihre Kontrolle zu bringen.

Die Führer des Putschversuches waren Mitglieder einer konservativen[1] und reaktionären Junta[2] und Kommunisten der KPdSU,[3][4][5][6][7][8] in deren Augen die wirtschaftliche Umgestaltung zu weit ging und eine rechte Abweichung vom Kommunismus seine Abschaffung bedeute. Weiterhin fürchteten sie, der von Gorbatschow neu ausgehandelte Unionsvertrag gebe den Unionsrepubliken zu viel Macht. Obgleich der Putschversuch nach nur drei Tagen scheiterte und Gorbatschow wieder eingesetzt wurde, machte er Gorbatschows Hoffnungen hinsichtlich des Fortbestehens einer, wenn auch dezentralisierten, Staatenunion zunichte und beschleunigte den Zerfall der Sowjetunion.

Hintergrund

Seit 1985 nahm Gorbatschow ein Reformprogramm in Angriff, das von zwei Schlüsselelementen wesentlich geprägt war: die ökonomische und politische Restrukturierung, Perestroika genannt, und die als Glasnost bezeichnete Öffnung gegenüber der Bevölkerung. Diese Reformen zogen jedoch die Ablehnung und den Widerstand des linken Flügels der kommunistischen Partei auf sich. Der Widerstand zu den Reformen wuchs, als sich die wirtschaftliche und politische Situation verschlechtert hatte. Im Juli 1991 wurde der Offene BriefEin Wort an das Volk“ einiger KP-Funktionäre und Literaten veröffentlicht, der als ein Anti-Perestroika-Manifest verstanden wurde. Des Weiteren gewannen Unabhängigkeitsbestrebungen nichtrussischer Bevölkerungsgruppen Raum, die nun die Chance einer größeren Selbstbestimmung sahen, was die Angst des Sowjetregimes verstärkte, dass einige oder alle Unionsstaaten von der Sowjetunion abfallen würden. Nach einigen Verhandlungen stimmten die Republiken einem neuen Unionsvertrag zu, der sie zu unabhängigen Republiken in einer Föderation mit einem gemeinsamen Präsidenten, gemeinsamer Außenpolitik und gemeinsamem Militär machen sollte. Der Vertrag sollte am 20. August 1991 unterzeichnet werden. Obwohl der Vertrag die Union stärken sollte, fürchteten die Kommunisten, dass nun einige kleinere Mitgliedsstaaten, vor allem die baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen, auf völlige Unabhängigkeit bestehen würden.

Putsch

Datei:Boris Yeltsin 19 August 1991-1.jpg
Boris Jelzin und Anhänger vor dem Weißen Haus (damals Gebäude des Ministerrates) am 19. August 1991

Am Montag, 19. August 1991, einen Tag bevor Gorbatschow und eine Gruppe der Staatenführer der Republiken den Unionsvertrag unterzeichnen sollten, versuchte eine Gruppe, die sich selbst Staatskomitee für den Ausnahmezustand (GKTschP) nannte, die Macht in Moskau zu ergreifen.[9] Alle Beteiligten waren erst unter Gorbatschow auf ihre Positionen gelangt. Zu den Mitgliedern gehörten:

Zu den weiteren Mitinitiatoren des Putsches gehörten:

Die Gruppe verkündete, dass Gorbatschow erkrankt und daher von seinen politischen Ämtern befreit sei. Der Vizepräsident und Putschist Gennadi Janajew wurde zum Interimspräsidenten ernannt.

Gorbatschow selbst war zu Beginn des Putschversuches im Urlaub in Foros auf der Halbinsel Krim. Dort wurde er vom Nachmittag des 18. August bis zum 21. August festgesetzt und isoliert, nachdem er seine Zustimmung zur Verhängung des Notstandes und die Übertragung seiner Vollmachten an den Vizepräsidenten verweigerte. Er blieb dort bis zum Ende des Putsches drei Tage später.

In Moskau und Leningrad folgten große Demonstrationen gegen die Putschführer. Der Putsch war nicht erfolgreich, da es an Loyalität der Streitkräfte gegenüber den Putschisten fehlte. Somit war der Widerstand, der hauptsächlich vom Präsidenten der russischen Teilrepublik Boris Jelzin aus dem Regierungsgebäude, dem Weißen Haus, gegen den Putsch geführt wurde, erfolgreich. Während einer dieser Demonstrationen verurteilte Jelzin, mit einem Megafon auf einem Panzer stehend, den Umsturzversuch wirkungsvoll. Vor zehntausenden Demonstranten, die sich vor dem Parlament versammelt hatten, kletterte er auf einen Panzer und forderte die Rückkehr Gorbatschows. Gleichzeitig bat er die Soldaten: „Werdet nicht zur blinden Waffe des verbrecherischen Willens von Abenteurern!“ Dieser Auftritt, der einen so großen Kontrast zu Janajews halbherziger Fernsehansprache darstellte, wurde eines der erinnerungswürdigsten Ereignisse des Putsches und stärkte Jelzins Position.

Ein geplanter Angriff auf das Regierungsgebäude durch die paramilitärische Spezialeinheit ALFA des KGB scheiterte, als Angehörige der Einheit einstimmig den Gehorsam verweigerten. Eine zur Regierung der russischen Unionsrepublik übergelaufene Panzereinheit umstellte das Weiße Haus, die Waffen nach außen gerichtet. In den angrenzenden Straßen kam es zu Konfrontationen, unter anderem wurden zwei Demonstranten von einem Panzer überfahren und einer erschossen. Alles in allem gesehen gab es jedoch überraschend wenig Gewalt. Über Glasnet und die angeschlossenen Mailboxnetze wurden aktuelle Lageberichte in die Welt übermittelt.[10]

Am 21. August bekannte sich die Mehrheit der Truppen offen zu den Demonstranten, die verbliebenen wurden abgezogen. Somit war der Putsch gescheitert. Relativ machtlos kehrte Gorbatschow nach Moskau zurück und versprach, die KPdSU von konservativen Kräften zu säubern. Durch ein Dekret Jelzins wurde daraufhin die KPdSU auf dem Gebiet der russischen Teilrepublik verboten. Gorbatschow trat als Generalsekretär der KPdSU zurück, blieb jedoch Präsident der Sowjetunion. Auch der Geheimdienst KGB wurde im Oktober abgeschafft. Die Putschisten wurden ihrer Ämter enthoben und inhaftiert. Die meisten von ihnen wurden ab 1992/93 wieder aus dem Gefängnis entlassen. Innenminister Pugo beging Suizid.

Folge

Nach dem Putsch zerfiel die Sowjetunion endgültig. Nichtrussische bisherige Teilrepubliken erklärten eine nach der anderen ihre Unabhängigkeit von der UdSSR. Der erstarkte Jelzin übernahm die Kontrolle über Medien und Schlüsselministerien. Schrittweise demontierte und entmachtete er Gorbatschow, den bis zu seinem Rücktritt am 25. Dezember 1991 ranghöchsten Funktionsträger der bisherigen Supermacht. Schließlich wurde Ende 1991 die Auflösung der Sowjetunion beschlossen. Es blieben die nunmehr 15 souveränen Staaten der Union. Die Rechtsnachfolge der UdSSR übernahm, unter Jelzins Führung, die Russische Föderation.

Siehe auch

Literatur

  • Michail Gorbatschow: Der Staatsstreich. München 1991, ISBN 3-570-01408-8
  • Michail Gorbatschow: Erinnerungen. Siedler, Berlin 1995, ISBN 3-88680-524-7
  • Ignaz Lozo: Der Putsch gegen Gorbatschow und das Ende der Sowjetunion Böhlau, Köln-Weimar-Wien 2014. ISBN 9783412222307.

Weblinks

Commons: Augustputsch in Moskau – Sammlung von Bildern

Einzelnachweise

  1. Zwiespältige Bilanz zehn Jahre nach Augustputsch: Moskau beklagt zehn verlorene Jahre. In: Handelsblatt. 16. August 2001, abgerufen am 2. Juli 2012.
  2. Vom Kiewer Reich bis zum Zerfall der UdSSR. In: Bundeszentrale für politische Bildung. 3. Februar 2004, abgerufen am 2. Juli 2012.
  3. Jörn Grävingholt: „Rußlands Regionen in der Ära Jelzin: Institutionelle Konsolidierung und Organisation der Macht“, in: Bundesinstitut für ostwissenschaftliche und internationale Studien (Hrsg.): Rußland in Europa? Innere Entwicklungen und internationale Beziehungen – heute, Köln/Weimar/Wien (Böhlau) 2000, S. 61-73, S. 64.
  4. Rußland bleibt Großmacht. In: Spiegel Online. 9. September 1991, abgerufen am 2. Juli 2012.
  5. Augustputsch 1991 in der SowjetunionDie letzte Schlacht der Dilettanten. In: n-tv. 19. August 2011, abgerufen am 12. Juli 2012.
  6. Ludmila Lutz-Auras: „Auf Stalin, Sieg und Vaterland!“ Politisierung der kollektiven Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg in Russland, Springer VS. Wiesbaden 2013, S. 22.
  7. August-Putsch: Das Ende der UdSSR - Mit ihrem Widerstand verhinderten Jelzin und das russische Volk das Comeback der KP-Diktatur - Wiener Zeitung Online
  8. J. R. Mettke, C. Neef: Rußland bleibt Großmacht. In: Der Spiegel. Nr. 37, 1991 (online).
  9. Andreas Rüesch: Staatsstreich gegen Gorbatschow vor 25 Jahren: Der zitternde Putschist In: Neue Zürcher Zeitung vom 19. August 2016
  10. Quelle: Wem gehört das Internet? München 2007, S. 24