Bethanien (Berlin)

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Das Bethanien am Mariannenplatz

Das Bethanien am Mariannenplatz im Berliner Ortsteil Kreuzberg (SO 36) war ein Diakonissen-Krankenhaus und wurde als Central-Diakonissen-Haus Bethanien und als Vermächtnis des Königs Friedrich Wilhelm IV. begründet.

Im Jahr 1970 erfolgte die Stilllegung des Krankenhauses, ein Abriss konnte durch Bürgerinitiativen verhindert werden. Das Bethanien wurde daraufhin unter Denkmalschutz[1] gestellt und vom Land Berlin gekauft. Seitdem wird es von kulturellen, künstlerischen und sozialen Einrichtungen und selbstorganisierten Initiativen genutzt.

Historischer Hintergrund

Der König „wollte eigentlich nur Kirchen bauen. Sie sollten malerische Gebilde sein, Gebäudegruppen, eingebettet in Grün, Inseln der Verheißung, die er als Missionsstationen in die Stadt zu setzen gedachte. Dies waren fromme und edle Gedanken, die aber nichts mit der Wirklichkeit der Berliner Wohnungsmisere zu tun hatten und das Problem des aufkommenden Proletariats in der Industriestadt Berlin ignorierten.“[2]

Blick vom Luisenstädtischen Kanal auf die Westseite des Krankenhauses, 19. Jahrhundert

Da in jener Zeit der Stadterweiterung das „Köpenicker Feld“ erschlossen wurde, entstand noch unter des Königs Regie die Luisenstadt, „der Landwehrkanal und einige sehr stimmungsvolle Kirchenanlagen [...] und der noch hübschere luisenstädtische Kanal [...] – die ersten Notstandsarbeiten, die der König zur Linderung der Arbeitslosigkeit ausführen ließ.“[3]

Hospital und Ausbildungsstätte

Gründung und Bauphase

Die „Errichtung eines Institutes zur Ausbildung von Krankenpflegerinnen, mit welchem [...] eine eigene Krankenanstalt verbunden sein sollte“ lautete der Auftrag, für den der Architekt Ludwig Persius den ersten Entwurf fertigte. Nach Persius’ Tod übernahm 1845 sein Mitarbeiter Stein die Bauausführung unter der Leitung des Schinkelschülers Stüler. Ausgeführt wurde die hufeisenförmige Anlage im schlichten Rundbogenstil, deren Haupttrakt von zwei 35 Meter hohen, schlanken Türmen überragt wird.[A 1]

„Als das Haus im Oktober 1847 seiner Bestimmung übergeben wurde, lag es noch außerhalb der Stadtgrenzen, inmitten von Gärten und Roggenfeldern.“[4]

In den Revolutionsjahren 1848/1849 arbeitete Theodor Fontane im Krankenhaus als Apotheker. Er bildete in dieser Zeit Emmy Danckwerts zur Apothekerin aus.[5] Die originalerhaltene Fontane Apotheke liegt im Erdgeschoss der Nordost-Ecke des Hauptgebäudes.

Das Bethanien wurde 1851 Stiftung unter Aufsicht der Altlutherischen Kirche, der Bau eines Leichenhauses und der Kapelle folgte. Der Verbesserung der Versorgung diente 1857 der Bau eines Wirtschaftshofes und von Stallanlagen. Die Lage des Personals wird durch ein „Feierabendhaus“ für die Diakonissen erleichtert (1878); ein Kinderheim im Seebad Heringsdorf wird angeschlossen (1882) und eine Vorschule für Diakonissen eingerichtet (1894). Dennoch kommt es um die Jahrhundertwende zu „Nachwuchsmangel und Arbeitsüberlastung der Diakonissen.“ 1912 wird ein Seminar für christliche Kindergärtnerinnen gegründet, das auf „pädagogischer Arbeit“ aufbaut.[6]

Das Bethanien von der Muskauer Straße aus

Einbezug in die Mietskasernenstadt

Siehe Hauptartikel: Stadterneuerung Berlin.

Noch nach den königlichen Plänen war durch Lenné die parkähnliche Anlage um das Haus entstanden, doch hatte sich mittlerweile das Blatt in der Gestaltung der Stadt und auch auf dem Köpenicker Feld gewendet: „Nach Schinkels Tod [1841] besorgte alles, was den Städtebau anging der Berliner Polizeipräsident.“ Berlin war Hohenzollern-Residenz und in den Residenzen stand die (Staats)polizei über dem Magistrat. Selbst der König hatte nicht mehr viel zu vermelden, dessen Bauten waren nun nur noch ‚Auslaufmodelle‘. Der Polizeipräsident verordnete den Bau der Mietskasernenstädte, es galten nur noch dessen Vorschriften (z.B. Anordnung des Baus fünfgeschossiger Gebäude mit Seitenflügeln und Quergebäuden) – die Industrialisierung brachte in den folgenden fünf Jahrzehnten eine Verfünffachung des Einwohnerzuwachses (365.000 auf 1,7 Mio.).

Kiaulehn: „Nur die Kirchhöfe der Innenstadt, die nicht bebaut werden durften, haben die Berliner vor dem Erstickungstod bewahrt.“ (S. 87).

Das Bethanien stand nun inmitten der Mietskasernenstadt.

1869 kam es zu einer Katastrophe, denn es starben im Krankenhaus 900 Menschen nach operativen Eingriffen an Wundbrand. Noch hatten sich die teils verzweifelten Versuche des ungarischen Arztes Ignaz Semmelweis, in den Krankenhäusern Hygiene-Maßnahmen (z.B. Desinfizieren der Bestecke) einzuführen, nicht durchgesetzt. Vermutlich verschweigt der Chronist den massenhaften Tod der Wöchnerinnen. Im bald darauf folgenden Krieg (1870/71) wurden die meisten Diakonissen als Lazarettschwestern abgezogen, ebenso wie dann im Ersten Weltkrieg 1914/18.[7]

Krankenhaus Bethanien, Postkarte (um 1912)

Ausbau

In den Jahren 1929/1930 wurden durch die Architektensozietät Carl Mohr und Paul Weidner umfangreiche Umbauarbeiten und Erweiterungen geplant und realisiert, wie Unterlagen aus dem Architekturmuseum der TU Berlin zeigen.[8]

Nach der Ausstellungschronik handelte es sich dabei „1929/30 [um den] Bau des großen Seminarhauses für Jugendleiterinnen, als Haushaltsschule, Kindergarten und -hort [und] 1930 [um den] Bau des Hauses ‚Tabea‘ (Lehrgänge und Schwesternwohnheim).“

Nationalsozialismus

1933 verweigert die Leitung des Bethanien die Forderung der Nationalsozialisten, die Führungspositionen mit Parteigenossen zu besetzen. 1941 wird auf Veranlassung der Gestapo das Seminarhaus beschlagnahmt. Ein Blindenlazarett wird eingerichtet. Im Zweiten Weltkrieg gibt es personelle Engpässe, da viele Ärzte (und mit Sicherheit auch Schwestern) an die Front beordert sind. 1943 werden noch „leichte Schäden“ und 1945 „schwere Schäden“ durch Luftangriffe gemeldet – wahrscheinlich durch den Großangriff der alliierten Bomberflotten vom 3. Februar 1945.[9]

Ende April 1945 wurde das Krankenhaus beim Durchmarsch der sowjetischen Truppen nicht weiter (durch Artillerie) beschädigt.[A 2]

Nachkriegszeit

Nach sofortiger Schadensbehebung (improvisiert bis 1947), wird 1950/51 der große Südflügel erneuert.

Im Zuge des Mauerbaus geht vor allem die Zahl der Patienten aus dem Ostteil der Stadt fast völlig zurück. Das Krankenhaus ist zahlungsunfähig (1966) und Abrisspläne werden bekannt (1968): Die renommierte Architektin Sigrid Kressmann-Zschach wollte nur das Hauptgebäude bestehen lassen, „umgeben von Wohnsilos und Altenheim. [...] Der Bund deutscher Architekten läuft gegen dieses Spekulationsobjekt Sturm.“ Es gelingt, den Komplex unter Denkmalschutz zu stellen. (1969)

Stilllegung und Besetzung

1970 wird das Krankenhaus geschlossen: „Die Kirche verkauft es für 10,5 Millionen an das Land. Öffentliche Kontroverse um die Nutzung.“[10]

Der Zugang zum Rauch-Haus

Am 19. Dezember 1971 kommt es zur Besetzung des ehemaligen Schwesterwohnheims „Martha-Maria-Haus“ – ein Nebengebäude auf dem Gelände des Bethanien. Der Vorfall findet große (Presse-)Resonanz. Von den Besetzern wird das Gebäude in „Georg-von-Rauch-Haus“ umbenannt; nach dem Todesopfer einer Polizeiaktion.

Schlagzeilen machte auch eine Polizeirazzia am 19. April 1972, die von der Rockband „Ton Steine Scherben“ im „Rauch-Haus-Song“ thematisiert wurde.

In der Folge der Auseinandersetzungen einigte sich der Berliner Senat mit den von einer breiten Öffentlichkeit getragenen Besetzern auf eine legale Nutzung als Jugendwohnprojekt. Vor allem durch internen Streit und Konflikte um Baufragen und Verträgen war das Projekt noch lange Zeit gefährdet bevor es eine bis heute andauernde Konsolidierung durchlief.

2011 feierte das Georg-von-Rauch-Haus seinen 40. Geburtstag als „Jugend- und Kulturzentrum Kreuzberg e. V.“

Künstlerhaus Bethanien

Das Bethanien im Winter 2014/15

Im Rahmen der Legalisierung der Besetzung und auch zur Stabilisierung der Neunutzung setzten 1973 Künstlergruppen und schließlich der Bbk berlin (Berufsverband Bildender Künstler Berlin) eine Wiedereröffnung des Bethanien als „Zentrum für Kultur und Soziales mit dem Atelier- und Ausstellungsprogramm der Künstlerhaus Bethanien GmbH“ durch.

Erneute Besetzung und Bürgerbegehren

Nach einer langen prosperierenden Phase geriet das Zentrum 2004/05 wieder in eine Krise, als die Seniorenbegegnungsstätte schloss und das Sozialamt aus dem Südflügel auszog, dessen Räume daraufhin von der Gruppe „Yorck59“ am 11. Juni 2005 besetzt wurden.[A 3] Durch die Besetzung und ein Bürgerbegehren der „Initiative Zukunft Bethanien“ (IZB) wurde der Ende 2002 durch die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) Friedrichshain-Kreuzberg beschlossene Verkauf des Bethanien an einen Privatinvestor gestoppt. Nach dem Willen des Bezirkes sollte im Bethanien ein „Internationales Kulturelles Gründerzentrum“ errichtet werden.

In der Folge des Bürgerbegehrens verständigten sich die verschiedenen Seiten auf einen „Runden Tisch“ zur Entwicklung des Hauses.[11] Damit verblieb das Bethanien vorerst in öffentlicher Hand und die Weichen für eine Entwicklung hin zu einem offenen Zentrum waren gestellt: „Die gegenwärtigen Nutzer und die Öffentlichkeit sollen die Möglichkeit haben, sich an der weiteren Entwicklung des Bethanien zu einem offenen kulturellen, künstlerischen, politischen und sozialen Zentrum zu beteiligen.“[12]

Gegenwart

Am 1. Mai 2009 übernahm die GSE (Gesellschaft für StadtEntwicklung gemeinnützige GmbH, Treuhänder Berlins) die Bewirtschaftung. Es blieb bei den bestehenden „Ankernutzern“, dem Hausprojekt ‚Yorck59‘ und einer Vielzahl kleinerer Initiativen und Projekte als Mieter.[A 4]

Gegenwärtig arbeiten auf dem Bethanien-Gelände rund 25 soziale und kulturelle Einrichtungen. Im Hauptgebäude befinden sich die Druckwerkstatt des Berufsverbandes Bildender Künstler Berlin, die Ausstellungsräume des Kulturamtes Friedrichshain-Kreuzberg (Kunstraum Kreuzberg/Bethanien) und die Musikschule Friedrichshain-Kreuzberg. Im Juni 2010 ist die Künstlerhaus Bethanien GmbH, die ebenfalls seit 1973 im Bethanien gearbeitet hat, mit ihrem internationalen Atelier- und Ausstellungsprogramm aus dem Hauptgebäude in die Kohlfurter Straße 41–43 in Kreuzberg umgezogen. Seit 2002 befindet sich im Südflügel des Hauptgebäudes die NewYorck im Bethanien mit ihren Projekten. In den Nebengebäuden befinden sich die Arbeiterwohlfahrt Kreuzberg, Teile des Jugendamtes Friedrichshain-Kreuzberg, das Pestalozzi-Fröbel-Haus und weitere Jugend- und Sozialeinrichtungen. Auf dem Gelände befindet sich auch das Freiluftkino Kreuzberg.

Anmerkungen

  1. Für die markante Portalsituation ließen sich Persius und Stein möglicherweise vom Herzogspalast im italienischen Urbino inspirieren.
  2. Da die Oberbaumbrücke zerstört war, setzten Pioniere über den Lohmühlenkanal. Eine deutsche Einheit verteidigte den Görlitzer Bahnhof, die dorthin konzentrierte russische Artillerie ersparte die weitere Zerstörung der umliegenden Viertel. Durch SO36 stießen russische Einheiten ohne Widerstand bis zum Moritzplatz vor.
  3. Die Besetzer benannten das Projekt in Anknüpfung an ihr ehemaliges Hausprojekt New Yorck59. Während die Besetzer in der einen Etage wohnen, wird die andere selbst organisierten Projekten zur Verfügung gestellt und für Veranstaltungen genutzt.
  4. Die Mieter sind in Beiräten an der Weiterentwicklung des Gebäudes beteiligt: Zum einen der Südflügel des Gebäudes (u. a. NewYorck im Bethanien, Heilpraktikschule in Selbstverwaltung, Kita-Nord) und zum anderen Haupt- und Nordflügel (u. a. Druckwerkstatt des BBK, Medienwerkstatt im BBK, Kunstraum Kreuzberg/Bethanien, Musikschule Friedrichshain-Kreuzberg, Internationales Theaterinstitut, Dramaturgische Gesellschaft, Bundesverband Freier Theater, Lufttanz Theater).

Literatur

  • Walter Kiaulehn: Berlin. Schicksal einer Weltstadt, Biederstein Verlag, München Berlin 1958.

Weblinks

Commons: Bethanien – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Eintrag 09031097 in der Berliner Landesdenkmalliste
  2. Walter Kiaulehn: Berlin. Schicksal einer Weltstadt. Biederstein Verlag, München Berlin 1958, S. 85.
  3. Walter Kiaulehn: Berlin. Schicksal einer Weltstadt. Biederstein Verlag, München Berlin 1958, S. 86.
  4. Zitate nach den Ausstellungstafeln im Nordostflügel des Bethanien nahe der Fontane-Apotheke.
  5. Wolfgang Jürries (Hrsg.): Wendland Lexikon, Band 1 L–K, Köhring Verlag, Lüchow 2000.
  6. Informationen nach der Chronik der Ausstellungstafeln vor Ort (Gibt es Quellenbezug Webseite?).
  7. Information 1869 bis 1914/18 Ausstellungstafel.
  8. Materialien im Architekturmuseum der TU Berlin
  9. Ausstellungschronik vor Ort.
  10. Informationen der Ausstellungstafeln.
  11. Die IZB setzt diesem ein Konzept eines „offenen sozialen, kulturellen, künstlerischen und politischen Zentrums von unten“ entgegen. Es gelang der IZB, die notwendigen 5000 Unterschriften für das Bürgerbegehren zu sammeln. Die BVV hat im September 2006 einem mit der IZB ausgehandelten Kompromiss zugestimmt und damit wesentliche Forderungen des Bürgerbegehrens übernommen.
  12. Beschluss der Bezirksverordnetenversammlung Friedrichshain-Kreuzberg von Berlin vom 4. September 2006 (PDF-Datei; 17 kB)

Koordinaten: 52° 30′ 14″ N, 13° 25′ 28″ O