Egon Schultz

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Egon Schultz

Egon Schultz (* 4. Januar 1943 in Groß Jestin, Landkreis Kolberg-Körlin; † 5. Oktober 1964 in Berlin) war ein Unteroffizier der Grenztruppen der DDR. Er wurde bei einem Schusswechsel mit Fluchthelfern versehentlich von einem anderen DDR-Grenzsoldaten in Ost-Berlin erschossen. Von DDR-Führung und Stasi wurde wahrheitswidrig verbreitet, dass Schultz von einem Fluchthelfer erschossen wurde, diese Propagandalüge wurde erst nach der Deutschen Wiedervereinigung aufgedeckt.

Leben

Egon Schultz wurde als der ältere von zwei Söhnen des Kraftfahrers Alfred Schultz und dessen Frau Frieda, einer Serviererin, geboren, war als Unterstufenlehrer in Putbus und von September 1962 bis November 1963 als Lehrer in Rostock-Dierkow tätig, bis er zum Wehrdienst einberufen wurde.

Bei einer Fluchtaktion, für die der Tunnel 57 gegraben worden war (mitfinanziert vom Stern-Chefredakteur Henri Nannen durch den Vorabkauf der Exklusivrechte am Tunnelbau), konnten innerhalb von zwei Nächten 57 Flüchtlinge von einem Hinterhof der Strelitzer Straße 55 in Ost-Berlin nach West-Berlin in die Freiheit flüchten. Die Fluchthelfer waren mit Pistolen aus Polizeibeständen bewaffnet, um sich „notfalls“ den Weg freischießen zu können.[1] Als Schultz mit zwei Stasi-Angehörigen und Maschinenpistolen im Anschlag den Hof der Strelitzer Straße 55 betrat, kam es zu einem Schusswechsel, in dessen Verlauf Schultz von einer Kugel aus der Pistole von Christian Zobel getroffen wurde. Er ging zu Boden und wurde beim Versuch, wieder aufzustehen, versehentlich von einem DDR-Grenzsoldaten mit dessen AK-47 erschossen.

Propagandalüge in der DDR

Von der DDR-Führung wurde nach dem Tod von Schultz behauptet, er sei von „westlichen Agenten“ oder vom Fluchthelfer Christian Zobel erschossen worden. Tatsächlich war ihr bekannt, dass Schultz von dem DDR-Grenzer Volker M. erschossen wurde. Öffentlich vertrat die Regierung der DDR aber stets ihre Version und propagierte Schultz als Volkshelden. Dazu wurden Beweise manipuliert. So wurde unter anderem ein Foto der Jacke von Schulz so beschnitten, dass die Einschusslöcher der Projektile nicht mehr zu sehen waren. In der DDR galten die beteiligten Fluchthelfer als Agenten und Mörder. Erst durch die Öffnung der Stasi-Akten konnte richtiggestellt werden, dass die tödlichen Schüsse aus der Waffe eines Grenzsoldaten abgegeben wurden. Allerdings war zu diesem Zeitpunkt der Fluchthelfer, der den ersten Schuss abgegeben hatte und als Todesschütze dargestellt wurde, bereits verstorben. Einer der beteiligten Fluchthelfer war der spätere Astronaut Reinhard Furrer, der 1995 und ebenfalls vor der Aufklärung starb.

Nachwirken

Nach seinem Tod erhielten in der DDR mehrere Einrichtungen den Namen „Egon Schultz“, so die Rostocker Schule, an der Schultz als Lehrer tätig war, eine Berliner Polytechnische Oberschule, eine Hönower Schule, ein Wehrlager in Prerow und eine Unteroffiziersschule. 1976 wurde ein Jugendtouristenhotel am Berliner Tierpark nach ihm benannt.[2] Außerdem wurden Brigaden, Straßen (eine davon 1966 in Berlin-Mitte), Kasernen und Erholungsheime nach ihm benannt und ein Kinderbuch wurde über ihn verfasst.

Am 1. Dezember 1991 wurde die Berliner Egon-Schultz-Straße in Strelitzer Straße zurückbenannt, die ehemalige Rostocker Egon-Schultz-Oberschule trägt den Namen Käthe-Kollwitz-Gymnasium. Der dortige Gedenkstein, der von Eltern und Schülern mitfinanziert wurde, wurde entfernt.

1995 wurde die Hönower Egon-Schultz-Oberschule bei Berlin von der Schulkonferenz in Gebrüder-Grimm-Grundschule umbenannt. Der gleichfalls von der Schulkonferenz vorgelegte Antrag, den Gedenkstein mit der Inschrift „Unser Vermächtnis – Vorbild der Jugend“ zu beseitigen, wurde vom Bürgermeister abgelehnt: „Es gibt keinen Grund, darüber zu diskutieren. Wir müssen lernen, mit unseren Denkmälern zu leben.“.[3]

Gedenktafel am Haus Strelitzer Straße 55, in Berlin-Mitte

Britta Wauer beleuchtet die dem tödlichen Schusswechsel vorausgehende Fluchtaktion Tunnel 57 aus dem Oktober 1964 in ihrer 2001 erstellten Dokumentation Heldentod – Der Tunnel und die Lüge (Arte/ZDF). Der Dokumentarfilm, der mit dem Deutschen Fernsehpreis ausgezeichnet wurde, lief erstmals am 8. August 2001 auf Arte unter dem Titel Heldentod – Wer erschoss Egon Schultz?

2004 wurde auf Initiative von ehemaligen Fluchthelfern, Flüchtlingen und Freunden von Egon Schultz anlässlich der 40-jährigen Wiederkehr dieses Ereignisses in Zusammenarbeit mit dem Dokumentationszentrum Berliner Mauer eine Erinnerungstafel am Todesort angebracht.

Literatur

Weblinks

Commons: Egon Schultz – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Peter Kirschey: Keine Heldengeschichte in neues Deutschland vom 13. August 2012
  2. Hotel im Wandel der Zeit – es begann vor 35 Jahren auf der Webseite des Marzahn-Hellersdorfer Wirtschaftskreises
  3. Heftiger Streit um Namenswechsel. In: Berliner Zeitung, 26. Juni 1996
  4. Verlagsmeldung