Eugène Ionesco

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Eugène Ionesco (Eugen Ionescu) (* 26. November 1909 in Slatina, Rumänien; † 28. März 1994 in Paris) war ein in Frankreich lebender rumänischstämmiger Dramatiker und ein führender Vertreter des absurden Theaters.

Kindheit und Jugend

Der inzwischen als wohl bedeutendster französischer Dramatiker der Nachkriegsjahrzehnte geltende Autor wurde unter dem Namen Eugen Ionesco im damaligen Königreich Rumänien als Sohn eines Juristen und Verwaltungsbeamten und der in Rumänien aufgewachsenen Tochter eines dort tätigen französischen Eisenbahningenieurs geboren. 1911 ging die junge Familie nach Paris, weil der Vater dort promovieren wollte. Als 1916 Deutschland und Österreich Rumänien den Krieg erklärten, kehrte der Vater zurück in sein Heimatland, wo er sehr rasch alle Verbindungen zu seiner Familie kappte, die Scheidung beantragte und wieder heiratete.

Ionesco blieb mit seiner jüngeren Schwester und seiner Mutter, die sich und die Kinder mühsam mit Gelegenheitsarbeiten und Zuwendungen ihrer französischen Verwandten versorgte, in Paris. Er wurde in ein Kinderheim gesteckt, in dem er sich nicht eingewöhnen konnte. Die Jahre 1917-19 verbrachten er und seine Schwester daher bei einer Bauernfamilie in einem Dorf, La Chapelle-Athenaise, nahe Laval (Mayenne), Normandie – in seiner Erinnerung eine paradiesische Zeit.

1922 gingen die Geschwister zum Vater nach Bukarest, wo sie Rumänisch lernen mussten und kein Verhältnis zu ihrer (kinderlos gebliebenen) Stiefmutter fanden. 1926 überwarf sich Ionesco mit seinem offenbar sehr autoritären Vater, der für die inzwischen manifesten literarischen Interessen seines Sohnes nur Verachtung übrig hatte und einen Ingenieur aus ihm machen wollte.

Er zog zur Mutter, die inzwischen auch wieder nach Rumänien gekommen war und einen passablen Posten bei der rumänischen Staatsbank gefunden hatte. 1928 begann er ein Französischstudium in Bukarest, wobei er Émile Michel Cioran und Mircea Eliade sowie seine spätere Frau kennenlernte, eine Philosophie- und Jurastudentin aus einflussreicher rumänischer Familie. Daneben las er viel und schrieb (auf Rumänisch) Lyrik, Feuilletonistisches und Literaturkritiken. Nachdem er 1934 sein Studium abgeschlossen hatte, unterrichtete er Französisch an verschiedenen Schulen und anderen Bildungseinrichtungen. 1936 heiratete er.

Die schwierigen Jahre vor, im und nach dem Krieg

1938 beschaffte sich Ionesco über das Bukarester Institut Français ein Promotionsstipendium für Frankreich, nicht zuletzt um dem Druck zu entgehen, der in dem zunehmend totalitären Rumänien auf eher linken Intellektuellen wie ihm lastete. Von Paris aus belieferte er rumänische Zeitschriften mit Neuigkeiten aus der literarischen Szene Paris'.

Nach der Niederlage Frankreichs im "Blitzkrieg" (Mai/Juni 1940) gingen er und seine Frau zurück in das zu dieser Zeit relativ ruhige Rumänien, wo er als Soldat gemustert, aber nicht eingezogen wurde.

1942 oder 1943, nachdem sich Rumänien 1941 Deutschland im Krieg gegen die Sowjetunion angeschlossen hatte, schafften es die Ionescos, wieder in das nunmehr ruhigere Frankreich zu reisen, wo sie (zunächst in Marseille, dann in Paris) endgültig blieben. Dort wurde auch 1944 ihr einziges Kind, eine Tochter, geboren. Finanziell ging es ihnen schlecht, Ionesco verdingte sich als Druckfahnen-Korrektor in einem Pariser juristischen Verlag, wo er bis 1955 angestellt blieb.

Der langsame Aufstieg

1948 konzipierte Ionesco (zunächst auf Rumänisch) sein erstes Stück, La Cantatrice chauve/Die kahle Sängerin, das 1950 aufgeführt wurde und, wenn auch nicht beim Publikum, so doch bei etlichen Kritikern und Literaten Beachtung fand. 1950 nahm er die französische Staatsbürgerschaft an. Er verfasste die Stücke La Leçon/Die Unterrichsstunde (Aufführung 1951) und Jacques ou la Soumission/J. oder die Unterwerfung, die ihn nun ganz zu einem Französisch schreibenden Theaterautor werden ließen.

1951 folgten Les Chaises/Die Stühle, Le Maître/Der Lehrer und L'Avenir est dans les œufs/Die Zukunft ist in den Eiern. 1952 entstand Victimes du devoir/Opfer der Pflicht, zugleich wurden La Cantatrice chauve und La Leçon wieder aufgeführt. 1953 war ein Erfolgsjahr: die Victimes wurden uraufgeführt, dazu mit Erfolg eine Serie von sieben Sketchen. Ein erster Sammelband von Stücken wurde gedruckt. Desweiteren verfasste Ionesco Amédée ou comment s'en débarrasser/A. oder Wie soll man ihn loswerden und Le nouveau locataire/Der neue Mieter.

Ionesco hatte sich nun als absurd-witziger Autor etabliert, der auch schon fast von seinen Stücken leben konnte. 1954 schrieb er Le Tableau/Die Tafel und die Erzählung Oriflamme und machte eine erste Vortrags-Auslandsreise (nach Heidelberg). 1955 verfasste er L'Impromptu de l'Alma/Das Stegreifstück der Alma und erlebte die erste Aufführung eines seiner Stücke im Ausland (Le nouveau locataire). 1957 wurden La Cantatrice chauve und La Leçon von dem kleinen Pariser Théâtre de la Huchette neu einstudiert, wo sie ununterbrochen bis heute (Mai 2006) im Programm sind.

Die Jahre des Erfolgs

Im Herbst 1957 erschien die Erzählung Rhinocéros, mit der Ionesco offenbar verängstigt auf den seuchenhaften Ausbruch von Hurrah-Patriotismus und Rassismus reagierte, den Frankreich während der von den Medien aufgebauschten "Schlacht um Algier" (Winter 1956/1957) erlebte, mit der das französische Militär die Wende im Algerienkrieg (1954-1962) zu erreichen hoffte. Im Herbst 1958 entstand das Stück Rhinocéros/Die Nashörner, das Handlung und Personenkonstellation der gleichnamigen Erzählung leicht verändert übernahm und wo Ionesco, offenbar erneut verängstigt, warnend auf die "Machtergreifung" General de Gaulles reagierte, von dem sich in der Tat viele seiner Anhänger zunächst ein autoritäres rechtes Regime erhofften.

Als das Stück, das für Frankreich zunächst als zu brisant erschien, 1959 in Düsseldorf uraufgeführt wurde, glaubte das deutsche Publikum allerdings, es nehme den Nationalsozialismus aufs Korn – eine Deutung, die man in Frankreich nur zu gern übernahm, als Rhinocéros 1960 auch im inzwischen wieder ruhigen Paris inszeniert wurde. Im Winter 1958/1959 entwickelte Ionesco aus der Erzählung Oriflamme das Stück Tueur sans gages/Killer ohne Lohn.

1961/1962 entstand Le Roi se meurt/Der König stirbt, ein verschlüsselter Abgesang auf Frankreich als Kolonialmacht, 1962 dann Délire à deux/Delirium zu zweit und Le Piéton de l'air/Fußgänger der Luft (Letzteres wiederum zuerst als Erzählung und erst danach als Stück).

Ebenfalls 1962 erschien unter dem Titel Notes et contre-notes eine Sammlung von Artikeln und Vorträgen Ionescos zu seinem Theater. 1964 erlebte einmal mehr Düsseldorf eine Ionesco-Uraufführung: Le Soif et la faim/Hunger und Durst. Im selben Jahr wurde mit Rhinocéros erstmals ein Stück von ihm in seinem Geburtsland Rumänien inszeniert.

Die letzten Jahrzehnte

Etwas widerwillig, aber unaufhaltsam, avancierte Ionesco nun zu einem etablierten Autor, der zu Vorträgen eingeladen, mit Preisen und Ehrungen überhäuft und 1970 auch in die Académie Française aufgenommen wurde. Er versuchte sich schließlich auch in der Gattung Roman und stellte 1973 Le Solitaire/Der Einzelgänger fertig, wo eine Art Aussteiger und Mann ohne Eigenschaften seine sinnleere Vergangenheit und Gegenwart Revue passieren lässt.

Als genuiner Dramatiker machte Ionesco aus dem Roman aber sogleich auch ein Stück, Ce formidable bordel!/So ein Tollhaus! (1973), in dem er selbigen Mann als Hauptperson eine völlig passive, beinah stumme und trotzdem eindrucksvolle Rolle spielen lässt. Da er hierbei en passant sarkastisch die 68er-"Revolutionäre" verspottet, wurde er, der einst durchaus Linke, von ihnen als faschistoider Autor beschimpft.

1975 kam sein letztes Stück heraus, L'Homme aux valises/Der Mann mit den Koffern. Hiernach zog sich Ionesco auf seine Position als unbestritten anerkannter Autor zurück, genoss und verwaltete seinen Ruhm. Wenn er auch immer noch fleißig schrieb und publizierte, so in anderen Gattungen, z.B. Autobiografisches.

In den achtziger und neunziger Jahren verfiel Ionesco zunehmend in schwere Depression und begann als Therapie dagegen mit der Malerei.

Als er 84-jährig in Paris starb und auf dem Cimetière du Montparnasse begraben wurde, war er nicht nur ungekrönter König des sog. "Theaters des Absurden", sondern galt auch als einer der großen französischen Dramatiker überhaupt. Die häufig vorhandenen politischen Botschaften seiner Stücke werden heute oft nicht mehr wahrgenommen, sondern als Kritik an allzumenschlichen Schwächen verstanden.


Liste der Werke

Dramen

  • La Cantatrice chauve. 1950 (deutsch: Die kahle Sängerin 1987)
  • Les Salutations. 1950
  • La Leçon. 1951 (deutsch: Die Unterrichtsstunde)
  • Les Chaises. 1952 (deutsch: Die Stühle)
  • Le Maître. 1953
  • Victimes du devoir. 1953 (deutsch: Opfer der Pflicht)
  • La Jeune Fille à marier. 1953
  • Amédée ou Comment s'en débarrasser. 1954
  • Jacques ou la Soumission. 1955
  • Le Nouveau Locataire. 1955
  • Le Tableau. 1955
  • L'Impromptu de l'Alma. 1956
  • L'avenir est dans les Oeufs. 1957
  • Tueur sans gages. 1959
  • Scène à quatre. 1959
  • Apprendre à marcher. 1960
  • Rhinocéros. 1960 (deutsch: Die Nashörner)
  • Délire à deux. 1962
  • Le roi se meurt. 1962 (deutsch: Der König stirbt)
  • Le Piéton de l'air. 1963
  • La Soif et la Faim. 1965 (deutsch: Hunger und Durst)
  • La Lacune. 1966
  • Jeux de massacre. 1970
  • Macbett. 1972
  • L'Homme aux valises. 1975
  • Voyage chez les morts. 1980

Essays, Tagebuch

  • Nu 1934
  • Hugoliade 1935 (deutsch: Das groteske und tragische Leben des Victor Hugo 1985)
  • La Tragédie du langage.1958
  • Expérience du théâtre 1958
  • Discours sur l'avant-garde 1959
  • Notes et contre-notes 1962 (dt. Argumente und Argumente)
  • Découvertes 1969
  • Antidotes 1977
  • Journal en miettes 1967 (dt. Tagebuch, 1967 und öfter)

Lyrik

  • Elegii pentru fiinte mici. 1931

Romane, Erzählungen und Novellen

  • La Vase. 1956
  • Les Rhinocéros 1957 (deutsch: Die Nashörner)
  • Le Piéton de l'air. 1961 (deutsch: Fußgänger der Luft)
  • La Photo du colonel. 1962
  • Le Solitaire. 1973 (deutsch: Der Einzelgänger)

Weblinks