Fleischkleid

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Ein Fleischkleid bezeichnet ein aus Fleisch bestehendes Kleidungsstück. Weltweit bekannt wurde ein bei den MTV Video Music Awards 2010 von der Popsängerin Lady Gaga getragenes Kleid aus rohem Rindfleisch. Bereits früher wurden Fleischkleider für künstlerische Zwecke und zum Marketing zu verschiedenen Anlässen gefertigt und getragen.

Kulturgeschichte

Süddeutsche Vanitasdarstellung im 18. Jahrhundert

Bereits in früheren Vanitasdarstellungen und im Bild des Totentanzes wird gelegentlich das fleischerne Innere des Körpers nach außen gekehrt. Diese Darstellungen spielen auf bereits im Altertum verbreitete Vorstellungen an, die an der Kontrastierung von vergänglicher Schönheit und darunter befindlicher Vergänglichkeit Gefallen finden oder diese als Memento mori benutzen. Ähnlichkeiten ergeben sich ebenso mit der Ästhetik der Plastinate Gunther von Hagens.[1] Hermann Nitsch Verwendung bei Performances mit vom Körper gelöstem Fleisch ist davon zu unterscheiden.[2]

Während Pelz oder Leder als Kleidung lange Tradition und bedeutende ikonographische Symbolgehalte haben, ist die Verwendung von Fleisch als Kleidung oder Kostüm ungewöhnlich.[3] Sie wendet scheinbar das körperinnere Fleisch nach außen.[3] Die 1987 zuerst durchgeführte Kunstaktion Vanitas: Flesh Dress for an Albino Anorectic von Jana Sterbak nimmt die entsprechenden älteren Vorstellungen wörtlich. Dabei trat eine junge Frau mit einem Kleid aus Ochsenfleisch auf.[3][4][5][6]

Auf dem Album All Wrapped Up der The Undertones trug ein weibliches Model hauptsächlich aus Schinken und Würstchen bestehende Kleidung. Ebenso fertigten die Architekten Diller Scofidio + Renfro für einen Schönheitswettbewerb ein Fleischkleid an und propagierten es 2006 in einem Buch über „Architektur als Körpererweiterung“.[7][8] Hingegen ist die Darreichung von Essen auf einem (zumeist weiblichen) Körper, wie sie sich bei Bildern und Aktionen Meret Oppenheims und Salvador Dalís bereits fand[3] wie Anspielungen und Darstellungen von Kannibalismus davon zu trennen.

Lady Gagas Fleischkleid

Auftritt 2010

Fleischkleid (Imitation) von Lady Gaga bei der Performance Americano auf der The Born This Way Ball Tour in Helsinki.
Weitere Bühnenszene der The Born This Way Ball Tour.

Lady Gaga hatte 2010 bereits bei einer Show einen Bikini aus Fleisch getragen. Im Vorfeld der MTV Video Music Awards war sie mit 13 Nominierungen die am meisten genannte Künstlerin.[9] Bei der Preisverleihung am Abend des 12. September 2010 trug sie zunächst ein Kleid von Alexander McQueen, wechselte später zu einem von Giorgio Armani. Erst zur Entgegennahme des von der Sängerin Cher überreichten Preises trug sie ein Kleid sowie Hut, Schuhe und eine Handtasche aus rohem Rindfleisch.[10]

Anschließend gab sie Interviews, so in der The Ellen DeGeneres Show, und wurde für die Presse in dem Kleid fotografiert. Gegenüber der Veganerin Ellen DeGeneres äußerte sie: Vorlage:"-en DeGeneres hatte dabei erhebliche Probleme, neben Lady Gaga zu sitzen.[11] Lady Gaga hatte sich im Jahr zuvor bei dem VMAs mit Kunstblut überschüttet, was u.a. als weichgespülte MTV-Interpretation von Nitsch interpretiert wurde.[2]

Einflüsse

Entwurf und Ausführung des Kleides stammten von Franc Fernandez (Konzept) und Nicola Formichetti (Styling). Sie äußerten sich nicht zu künstlerischen Einflüssen auf das Werk. Im Frühjahr 2010 hatte der Maler Mark Ryden in der Paul Kasmin Gallery in New York ein 2009 entstandenes Bild namens Incarnation ausgestellt, das ein mit Fleisch und Würsten behängtes Mädchen zeigt.[12] Ryden hielt einen zufälligen Zusammenhang mit dem Fleischkleid für wenig wahrscheinlich. Allerdings hätten auch Jana Sterbak, Julia Kissina und Zhang Huan ähnliche Arbeiten veröffentlicht.[13] MTV veröffentlichte einen Tag nach Lady Gagas Auftritt einen Vergleich beider Kleider.[14] Der New Yorker Künstler Zhang Huan trug 2002 für eine Performance im Whitney Museum einen Fleischanzug.[15] Die ebenfalls in New York lebenden Künstlerin Carolee Schneeman hatte schon 1964 in verfilmten Performances unter dem Titel Meat Joy Fleisch als Ausdrucksmittel eingesetzt.[16] Die Kunstkritikerin Emma Allen sah einen Einfluss von Zhang Huans und Schneemans Arbeiten auf das Fleischkleid.[17]

Rezeption

Während Halloween 2010 kamen Persiflagen und Nachahmungen des Fleischkleids in Mode, ebenso wurde das Kleid von Studenten nachgestellt.[18][19] Es wurde 2011 in der Rock and Roll Hall of Fame ausgestellt, nachdem es in Form von Beef Jerky konserviert und gefärbt worden war.[20]

Kontroverse Stimmen kamen von Tierrechtlern und der Organisation PETA. Neben genereller Ablehnung wurde anlässlich eines Auftritts Lady Gagas beim Großen Preis von Indien 2011 vorgeschlagen, sie zum Ausgleich dort in Kohlblätter zu hüllen.[21] Karen Rosenberg von der The New York Times verglich das Kleid mit Werken des Malers Francis Bacon.[22] Eric T. Hansen konstatierte unter dem Titel Wir Amis sind blöd, aber haben Spaß dabei, das Fleischkleid von Lady Gaga habe eine enorme politische Wucht,[23] der amerikanische Antiintellektualismus ermögliche eine enorm produktive Populärkultur.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Rainer Metzger: Fleischkleid. In: Arttmagazine.cc, 15. September 2010.
  2. a b Judith Kessler: Lady Gaga schockiert. Fleisch auf den Rippen. In: Frankfurter Rundschau Online, 13. September 2010.
  3. a b c d Das Material der Kunst. Sonderausgabe: Eine andere Geschichte der Moderne, von Monika Wagner, C.H.Beck, 2002
  4. Christopher Knight: Lady Gaga, meat Jana Sterbak. In: latimes.com, 13. September 2010 (englisch).
  5. Martin Gayford: Lady Gaga’s Fleshy Outfit Echoes Artistic Lobsters, Maggots. In: Bloomberg.com. 17. September 2010, abgerufen am 10. Oktober 2013 (englisch).
  6. Ashley Seashore: Lady Gaga’s Meat Dress and the Question of Authenticity. In: thegloss.com, 13. September 2010 (englisch).
  7. Music Piracy: Artists Like Lady Gaga are to Blame. In: lovelyish.com. 9. Juli 2011, abgerufen am 25. Februar 2012 (englisch).
  8. Vergleiche unter anderem Flesh: Architectural Probes, Elizabeth Diller, Ricardo Scofidio, Princeton Architectural Press, 1. Januar 1996
  9. Jocelyn Vena: Lady Gaga, Eminem Top VMA Nominations. In: MTV News. Viacom, 2010, abgerufen am 20. Mai 2013.
  10. Caryn Ganz: Meet the Mystery Meat Dress: Lady Gaga Explains Rare VMAs Outfit. In: Stop the Presses! Yahoo!, 12. September 2010, abgerufen am 20. Mai 2013.
  11. Referenzfehler: Ungültiges <ref>-Tag; kein Text angegeben für Einzelnachweis mit dem Namen marquee.
  12. Paul Kasmin Gallery: Mark Ryden. The Gay 90's: Old Tyme Art Show. Apr 29 – Jun 5, 2010. Präsentation online, aufgerufen am 8. Oktober 2013. – Incarnation by Mark Ryden auf YouTube, aufgerufen am 8. Oktober 2013
  13. Malla Wollan: Painting a Porterhouse. Interview mit Mark Ryden, in: Meatpaper, März 2011, online, abgerufen am 8. Oktober 2013
  14. Sharon Clott: Does Lady Gags's Meat Dress remind you of Mark Ryden's Paintings? style.mtv.com, 13. September 2010, online, abgerufen am 8. Oktober 2013
  15. Werkverzeichnis, aufgerufen am 8. Oktober 2013. – Video, aufgerufen am 8. Oktober 2013
  16. Performance Chronology, Werkverzeichnis, aufgerufen am 8. Oktober. – Video, abgerufen am 8. Oktober 2013
  17. Emma Allen: Not Rare, But Well Done. The Art History Behind Lady Gaga's Meaty VMA Look. In: Blouin Artinfo, 15. September 2010, online, aufgerufen am 8. Oktober 2013
  18. Sandie Whitelocks: Lamb breast corset and a Cumberland sausage bustier… A group of aspiring designers recreate Lady Gaga's meat dress In: Daily Mail, Associated Newspapers, 11. Mai 2011. Abgerufen am 14. Mai 2011 
  19. Jill Mapes: Women Who Rock' Exhibit Opens, Features Lady Gaga's Meat Dress In: Billboard, Prometheus Global Media, 13. Mai 2011. Abgerufen am 14. Mai 2011 
  20. And all because the lady loves raw meat dresses, What do you do when your best frock begins to decompose? Call the celebrity taxidermist… Guy Adams recounts a lurid Hollywood tale, The Independent 2011
  21. From Carnivore to Vegetarian: Lady Gaga’s Lettuce Dress, von Cavan Sieczkowski, 29. Oktober 2011, IBT
  22. Karen Rosenberg: Two Meaty Visions of Flesh and Blood In: The New York Times, 12. Mai 2011. Abgerufen am 14. Mai 2011 
  23. Eric T. Hansen: Wir Amis sind blöd, aber haben Spaß dabei. In: Zeit Online, 5. Februar 2013.