Georges Sorel

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Georges Sorel

Georges Eugène Sorel (* 2. November 1847 in Cherbourg; † 29. August 1922 in Boulogne-sur-Seine) war ein französischer Sozialphilosoph und Vordenker des Syndikalismus.

Sorel lehnte die liberale Demokratie ab, gab aber ansonsten kein genaues politische Ziel vor. Gewalt bewertete er positiv, da sie der Gesellschaft Kraft zurückgebe und den Verfall der Sitten aufhalte.[1]

Sorels Themen und Standpunkte

Anknüpfung an Proudhon und Marx

Sorel versuchte, die Gedanken von Pierre-Joseph Proudhon - Ökonom und ein früher Vertreter des Anarchismus - und die von Karl Marx miteinander in Verbindung zu bringen.[2] Vom Marxismus übernahm er die Idee des Klassenkampfes. Marx’ Ökonomiekritik lehnte er aber ab. Sorel plädierte stattdessen für das Recht auf Eigentum und für eine freie Marktwirtschaft.

Zur Bedeutung von Mythen

Sorel betonte in seinen Überlegungen zu Mythen nicht deren Inhalt, sondern ihre Fähigkeit, Gemeinschaften zu bilden und Energien freizusetzen. „Sorel begriff den Mythos als Vorstellung von einem Schlachtbild, das massenmobilisierend heroische Gefühle und Instinkte für eine zukünftige entscheidende Auseinandersetzung erwecken sollte. Konkret wurde bei ihm der Mythos vom Generalstreik angesprochen.“[3] Der Moralismus der Arbeiterklasse, ihr Kampfgeist und ihre Stärke sollte durch „soziale Mythen“ entwickelt werden, statt durch den Glauben an eine Veränderung der Lebensbedingungen. Der Sorelsche Mythos - z.B. der vom Generalstreik - „erschafft Legenden, die der Mensch lebt, statt die Geschichte zu leben, er erlaubt, einer erbärmlichen Gegenwart zu entfliehen, gewappnet mit einem unerschütterlichen Glauben.“[4]

„Ein Mythos kann nicht widerlegt werden, da er im Grunde das gleiche ist, wie die Überzeugungen einer Gruppe, da er der Ausdruck der Überzeugungen in der Sprache der Bewegung ist, und da es folglich nicht angeht, ihn in Teile zu zerlegen.“[5]

Nach Kurt Lenk handelt es sich bei Sorels Begriff des Mythos nicht um einen Ursprungsmythos - wie in den Vorstellungen vieler konservativer Revolutionäre die „Verheißung der Wiederkehr einer verjüngten, heilen Welt“ -, sondern um einen Erwartungsmythos. Er ist „die Vorwegnahme einer sozialen Katastrophe, einer Vernichtungsschlacht […] ein hergestellter Mythos, der mittels des Generalstreiks das Proletariat heroisch und die Bourgeoisie erneut militant machen soll. Der Sinn solch heroischer Gewaltanwendung ist weniger ein Sieg der einen über die andere Seite als die Mobilisierung emotionaler Kräfte.“[6]

Hans Barth urteilte: „Das Ethos, das dem revolutionären Mythos entspricht, ist kriegerisch. Es sind die Tugenden des Soldaten, die Sorel hervorhebt: Mut, Tapferkeit, Selbstbeherrschung und Selbstverzicht, Opferbereitschaft.“[7]

Zeitdiagnose Dekadenz

Laut Lenk verbirgt sich in Sorels Gedanken ein kulturpessimistischer Begriff der Dekadenz: „Mit dem Ende der Produzentenmoral ihrer Frühzeit habe [so Sorel] die Bourgeoisie sich in die Passivität eines Konsumismus verloren, aus welcher der politische Generalstreik der Arbeiter sie nun vertreiben soll.“[8] Durch diese Dekadenz und die Kritik der Aufklärung sah Sorel die Gemeinschaften und die Ordnungskategorien Religion, Sitten und Recht bedroht: „Alle Traditionen sind verbraucht, aller Glaube abgenützt (…). Alles vereinigt sich, um den guten Menschen trostlos zu machen (…). Ich kann von der Dekadenz kein Ende sehen, und sie wird in einer oder zwei Generationen nicht geringer sein. Das ist unser Schicksal.“[9]

Politische Positionen, Haltung

Sorel vertrat unterschiedliche antiliberale Positionen. 1909 brach Sorel mit dem Sozialismus. 1910 zog es ihn für kurze Zeit zur rechten Action Française. Später unterstützt er die Russische Revolution.

Sorels Schriften und Leben sind nach Lenk bestimmt von einer „glaubenslosen Glaubenssehnsucht, der formalen Bejahung von Aktivität als solcher, ungeachtet ihrer inhaltlichen Richtung und Ziele.“[8] Sein Heroismus der „reinen Tat“ kenne keine Kompromisse. Dabei verkörpere Sorel eine antibürgerliche und antiintellektuelle Lebenshaltung, die ihn sowohl für den revolutionären Syndikalismus als auch für viele „Spielformen des modernen Anti-Intellektualismus“ attraktiv machte.[8]

Rezeption

Im Syndikalismus

Sorel hat auf den französischen und italienischen revolutionären Syndikalismus gewirkt.[10]

Sorel und der Faschismus

Sorel sehe, so Hans Barth, vor allem die moralische Qualität der kämpferischen Auseinandersetzung: „Der Kampf als das Ergebnis der antagonistischen Struktur des Menschen [sei] für Sorel in letzter Instanz ein Kampf für Recht und Gerechtigkeit.“[11] Sorel ließe sich daher nicht umstandslos in die Ideengeschichte des Nationalsozialismus bzw. einer gewissenlosen, brutalen und rassistischen 'Herrenmoral' eintragen. Barth konstatiert jedoch, dass, „obgleich für Sorel auch die Gewalt im Dienste der moralischen Gesamterneuerung der europäischen Völker stehen sollte“, die „Auswirkung seiner Lehre doch in der schrankenlosen Machtausnutzung bestand.“[12]

Einige Syndikalisten traten später zum Faschismus über[1], wodurch Sorels Überlegungen in das äußerste rechte politische Spektrum Eingang fanden.

Der italienische Diktator Benito Mussolini (1883–1945) nannte Georges Sorel auf die Frage, welchem von seinen Lehrmeistern er am meisten verdanke.[13]

Schriften

  • Contribution à l’étude profane de la Bible, Paris 1889.
  • Le Procès de Socrate, Paris 1889.
  • L’ancienne et nouvelle métaphysique, 1894, herausgegeben unter dem Titel D’Aristote à Marx, Paris 1935.
  • La ruine du monde antique, Paris 1898.
  • Saggi di critica del marxismo, Palermo 1903.
  • Le système historique de Renan, Paris 1906.
  • Insegnamenti sociali della economia contemporanea, Palermo 1907.
  • La décomposition du marxisme, Paris 1908, dt.: Die Auflösung des Marxismus, Hamburg: Edition Nautilus 1978.
  • Les illusions du progrès, Paris 1908, engl. The illusions of progress, Berkeley: University of California Press 1969.
  • Réflexions sur la violence, Paris 1908, dt.: Über die Gewalt, Innsbruck: Universitäts-Verlag Wagner 1928; Frankfurt am Main: Suhrkamp 1969; Lüneburg: AL.BE.CH.-Verlag 2007. (Siehe dazu: Klaus Große Kracht: Georges Sorel und der Mythos der Gewalt, in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History 5 (2008), S. 166-171.)
  • La révolution dreyfusienne, Paris 1909.
  • Matériaux d’une théorie du Prolétariat, Paris 1919.
  • De l’utilité du pragmatisme, Paris 1921.

Literatur

Weblinks

Einzelnachweise

  1. a b Gaetan Picon (Hrsg.): Panorma des zeitgenössischen Denkens, S. Fischer, 1961, S. 291
  2. Wilfried Röhrich: Der Mythos der Gewalt. In: Rolf Fechner/Carsten Schlüter-Knauer (Hrsg.): Existenz und Kooperation: Festschrift für Ingtraud Görland zum 60. Geburtstag. Berlin: Duncker & Humblot 1993, 217
  3. Armin Pfahl-Traughber: Konservative Revolution und Neue Rechte, Opladen 2013, S. 125.
  4. Zeev Sternhell et al.,ebd.
  5. Zitiert nach Lenk 2005, S. 56.
  6. Lenk 2005, S. 56 f., Alle Zitate nach Lenk, s. Literatur
  7. Hans Barth: Masse und Mythos. Die ideologische Krise an der Wende zum 20. Jahrhundert und die Theorie der Gewalt: Georges Sorel. Hamburg 1959, S. 90
  8. a b c Kurt Lenk: Das Problem der Dekadenz seit Georges Sorel. In: Heiko Kauffmann, Helmut Kellershohn, Jobst Paul (Hrsg.): Völkische Bande. Dekadenz und Wiedergeburt – Analysen rechter Ideologie. Münster, 2005, S. 56
  9. Zitiert nach Lenk 2005, S. 54.
  10. Lenk 2005, S. 58
  11. Barth 1959, S. 102
  12. Hans Barth: Fluten und Dämme, Zürich 1943, S. 230
  13. Erwin von Beckerath: Wesen und Werden des faschistischen Staates; Berlin 1927, ND Darmstadt 1979, S. 148