Gerhard Lehmbruch

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Gerhard Lehmbruch (* 15. April 1928 in Königsberg) ist ein deutscher Politikwissenschaftler.

Leben und Wirken

Gerhard Lehmbruch kam als ältestes von drei Kindern des evangelischen Pfarrers Werner Lehmbruch und dessen Frau Erna, geb. Müller, zur Welt. Er wuchs bis zu seinem sechsten Lebensjahr im ostpreußischen Klein-Dexen auf, ehe die Familie in das westpreußische Rehhof nahe Marienwerder umzog.[1] Nach kurzzeitigem Militärdienst im Winter und Frühjahr 1945 holte Lehmbruch 1947 in Weferlingen das Abitur nach und begann an der Kirchlichen Hochschule Berlin-Zehlendorf ein Studium der evangelischen Theologie und Philosophie. Nach Wechseln an die Universitäten Göttingen und Tübingen schloss er das Studium 1952 in Berlin mit der ersten kirchlichen Dienstprüfung ab. Anschließend ging er als Postgraduierter für ein Jahr an die Universität Basel.[2]

Von 1953 bis 1954 war Lehmbruch wissenschaftliche Hilfskraft am politikwissenschaftlichen Lehrstuhl von Professor Theodor Eschenburg an der Universität Tübingen. Anschließend studierte er von 1954 bis 1959 Politikwissenschaft, osteuropäische Geschichte und Soziologie in Paris und Tübingen. Im Jahr 1962 wurde er ebenda mit einer Arbeit über das französische Parteiensystem promoviert. Im Zeitraum von 1960 bis 1967 war er wissenschaftlicher Assistent an der Universität Tübingen. Dort wurde er 1969 im Fach Politikwissenschaft kumulativ habilitiert, unter anderem unter Berücksichtigung der Schrift Proporzdemokratie von 1967.[3] Von 1969 bis 1973 hatte er die Stelle eines Wissenschaftlichen Rates und Professors an der Universität Heidelberg inne. Danach nahm er Rufe auf politikwissenschaftliche Lehrstühle an den Universitäten Tübingen (1973–1978) und Konstanz (1978–1996) an. Von 1991 bis 1994 war er Vorsitzender der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft. Seit dem Sommersemester 1996 ist Lehmbruch emeritiert. Zu Lehmbruchs akademischen Schülern zählen Manfred G. Schmidt und Edgar Grande.

Lehmbruchs Forschungsschwerpunkte sind die Institutionen, politische Regelsysteme und Politikentwicklung im Vergleich, die Formen der Verhandlungsdemokratie und die politische Interessenvermittlung, das heißt die Beziehungen zwischen staatlichen Stellen und Interessenverbänden. 1976 veröffentlichte er das Standardwerk Parteienwettbewerb im Bundesstaat über das Zusammenwirken von föderalen Institutionen und dem Parteienwettbewerb in der Bundesrepublik Deutschland.[4] In diesem Buch erläuterte Lehmbruch erstmals die sogenannte Strukturbruchthese.[5]

Für seine Forschungen wurden Lehmbruch zahlreiche wissenschaftliche Ehrungen und Mitgliedschaften zugesprochen. Lehmbruch ist Ehrenmitglied der Schweizerischen Vereinigung für Politische Wissenschaft (2002) und der Österreichischen Gesellschaft für Politikwissenschaft (2003).[6] Ihm wurde 2003 der Theodor-Eschenburg-Preis für sein Lebenswerk der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft verliehen.[7] 2009 erhielt er den Lifetime Achievement Award des European Consortium for Political Research.[8]

Lehmbruch ist seit 1967 verheiratet. Das Paar hat zwei erwachsene Töchter.

Schriften (Auswahl)

Monografien

  • Kleiner Wegweiser zum Studium der Sowjetideologie. Bonn 1958
  • Das Mouvement Républicain Populaire in der IV. Republik. Der Prozess der politischen Willensbildung einer französischen Partei. phil. Diss., Tübingen 1962 (maschinenschriftlich vervielfältigt)
  • Proporzdemokratie. Politisches System und politische Kultur in der Schweiz und in Österreich. Mohr Siebeck, Tübingen 1967
  • Verhandlungsdemokratie. Beiträge zur vergleichenden Regierungslehre. Westdeutscher Verlag, Wiesbaden 2003, ISBN 3-531-14134-1
  • Parteienwettbewerb im Bundesstaat: Regelsysteme und Spannungslagen im politischen System der Bundesrepublik Deutschland. 3. aktualisierte und erweiterte Auflage, Westdeutscher Verlag, Wiesbaden 2000, ISBN 3-531-43126-9
  • Parteienwettbewerb im Bundesstaat. Kohlhammer, Stuttgart 1976, ISBN 3-17-002798-0
  • Einführung in die Politikwissenschaft. 4. Auflage, Kohlhammer, Stuttgart 1971, ISBN 3-17-001255-X

Herausgeberschaften

  • Einigung und Zerfall: Deutschland und Europa nach dem Ende des Ost-West-Konflikts. 19. Wissenschaftlicher Kongreß der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft, Leske + Budrich, Opladen 1995, ISBN 3-8100-1365-X
  • zusammen mit Klaus von Beyme und Iring Fetscher: Demokratisches System und politische Praxis der Bundesrepublik, Piper, München 1971, ISBN 3-492-01844-0

Literatur

  • Roland Czada, Manfred G. Schmidt (Hrsg.): Verhandlungsdemokratie, Interessenvermittlung, Regierbarkeit. Festschrift für Gerhard Lehmbruch. Westdeutscher Verlag, Wiesbaden 1993, ISBN 3-531-12473-0.
  • Florian Hartleb: Philippe C. Schmitter/Gerhard Lehmbruch (Hrsg.): Trends Toward Corporatist Intermediation, London 1979. In: Steffen Kailitz (Hrsg.): Schlüsselwerke der Politikwissenschaft. VS Verlag, Wiesbaden 2007, S. 437–441.
  • Ludger Helms: Gerhard Lehmbruch, Parteienwettbewerb im Bundesstaat, Stuttgart u.a. 1976. In: Steffen Kailitz (Hrsg.): Schlüsselwerke der Politikwissenschaft. VS Verlag, Wiesbaden 2007, S. 233–236.
  • Clemens Jesenitschnig: Gerhard Lehmbruch – Wissenschaftler und Werk. Eine kritische Würdigung. Tectum, Marburg 2010, ISBN 978-3-8288-2509-3.[9]
  • Stefan Köppl, Tobias Nerb: Verbände als Dialogpartner im kooperativen Staat: Gerhard Lehmbruch. In: Martin Sebaldt, Alexander Straßner (Hrsg.): Klassiker der Verbändeforschung. VS Verlag, Wiesbaden 2006, S. 289–301.
  • Philip Manow: Praktisch, demokratisch, gut. Dem Politologen Gerhard Lehmbruch zum Achtzigsten. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 14. April 2008, Nr. 87, S. 38.
  • Anton Pelinka: Gerhard Lehmbruch und die österreichische Politikwissenschaft. In: Österreichische Zeitschrift für Politikwissenschaft. Bd. 32, 2003, Heft 2, S. 213–216.
  • Rainer-Olaf Schultze: Gerhard Lehmbruch. In: Gisela Riescher (Hrsg.): Politische Theorie der Gegenwart in Einzeldarstellungen. Von Adorno bis Young. Kröner, Stuttgart 2004, S. 278–282.

Weblinks

Anmerkungen

  1. Vgl. Clemens Jesenitschnig, Gerhard Lehmbruch – Wissenschaftler und Werk. Marburg 2010, S. 36–49.
  2. Vgl. Clemens Jesenitschnig, Gerhard Lehmbruch – Wissenschaftler und Werk. Marburg 2010, S. 50f.
  3. Vgl. Clemens Jesenitschnig, Gerhard Lehmbruch – Wissenschaftler und Werk. Marburg 2010, S. 57–60 und 69–84.
  4. Vgl. Clemens Jesenitschnig, Gerhard Lehmbruch – Wissenschaftler und Werk. Marburg 2010, S. 64.
  5. Vgl. Clemens Jesenitschnig, Gerhard Lehmbruch – Wissenschaftler und Werk. Marburg 2010, S. 103–144.
  6. Vgl. Clemens Jesenitschnig, Gerhard Lehmbruch – Wissenschaftler und Werk. Marburg 2010, S. 206.
  7. Manfred G. Schmidt: Laudatio: Verleihung des Theodor Eschenburg-Preises an Prof. Dr. Gerhard Lehmbruch am 25. September 2003 auf dem Kongress der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft in Mainz. In: Politische Vierteljahresschrift 44 (2003) S. 572–580.
  8. ECPR Prize Winners
  9. Vgl. die Rezensionen von Sven Leunig im PW-Portal für Politikwissenschaft und von Wilhelm Bleek in der Politischen Vierteljahresschrift (PDF).