Moritz Lazarus

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Moritz Lazarus (Atelier Gebrüder Siebe, Leipzig um 1870)

Moritz (eigentlich Moses) Lazarus (* 15. September 1824 in Filehne (heute Wieleń) in der damaligen preußischen Provinz Posen; † 13. April 1903 in Meran) war ein deutscher Psychologe. Zusammen mit seinem Schwager Heymann Steinthal gehört er zu den Mitbegründern der Völkerpsychologie auf Herbartscher Grundlage.[1]

Leben

Moritz Lazarus war der Sohn des Aaron Levin Lazarus († 26. Februar 1874), eines Schülers von Akiba Eger. Gemeinsam mit seinem Bruder Leyser besuchte Lazarus die Schule der jüdischen Gemeinde in Filehne. Von 1841 bis 1844 absolvierte er zunächst eine kaufmännische Lehre in Posen und anschließend bis 1846 ein deutsches Gymnasium. Danach studierte Lazarus an der Universität Berlin die Fächer Philosophie, Geschichte und Philologie. 1850 wurde Moritz Lazarus promoviert; und im selben Jahr heirateten er und Sarah Lebenheim.

Ebenfalls 1850 entschied sich Lazarus für die Psychologie und veröffentlichte ein Jahr später einen Aufsatz Über den Begriff und die Möglichkeit einer Völkerpsychologie als Wissenschaft. Im Verlag von Heinrich Schindler publizierte Moritz Lazarus 1856 den ersten Band und 1857 den zweiten Band seines Werkes Das Leben der Seele in Monographien über seine Erscheinungen und Gesetze. Um das Jahr 1880 folgte im Dümmler-Verlag ein dritter Band.

1859 wurde Lazarus als Honorarprofessor an die Universität Bern berufen. Er war der erste Professor jüdischer Herkunft an der philosophischen Fakultät. Ab 1864 amtierte Lazarus in Bern als Rektor und Dekan. Im Jahr 1867 folgte er einem Ruf an die Preußische Kriegsakademie in Berlin als Dozent für Philosophie. 1874 erhielt Lazarus eine Professur für Philosophie an der Berliner Universität.

Moritz Lazarus und Nahida Ruth Lazarus-Remy ca.1895

Nach dem Tod seiner ersten Frau Sarah Lebenheim heirateten 1895 Moritz Lazarus und Nahida Ruth Remy. Seine zweite Frau war durch Lazarus Einfluss zum jüdischen Glauben konvertiert.

Lazarus war ein großer Musikliebhaber. Zu seinem Freundeskreis gehörte die Pianistin Clara Schumann, mit der er in den Jahren 1866 bis 1895 zudem eine intensive Korrespondenz führte.

Leistungen

Moritz Lazarus gilt als Vorkämpfer für die Rechte des Judentums und als Initiator der Zeitschrift für Völkerpsychologie, die er gemeinsam mit Heymann Steinthal herausgab. 1891 erfolgte die Umbenennung in Zeitschrift des Vereins für Volkskunde.

Leipzig, Brühl 13, „Zur Grünen Tanne“, Hausbesitzer Moritz Lazarus von 1872 bis 1892 (nach einer Postkarte von 1899)

Unter dem Vorsitz von Lazarus wurde die erste Israelitische Synode 1869 in Leipzig abgehalten, die Rabbiner, Wissenschaftler und führende Laien aus sechzig Gemeinden Deutschlands, Österreichs und anderer Länder Europas und Amerikas versammelte. Diese Synode befasste sich mit den Reformbestrebungen im Judentum und billigte erstmals einige neue Formen der jüdischen Religionsausübung wie beispielsweise den Gebrauch der Orgel in der Synagoge.

Der Soziologe Georg Simmel bezeichnete sich als Schüler des Völkerpsychologen Lazarus, der seinen wissenschaftlichen Blick entscheidend beeinflusst habe.

Mitgliedschaften

  • Seit 1856: Berliner Literarischer Verein Rütli
  • Seit 1872: Gesellschaft der Freunde; stellvertretender Vorsitzender von 1875 bis 1886
  • 1867 bis 1892: Mitglied in der Repräsentanten-Versammlung der jüdischen Gemeinde in Berlin
  • 1882 bis 1894: stellvertretender Präsident des Deutsch-Israelitischen Gemeindebunds, einem Dachverband der jüdischen Gemeinden Deutschlands zur Kooperation im Verwaltungswesen, sowie vor allem zur Hebung des sozialen, wissenschaftlichen und ethischen Lebens der Juden. Gegründet 1869 in Leipzig, 1882 Umzug nach Berlin, bis zu 800 Gemeinden als Mitglieder[2]
  • 1867 bis 1874: Präsident des preußischen (Berliner) Zweigs der Alliance Israélite Universelle

Veröffentlichungen

  • Die sittliche Berechtigung Preußens in Deutschland. Berlin 1850
  • Über den Begriff und die Möglichkeit einer Völkerpsychologie als Wissenschaft. In: Robert Eduard Prutz (Hrsg.): Deutsches Museum. Zeitschrift für Literatur, Kunst und öffentliches Leben, 1851
  • Ueber die Ideen in der Geschichte. Rektoratsrede am 14. November 1863 in Bern. Dümmler, Berlin 1865
  • Ein psychologischer Blick in unsere Zeit. Vortrag in der Singakademie, gehalten am 20. Januar 1872. Dümmler, Berlin 1872
  • Das Leben der Seele in Monographien über seine Erscheinungen und Gesetze. 3 Bände.
    • Band 1: Schindler, Berlin 1856
    • Band 2: Schindler, Berlin 1857
    • Band 3: Dümmler, Berlin 1881/2. Aufl.
  • Über die Reize des Spiels. Dümmler, Berlin 1883
  • Der Prophet Jeremias. Schottländer, Breslau 1894
  • Die Ethik des Judenthums. Bd. 1, Kaufmann, Frankfurt am Main 1898
  • Die Ethik des Judenthums. Bd. 2, herausgegeben von Jakob Winter u. August Wünsche. Kaufmann, Frankfurt am Main 1911
  • Lebenserinnerungen. Reimer, Berlin 1906
  • Über Gespräche. Hrsg. v. Klaus Christian Köhnke. Vortrag in der Singakademie, gehalten am 24. Februar 1876. Henssel, Berlin 1986 ISBN 3-87329-536-9
  • Grundzüge der Völkerpsychologie und Kulturwissenschaft. Hrsg. Klaus Christian Köhnke. Meiner, Hamburg 2003, ISBN 978-3-7873-1632-8

Literatur

  • Ivan Kalmar, The „Völkerpsychologie“ of Lazarus and Steinthal and the Modern Concept of Culture, in: Journal of the History of Ideas, Band 48 (1987), ISSN 0022-5037, S. 671-690
  • Elke Natorp: Lazarus, Moritz. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 14, Duncker & Humblot, Berlin 1985, ISBN 3-428-00195-8, S. 11–13 (Digitalisat).
  • Till van Rahden, „German of the Jewish Stamm“. Visions of Community between Nationalism and Particularism, 1850 to 1933, in: Neil Gregor u.a. (Hrsg.), German History from the Margins. University Press, Bloomington, Ind. 2006, ISBN 0-253-34743-2, S. 27-48
  • Briefwechsel Clara Schumanns mit Korrespondenten in Berlin 1856 bis 1896, hrsg. von Klaus Martin Kopitz, Eva Katharina Klein und Thomas Synofzik (= Schumann-Briefedition, Serie II, Band 18), Köln: Dohr 2015, S. 141–363, ISBN 978-3-86846-055-1

Weblinks

Commons: Moritz Lazarus – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. dtv-Lexikon: Lemma Moritz Lazarus. München 2006.
  2. Meyers Großes Konversations-Lexikon, Bd. 7. Leipzig 1907, S. 529f.