Reichstagswahl März 1933

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Nov. 1932Reichstagswahl März 1933Nov. 1933
(in %)[1]
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18,3
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11,3
8,0
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1,0
1,4
Gewinne und Verluste
im Vergleich zu November 1932[2][3]
 %p
 12
 10
   8
   6
   4
   2
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  -2
  -4
  -6
+10,8
−2,1
−4,6
−0,6
−0,3
−0,4
−0,8
−0,1
−1,9
Vorlage:Wahldiagramm/Wartung/Anmerkungen
Anmerkungen:
e 1932 als DNVP angetreten.
i Davon DStP 0,9 %, DBP 0,3 %, Landbund 0,2 % (je -0,1 %; alle übrigen Parteien -1,6 %).
81
120
73
19
5
52
288
9
81 120 73 19 52 288 
Insgesamt 647 Sitze

Bei den 9 Sitzen unter „Sonstige“ sind 4 für den CSVD, je 2 für die DVP und die DBP und einer für den Landbund.

Die Reichstagswahl am 5. März 1933 war die Wahl zum achten Deutschen Reichstag in der Weimarer Republik. Sie war die letzte Reichstagswahl, an der mehr als eine Partei teilnahm. Unter dem Eindruck der beginnenden Diktatur des Nationalsozialismus kam es zur Anwendung diktatorischer Instrumente. Der Wahlkampf war von Übergriffen durch Mitglieder der NSDAP auf politische Gegner, insbesondere der KPD und SPD, geprägt. Daneben setzte bereits die staatliche Verfolgung ein. Dabei kam der Regierung (Kabinett Hitler) auch der Reichstagsbrand vom 27. auf den 28. Februar 1933 zugute. Mit Hilfe der tags darauf erlassenen Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat („Reichstagsbrandverordnung“) wurden die Grundrechte außer Kraft gesetzt und die Strukturen der KPD praktisch zerschlagen. Bei der Wahl selbst konnte die NSDAP stark zulegen, erhielt aber nicht die erhoffte absolute Mehrheit. Zusammen mit der KSWR, einem von der DNVP dominierten Wahlbündnis, hatte die Regierung nach der Wahl eine parlamentarische Mehrheit und konnte darauf gestützt den Weg in die Diktatur ebnen. Die nächste Wahl im November 1933 sah nur noch eine NSDAP-Einheitsliste in Verbindung mit einer Volksabstimmung über den Austritt aus dem Völkerbund vor.

Wahlkampf

Patrouille von Polizei und SS-Mann als Hilfspolizist am Tag der Wahl
Stimmzettel zur Reichstagswahl im März 1933

Die Wahl fand gut fünf Wochen nach der sogenannten Machtergreifung Adolf Hitlers, d. h. seiner Ernennung zum Reichskanzler am 30. Januar, statt und war aufgrund der Auflösung des Reichstags am 1. Februar notwendig geworden. Begründet wurde dies damit, dass es nicht gelungen war, eine Koalition aus NSDAP und Zentrumspartei zu bilden. Am Abend des 1. Februar hielt Hitler eine Rundfunkrede, in der er sich über „vierzehn Jahre Marxismus“ in Deutschland echauffierte.[4]

Die Regierung erließ mit Hilfe des Notverordnungsrechts am 4. Februar die „Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutze des Deutschen Volkes“. Damit konnten Versammlungen und Publikationen verboten werden.[4]

Die Sozialdemokraten eröffneten am 7. Februar mit einer großen Versammlung in Berlin den Wahlkampf. Am selben Tag tagte das ZK der KPD wegen der bereits einsetzenden politischen Verfolgung schon unter konspirativen Bedingungen.[5] Am 10. Februar eröffnete Adolf Hitler den Wahlkampf mit einer Rede im Berliner Sportpalast. Darin griff er die tragenden Parteien der Weimarer Republik scharf an. Er forderte die Wähler auf, ihm vier Jahre Zeit zu geben und dann über ihn zu richten. In pathetischer und geradezu religiöser Weise beschwor er die nationale Auferstehung.[6]

Zur Wahl zugelassen wurden zwar auch alle anderen politischen Parteien, aber der Wahlkampf fand bereits unter den Vorzeichen der Diktatur statt. Die Anhänger der NSDAP verübten ungestraft zahlreiche Akte des politischen Terrors, die sich vor allem gegen Sozialdemokraten und Kommunisten richteten. Hermann Göring als kommissarischer preußischer Innenminister gab am 17. Februar die Order an die Polizei aus, ohne Rücksicht von der Schusswaffe Gebrauch zu machen. Einige Tage später wurden die Mitglieder von SA, SS und Stahlhelm zu Hilfspolizisten gemacht.[7]

Die Kommunisten konnten am 23. Februar ihre letzte große Wahlkampfveranstaltung mit Wilhelm Pieck als Spitzenkandidat in Preußen abhalten. Aber Pieck konnte seine Rede nicht beenden, da die Veranstaltung polizeilich aufgelöst wurde.[8] Am 27. Februar kam es zum Reichstagsbrand. Unabhängig davon, ob der Brand von einem Einzeltäter gelegt oder von den Nationalsozialisten selbst inszeniert wurde, nutzten diese den Vorgang politisch aus, indem sie die Kommunisten dafür verantwortlich machten. Bereits am Tag nach dem Brand wurden die kommunistische Presse und für zwei Wochen auch die Presse der SPD verboten. Die Büros der KPD wurden geschlossen und Abgeordnete und Funktionäre in „Schutzhaft“ genommen. Am selben Tag wurde die Reichstagsbrandverordnung erlassen. Damit wurde der bisherige Rechtsstaat beseitigt. Führende Personen von KPD und SPD wurden inhaftiert. So gelang es am 3. März durch Verrat, Ernst Thälmann zu finden. Auch regimekritische Intellektuelle wurden inhaftiert. Darunter waren etwa Carl von Ossietzky, Erich Mühsam, Ludwig Renn, Egon Erwin Kisch oder Max Hodann. Viele Inhaftierte wurden in den bereits ab Februar 1933 errichteten Konzentrationslagern interniert und körperlich misshandelt.[7] Zu einer formellen Auflösung der KPD kam es trotz faktischer Zerschlagung ihrer Handlungsfähigkeit nicht, weil sich die Regierung davon keine praktischen Vorteile erhoffte.[9]

Ergebnisse

Die Wahlbeteiligung stieg enorm auf 88,74 % an (+ 8,2 %). Davon profitierten in erster Linie die Nationalsozialisten. Die NSDAP wurde im Vergleich zur Reichstagswahl von November 1932 mit einem Stimmengewinn von über fünf Millionen und einem deutlichen Vorsprung vor der SPD und der KPD stärkste Partei. Sie legte um 10,8 % zu, verfehlte aber mit 43,9 % – für viele Beobachter überraschend – die absolute Mehrheit. Die DNVP, die nunmehr unter dem Namen Kampffront Schwarz-Weiß-Rot angetreten war, verlor gut eine halbe Million Wähler. Aber mit ihren 8 % hatte die Regierung Hitler-Papen eine parlamentarische Mehrheit.

Größter Wahlverlierer war nach dem Terror der vergangenen Wochen die KPD mit einem Stimmenverlust von etwa einer Million. Dies entsprach einem Verlust von 4,2 %. Die Verluste der SPD waren mit 2,1 % relativ gering. Insbesondere in ihren Hochburgen wie in Berlin oder im Freistaat Sachsen blieben die beiden „marxistischen Parteien“ stabil. Wo die SPD dazugewinnen konnte, tat sie dies auf Kosten der KPD. Wahrscheinlich gab es eine direkte Wählerwanderung von der KPD zur NSDAP. Insbesondere in Ostpreußen, das mit 56 % nunmehr die höchsten Anteile für die NSDAP aufwies, gab es Bewegungen von SPD und KPD zur Hitlerpartei. Vor allem solche Wähler, die erst im Verlauf der Weltwirtschaftskrise zu den Linksparteien gestoßen waren, neigten dazu, zur NSDAP zu wechseln. Ein wesentliches Element für die Einbrüche der KPD waren der Terror und die Behinderungen durch die NSDAP. Das Zentrum und die BVP blieben weitgehend stabil. Sie hatten in Westdeutschland und im Süden weiterhin ihre Hochburgen. Die (Groß-)Wahlkreise Köln-Aachen und Koblenz-Trier waren die einzigen, in denen nicht die NSDAP, sondern das Zentrum die stärkste Partei war. Die beiden liberalen Parteien DVP und DStP waren bedeutungslos.[10]

In 33 von 35 Wahlkreisen wurde die NSDAP stärkste Partei
Die höchsten Stimmenanteile erzielte die NSDAP im Osten Preußens
Partei Stimmen (Veränderung) Sitze im Reichstag (Veränderung) Anteil an Sitzen
Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) 17.277.180 43,9 % + 10,8 288 + 92 44,5 %
Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) 7.181.629 18,3 % − 2,1 120 − 1 18,5 %
Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) 4.848.058 12,3 % − 4,6 81 − 19 12,5 %
Deutsche Zentrumspartei (Zentrum) 4.424.905 11,3 % − 0,6 73 + 3 11,3 %
Kampffront Schwarz-Weiß-Rot (Wahlbündnis aus DNVP/Stahlhelm/Landbund) 3.136.760 8,0 % − 0,5 52 + 1 8,0 %
Bayerische Volkspartei (BVP) 1.073.552 2,7 % − 0,4 19 − 1 2,9 %
Deutsche Volkspartei (DVP) 432.312 1,1 % − 0,8 2 − 9 0,3 %
Christlich-Sozialer Volksdienst (CSVD) 383.999 1,0 % − 0,1 4 − 1 0,6 %
Deutsche Staatspartei (DStP) 334.242 0,9 % − 0,1 5 + 3 0,8 %
Deutsche Bauernpartei 114.048 0,3 % − 0,1 2 − 1 0,3 %
Landbund 83.839 0,2 % − 0,1 1 − 1 0,2 %
Deutsch-Hannoversche Partei 47.743 0,1 % − 0,1 0 - 1
Sozialistische Kampfgemeinschaft 3.954 0,0 % 0 0
Kampfgemeinschaft der Arbeiter und Bauern 1.110 0,0 % 0 0
Andere 0 0,0 % −1,1 0 - 2
Total 39.655.029 100,0 %   647 + 63 100,0 %

Folgen

Noch vor der ersten (konstituierenden) Sitzung des neu gewählten Reichstags wurden die Mandate der KPD annulliert, sodass das Parlament 566 Abgeordnete umfasste. Dieser Schritt brachte der NSDAP zwar die absolute Mehrheit; um ihr nächstes Vorhaben – die Übertragung der gesetzgebenden Gewalt des Reichstags auf die Regierung mithilfe des sogenannten Ermächtigungsgesetzes – umsetzen zu können, bedurfte es allerdings einer Zwei-Drittel-Mehrheit. Es gelang den Nationalsozialisten, die Parteien der Mitte dazu zu bewegen, diesem Gesetz zuzustimmen. Am 23. März 1933 passierte das Ermächtigungsgesetz gegen die Stimmen der SPD den Reichstag, der von nun an bedeutungslos war. Der nächste Schritt, das Verbot aller Parteien außer der NSDAP, wurde im Juli 1933 mit dem Gesetz gegen die Neubildung von Parteien abgeschlossen. Zur folgenden Reichstagswahl im November 1933 gab es lediglich eine Liste der NSDAP, auf der einige als Gäste bezeichnete Parteilose kandidierten.

Wahlkarten

Siehe auch

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Andreas Gonschior: Das Deutsche Reich. Reichstagswahl 1933.
  2. Andreas Gonschior: Das Deutsche Reich. Reichstagswahl November 1932.
  3. Vergleichswert der KSWR zum November 1932 = DNVP.
  4. a b Heinrich August Winkler: Der Weg in die Katastrophe. Arbeiter und Arbeiterbewegung in der Weimarer Republik. Bonn 1990, S. 876.
  5. Heinrich August Winkler: Der Weg in die Katastrophe. Arbeiter und Arbeiterbewegung in der Weimarer Republik. Bonn 1990, S. 877.
  6. Heinrich August Winkler: Der lange Weg nach Westen. Bd. 2, Bonn 2005, S. 8.
  7. a b Heinrich August Winkler: Der lange Weg nach Westen. Bd. 2, Bonn 2005, S. 9.
  8. Heinrich August Winkler: Der Weg in die Katastrophe. Arbeiter und Arbeiterbewegung in der Weimarer Republik. Bonn 1990, S. 879.
  9. Heinrich August Winkler: Der Weg in die Katastrophe. Arbeiter und Arbeiterbewegung in der Weimarer Republik. Bonn 1990, S. 882.
  10. Heinrich August Winkler: Der Weg in die Katastrophe. Arbeiter und Arbeiterbewegung in der Weimarer Republik. Bonn 1990, S. 884–888.