Richard-Wagner-Festspielhaus

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Das Richard-Wagner-Festspielhaus

Das Richard-Wagner-Festspielhaus ist ein Festspielhaus auf dem Grünen Hügel in Bayreuth. Es wurde in den Jahren 1872–75 von Otto Brückwald nach Entwürfen von Richard Wagner im Stil der hellenistischen Romantik errichtet. Anders als die meisten Opernhäuser hat es kein festes Ensemble und wird jedes Jahr ausschließlich vom 25. Juli bis 28. August im Rahmen der Bayreuther Festspiele mit Opern beziehungsweise Musikdramen von Wagner in 30 Vorstellungen bespielt. Es wird als eines der Opernhäuser mit der weltweit besten Akustik angesehen.

Baugeschichte

Erste Anregungen für sein späteres Festspielhaus bekam Richard Wagner, wie sein aus Riga stammender Biograph Carl Friedrich Glasenapp behauptete, bereits während seiner Kapellmeisterzeit in Riga (1837/39). Das dortige Theater soll bereits viele Elemente des Bayreuther Festspielhauses besessen haben: ein stark ansteigendes Parkett in Form eines Amphitheaters, ein tiefliegender Orchestergraben und eine Verdunkelung des Zuschauerraums, die damals nicht allgemein üblich war.

Wagners Ideen

Nach Abschluss der Dichtung seines Ring des Nibelungen formulierte Wagner 1851 auch seine Idee eines Bühnenfestspiels, zunächst in Briefen etwa an Franz Liszt, später auch öffentlich in Eine Mittheilung an meine Freunde. Zu den „Gesangsfesten“ und „Turnfesten“ der Zeit solle auch ein „Theaterfest“ hinzukommen.[1] Die Aufführungen sollten in einer eher kleinen Stadt in einem schmucklosen und provisorischen Theater als einmaliges Ereignis stattfinden. Anschließend sollte das Theater „aus Brettern und Balken“ wieder abgerissen werden. Der Zuschauerraum müsste als Amphitheater angelegt und das Orchester auf jeden Fall verdeckt sein.

Wagner bezog sich damit auf die Theaterfeste des antiken Griechenlands und die turnusmäßig stattfindenden Dionysien. Die Decke des Bayreuther Festspielhauses aus bemalter Leinwand erinnert an das Ideal eines Theaters unter freiem Himmel.

Sempers Pläne für München

Als Wagner 1864 von König Ludwig II. von Bayern nach München berufen wurde, schien sich auch der Festspielgedanke rasch verwirklichen zu lassen. Gottfried Semper, der mit Wagner befreundete Architekt und Erbauer des Dresdner Hoftheaters und nach dessen Brand auch des neuen Hoftheaters, der Semperoper, wurde mit dem Entwurf und der Realisierung des Projekts betraut.

Semper plante zunächst ein Theater, das in den Münchener Glaspalast eingebaut werden sollte, dann ein monumentales, durch eine breite Prachtstraße erschlossenes Festspielhaus hoch über dem Isarufer. Die Innenraumgestaltung war nach Wagners Wünschen bereits so angelegt, wie im später in Bayreuth verwirklichten Haus: äußerste Zweckmäßigkeit bei Zuschauerraum und Bühne mit Konzentration auf das aufgeführte Werk. Es sollte kein Logentheater entstehen, sondern ein ansteigendes Auditorium mit guter Sicht von allen Plätzen, ein „demokratischer“ Zuschauerraum ohne alle Standesschranken.

Als Wagner 1865 München verlassen musste, geriet das Festspielhausprojekt ins Stocken. Wagner selbst distanzierte sich bald davon, auch weil ihm das ganze Vorhaben zu monumental zu werden drohte, sich mehr und mehr von seinen Idealvorstellungen entfernte und sich seiner Einflussnahme entzog, da er inzwischen in der Schweiz lebte.

Bau in Bayreuth

Das Wagner-Theater in Bayreuth nach seiner Vollendung (aus Die Gartenlaube), 1873

In einem Konversationslexikon entdeckte Wagner um 1870 das Markgräfliche Opernhaus in Bayreuth. Da es seinerzeit über die größte Bühne eines deutschen Opernhauses verfügte, hatte er die Hoffnung, dort die geeignete Spielstätte für seinen Ring des Nibelungen zu finden und seine Idee eines Bühnenfestspiels zu verwirklichen. Er kam deshalb 1871 nach Bayreuth und besichtigte das historische Theater. Wegen der geringen Größe des Zuschauerraums musste er den Plan aufgeben, doch gefielen Wagner Lage und Größe der Stadt, sodass er alsbald konkrete Vorarbeiten für einen Neubau einleitete. Das Grundstück in der Nähe der Vorstadt St. Georgen (Bayreuth) erhielt Wagner kostenlos von der Stadt Bayreuth. Die architektonische Planung hatte Otto Brückwald, wobei Grundzüge der Pläne Sempers beibehalten wurden.

Bereits am 22. Mai 1872 konnte der Grundstein gelegt werden. Aus diesem Anlass dirigierte Wagner Beethovens 9. Sinfonie im Markgräflichen Opernhaus. Doch dann verzögerte sich der Bau aus finanziellen Gründen immer wieder. Der geplante Verkauf von 1000 Patronatsscheinen für je 300 Taler verlief nur schleppend. Bis zum Frühjahr 1876 waren weniger als die Hälfte verkauft. Auch auf den deutschen Kaiser, den Reichskanzler und den Reichstag hoffte Wagner trotz Unterstützung durch Gräfin Schleinitz vergebens. Finanzielle Hilfe erhielt er vom Osmanischen Sultan Abdülaziz in Höhe von ungefähr 70.000 Euro nach heutiger Kaufkraft.[2][3]

Eröffnung

Seitliche Ansicht von Westen

Am 2. August 1873 konnte Richtfest gefeiert werden, doch die für 1873 geplanten ersten Festspiele mussten verschoben werden. 1874 sicherte König Ludwig II. den Bau durch einen Kredit von zunächst 300.000 Mark, der später noch einmal um 100.000 Mark erhöht wurde. Beide Beträge zahlte die Familie Wagner unter Verrechnung von Tantiemen später vollständig zurück.

Das Festspielhaus konnte schließlich am 13. August 1876 mit dem Rheingold eröffnet werden, womit die erste zyklische Aufführung des Ring des Nibelungen eingeleitet wurde. Wegen des Defizits durch die ersten Festspiele stand das Haus danach sechs Jahre lang leer, erst 1882 wurden die nächsten Festspiele mit der Uraufführung des Parsifal durchgeführt. Für den Besuch Ludwigs II. zu den Festspielen 1882 wurde das Haus um den „Königsbau“ an der Stirnseite erweitert, der menschenscheue König besuchte diese Festspiele aber nicht mehr.

Weitere Geschichte

Zwischen Kriegsfestpielen und Neu-Bayreuth (1945–1951)

Richard-Wagner-Festspielhaus 2016 (Frontansicht, unverhüllt nach Sanierung)

Nach der Besetzung Bayreuths durch amerikanische Truppen im April 1945 wurde das Festspielhaus zunächst beschlagnahmt. Da es den Krieg ohne Zerstörungen überstanden hatte, wurde es bald für Musikaufführungen der amerikanischen Truppen benutzt. Bereits am 31. Mai 1945 fand ein Konzert von Grace Moore & Martini statt. Es wurden Revuen, Kriminalkomödien sowie Unterhaltungsmusik gegeben. Auch das nach dem Krieg gegründete und nur bis Dezember 1948 bestehende Bayreuther Symphonieorchester gab dort Konzerte. Den Anfang machte am 24. Juni 1945 ein Konzert für die 9. US-Panzerdivision. Im Dezember dirigierte sogar der damals 78-jährige Paul Lincke ein Konzert mit dem Titel Music You Love To Hear. 1946 wagte sich das Symphonieorchester an Opernaufführungen. Beispielsweise wurde im Juni 1946 die Oper Tiefland im Festspielhaus gegeben.[4]

Das benachbarte Festspielrestaurant diente in den Nachkriegsjahren als Flüchtlingslager. Etwa fünfhundert Personen beiderlei Geschlechts und jeden Alters lebten, nur notdürftig durch Vorhänge voneinander getrennt, unter schwierigen sanitären Verhältnissen in den beiden Sälen. Erst Anfang 1950 wurden die letzten 77 Bewohner in der Stadt „eingesiedelt“.[5]

Heutige Situation

Mit bemalten Planen verhülltes Gerüst am Festspielhaus, März 2014

Träger des Bayreuther Festspielhauses ist seit 1973 die Richard-Wagner-Stiftung Bayreuth. Die Stiftung wurde von der Bundesrepublik Deutschland, dem Freistaat Bayern, der Stadt Bayreuth, der Gesellschaft der Freunde von Bayreuth, der Bayerischen Landesstiftung, der Oberfrankenstiftung, dem Bezirk Oberfranken und Mitgliedern der Familie Wagner eingerichtet, die auch Mitglieder des Stiftungsrates sind.[6] Geschäftsführer des Stiftungsrates ist der Oberbürgermeister der Stadt Bayreuth (derzeit Brigitte Merk-Erbe).

Die Stiftung ist verpflichtet, das Festspielhaus zur Durchführung der Festspiele an den Festspielunternehmer zu vermieten; (seit 1986) ist das die Bayreuther Festspiele GmbH, die (mit Vertrag auf Lebenszeit) von Richard Wagners Enkel Wolfgang Wagner als Gesellschafter-Geschäftsführer geleitet wurde. Wolfgang Wagner trat am 31. August 2008 von seinem Amt zurück, als Nachfolger wurden vom Stiftungsrat seine beiden Töchter Eva und Katharina bestimmt.

Seit dem 3. Dezember 2012 ist das Festspielhaus teilweise eingerüstet, da die Fassade marode ist.[7] Auch die Haustechnik ist modernisierungsbedürftig. Der Sanierungsbedarf war zwar schon länger bekannt, wurde jedoch ignoriert. [8] Im März 2014 wurde die Finanzierung der Sanierung sichergestellt. Für die Baukosten werden 30 Millionen Euro angesetzt, die vom Freistaat Bayern und der Bundesregierung kommen. Damit die staatlichen Kassen die Kosten für das Gebäude übernehmen dürfen, musste ein Mietvertrag zwischen der Richard-Wagner-Stiftung als Eigentümerin und der Bayreuther Festspiele GmbH, an der Bayern und der Bund beteiligt sind, bis 2040 abgeschlossen werden, ansonsten wäre die Dauerhaftigkeit der Investitionen nicht gegeben.[9] Die Generalsanierung ist nach der Saison 2015 gestartet und ist für vorläufig sieben Jahre geplant und wird in den proben- und saisonfreien Zeiten stattfinden, so steht wenig Zeit zur Verfügung, um die Sanierungsetappen durchzuführen.[10].Die erste Etappe startete im Herbst 2015 und endete plangemäß im Frühling 2016, vor der Probenzeit der Saison 2016. In der ersten Etappe wurde die Südfassade (Unter anderem der Königsbau), die seit 2012 mit einem Schutzgerüst und einer Plane versehen war, saniert. Parallel dazu lief die Aufnahme des Schadenskatalog im Innenraum des Festspielhauses. Um auch im Winter arbeiten zu können, wurde eine Gerüstheizung installiert. Nach Beendigung der ersten Etappe begann die Saison 2016 ohne eingerüstetes Festspielhaus.[11], [12] Die zweite Etappe sollte Ende August 2016, direkt nach der Saison 2016, starten, doch sie verzögert sich aus genehmigungsrechtlichen Gründen (es wird eine Sonderkonstruktion als Baugerüst benötigt) und wird erst im Dezember 2016 starten können. In der zweiten Etappe ist die Sanierung des restlichen Bühnengebäudes, sowie der Verwaltungs- und Gaderobentrakte geplant und es laufen weiter die Vorbereitungen für die Sanierung im Inneren des Festspielhauses.[13]

Baubeschreibung

Zuschauerraum, 1876
Grundriss des Festspielhauses, Zustand von 1876
Blick über die Bühne zum Zuschauerraum

Zuschauerraum und Bühnenhaus sind in Fachwerk-Bauweise ausgeführt, wobei das ursprüngliche Holzfachwerk bei Renovierungen ab den 1960er Jahren durch ein Tragwerk aus Beton und Stahl ersetzt wurde. Der Außenbau ist weitgehend aus rotem Ziegelstein und kommt fast ohne dekorativen Schmuck aus, was dem Haus auch die despektierliche Bezeichnung „Scheune“ eingetragen hat. Mit der Erinnerung an „flüchtig gezimmerte Festhallen“[14] sollte nach Wagners Worten ein volkstümlicher Eindruck erweckt und eine „Nachahmung des ausländischen Wesens“[15] vermieden werden.

Bühne

Das Bühnenportal ist 11,80 m hoch und 13 m breit. Die maximale Bühnenbreite beträgt 27 m. Die Hauptbühne hat eine Tiefe von 22 m, hinzu kommt eine bespielbare Hinterbühne von 13 m Tiefe. Die Gesamtlänge des Theaters vom Hauptportal bis zum Ende der Hinterbühne beträgt 100 m. Der Schnürboden befindet sich 26 m, der Dachfirst 36,40 m über dem Bühnenniveau. Die Bühnenversenkung hat eine maximale Tiefe von 13 m.

Auditorium

Der Zuschauerraum besteht aus völlig gleichmäßig ansteigenden Sitzreihen nach Vorbild antiker Amphitheater, wodurch eine nahezu ideale Sicht von fast allen Plätzen gewährleistet ist. Wegen der Lagerung des Fußbodens auf einer Holzkonstruktion sowie der Pfeiler und Säulen aus Holz – diese sind mit Gips verputzt, um den Eindruck von Stein zu erzeugen – sind hervorragende akustische Bedingungen geboten. Aufgrund dieser Akustik kam man später davon ab, das Haus durch ein Gebäude aus Stein zu ersetzen. Es bietet nach diversen Umbauten Platz für 1974 Zuschauer.

Der Zuschauerraum ist von Scherwänden flankiert. Diese setzen sich in einem doppelten Proszenium fort, das angelegt wurde, um den optischen Eindruck zu erwecken, die Bühne sei weiter entfernt, als sie es in Wirklichkeit ist.

Die Tatsache, dass Wagner sich von Anfang an intensiv an der Planung des Theatergebäudes beteiligte, führte zu zahlreichen Neuerungen aus theaterpraktischen Gründen. Dazu gehört neben der Gestaltung des Zuschauerraums auch die „Wagner-Gardine“, ein Bühnenvorhang, der sich irisblendenartig zugleich nach oben und zur Seite öffnet.

Sichtbarkeit

Ein besonderes Anliegen Wagners war die starke Verdunkelung des Theaterraums, weil nichts den Zuschauer vom Geschehen auf der Bühne ablenken sollte. Zur vollständigen Dunkelheit kam es aber eher durch Zufall: Die neuartige Gasbeleuchtung des Zuschauerraumes war erst am Tag der ersten Vorstellung im Festspielhaus fertig geworden und konnte nicht mehr ausprobiert und justiert werden. Dadurch kam es statt zu einer Dämpfung des Lichts beim Beginn der Vorstellung zum vollständigen Ausfall der Beleuchtung mit totaler Finsternis. Man behielt das bei, da die Wirkung den Intentionen Wagners entgegenkam. Damit war mit der Theaterpraxis des 18. und 19. Jahrhunderts gebrochen, bei der der Zuschauerraum beleuchtet und allenfalls nur in ein mäßiges Halbdunkel getaucht war.

Die bauliche Konsequenz der Vorstellung Wagners, der nicht wollte, dass die „Mühe der Tonerzeugung“ sichtbar blieb, war ein Schalldeckel über dem Orchestergraben, der zudem die Aufgabe hatte, Lichtreflexe von den Pultbeleuchtungen der Orchestermusiker nicht in den Zuschauerraum gelangen zu lassen, und den typischen Bayreuther „Mischklang“ entstehen ließ.

Das Festspielhaus wurde im Laufe der Jahre mit einigen Nebengebäuden erweitert, die während des Jahres als Proben- und Werkstatträume dienen und in der Festspielzeit teilweise die Gastronomie beherbergen.

Mystischer Abgrund

Orchestergraben

„Mystischer Abgrund“ nannte Richard Wagner den Abstand zwischen erstem und zweitem Proszenium, in dem der Schalldeckel über dem Orchestergraben das für die Zuschauer unsichtbare Orchester im Bayreuther Festspielhaus verbirgt. Das verdeckte Orchester sollte die Bühnenillusion verstärken, indem jede Ablenkung von der Bühne und die „widerwärtige Störung durch die stets sich aufdrängende Sichtbarkeit des technischen Apparates“[16] verhindert wurde. Die „Idealität“ der Szene sollte von der „Realität“ des Publikums geschieden sein, um die Zuschauer „in den begeisterten Zustand des Hellsehens“[17] zu versetzen.

Der hölzerne Schalldeckel besteht aus zwei Teilen: einer horizontalen Klangblende, die vorne am Bühnenrand angebracht ist und den Orchestergraben von hinten her fast völlig überdeckt, und einer muschelförmigen Sichtblende zwischen Orchestergraben und Zuschauerraum, die den nach vorne aufsteigenden Schall aus dem Orchestergraben in Richtung Bühne reflektiert und die direkte Beschallung des Zuschauerraums verhindert.

Der untypische und weltweit einmalige Orchestergraben führt terrassenförmig auf sechs Stufen nach hinten unten bis unter die Bühne und ist für das Publikum gänzlich unsichtbar. Der Dirigent sitzt erhöht, aber noch unterhalb der Sichtblende vor dem Orchester und ist die einzige Person im Festspielhaus, die zugleich Bühne und Orchestergraben einsehen kann. Es ergibt sich durch diese ausschließlich indirekte Beschallung des Zuschauerraums ein Mischklang, der die Lokalisierung nicht nur einzelner Instrumente, sondern des ganzen Orchesters praktisch unmöglich macht. Stattdessen wird ein Orchesterklang erreicht, der sich „allgegenwärtig“ im Raum ausbreitet.

Der abgedeckte Orchestergraben hat allerdings auch ganz praktische Auswirkungen: Da der Klang auch der Violinen ohnehin nur indirekt beim Zuhörer ankommt, besteht ihre vorrangige Aufgabe darin, den Sängern musikalischen Halt zu geben. Aus diesem Grund wird die von Wagner vorgeschriebene abweichende Sitzordnung beachtet: Die Ersten Violinen, die im Orchester die Führungsstimme haben, sitzen nicht wie üblich links, sondern rechts vom Dirigenten, damit die Schallöffnungen ihrer Instrumente (und nicht die der Zweiten Violinen) schräg nach hinten und damit direkt zur Bühne zeigen. Die Anordnung der Streicher ist gegenüber der üblichen Sitzordnung also seitenverkehrt, was bei den Dirigenten regelmäßig zu Verwirrung führt.

Schwierige Saalakustik

Die Auswirkungen des „mystischen Abgrundes“ auf die Akustik werden kontrovers diskutiert. Von verschiedenen Opernhörern wird die Akustik des Saales als „überragend“ und „einmalig“ bezeichnet, wobei die Begeisterung für die Werke Wagners eine ausschlaggebende Rolle spielen kann.

Der Klang des Orchesters wird durch die Lage des und Ausformung des Orchestergrabens und durch den Schalldeckel gleich einer „Düse“ in den Bühnenraum gelenkt und an Kulissen, Einbauten und Rückwand (Bühnenprospekt) der Bühne reflektiert, um dann gemischt mit einem Anteil an Direktschall in den Zuschauerraum zu gelangen. So wird der Orchesterklang durchaus durch das Bühnenbild verändert.

Dabei können folgende Effekte wahrgenommen werden:

  • Der Klang der Instrumente mischt sich und eine Lokalisation innerhalb des Klangkörpers wird unmöglich. Durch Überlagerungen und Kammfiltereffekte entstehen Verzerrungen, die den typischen Klang der Instrumente beeinflussen. Es wird zum Beispiel schwer Kontrabässe und Pauken klanglich zu trennen.
  • Bei geschlossenem Vorhang (z. B. bei der Ouvertüre eines Stückes) wird der durch den Schalldeckel auf die Bühne gerichtete Klang gegen den frequenzabhängig absorbierenden Vorhang abgestrahlt, so dass sich mit Öffnen und Schließen des Vorhanges ein unterschiedlicher Klang ergibt.
  • Nach wie vor ist auch das einfache Sperrholzgestühl des Saals ein Akustikproblem. Unbesetzte Plätze liefern mit den hochgeklappten Sitzflächen Reflektoren, die den Saalklang abhängig von der Belegung hörbar beeinflussen. Moderne akustisch optimierte Bestuhlung könnte abhelfen. Bei halbleeren Saal ist unangenehmer Hall, teilweise Flatterecho hörbar.

Kontroverse Wirkung

Der Philosoph Theodor W. Adorno hat im Zusammenhang mit dem mystischen Abgrund das berühmte Wort von der „Verdeckung der Produktion durch die Erscheinung des Produkts“[18] geprägt. Er warf der Illusionsmaschinerie Wagners Manipulation vor, sah in ihr eine Vorahnung der Kulturindustrie und prangerte eine „Regression auf magisches Denken unterm Spätkapitalismus[19] an.

Das Verbergen und Verklären von Herstellungsprozessen hat über Wagner hinaus Bedeutung in der Ästhetik des 19. Jahrhunderts und zeigt sich ebenso in anderen Künsten, etwa in der mühevoll hergestellten Schwerelosigkeit beim romantischen Spitzentanz. Auch das Verbergen und gleichzeitige Voraussetzen der Schrift im Sprachverständnis jener Zeit, das Jacques Derrida dargestellt hat, geht in diese Richtung: Es soll nicht auffallen, dass hier nicht frei gesprochen, sondern gelesen wird.

In der Medientheorie der vergangenen Jahre hat der „mystische Abgrund“ als Prinzip des Trennens und Verbergens wieder Beachtung gefunden, etwa im Vergleich zum Diorama von Louis Daguerre. Wagners Idee, alles nebenbei Störende auszuschalten, ist im 20. Jahrhundert durch den Film und die entstehenden Kinos aufgegriffen und in ähnlicher Weise verwirklicht worden.

Literatur

  • Richard Wagner: Das Bühnenfestspielhaus zu Bayreuth. Nebst einem Berichte über die Grundsteinlegung desselben. Fritzsch, Leipzig 1873 (Digitalisat)
  • Richard Wagner: Das Bühnenfestspielhaus zu Bayreuth. In: Gesammelte Schriften und Dichtungen. Band 9. 4. Auflage. Siegel, Leipzig, 1907, S. 322–344
  • Heinrich Habel: Festspielhaus und Wahnfried. Prestel, München 1985
  • Markus Kiesel: Das Richard Wagner Festspielhaus Bayreuth. nettpress, Köln 2007, ISBN 978-3-00-020809-6
  • Hans-Jürgen Fliedner: Architektur und Erlebnis – das Festspielhaus Bayreuth. Synästhesie-Verlag, Coburg 1999, ISBN 3-931248-05-4
  • Carl-Friedrich Baumann: Bühnentechnik im Festspielhaus Bayreuth (100 Jahre Bayreuther Festspiele). Prestel, München 1980, ISBN 3-7913-0493-3
  • Zdenko von Kraft: Das Festspielhaus in Bayreuth: Zur Geschichte seiner Idee, seines Werdegangs und seiner Vollendung. 3. veränderte Auflage. Verlag der Festspielleitung, Bayreuth 1969
  • Dietrich Mack: Bayreuther Festspiele. Die Idee, der Bau, die Aufführungen. 22. Auflage. Verlag der Bayreuther Festspiele GmbH, Bayreuth 1988
  • Frank Piontek: Richard Wagner - Das Bayreuther Festspielhaus: Einblicke in ein Phänomen; audiotransit, Bayreuth 2014, Hörbuch, EAN 4260070930119

Weblinks

Commons: Richard-Wagner-Festspielhaus – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Richard Wagner: Über die Benennung Musikdrama. In: Ders.: Gesammelte Schriften und Dichtungen. 4. Auflage. Röder, Leipzig 1907, Bd. 9, S. 307
  2. Mustafa Armağan: Osmanlı Tarihinde Maskeler ve Yüzler. Timaş Yayınları, İstanbul 2007, ISBN 975-263-116-9 (Auszug in deutscher Übersetzung).
  3. Der türkische Sultan als Sponsor: Halbmond überm Grünen Hügel. BR-online vom 11. August 2009
  4. Albrecht Bald: Das Bayreuther Symphonieorchester und das Festspielhaus 1845-1948. Aufstieg und Niedergang eines oberfränkischen Nachkriegsorchesters. In: Archiv für Geschichte von Oberfranken. Bayreuth 2002, 82. Band;
  5. Bernd Mayer: „Wo jeder Zehnte einen Stuhl besaß“ im Heimatkurier des Nordbayerischen Kuriers, 3/2004, S. 14-15
  6. Stiftungsurkunde vom 2. Mai 1973
  7. Nordbayerischer Kurier online vom 3. Dezember 2012: Das Festspielhaus ist eingerüstet, abgerufen am 2. März 2014
  8. http://www.hna.de/nachrichten/kultur/musik/bayreuther-festspielhaus-broeckelt-putz-2656870.html
  9. inFranken: Geld für Sanierung des Bayreuther Festspielhauses kann fließen, 20. März 2014
  10. http://www.bf-medien.de/2014/08/lagebericht-zur-generalsanierung/
  11. http://www.nordbayerischer-kurier.de/nachrichten/festspielhaus-durchgetaktete-baustelle_416818
  12. http://www.br.de/nachrichten/oberfranken/inhalt/sanierung-festspielhaus-bayreuth-114.html
  13. http://www.br.de/nachrichten/oberfranken/inhalt/bayreuther-festspiele-festspielhaus-sanierung-verzoegerung-100.html
  14. Richard Wagner: Bayreuth (Das Bühnenfestspielhaus). In: Ders.: Gesammelte Schriften und Dichtungen. 4. Auflage. Röder, Leipzig 1907, Bd. 9, S. 326
  15. Richard Wagner: Bayreuth (Das Bühnenfestspielhaus). In: Ders.: Gesammelte Schriften und Dichtungen. 4. Auflage. Röder, Leipzig 1907, Bd. 9, S. 342
  16. Richard Wagner: Bayreuth (Das Bühnenfestspielhaus). In: Ders.: Gesammelte Schriften und Dichtungen. 4. Auflage. Röder, Leipzig 1907, Bd. 9, S. 336
  17. Richard Wagner: Bayreuth (Das Bühnenfestspielhaus). In: Ders.: Gesammelte Schriften und Dichtungen. 4. Auflage. Röder, Leipzig 1907, Bd. 9, S. 338
  18. Theodor W. Adorno: Versuch über Wagner. In: Ders.: Gesammelte Schriften. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1998, Bd. 13, S. 82
  19. Theodor W. Adorno: Thesen gegen den Okkultismus. In: Ders.: Gesammelte Schriften. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1998, Bd. 4, S. 274

Koordinaten: 49° 57′ 35″ N, 11° 34′ 47″ O