Roland Girtler

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Roland Girtler (2014)

Roland Girtler (* 31. Mai 1941 Wien-Ottakring) ist ein österreichischer Soziologe und Kulturanthropologe. Er ist Vertreter der „verstehenden“ Soziologie nach Alfred Schütz und hat sich der qualitativen Sozialforschung verschrieben.

Leben

Roland Girtler ist Sohn des späteren Gemeinde- und Landarztes von Spital am Pyhrn (Oberösterreich) Roland Girtler und der Landärztin Leopoldine Girtler. Er verbrachte seine Kindheit und Jugend in Spital am Pyhrn, wo er die Volksschule besuchte. Von 1951 bis 1959 besuchte er das humanistische Stiftsgymnasium Kremsmünster im Stift Kremsmünster, an dem er auch maturierte. 1959 inskribierte Girtler an der Universität Wien. Ab 1967 studierte er an der philosophischen Fakultät der Universität Wien Ethnologie, Urgeschichte, Philosophie und Soziologie. Während des Studiums heiratete er und arbeitete als Bierausfahrer, Arbeiter am Naschmarkt und als Filmkomparse. 1971 wurde er zum Doktor der Philosophie promoviert, 1979 habilitierte er sich an der Universität Wien. Er ist u. a. Mitglied der Österreichischen Gesellschaft für Ur- und Frühgeschichte, bei der österreichischen Studentenverbindung Corps Symposion, des Österreichischen Alpenvereins, der Naturfreunde und der Anthropologischen Gesellschaft in Wien.

2002 Verleihung des Österreichischen Ehrenkreuzes für Wissenschaft und Kunst I. Klasse. Anlässlich seines 65. Geburtstages wurde ihm die Festschrift Die Wahrheit liegt im Feld gewidmet. Er ist ein Enkel des Bauingenieurs und Hochschullehrers Rudolf Girtler. Nach eigenen Angaben ist Girtler ein Nachfahre des Seefahrers Jacques Cartier. Seit 2009 ist er Träger der Kulturmedaille des Landes Oberösterreich.[1] 2013 von der Vereinigung österreichischer Kriminalisten auf Grund seiner Forschungen zum Ehrenmitglied und zum „Ehrenkiberer“ ernannt (gemeinsam mit Ernst Hinterberger und Wolfgang Böck). 2014 erhielt er den Preis der Stadt Wien für Volksbildung.

Forschungen

Anfang der 1970er Jahre betrieb er Feldforschung in Indien über Die „demokratische“ Institution des Panchayat in Indien und veröffentlichte deren Ergebnisse 1971 im gleichnamigen Buch. Seine abwechslungsreiche Forschertätigkeit führte ihn in die Bauerndörfer von Gujarat (Indien) und in die Slums von Mumbai (damals Bombay), aber auch zu „feinen Leuten“ (Aristokraten, Politiker, Jäger), in städtische Randkulturen (Dirnen, Sandler, Ganoven), zu Bergbauern, Schmugglern, (damals ausschließlich städtischen) Polizisten, den Landlern in Siebenbürgen, zu Landärzten, Klosterschülern und zu Wilderern.[2]

Seine aktuellen Forschungsschwerpunkte sind die Kultursoziologie, Randkulturen und der Bauernstand in Österreich und Siebenbürgen. Als Forscher und akademischer Lehrer unkonventionell, hat Girtler auch als Leitbild für soziologische Untersuchungen 10 Gebote der Feldforschung aufgestellt, in denen er Hinweise zum Verhalten des Forschers im Feld im Umgang mit den untersuchten Menschen gibt.

Bekannt ist Girtler auch als eifriger Verfechter des Fahrrads als Verkehrsmittel, auch um sich den untersuchten Milieus besser nähern zu können. So sind seine Bücher Über die Grenzen. Ein Kulturwissenschaftler auf dem Fahrrad und Vom Fahrrad aus: Kulturwissenschaftliche Gedanken und Betrachtungen aus der Perspektive eines Radfahrers geschrieben. Seine in der Sonntagsausgabe der Kronen Zeitung erscheinende Kolumne, in der er sich selbst als „vagabundierenden Kulturwissenschaftler“ bezeichnet, beginnt er oft mit dem Hinweis, dass er sein im Text beschriebenes Ziel mit Bahn und/oder Fahrrad erreicht hat. Die Kolumne endet meistens mit den Worten „Ich wünsche [meinen Gesprächspartnern] das Beste und ziehe weiter“, was das Selbstbild als „vagabundierender“ Wissenschaftler unterstreicht.

Beschäftigungen

Roland Girtler ist außerordentlicher Universitätsprofessor am Institut für Soziologie der Universität Wien (Institutsmitglied seit 1972). Zwischen 1973 und 1975 lehrte er an der Universität München. Seit 2000 leitet er das Museum „Wilderer im Alpenraum – Rebellen der Berge“ in St. Pankraz bei Hinterstoder, Oberösterreich.

Publikationen (Auswahl)

  • Die Rechtsnormen der souveränen Eingeborenengruppen in Nordwestaustralien: ein Beitrag zur Methode der Rechtsethnologie, Wien 1971, ÖNB Hauptabteilung Heldenplatz (Dissertation Universität Wien 1971, 250 Seiten).
  • Die demokratische Institution des Panchayat in Indien: ein Vergleich der „gesetzlichen“ und der „traditionellen“ Panchayat. Institut für Völkerkunde der Universität Wien, 1972 (= Acta ethnologica et linguistica: Series Indica, Nr. 28, Acta ethnologica et linguistica: Series Indica, Nr. 5).
  • Der Adler und die drei Punkte. Die gescheiterte, kriminelle Karriere des ehemaligen Ganoven Pepi Taschner. Böhlau, Wien 1983, ISBN 3-205-07207-3. Neu aufgelegt 2007 als 2. Aufl., Jubiläumsausgabe, ISBN 978-3-205-77610-9.
  • Aschenlauge. Bergbauernleben im Wandel. Landesverlag, Linz 1988. Neu aufgelegt: Aschenlauge. Die alte Kultur der Bauern. Böhlau, Wien 2012, ISBN 978-3-205-78858-4.
  • Über die Grenzen. Ein Kulturwissenschaftler auf dem Fahrrad, Veritas, Linz, 1991. ISBN 3-85329-869-9
  • Verbannt und vergessen – der Untergang der Landler in Siebenbürgen. Veritas, Linz 1992. ISBN 3-85329-978-4. Neu aufgelegt: Die Landler in Rumänien. Eine untergegangene deutschsprachige Kultur. Lit, Wien 2014, ISBN 978-3-643-50558-3
  • Der Strich. Soziologie eines Milieus. Pocket, Bd. 1. Lit, Wien 1994, ISBN 3-8258-7699-3
  • Randkulturen: Theorie der Unanständigkeit. Böhlau, Wien 1995, ISBN 3-205-98559-1
  • Wilderer – Soziale Rebellen in den Bergen. Böhlau, Wien 1998, ISBN 3-205-98823-X
  • Rotwelsch: Die alte Sprache der Diebe, Dirnen und Gauner. Böhlau, Wien 1998, ISBN 3-205-98902-3.
  • Die alte Klosterschule. Eine Welt der Strenge und der kleinen Rebellen. Böhlau, Wien / Köln / Weimar 2000, ISBN 3-205-99231-8.
  • mit Hermann Attinghaus, Konrad Buchwald: Heimat. Eckartschriften Heft 152, Österreichische Landsmannschaft, Wien 2000.
  • Methoden der Feldforschung. Lit, Wien 2001, ISBN 3-8252-2257-8
  • Die feinen Leute. Campus, Frankfurt am Main 1989. Neu aufgelegt bei Böhlau, Wien 2002, ISBN 3-593-34133-6
  • Franz Boas. Burschenschafter und Schwiegersohn eines österreichischen Revolutionärs von 1848. PDF; 2003. Anthropos, Zaunrith, 2001/96/572 ISSN 0257-9774.
  • 10 Gebote der Feldforschung. Pocket Bd. 2. 2. Auflage. Lit, Wien 2009, ISBN 978-3-8258-7700-2
  • Vom Fahrrad aus. Pocket Bd. 3, 2. Auflage., Lit, Wien 2011 (Erstausgabe 2004), ISBN 978-3-8258-7826-9
  • Irrweg Jakobsweg. Die Narbe in den Seelen von Muslimen, Juden und Ketzern. Steirische Verlagsgesellschaft, Graz 2005, ISBN 3-900323-85-2.
  • Abenteuer Grenze. Von Schmugglern und Schmugglerinnen, Ritualen und „heiligen“ Räumen, Pocket Bd. 7. Lit, Wien u. a. 2006, ISBN 3-8258-9575-0.
  • Kulturanthropologie. Eine Einführung, Pocket Bd. 8, Lit, Wien u. a. 2006, ISBN 3-8258-9576-9.
  • Das letzte Lied vor Hermannstadt. Böhlau, Wien 2007, ISBN 978-3-205-77662-8.
  • „Herrschaften wünschen zahlen“. Die bunte Welt der Kellnerinnen und Kellner. Böhlau, Wien 2008, ISBN 978-3-205-77764-9.
  • Eigenwillige Karrieren, wer seine eigenen Wege geht, kann nicht überholt werden. Böhlau, Wien 2011, ISBN 978-3-205-78644-3.
  • Max Weber in Wien: sein Disput mit Joseph Schumpeter im Café Landtmann, das alte Institut für Soziologie: Paul Neurath, René König und seine übrigen Bewohner nebst dazugehöriger Geschichten über Trinkrituale, Duelle und Ganoven. Lit, Wien / Berlin / Münster 2013, ISBN 978-3-643-50473-9.
  • FARBENSTUDENTEN zwischen Weltbürgertum und Antisemitismus. Lit Verlag, Berlin 2016, ISBN 978-3-643-13252-9.

Literatur

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Kulturmedaillen- und Konsulententitelverleihungen auf der Webpräsenz von cityfoto.at
  2. Roland Girtler: Abenteurer der Feldforschung wird 70 univie.ac.at, abgerufen am 1. Juni 2011