Schlachthof 5 oder Der Kinderkreuzzug

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Schlachthof 5 oder Der Kinderkreuzzug, englischer Originaltitel Slaughterhouse-Five, or, The Children's Crusade: A Duty-Dance with Death, ist ein 1969 erschienener Roman des amerikanischen Schriftstellers Kurt Vonnegut (1922–2007).

Er ist stark autobiographisch geprägt und hat die Luftangriffe auf Dresden im Februar 1945 zum Thema, die Vonnegut als Kriegsgefangener der Deutschen selbst miterlebte; der Titel bezieht sich auf den Städtischen Vieh- und Schlachthof, in dessen Keller Vonnegut mit rund 100 anderen Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitern den Feuersturm überlebte, der die Stadt in Trümmer legte. Der Roman kombiniert dabei realistische Schilderungen des Kriegsgeschehens mit Schwarzem Humor, Science-Fiction-Elementen wie Fliegenden Untertassen oder Zeitreisen und gilt nicht zuletzt wegen seiner ausgeprägten Metafiktionalität als eines der Hauptwerke der amerikanischen Postmoderne.

Handlung

Der desorientierte und kranke amerikanische Soldat Billy Pilgrim wird als Kriegsgefangener in einem provisorischen Gefängnis im Keller eines stillgelegten Schlachthofes in Dresden festgehalten. Für Billy gerät aus unerklärlichen Gründen „die Zeit aus den Fugen“, und nach dem Zufallsprinzip besucht er unterschiedliche Abschnitte seines Lebens – so auch seinen Tod. Er begegnet Außerirdischen vom Planeten Tralfamadore, die ihn kidnappen und zusammen mit einer irdischen Frau in einem tralfamadorischen Zoo ausstellen. Die Tralfamadorianer sehen in vier Dimensionen, deren vierte die Zeit ist. Sie haben jeden Augenblick ihres Lebens bereits gesehen; vermögen nichts zu entscheiden, ihr Schicksal nicht zu ändern, können aber die Zeit in jedem möglichen Moment ihres Lebens zubringen, den sie wünschen.

Während des Romans springt Billy in der Zeit hin und her, er erlebt verschiedene Ereignisse seines Lebens noch einmal. Dies gibt ihm ein stetes Gefühl von Lampenfieber, da er nie weiß, welcher Teil seines Lebens als nächster folgt. Er verbringt eine Zeit auf Tralfamadore, während der Ardennenoffensive des Zweiten Weltkrieges watet er vor seiner Festnahme wie betäubt durch tiefen Schnee. Er lebt verheiratet nach dem Krieg in Amerika, bis zu seiner Ermordung auf der Erde viele Jahre später. Zum Zeitpunkt seiner Ermordung hat Billy sich den tralfamadorischen Fatalismus zu eigen gemacht, der ihm seinen persönlichen Frieden verleiht. Er hatte diese Philosophie unter Millionen Menschen verbreitet, was ihn zur berühmtesten Person der Erde machte.

Billys Fatalismus scheint in der Wirklichkeit (zumindest in Billys Wirklichkeit) in dem bekannten Gelassenheitsgebet begründet, das eingerahmt in seinem Büro hing, „zu den Dingen, die Billy Pilgrim nicht ändern konnte, gehörten Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft“. Ein Tralfamadorianer begründet diesen Fatalismus mit seiner Erfahrung: „Ich habe einunddreißig bewohnte Planeten im Weltall besucht und die Berichte über weitere hundert studiert. Nur auf der Erde wird von freiem Willen geredet.

Das Buch geht einer Reihe von Ereignissen in Billys Leben nach, einschließlich des Todes seiner Frau, seiner Festnahme durch die Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg sowie der Bombardierung Dresdens, die den Bezugsrahmen des Buches bildet.

Literarische Technik

Der Roman setzt bestimmte Wendungen wiederholt ein. So dient etwa die Wendung „so geht das“ (“so it goes”), wenn Tod und Vergehen erwähnt werden (seien es Menschen, Tiere oder die Luftblasen im Champagner), der Bagatellisierung der Sterblichkeit, macht sie zur Routine, zum makabren Schauspiel, oder er zitiert „Rosen und Senfgas“, um den ekelhaften Verwesungsgeruch eines Leichnams oder eine Alkoholfahne zu beschreiben.

Vonnegut entwickelte zwei bahnbrechende literarische Techniken: den Gebrauch des Refrains (chorus) und der koordinierenden Analogie (plant-connect). Erstere griff später der Autor Chuck Palahniuk in seinen minimalistischen Novellen auf. Vonnegut verwendete den „So-geht-das“-Refrain als lapidare Übergangswendung zu einem anderen Thema, als Anzeige oder kleine Abwechslung.

Die koordinierenden Analogien lassen sich am besten anhand eines Beispiels erklären. Vonnegut benutzt den Ausdruck „leuchtendes Zifferblatt“ (“radium dial”) einerseits in einem bildlichen Sinne, um das Gesicht eines Russen im Gefangenenlager zu beschreiben, andererseits (sehr konkret) für die Beschreibung der Uhr seines Vaters, die ihn in der Dunkelheit einer Höhle („Carlsbad Caverns“) beschützt. Dies betont die Verbindung zwischen beiden Personen. Das Gesicht des Russen erinnerte ihn daran, dass die Lagerinsassen Menschen waren, und daher ist der Moment der Erinnerung (oder des Wiedererkennens) für ihn voller Hoffnung, da er Vaters Uhr als eine Bastion der Sicherheit und Vertrautheit an einem fremden Ort empfand.

Eine weitere literarische Technik Vonneguts ist die Metafiktion. Das erste Kapitel des Buches handelt nicht von Billy Pilgrim, sondern beschreibt einleitend, wie Vonnegut dazu kam, Schlachthof 5 zu schreiben. Vonnegut entschuldigt sich dafür, dass der Roman „so kurz, wirr und schrill“ sei, was er damit erklärt, dass sich „über ein Blutbad nichts Gescheites sagen lässt“. Der erste Satz des 1. Kapitels behauptet, „alles das hat sich mehr oder weniger zugetragen“ und inmitten von Billy Pilgrims Kriegserfahrungen erscheint Vonnegut selbst kurz, gefolgt von der Anmerkung des Erzählers: „Dies war ich. Dies war meine Person. Dies war der Autor dieses Buches“.

Zeitreise

Das Motiv der Zeitreise gibt es bereits in John Bunyans Pilgerreise zur seligen Ewigkeit im 17. Jahrhundert. Die Zeit-Odyssee hat stets eine phantastische Wirkung. Ihrer Schilderung liegt eventuell eine posttraumatische Belastungsstörung, ein andauernder Schockzustand, zugrunde. Intensiver Stress kann die Psyche überlasten und Halluzinationen und Rückblenden auslösen. Stephan Freißmann schreibt: Vonnegut [...] verarbeitet das Trauma eines amerikanischen Soldaten [...]. Merkmale der Trauma-Erzählung sind in diesem Fall die Übertragung autobiographischer Ereignisse auf einen fiktiven Protagonisten als Vermeidungsstrategie, der Zerfall des Raum-Zeit-Kontinuums [...] und die Inszenierung von Fluchten in eine fiktive Gegenwelt auf den Planeten Tralfamadore.[1]

Kontroverse

Wegen seiner realistischen und wiederholten Beschreibung fluchender amerikanischer Soldaten und bestimmter deutlicher sexueller Inhalte gehörte „Schlachthof 5“ zu den oftmals verbotenen Werken der US-amerikanischen Literatur und wurde häufig aus Schulen, Bibliotheken und Lehrplänen verbannt. Vonneguts Bücher wurden vom Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten überprüft, wo seine Werke Gegenstand in Sachen Island Trees School District v. Pico 457 US 853 (1982) waren.

Vor allem fand zum Erscheinungszeitpunkt eine Szene, in der die Kreuzigung Christi dargestellt wird, viel Kritik von US-amerikanischen Kirchenverbänden.

Der Reportageaspekt

Vonnegut verglich das bombardierte Dresden mit der Mondoberfläche. Die Opferstatistiken bezog er aus dem Buch Die Zerstörung Dresdens des als Geschichtsrevisionisten und Holocaustleugner auftretenden Publizisten David Irving. Die dortigen Angaben von 135.000 Toten wurden seitdem nach unten korrigiert. Die Dresdner Historikerkommission ermittelte eine Höchstzahl von maximal 25.000 Opfern.[2]

Vonnegut erwähnt an mehreren Stellen des Romans Kerzen und Seife, die von den Deutschen aus dem Körperfett ermordeter Juden und sogenannter „Zigeuner“ hergestellt worden seien und von Kriegsgefangenen und Soldaten verwendet wurden. Heute wird angenommen, dass es eine solche Produktion nicht gegeben hat.[A 1]

Adaptionen

Gedenkwand Schlachthof 5 am Originalschauplatz des Romans, heute: Messe Dresden (Künstler/Architekt, Foto: Ruairí O'Brien)

1972 wurde der Roman vom Regisseur George Roy Hill verfilmt. Schlachthof 5 (Slaughterhouse-Five) erhielt im selben Jahr den Preis der Jury bei den Filmfestspielen von Cannes und gewann 1973 den Saturn Award für den besten Science-Fiction-Film.

Eine Bühnenfassung von Nicolas Stemann wurde am 10. Juni 2005 im Schauspielhaus Hannover uraufgeführt. 1996 wurde der Stoff von dem Komponisten Hans-Jürgen von Bose als Auftragswerk der Bayerischen Staatsoper zu der Oper Schlachthof 5 verarbeitet, die 1996 in München uraufgeführt wurde.

2012 schuf der irische Architekt und Künstler Ruairí O’Brien eine Gedenkwand zu dem Stoff, ausgestellt am Schauplatz des Romans, im Keller des ehemaligen Vieh- und Schlachthofes Dresden (heute Messe Dresden).[3][4]

Die norwegische Rockband Madrugada wurde zum Teil von Vonnegut beeinflusst: Auf dem 2002 erschienenen Album »Grit« befindet sich der Song »come back Billy Pilgrim«; auch die 2005 veröffentlichte Live-CD trägt den Namen »Live at Tralfamadore«, was dementsprechend Platz für Interpretationen lässt.

Literatur

Ausgaben

  • Slaughterhouse-Five, or The Children's Crusade: A Duty-Dance with Death. Delacorte Press, New York, NY 1969, ISBN 0-385-31208-3 (amerikanische Erstausgabe).
  • Schlachthof 5 oder Der Kinderkreuzzug. Übersetzt von Kurt Wagenseil. Hoffmann und Campe, Hamburg 1970, ISBN 3-455-07955-5 (deutsche Erstausgabe).
  • Schlachthof 5 oder Der Kinderkreuzzug. Übersetzt von Kurt Wagenseil. Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek 1972, ISBN 3-499-11524-7 (Taschenbuchausgabe).
  • Schlachthof 5 oder Der Kinderkreuzzug. Übersetzt von Kurt Wagenseil. Verlag Volk und Welt, Berlin 1976, OCLC 56543780 (DDR-Ausgabe).
  • Schlachthof 5 oder Der Kinderkreuzzug. Übersetzt von Kurt Wagenseil. Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek 2010, ISBN 978-3-499-25313-3 (Neuausgabe).
  • Hörbuch: Schlachthof 5. Gelesen von Jan Josef Liefers. Produktion RBB 2004. Der Audio Verlag 2005, ISBN 3-89813-397-4.

Sekundärliteratur

  • Harold Bloom (Hrsg.): Kurt Vonnegut's Slaughterhouse-Five (Bloom's Modern Critical Interpretations). Chelsea House, New York 2010, ISBN 978-1-60413-585-5.
  • Peter Freese: The Clown of Armageddon: The Novels of Kurt Vonnegut (= American Studies. Bd. 174). Winter, Heidelberg 2008, ISBN 978-3-8253-5551-7.
  • Jerome Klinkowitz: Slaughterhouse-Five: Reforming the Novel and the World (= Twayne's Masterwork Studies. Bd. 37). Twayne, Boston 1990, ISBN 0-8057-9410-7.
  • Dominik Kuppels: Krieg und „schwarzer Humor“. Postmoderne Erzählverfahren bei Joseph Heller (Catch-22), Kurt Vonnegut (Slaughterhouse-five) und Thomas Pynchon (Gravity's rainbow) (= Edition Wissenschaft. Reihe Anglistik. Bd. 16). Tectum, Marburg 1997, ISBN 3-89608-786-X.
  • Stefan T. Pinternagel: Kurt Vonnegut jr. und die Science Fiction – Kilgore Trout, Tralfamadore und Bokononismus. Shayol, Berlin 2005, ISBN 3-926126-49-3.
  • Ann Rigney: All This Happened, More or Less: What a Novelist Made of the Bombing of Dresden. In: History and Theory. Jg. 48, H. 2, 2009, ISSN 0018-2656, S. 5–24.

Fußnoten

Anmerkungen

  1. Das Motiv der deutschen Herstellung von Seife aus den Knochen Ermordeter gibt es sehr oft bei Romain Gary, z. B. in Der Tanz des Dschinghis Cohn (nicht in der dt. Übers.), in Pour Sganarelle, 1965, und in Gedächtnis mit Flügeln, (frz. zuerst 1980), sodass jedenfalls Gary Wert auf diesen Topos legte. Die Faktizität der Seifenproduktion ist umstritten – in Nizza, wo Gary lange lebte, weist ein Grabstein darauf hin. Und dem Historiker Joachim Neander nach war die Ankündigung einem Gefangenen gegenüber, ihn zu Seife zu verarbeiten, vor allem ein gängiger Topos in der ordinären, nicht gleichberechtigten Kommunikation der Wachmänner bzw. -frauen mit ihren Opfern, eine aggressive Todesdrohung (siehe „Seife aus Judenfett“ – Zur Wirkungsgeschichte einer urban legend bzw. Seife aus Judenfett. Zur Wirkungsgeschichte einer zeitgenössischen Sage. In: Fabula. Zeitschrift für Erzählforschung – Journal of Folktale Studies – Revue d'Etudes sur le Conte Populaire. Jg. 46, Nr. 3–4, 2005, S. 241–256).

Einzelnachweise

  1. Stephan Freißmann: Trauma als Erzählstrategie. Magisterarbeit. Universität Konstanz 2005. Kurztext. In: KOPS. Das Institutionelle Repositorium der Universität Konstanz. kops.ub.uni-konstanz.de, abgerufen am 1. September 2016, urn:nbn:de:bsz:352-opus-23023; Volltext. In: d-nb.info, abgerufen am 2. September 2016 (PDF; 695 kB).
  2. Erklärung der Dresdner Historikerkommission zur Ermittlung der Opferzahlen der Luftangriffe auf die Stadt Dresden am 13./14. Februar 1945. Hrsg. von der Stadt Dresden. Dresden, 1. Oktober 2008, S. 2, Sp. 1. In: dresden.de, abgerufen am 2. September 2016 (PDF; 126 kB). Vgl. Dresden zur Zeit des Nationalsozialismus.
  3. Gedenkwand Slaughterhouse-Five. In: messe-dresden.de, abgerufen am 31. August 2016.
  4. Gedenkwand Slaughterhouse 5 in der Messe Dresden eingeweiht. (Memento vom 12. Februar 2014 im Webarchiv archive.today) In: dresden-fernsehen.de. 13. Februar 2013, abgerufen am 1. September 2016.