Spieß

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Landsknechte beim Kampf mit ihren Spießen (Radierung von Holbein)

Ein Spieß (auch Pike von französisch piquer ‚stechen‘) ist eine historische Stichwaffe zu Jagd- und Kriegszwecken, die im Unterschied zum Speer bzw. Wurfspieß nicht geworfen wird. Synonym wird oft der Begriff Lanze verwendet, was jedoch eigentlich den Spieß des Reiters bezeichnet.

Geschichte

Der einfache Spieß ist eine der ältesten bewusst hergestellten Waffen der Menschheit.[1] Auch bei Schimpansen wurde die Fähigkeit der Herstellung und Gebrauchs eines Spießes festgestellt. Schimpansen spitzen Holzstöcke mit den Zähnen an und stochern damit in Höhlen von kleinen Säugern.[2] Es ist daher plausibel anzunehmen, dass auch die frühesten Menschen Werkzeuge und Waffen aus Holz nutzten. Gegenüber Steingeräten sind Holzgeräte in viel stärkerem Maße der Verwitterung ausgesetzt, so dass es kaum archäologische Funde aus der Urgeschichte gibt.[3] Während die ältesten gefundenen Steingeräte ein Alter von ungefähr 2,5 Millionen Jahre aufweisen, sind die ältesten gefundenen Holzgeräte deutlich jünger.

Der älteste hölzerne Fund ist eine Spitze aus dem englischen Clacton-on-Sea, welche als Teil eines Spießes interpretiert wird. Sie wurde 1911 ausgegraben und wird auf ein Alter von 450.000 Jahre geschätzt.[4][5] Auch die mit etwa 400.000 Jahren etwas jüngeren feuergehärteten Spitzen aus dem spanischen Torralba und Ambrona werden in diesem Sinne gedeutet.[6] Im niedersächsischen Lehringen wurde im Brustkorb eines Waldelefantenskeletts ein 2,38 m langer Spieß (Lanze von Lehringen) aus Eibenholz gefunden, der auf 128.000 bis 115.000 Jahren BP datiert und den mittelpaläolithischen Neandertalern zugeschrieben wird.[7] Auf ein Alter von etwa 500.000 Jahren werden Steinspitzen aus dem südafrikanischen Kathu Pan datiert. Der Homo heidelbergensis hat sie mit einem Holzspieß verbunden und somit die ersten belegten geschäfteten Werkzeuge geschaffen. Diese Jagdwaffen waren eher für den Stoß geeignet denn sie konnten nur über eine kurze Distanz geworfen werden.[8][9]

Gegen eine Formation aus Spießgesellen war für Berittene nur schwer anzukommen

Der Mensch entwickelte den Spieß zum Wurfspieß (Speer) weiter. Dieser kann geworfen, aber auch im Nahkampf zum Stechen verwendet werden.

Der Einsatz des nicht werfbaren Spießes ist als Langspieß wieder in der Antike belegt. Die Sarissa war die Hauptwaffe der makedonischen Phalanx im 4. Jahrhundert v. Chr. Erst im Spätmittelalter nahm die Bedeutung wieder zu. Während des schottischen Unabhängigkeitskriegs entwickelten Schotten den Schiltron, eine Gefechtsformation mit Langspießen. Die Schweizer entwickelten die Taktik des Gewalthaufens und die Pikeniere als schwere Infanterie mit Piken. Andere europäische Nationen übernahmen dieses, besonders Spanien, deren Tercios (sp. Drittel) Pikeniere und Arkebusiere effektiv verbanden. Die Bedienung einer Pike war leicht zu erlernen. Eine Formation Spießträger („Spießgesellen“) konnte sich sehr erfolgreich gegen eine Kavallerieattacke zur Wehr setzen.

Der Übergang zu Feuerwaffen und insbesondere die Einführung des Bajonetts brachten das Ende dieser Ära.

Beschaffenheit

Der hölzerne Schaft besaß eine Länge von 5 bis 6 Metern. Die Spitze bestand aus verschiedenen Materialien. Am einfachsten war ein angespitztes Ende, gegebenenfalls feuergehärtet. In der Frühzeit wurden Naturmaterialien wie Knochen oder Stein verwendet, später Bronze oder Eisen. Der obere Teil des Holzschaftes konnte durch metallene Bänder verstärkt werden, um ein Abbrechen der Spitze aus dem Holz zu verhindern.

Ableitungen, Rezeption

  • Davon abgeleitet ist der Begriff Spießer oder Spießbürger für einen Menschen mit konservativen, bürgerlichen Ansichten. Dies kommt daher, dass der Spieß (wie der Kriegsflegel, im Gegensatz zu den Waffen des Adels wie Lanze und Schwert) im europäischen Mittelalter eine leicht herzustellende Waffe war, deren Einzelteile aus billigen, zur Genüge vorhandenen Materialien bestanden und die von Bürgern und Bauern bei Aufständen gegen die Obrigkeit verwendet wurde. Beispiele sind die Hussiten- (1419–1434) oder Bauernkriege (1525).
  • Die Redensart „etwas von der Pike auf lernen“ hat sich vom Pikenier entwickelt, da ein Soldat, der gerade erst angeworben wurde und selbst nicht in der Lage war, eine Schusswaffe oder ein Pferd mit einzubringen, mit einer Pike ausgerüstet wurde. Das Kriegshandwerk musste also für Soldaten ohne Erfahrung „von der Pike“ auf erlernt werden.
  • „Den Spieß umdrehen“ für einen plötzlichen Rollenwechsel kommt vom Entreißen und Verwenden des Spießes gegen den ursprünglichen Besitzer nachdem er umgedreht wurde.
  • Jemand ist – im übertragenen Sinn – "pikiert", wenn sich der- oder diejenige etwa durch einen verbalen Angriff beleidigt, verletzt oder getroffen zeigt.
  • Beim Schneidern heißt pikieren, mit einer Naht einen festeren Stoff nur von der Rückseite her bogenförmig anzustechen, um die Naht vorne unsichtbar bleiben zu lassen.
  • Bei der Zubereitung und dem Servieren von Speisen werden Spieße unterschiedlicher Grössen verwendet: 7-cm-Spießchen aus Kunststoff (seit den 1960ern) oder stabile hölzerne Zahnstocher für kleine Appetithäppchen, die mit ein oder zwei Lippenzügen in den Mund abgestreift werden können. Schaschlik wird auf etwa 25 cm langen Spießen aus Chromstahl oder Holz zubereitet und serviert. Grillspieße von 30–45 cm Länge rotieren in kleinen Öfen und Backherden, eine Hendlbraterei spießt eine ganze Reihe von Hühnern abwechseln mit anstechenden Mitnehmern auf einen etwa 1 x 1 cm Vierkantstab von etwa 1 m Länge auf. Ganze Schafe, Schweine und Ochsen benötigen entsprechend stabile und lange Vierkant-Formrohre um in der Strahlungshitze gedreht zu werden.

Museale Rezeption

Im Heeresgeschichtlichen Museum in Wien sind zahlreiche originale Piken aus dem 17. Jahrhundert ausgestellt. Weiters sind mehrere Figurinen von kaiserlichen Pikenieren aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges zu sehen, die auch mit Stichdegen ausgerüstet sind.[10] Im Grazer Landeszeughaus, der größten noch erhaltenen Rüstkammer der Welt, ist ebenfalls eine große Anzahl Piken aus dem 16. und 17. Jahrhundert zu sehen.

Siehe auch

Literatur

  • Volker Schmidtchen: Kriegswesen im späten Mittelalter. Technik, Taktik, Theorie, VCH, Weinheim 1990. ISBN 3-527-17580-6 (Zugleich Habilitationsschrift an der Universität Bochum 1984)
  • H. W. Koch: Illustrierte Geschichte der Kriegszüge im Mittelalter (Originaltitel: Medieval Warfare, Bison Books, London). Bechtermünz, Augsburg 1998, S. 73, 131, 133, 149, 180–81, 188, 191, 197–98, 212, 231, 236, 244. ISBN 3-8289-0321-5.

Einzelnachweise

  1. William Weir: 50 Weapons That Changed Warfare, Career Press, 2005, ISBN 1564147568, Seite 10
  2. Rick Weiss: For First Time, Chimps Seen Making Weapons for Hunting in Washington Post vom 23. Februar 2007 [1]
  3. Paul R. Ehrlich, Anne H. Ehrlich: The Dominant Animal: Human Evolution and the Environment, Verlag Island Press, 2009, ISBN 1597264601, Seite 72 [2]
  4. Natural History Museum: The Clacton Spear [3]
  5. Travis Rayne Pickering: Rough and Tumble: Aggression, Hunting, and Human Evolution, Verlag University of California Press, 2013, ISBN 0520955129, Seite 91 [4]
  6. Emil Hoffmann: Lexikon der Steinzeit, Verlag BoD – Books on Demand, 2012, ISBN 3844888985, Seite 265 [5]
  7. Almut Bick: Die Steinzeit, Theiss-Verlag, S. 65, ISBN 978-3-8062-1996-8
  8. Ker Than: Stone Spear Tips Surprisingly Old in National Geographic Society, vom 16. November 2012 [6]
  9. Bruce Bower: Oldest examples of hunting weapon uncovered in South Africa in Science News vom 15. November 2012 Bruce Bower: Oldest examples of hunting weapon uncovered in South Africa – 15. November 2012 (Memento vom 21. Januar 2013 im Internet Archive)
  10. Manfried Rauchensteiner, Manfred Litscher (Hg.): Das Heeresgeschichtliche Museum in Wien. Graz, Wien 2000 S. 11.