Spitzname

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 7. Oktober 2016 um 17:25 Uhr durch Horst Gräbner (Diskussion | Beiträge) (Änderungen von 188.108.211.9 (Diskussion) auf die letzte Version von BrunoBoehmler zurückgesetzt). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Ein Spitzname (im 17. Jahrhundert spitz ‚verletzend‘), auch Übername, Abname, Utzname, Uzname, Ulkname, Neckname, Ökelname, Scheltname, Sobriket/Sobriquet oder Spottname genannt, ist ein Ersatzname für den realen Namen einer Person oder Sache. Dieser Beiname deutet oft eine Unvollkommenheit an. In der Regel übertrifft er den eigentlichen Namen an Witz.[1]

Entstehung eines Spitznamens

Spitznamen werden häufig nach äußeren Merkmalen, dem Verhalten oder nach Bezeichnungen, die zufällig entstehen und Anklang finden, gebildet. Daneben kann ein Spitzname auch als Verballhornung oder Alliteration des Namens, der Rolle, der Funktion oder anderer Eigenschaften gebildet werden.

Wesentliche Züge, Abgrenzungen, Spielarten

Während der reale oder normale Name qua Taufe, amtlicher Verfügung (Eltern) oder kulturgeschichtlicher Überlieferung entsteht, kommt der Spitzname mit guten oder bösen Absichten durch andere Personen, Medien oder zuweilen von der betroffenen Person selbst zustande. Dabei hat der Spitzname keinen offiziellen Charakter, da er nur mündlich tradiert wird. So ist er in einem persönlichen Umfeld oft nur auf die Gruppenzugehörigkeit beschränkt (Club, Verein, Schule, Firma) und außerhalb der Gruppe nicht geläufig, während es Spitznamen von Personen des öffentlichen Lebens zur überregionalen oder gar weltweiten Bekanntheit bringen können.

Soweit der Spitzname Personen betrifft, sind die Grenzen zu Pseudonym und Künstlername fließend. Im Gegensatz zu diesen ist der Spitzname selten selbst gewählt, manchmal gar dem Namensträger nicht bekannt, wie oft bei Lehrern. Für den Autor Henner Reitmeier sind Spitznamen vor allem „Spitzen gegen die stumpfen Normalnamen“. Diese träfen das Wesen oder zumindest die eine oder andere hervorstechende Eigenschaft des Benannten so gut wie nie, schreibt er in seiner Betrachtung Spitznamen, aufgespießt. „Nicht selten beleidigen sie ihn sogar. Das Übel verwundert wenig, werden die Normalnamen doch in der Regel Säuglingen verpaßt. Das Entsetzen stellt sich mit 13 oder 16 ein, wenn ein junger Mensch begreift, daß er sich noch für ein paar Jahrzehnte Luise oder Dieter, womöglich sogar Dieter Müller rufen lassen soll.“[2]

Ein Sonderfall ist der Hausname, der als Bezeichnung für alle Bewohner eines bestimmten Hauses oder Hofes gilt und deshalb als Spitzname einer Gruppe gelten kann.

Anwendungsbreite

Der Spitzname kann sowohl negativen Charakter haben und den Spottnamen wie den Schimpfnamen widerspiegeln; im positiven Sinn kann er dem Kosenamen nahe- oder gleichkommen. Mit einem Decknamen hat er dagegen nichts zu tun. Gelegentlich haben hochgestellte Persönlichkeiten des Ersten Deutschen Reichs neben ihrer Herkunft („von Bayern“) oder dynastischen Zählung („der Dritte“) spitze Beinamen erhalten, etwa Friedrich der Kleine, Karl der Kahle oder Heinrich der Zänker. Solche Namen werden nicht als Spitznamen gewertet.

Oft entstehen Spitznamen aufgrund bestimmter politischer Umstände oder der Ereignisse einer Zeit und deren Wahrnehmung in der Bevölkerung. Als Beispiel sei die nicht gerade uneigennützige britische Labour-Politikerin Hazel Blears (* 1956) genannt, die im Zuge einiger Skandale nach den gleichnamigen Backenhörnchen Chipmunk genannt wurde.[3] Spitznamen vergehen teilweise wieder, wenn sich die Lage wandelt oder der Anlass in der Erinnerung verblasst; die wenigsten bringen es zu großer Popularität. Andere Träger von Spitznamen müssen sich mit familiärer, lokaler oder regionaler Verbreitung und Bedeutung begnügen, insbesondere wenn sie sich der Regionalsprache bedienen oder dem Dialektbereich zugehören. Bei der Übertragung von Spitznamen in andere Sprachen oder in einen anderen Kulturkreis lassen sich häufig nur schlecht Entsprechungen finden, weil sich die Bedeutungen und Anspielungen der Übersetzung oder Übertragung entziehen.

Grundsätzlich beeindrucken Spitznamen umso mehr, wenn sie nicht nur treffend, sondern auch ausgefallen sind. Schriftsteller verleihen ihren Figuren gern Spitznamen, weil sie dadurch prägnanter und wiedererkennbarer werden. Beispiele seien der Nichtraucher aus Kästners Fliegendem Klassenzimmer oder dessen Buch Pünktchen und Anton, aber auch an phantasievolle Beinamen wie Alfons der Viertel-vor-Zwölfte. Spitznamen können sich auf einen Normalnamen beziehen, dabei nicht unbedingt auf den des Betroffenen selbst. Beispiele sind Darwins Bulldogge für den Biologen Thomas Huxley, Darwins Rottweiler für den Biologen Richard Dawkins,[4] Beckham of the Baize (Beckham des grünen Tischtuchs) für den Snookerspieler Paul Hunter.

Die beliebten „i-Ableitungen“, beispielsweise Steffi für Stefanie oder Schmitti für den Familiennamen Schmidt oder Schmitt zeigen eine allgemeine Tendenz zur Verniedlichung, Verharmlosung und Gleichmacherei. Es sei dagegen „sicherlich die eleganteste Lösung, [einen Spitznamen] maßschneidernd neu zu erfinden“.[5] Als Paradebeispiele führt Autor Reitmeier Millimetternich für den klein gewachsenen österreichischen Kanzler Engelbert Dollfuß und Hessenfluch für den zeitweiligen hessischen Ministerpräsidenten und Anhänger der Prügelstrafe Ludwig Hassenpflug an. Diese Beispiele zeigen die Nähe zu Wortspiel und Kalauer. In den Erinnerungen des ungarischen Dramatikers Julius Hay findet sich der Hinweis, sein Zeit- und Kampfgenosse Johannes R. Becher sei von dessen dänischem Kollegen Martin Andersen Nexø Johannes Erbrecher getauft worden.[6] Wie Dollfuß' Spitzname gleich in mehrfacher Hinsicht zeigt, werden Spitznamen bekannter Persönlichkeiten oft aus deren Eigenschaften oder Leistungen abgeleitet. Den General Quintus Fabius Maximus Verrucosus bezeichneten die Zeitgenossen als Cunctator, also Zauderer, weil er gegen Hannibal mit einer Ermüdungstaktik vorging. Dem preußischen General Blücher sollen russische Soldaten den Beinamen Marschall Vorwärts gegeben haben. Dass solch ein Name neben Spott auch Anerkennung ausdrücken kann, zeigt unter anderem Bruder Johannes für den ehemaligen nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten und späteren deutschen Bundespräsidenten Johannes Rau.

Spitznamen können bekannter werden und länger im öffentlichen Bewusstsein verbleiben als der eigentliche Name einer Person und dabei ihren Träger um Generationen überleben. Die 1876 verstorbene Nachbarin einer im Käfig gehaltenen Wachtel Böckderöck Wau-Wau ist vielen Kölnern nur unter diesem Namen ein Begriff. Ähnlich einem Spitznamen kommen typisierende, nicht auf eine konkrete Person bezogene Namen im Volksmund, in Witzen und Anekdoten zum Einsatz, etwa ABC-Schütze für den Schulanfänger oder Fritzchen, Klein Erna und Herr Müller-Lüdenscheidt. Gelegentlich werden anders schwer erklärbare Wortneuschöpfungen in Regionalsprachen wie der Hochsprache als Ableitungen aus vormaligen Namen oder Spitznamen gedeutet, etwa für Fressklötsch, mein lieber Scholli oder das Verballhornen. Da sich deren Anfänge selten gut belegen lassen, bleibt es in der Regel spekulativ.[7]

Spitznamen von Sachen

Personenbezug ist kein unerlässliches Merkmal des Spitznamens. Das wird selbst von dem wenig greifbaren Phänomen wie einem Krieg um die bayrische Erbfolge unterstrichen, der 1778/1779 zwischen den Preußen und Österreichern ausgetragen wurde: er ist als Kartoffelkrieg bekannt. Was deutschen Soldaten auf Feldzügen gegen Moskau (um 1942) nicht wenig zu schaffen machte, war der sprichwörtliche General Winter. Eine 1509 in Geldern eingeführte Silbermünze wurde Schnapphahn getauft, weil sich die Untertanen vom Bildnis der Vorderseite an einen Raubritter erinnert fühlten: es zeigt Herzog Karl, gestorben 1538, zu Pferd.[8] Aus jüngerer Zeit sind Dinge wie Drahtesel, Schifferklavier oder Pantoffelkino für Fernsehen bekannt.

Spitznamen bekannter Bauwerke

Sie werden oft von der Form des Bauwerks hergeleitet. Bekannte Beispiele hierfür sind Langer Lulatsch für den Berliner Funkturm, Langer Eugen für das ehemalige Hochhaus der Bundestagsabgeordneten in Bonn oder Schwangere Auster für eine Kongresshalle in Berlin. Einrichtungen wie Gefängnisse oder Anstalten hatten und haben ebenfalls Spitznamen. Bekannte Beispiele sind Santa Fu für die Haftanstalt Am Hasenberge in Hamburg-Fuhlsbüttel, Bonnies Ranch für die Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik in Berlin-Wittenau oder das Gelbe Elend, das ehemalige Zuchthaus Bautzen I, in dem bis 1989 politische Häftlinge einsaßen.

Spitznamen für Orte, Regionen, Gewässer, Berge

Für viele geografische Objekte existieren Spitznamen aus den unterschiedlichsten Motivationen heraus. Solche Benennungen sind beispielsweise Spree-Athen für Berlin, Schwäbisches Meer oder größte Badewanne Deutschlands für den Bodensee oder Elbflorenz für Dresden.

Spitznamen für Automobile

Seit Beginn der automobilen Entwicklung hat der Volksmund Spitznamen für bestimmte Automodelle geprägt. Schmeichelhaft, liebevoll, spöttisch oder abwertend gemeint, entstehen solche für Fahrzeuge, die aufgrund ausgeprägter Eigenschaften das besondere Interesse des Publikums wecken. Einige der erfolgreichsten Modelle der Automobilgeschichte sind der deutsche VW Käfer und die französische Ente. In der Nutzung des Wortes sind diese unter ihrem Spitznamen bekannter als unter der offiziellen Bezeichnung des Herstellers.

Weblinks

Wiktionary: Spitzname – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

  1. Spitzname. In: Heinrich August Pierer, Julius Löbe (Hrsg.): Universal-Lexikon der Gegenwart und Vergangenheit. 4. Auflage. Band 16: Sicilien–Stückgesell. Altenburg 1863, S. 577 (zeno.org).
  2. In: Die Brücke, Nr. 160, Mai-August 2012, S. 93–98, im zitierten Fall S. 94. Reitmeiers Betrachtung ist auch online nachlesbar, abgerufen am 29. Juni 2012
  3. Die Brücke 160, S. 93. Siehe auch die englischsprachige Wikipedia, abgerufen am 29. Mai 2009.
  4. Spiegel Online vom 10. September 2007, siehe am Ende des Interviews, abgerufen am 29. Mai 2012
  5. Die Brücke 160, Seite 98
  6. Geboren 1900, Ausgabe Heyne-Taschenbuch von 1980, S. 175–177
  7. Siehe auch: [1] und [2], abgerufen am 29. Mai 2012
  8. Brockhaus Enzyklopädie, 19. Ausgabe, Band 19 von 1992, S. 455