Todesfall Rudolf Rupp

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Der Todesfall Rudolf Rupp ereignete sich im Herbst 2001 in Oberbayern. Er gilt als einer der bizarrsten Fälle in der jüngeren deutschen Kriminalgeschichte.[1]

Chronologie

Der Landwirt Rudolf „Rudi“ Rupp, geboren 1949,[2][3] verschwand im Herbst 2001 spurlos nach einem Wirtshausbesuch, bei dem er sich betrunken hatte.

Im Jahr 2005 verurteilte das Landgericht Ingolstadt Rupps Ehefrau und den Ex-Freund einer der Töchter, Matthias E., wegen Totschlags zu je achteinhalb Jahren Haft.[1] Die Angeklagten hatten gestanden, Rupp in seinem Haus in Heinrichsheim (Stadt Neuburg an der Donau, Landkreis Neuburg-Schrobenhausen) erschlagen, zerstückelt und danach an die auf dem Hof lebenden Schweine, Dobermänner, den Bullterrier und den Schäferhund verfüttert zu haben. Diese Geständnisse hatten die Angeklagten noch vor Prozessbeginn widerrufen.[4][5][6] Die beiden zum Zeitpunkt von Rupps Verschwinden 15 und 16 Jahre alten Töchter wurden zu zweieinhalb bzw. dreieinhalb Jahren Jugendstrafe wegen Beihilfe durch Unterlassen verurteilt.[1]

Laut dem Urteil des Landgerichts Ingolstadt lauerte Matthias E. dem aus dem Wirtshaus nach Hause zurückkehrenden Rudolf Rupp im Treppenhaus auf und schlug ihm hinterrücks mit einem Vierkantholz ins Genick. Rupps Ehefrau und seine beiden Töchter sollen den jungen Mann dabei angefeuert und das wehrlose Opfer mit obszönen Schimpfwörtern bepöbelt haben. Auch Rupps Ehefrau soll nach Ansicht der Staatsanwaltschaft ihrem Ehemann mit der Latte auf den Kopf geschlagen, die Töchter sollen auf ihren am Boden liegenden Vater eingetreten haben. Im Keller sollen Matthias E. und seine Verlobte dem noch lebenden Rupp mit einem Hammer die Schläfe eingeschlagen haben. Am nächsten Morgen zerlegten sie laut Anklage den toten Bauern mit einem Messer, einer Säge und einer Axt. Umfassend hatte überdies Matthias E. in seinem Geständnis geschildert, wie er Arme und Beine des Bauern abtrennte, den Leib aufschnitt, die Organe entnahm, das Blut mit einem Margarinebecher in einen Eimer abschöpfte und die Leichenteile an die auf dem Hof lebenden Dobermänner, den Bullterrier und den Schäferhund verfütterte.[6]

2009 wurde in der Donau bei Bergheim Rupps Mercedes mit seiner teilweise skelettierten, ansonsten aber unversehrten Leiche auf dem Fahrersitz gefunden.[1][6] Obwohl dadurch erwiesen war, dass weite Teile der vom Landgericht Ingolstadt in seinem Urteil getroffenen Feststellungen nicht stimmen können, lehnte die Justiz ein Wiederaufnahmeverfahren lange Zeit ab; erst 2011 (alle Verurteilten waren mittlerweile nach Verbüßung von mehr als zwei Dritteln ihrer Freiheitsstrafen aus der Haft entlassen worden) kam es zu einem zweiten Verfahren, in dem das Landgericht Landshut die Angeklagten freisprach. Trotz der Freisprüche zeigte sich das Gericht aber weiter davon überzeugt, dass einer oder mehrere der Angeklagten den als Tyrann geltenden Landwirt getötet hätten, und schloss einen Unfall aus. Es lasse sich lediglich nicht feststellen, wer für den Tod verantwortlich sei.[1]

Wie die detaillierten falschen Geständnisse vor dem ersten Prozess zustande gekommen waren, ist juristisch nicht aufgearbeitet. Die Polizei veröffentlichte Videos, die zeigen, wie die Beamten die angebliche Tat mit den Beschuldigten auf deren Hof nachstellten. Obwohl sich die Aussagen massiv widersprachen und teilweise geradezu gegenseitig ausschlossen, weckte dies offensichtlich keine Zweifel. Das urteilende Gericht nahm vielmehr zulasten der Angeklagten alle einzelnen Aussagen als wahr an und verknüpfte sie zu einem einheitlichen Tatgeschehen. Henning Ernst Müller, Professor für Strafrecht an der Universität Regensburg, sprach nach der Analyse der Videoaufzeichnung der Tatrekonstruktion von „inquisitorischen und suggestiven Fragen. So kann man doch niemanden vernehmen.“ Trotzdem wurden den letztlich Freigesprochenen vom Landgericht Landshut die Haftentschädigungen mit der Begründung verweigert oder gekürzt, sie seien wegen ihrer falschen Aussagen selbst schuld an der Verurteilung. Die ungeklärten Umstände des Zustandekommens der Geständnisse spielten dabei dem Gericht zufolge genauso wenig eine Rolle wie der Umstand, dass die Geständnisse noch vor dem Prozess wieder zurückgezogen worden waren. Dagegen eingereichte Beschwerden blieben beim Oberlandesgericht München und beim Bundesverfassungsgericht erfolglos.[7][1]

Der Fall löste ein großes Medienecho aus.[8] Im März 2012 sprach der Spiegel-Verlag in seiner Internetausgabe Spiegel online und im Fernsehmagazin Spiegel TV von einem Justizskandal und erhob schwere Anschuldigungen gegen die Justiz. Die Geständnisse der beschuldigten Angehörigen seien unter Druck zustande gekommen. Ein Beitrag der Frontal 21-Sendung (ZDF) am 30. Juli 2013 zog Parallelen zum Justizskandal Horst Arnold und zur Causa Gustl Mollath, die ebenfalls vielen als Justizskandal gilt.[9]

Strafverfolgung des Schrotthändlers Ludwig H.

Dem in der Nähe von Neuburg an der Donau ansässigen Schrotthändler Ludwig H. war von der Kriminalpolizei die Beseitigung von Rudolf Rupps verschwundenem Mercedes vorgeworfen worden. H. saß deswegen 2004 fünf Monate unschuldig in Untersuchungshaft.

Die Verhörmethoden der Polizei bei Ludwig H. waren Jahre später Gegenstand eines Strafverfahrens gegen H. Im Wiederaufnahmeverfahren gegen die vier verurteilten Personen im Fall Rudolf Rupp hatte H. 2010 als Zeuge vor dem Landgericht Landshut geschildert, wie er seinerzeit (2004) von der Ingolstädter Kriminalpolizei bedrängt worden war, seine Beteiligung an der Tat zu gestehen. Der Vernehmungsbeamte habe ihm damals seine Dienstpistole mit den Worten „Wir können auch anders, es geht um Mord, da dürfen wir alles.“ an die Schläfe gehalten, als H. sich geweigert hatte, das Vernehmungsprotokoll zu unterschreiben. Die Staatsanwaltschaft Landshut klagte H. daraufhin 2012 vor dem Amtsgericht Landshut wegen falscher Verdächtigung an, ohne die Vorwürfe von H. überhaupt geprüft zu haben. In seinem Plädoyer in der Hauptverhandlung bezeichnete der Staatsanwalt den Angeklagten H. als „Abschaum“ und forderte eine Haftstrafe von 20 Monaten ohne Bewährung. Ludwig H. wurde jedoch freigesprochen, da das Gericht den Einlassungen der Polizeibeamten keinen Glauben schenkte und sowohl die Ingolstädter Strafverfolger als auch die Staatsanwaltschaften Ingolstadt und Landshut heftig kritisierte.[10][11] Der Richter erklärte u. a., begründete Zweifel daran zu haben, dass der Angeklagte den Polizisten zu Unrecht verdächtigt habe.[4] Das Verfahren sorgte für erheblichen Wirbel in der Öffentlichkeit, da der Eindruck entstand, dass der Falsche angeklagt worden war.[4][5][12][13][14]

Literatur

Weblinks

Einzelnachweise

  1. a b c d e f Getöteter Landwirt: Gericht spricht im Fall Rupp Familie frei. In: Spiegel Online. 25. Februar 2011, abgerufen am 25. Februar 2011.
  2. Thomas Röll, Göran Schattauer: „Völlig unverletzt“. In: Focus, Nr. 17, 20. April 2009, S. 36–37.
  3. Rudolf Rupp in seinem Heimatort bestattet. In: Donaukurier, April 2009. Abgerufen am 16. Dezember 2014.
  4. a b c Hans Holzhaider: Methoden der Polizei: Absonderlichkeiten aus der Verhörstube. In: Süddeutsche Zeitung. 18. Dezember 2012, abgerufen am 18. Dezember 2012.
  5. a b Justizskandal im Fall Rudi Rupp. In: Spiegel Online. Abgerufen am 20. März 2012.
  6. a b c Julia Jüttner: Das Rätsel des Rudolf Rupp. In: Spiegel Online. 20. Oktober 2010, abgerufen am 25. Februar 2011.
  7. Silke Bigalke: Unschuldig hinter Gittern – Wie die deutsche Justiz ihre Opfer im Stich lässt. In: Süddeutsche.de. 1. September 2012, abgerufen am 16. Dezember 2014.
  8. Bundesweite ausführliche Berichterstattung, unter anderem Focus, Sueddeutsche.de, Bayerischer Rundfunk, Rheinische Post, Welt Online, Donaukurier oder T-Online.
  9. Video Frontal 21: Mollath – In den Mühlen der Justiz (21:00 Uhr, ab Minute 4:20) in der ZDFmediathek, abgerufen am 11. Februar 2014. (offline)
  10. Freispruch für Schrotthändler. Gericht übt massive Kritik an Ermittlern und Staatsanwaltschaften. Wochenblatt vom 17.12.2012, abgerufen am 31. August 2016
  11. Nachwehen der bayrischen Justiz im Todesfall Rudi Rupp. Strafakte.de, abgerufen am 31. August 2016
  12. Immer Ärger mit dem Staatsanwalt; in: Süddeutsche Zeitung Online vom 22. Oktober 2012
  13. "Abschaum": Staatsanwaltschaft fordert 20 Monate ohne Bewährung; in: Augsburger Allgemeine vom 3. Dezember 2012
  14. Freispruch für den Schrotthändler; in: Augsburger Allgemeine vom 17. Dezember 2012