Villa Chillingworth

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Wohnhaus R. Chillingworth, vor 1910
Villa Chillingworth, Zustand 2012
Toilettenzimmer, geschnitzte Füllung des Ankleidespiegels von J. Wackerle.
Toilettenzimmer mit Ankleidespiegel und Putztisch.
Empfangszimmer, Möbel und Holzteile weiß lackiert, Bezüge blaue Seide mit Stickereien

Die Villa Chillingworth an der Liebigstraße 3 in Nürnberg-Wöhrd wurde 1907 bis 1909 für den Nürnberger Großindustriellen Rudolf Chillingworth nach Entwürfen des Architekten Paul Ludwig Troost als Wohnhaus erbaut und eingerichtet. Joseph Wackerle stattete das Innere mit Bildhauerarbeiten aus. Die Villa Chillingworth war insbesondere bekannt für die umfangreiche Kunstsammlung ihres Besitzers, die als eine der bedeutendsten privaten Kunstsammlungen ihrer Zeit galt. Das Gebäude steht unter Denkmalschutz.[1]

Geschichte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Rudolf Chillingworth war ein erfolgreicher Großindustrieller. Die Press-, Stanz- und Ziehwerke Rudolf Chillingworth, Aktiengesellschaft in Nürnberg, befand sich in der Walzwerkstraße 62/68.[2] Die Firma war insbesondere als Zulieferer für den Flugzeugbau erfolgreich und besaß Patente für Vorrichtungen zur Herstellung von Hohlkörpern aus Blech,[3] darunter die beim Flugzeugbau verwendeten Hohlschrauben.[4] Mit seinem Unternehmen zu Wohlstand gekommen, ließ Chillingworth sich 1907/09 eine repräsentative Villa errichten, die inzwischen unter Denkmalschutz steht. Vom Kunstsinn des Bauherrn zeugte nicht nur die Ausstattung des Gebäudes, sondern vor allem auch eine umfangreiche Kunstsammlung.

Beschreibung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Das Gebäude ist ein zweigeschossiger verputzter Massivbau mit grauem Muschelkalk im Stil des Neoklassizismus. Der Bau wird von einem Mansarddach mit Schleppgauben eingedeckt. Die Fenster schmücken grüne Fensterläden. Den Eingang überkrönt ein tonnengewölbter Säulenportikus. Im Garten steht ein polygonaler, eingeschossiger Pavillonanbau und wird von einer klassizierenden Umfriedungsmauer und Pergolen begrenzt.

Die Haupträume des Erdgeschosses im Jahre 1910 bestanden aus dem Herrenzimmer, dem Musik- und Teezimmer sowie dem Salon und Speisezimmer. Im Herrenzimmer befanden sich Möbel, die sich an der Richard-Riemerschmid-Periode orientierten und aus amerikanischem Nussbaumholz bestanden. Das Musikzimmer wurde im Stil des Empire gestaltet, ebenso das benachbarte Teezimmer, das ausschließlich durch Pilaster vom Musikzimmer getrennt war. Der Salon im Stil des Empire war in blauer Farbe gestaltet. Die Wände im Speisezimmer waren in kaltrosa Farbe gehalten und im Stil des Empire ausgestattet. Dort befanden sich Möbeln aus Mahagoni, die mit geblümtem rot-grün-weißem Gobelinstoff gepolstert waren.

Im ersten Obergeschoss befanden sich Frühstückszimmer, Schlafzimmer, das Toilettenzimmer der Dame des Hauses und das Zimmer der Dame des Hauses. Zudem befanden sich dort Kinderzimmer, Schrankzimmer sowie das Badezimmer. Im Zimmer der Dame des Hauses befanden sich Möbel aus Kirschbaumholz mit weißblauer Wedgwood-Füllung von Wedgwood & Sons. Das Damenzimmer war in den Farben saftgrün und braun gehalten. Im Toilettenzimmer befand sich ein großer dreiteiliger Spiegel mit einer bekrönenden Schnitzerei von Wackerle. Die Möbel bestanden aus Mahagoniholz vor einer violetten Wand.

Sammlung Chillingworth[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Fritz Erler : Bildnis Frau Chillingworth.

Die Kunstsammlung im Haus Chillingworth umfasste zahlreiche bedeutende Gemälde der flämischen, niederländischen, deutschen und italienischen Malerschulen des 13. bis 17. Jahrhunderts, wobei nahezu alle bedeutenden Namen vertreten waren. Gemälde des Meisters von Flémalle, des Meisters von Frankfurt, des Meisters von Meßkirch, der Malerfamilie Breughel, von Joos van Cleve, Peter Paul Rubens, Rembrandt van Rijn, Jan van Scorel, Albrecht Altdorfer, Hans Baldung, Barthel Bruyn, Lucas Cranach d. Ä. und d. J., Hans Holbein, Hans Mielich, Georg Pencz, Bernhard Strigel, Sandro Botticelli, Jacopo Tintoretto und vieler anderer schmückten die Wände.[5] Hinzu kamen Werke, die Chillingworth von dem Maler Fritz Erler anfertigen ließ, darunter ein Porträt von Chillingworths Gattin.

Chillingworths Kunstsammlung galt als eine der bedeutendsten ihrer Zeit. Für die Katalogisierung wurde Max J. Friedländer herangezogen, der nachmalige Direktor der Berliner Gemäldegalerie und ausgewiesener Kenner altniederländischer und altdeutscher Tafelmalerei. Die Sammlung wurde 1922 bei der Galerie Fischer in Luzern versteigert. Verkäufe deutscher Sammlungen in der Schweiz waren zu jener Zeit der Inflation keine Seltenheit, da der Verkauf gegen Devisen den Werterhalt des Verkaufserlöses sicherte.

Viele Werke aus der Sammlung Chillingworth sind später über weitere Hände in die Sammlungen bedeutender Museen gelangt. Die Ruhende Quellnymphe von Cranach d. J. aus der Sammlung Chillingworth befindet sich heute ebenso wie eine Kopfstudie aus dem Rembrandt-Umkreis im Metropolitan Museum of Art in New York,[6] die Tafel mit Herkules bei Omphale von Hans Cranach im Museo Thyssen-Bornemisza in Madrid,[7] Judith von Cranach d. Ä. in der Burrell Collection in Glasgow,[8] sein Bildnis einer Stifterin in der Öffentlichen Kunstsammlung in Basel[9] sowie Adam und Eva im Schleswig-Holsteinischen Landesmuseum in Schloss Gottorf.[10] Der Pilger von Jan van Scorel befindet sich heute im Detroit Institute of Arts.[11]

Heutige Nutzung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Bis 2017 beherbergte das Gebäude über 30 Jahre den Gastronomiebetrieb Villa, der über ein Restaurant, eine Bar, eine Lounge und über einen Wintergarten verfügte.[12] Ab 1998 befanden sich in der Villa Chillingworth außerdem die Büroräume einer Nürnberger Werbe- und Kommunikationsagentur.[13] 2019 erfolgte der Abriss und Rückbau des Wintergartens sowie die umfassende Renovierung des Gebäudes nach denkmalschutzrechtlichen Vorgaben. Viele bauhistorische Elemente blieben erhalten und der Garten beherbergt eine der ältesten roten Rosskastanien in Nürnberg.

Das Gebäude wird aktuell (Stand Februar 2023) als Bürogebäude durch eine Wirtschaftskanzlei genutzt.

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Georg Jacob Wolf: Paul Ludwig Troost’s Haus Chillingworth in Nürnberg. In: Die Kunst. Monatshefte für freie und angewandte Kunst, XIII. Jahrgang, Bd. 22, 1910, S. 200–206 (online auf archive.org).
  • Galerie Fischer (Hrsg.): Catalogue de la collection Chillingworth: tableaux anciens XIIIe – XVIIe siècles; écoles flamande, hollandaise, allemande et italienne; vente publique 5 septembre 1922. Luzern 1922 (Digitalisat).

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Commons: Villa Chillingworth – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Denkmalliste für Nürnberg (PDF) beim Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege
  2. Stadtarchiv Nürnberg (Hrsg.): Nürnberg, 1945–1949: Die Übergangsphase bis zur Bildung des ersten Stadtrats, April 1945-Juni 1946. Nürnberg 1989, S. 295.
  3. Patentschrift Nr. 116784 von 1899.
  4. August Bauschlicher: Die Internationale Luftschiffahrt-Ausstellung in Frankfurt a. Main 1909. In: Polytechnisches Journal. 325, 1910, S. 57–60.
  5. Galerie Fischer: Kat. Collection Chillingworth. Luzern 1922.
  6. Charles Sterling (Hrsg.): The Robert Lehman Collection. Vol. 2, Fifteenth- to Eighteenth-Century European Paintings: France, Central Europe, The Netherlands, Spain, and Great Britain. New York 1998, S. 48–54, Nr. 10.
  7. Gertrude Borghero: Sammlung Thyssen-Bornemisza. Katalog der ausgestellten Kunstwerke. Zweite Ausgabe. Milano 1987, S. 82, Nr. 74.
  8. Max J. Friedländer und Jakob Rosenberg: Die Gemälde von Lucas Cranach. 2. überarbeitete Ausgabe, Basel und Stuttgart 1979, Nr. 230d.
  9. Dauerleihgabe des Züricher Kunsthauses (dessen Inv. Nr. 1643). Vgl. Bodo Brinkmann (Hrsg.): Cranach der Ältere, Katalog Ausstellung Frankfurt am Main und London. Ostfildern 2007, S. 138/139, Nr. 13.
  10. Leihgabe der Bundesrepublik Deutschland. Vgl. Heinz Spielmann und Jan Drees: Gottorf im Glanz des Barock – Kunst und Kultur am Schleswiger Hof 1544–1713, Bd. 1: Die Herzöge und ihre Sammlungen. Schleswig 1997, S. 541, Nr. 161.
  11. Pilgrim. Jan van Scorel. dia.org, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 11. Februar 2015; abgerufen am 9. Februar 2015.  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.dia.org
  12. VILLA – Bar · Food · Events. Offizielle Internetpräsenz. Abgerufen am 10. Februar 2015.
  13. Schultze.Walther.Zahel (SWZ). (Memento des Originals vom 11. Februar 2015 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.swz.de Offizielle Internetpräsenz (Historie). Abgerufen am 10. Februar 2015.

Koordinaten: 49° 27′ 8,6″ N, 11° 5′ 31,1″ O