Walter van Rossum

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Walter van Rossum (* 1954) ist ein deutscher Autor, Medienkritiker und Investigativjournalist.

Leben

Walter van Rossum studierte Romanistik, Philosophie und Geschichte in Köln und Paris. Mit seiner Dissertation über Jean-Paul Sartre, „Sich verschreiben : Jean-Paul Sartre 1939-1953“, wurde er 1989 an der Kölner Universität promoviert.

Seit 1981 arbeitet er als freier Autor für WDR, Deutschlandfunk, Zeit, Merkur, FAZ, FR und Freitag. Für den WDR moderierte er unter anderem die „Funkhausgespräche“. Walter van Rossum lebt in Köln und Marokko.

Die Tagesshow. Kritik der Realitätsferne von Nachrichtensendungen am Beispiel der Tagesschau (2007)

Inhalt

Walter van Rossum stellt nach Recherchen und einem ARD-Praktikum[1] in seinem Buch Die Tagesshow: Wie man in 15 Minuten die Welt unbegreiflich macht (2007)[2] den Mythos einer angeblich rein informativen Dienstleistung der Tagesschau in Frage. An Beispielen analysiert er, wie die Sendung die Realität „in eine Art endlose Lindenstraße“ verwandele.

„Tag für Tag offeriert die Tagesschau ein groteskes Sammelsurium aus fragmentarisierten Informationen, Halbwahrheiten, Pseudonachrichten, plumpen ideologischen Fanfaren, Platituden, und Fehldeutungen.“ Die öffentlich-rechtliche Nachrichtenbastion durchziehe ein geradezu autistisches Erzählritual. Was bleibe, sei eine stereotype Aufbereitung von Pseudonachrichten, die den Zuschauer zum Zaungast degradiert und am Ende alles in feiner Unbegreiflichkeit verhülle. Gestanzte Worthülsen würden unterlegt mit Bildern, die der Autor „erblindet“ nennt: Inszenierte Politikerauftritte, völlig austauschbare weinende Frauen im Kosovo oder die „schier unvergängliche Börsenkulisse“.

Es gehe weniger um Nachrichten als um die Verbreitung von Sprachregelungen, um inszenierte Politikerauftritte oder „erblindete Bilder“. "Die Tagesschau irrt sich nicht bloß, sondern sie erfindet Informationen, damit Vorgänge in ein bestimmtes bereitliegendes politisches Deutungsschema passen"

„Man präsentiert uns die Welt als eine Folge simulierter Ereignisse, eine Realität, die keinerlei Wert auf unsere Beteiligung legt, ein pausenloses Fait accompli. Das Reale ist stets ein Prozess. Die Tagesschows stellen das Reale still, frieren es in Ereignissen ein, die keine sind. Ereignisse, in denen das Reale Audienz gewährt: ein Blick auf den Kabinettstisch voller verschlossener Akten, eine Pressekonferenz bei Porsche oder Telekom, wo Wirtschaftskapitäne Kurs nehmen, aber der Besatzung das Ziel verschweigen“. Van Rossum beklagt außerdem „eine Art freiwillige Gleichschaltung der Medien“.

Bei seiner Untersuchung der Nachrichten habe es ihn „dann noch überrascht, mit welcher Zuverlässigkeit ich davon ausgehen konnte, dass die Tagesschau nicht stimmt. Welches Thema auch immer ich mir vorgenommen habe – vieles davon ist ja gar nicht ins Buch eingeflossen – die schlimmsten Befürchtungen wurden erfüllt.“[3] Über die Mechanismen der Homogenisierung der Meinungen schreibt van Rossum:

„Dazu gibt es bei ARD-aktuell sicherlich keine Vorgaben, keine Magna Charta, aber es gelingt in täglicher Feinabstimmung, in den vielen Konferenzen und Besprechungen, bis sich die Sprachregelung zu den aktuellen Themen herausgebildet hat. Es geht um Objektivitätsschein, der durch größtmögliche Annäherung an die politische Mitte erreicht werden soll.“

Rezensionen

Der Leiter der Deutschlandfunk-Nachrichten, Marco Bertolaso, kritisierte Rossums Darstellung als polemisch und bemängelte eine zu schmale Datenbasis (ein Sendetag, der 1. November 2006). Das Ergebnis sei suggestiv und pauschalisiere. Außerdem stelle Rossum die Kompetenz der Zuschauer infrage. Seine Kritik gehe fehl, da Nachrichten immer systemstabilisierend wirkten, unabhängig davon, wie das System gerade aussieht: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk sei ausdrücklich geschaffen worden, um ein System zu stabilisieren, den demokratischen Rechtsstaat des Grundgesetzes. Rossums Darstellung blende außerdem manche kritikwürdige Aspekte aus: „Das schleichende Gift von Boulevardisierung und Infotainment, die gefährliche Tempoverschärfung durch halbgare Informationen im Internet, die Kommerzialisierung der Information als Ware sowie die schlichte Tatsache, dass vielen Redaktionen der Rohstoff Zeit ausgegangen ist.“ Außerdem fehle eine Analyse der Agenturen als „Themensetzer und Taktgeber der Nachrichtenwelt“.[4]

In der Rezension der Zeit attestiert Insa Wilke, Van Rossums Analysen überzeugten stets, wenn sie sachorientiert seien. Prägnant beschreibe er den Einsatz von »erblindeten Bildern« ohne jeden Erkenntnisgewinn, die Stereotypen reproduzieren. Seine Kritik sei insgesamt aber in der Form polemisch überzogen. Die Lektüre sei jedoch zu empfehlen, weil sie den Leser aus der Berieselungshaltung reiße.[5]

Arno Orzessek von Deutschlandradio Kultur bestätigt Rossum bei aller Kritik, der Gewinn seiner Untersuchung "jenseits des Lustgewinns für alle Freunde inzestuöser Medien-Hetze" liege darin, "die eingeschliffenen Rituale der Nachrichtensendungen sichtbar zu machen, ihre - angesichts von Minutenbeiträgen - naturgesetzliche Oberflächlichkeit zu zeigen, die (weniger naturgesetzliche) Fehlerhaftigkeit zu dokumentieren, subtile und weniger subtile Vorentscheidungen weltanschaulicher Art offen zu legen und den Nachrichtenbetrieb etwas durchschaubarer zu machen." Van Rossum sei aber selbst ein Gefangener der Medienfalle: "Journalisten beobachten nicht die Welt, sondern fast ausschließlich andere Medien." Auch Rossum "füttere" auf seine Art den von ihm kritisierten "Apparat".[6]

Radio-Feature

Die Ergebnisse der Recherche wurden ebenfalls in einem Radio-Feature verarbeitet: „Die Tagesshow – oder die Welt in 15 Minuten“.[7][8]

Meine Abende mit „Sabine Christiansen“. Kritik der Talkshow-Kultur (2004)

Inhalt

In seiner Publikation „Meine Sonntage mit 'Sabine Christiansen' Wie das Palaver uns regiert“ setzt sich Rossum kritisch mit dem „TV-Hochamt“ der ARD, der Talkshow von Sabine Christiansen auseinander. „Im Sendegebiet der deutschen Kampfzone dürfte es keine politische Talkshow geben, die auf ähnliche Weise die Wünsche der Chefetage ans Volk durchreicht – und dabei eine unschlagbare journalistische Unbedarftheit an den Tag legt.“ Die Talkshow spiegele eine streitbare Demokratie vor. Leitmotivisch gehe es hier immer darum, Deutschland erst in Gefahr zu wiegen, um es anschließend zu retten. Dabei werde eigentlich nicht diskutiert: Das „Deutschland-Rescue-Team“, die Chefetage aus Politik, Wirtschaft, Lobby und Beratern „dekretiert ihre Zehnjahrespläne“. Sabine Christiansen, beflissene Chefsekretärin des Juste-milieu, funktioniere als eine Tonspur in der Endlosschleife mit den stets gleichen Figuren, die bloß unterschiedliche Namen tragen. Fast jede Sendung sei ein „orgelumtostes Hochamt für den Gott des Wachstums“. Es ist nämlich so: Geht es „der“ Wirtschaft gut, dann geht es „uns“ gut. Nur leider geht es der Wirtschaft nicht gut. Und daran ist der Rest der Gesellschaft schuld. Es gibt nur eine Rettung: Wachstum, Wirtschaftswachstum, für das die Arbeitenden wie die Arbeitslosen etwas weniger bekommen, aber mehr tun müssen.[9]

Rezensionen

Bettina Gaus von der TAZ spricht van Rossum das „Verdienst“, zu den „ganz wenigen“ zu gehören, die dem „Kaiser“ in den neuen Kleidern sagen, dass er „nackt“ sei.[10]

Schwarzbuch Deutschland (mit Gabriele Gillen 2009)

Inhalt

Ausgewählte Fachautoren legen zu 39 alphabetisch sortierten Themen auf 650 Seiten dar, welche Sachverhalte und Zusammenhänge in Deutschland medial und politisch unkritisch dargestellt, verdreht oder verschwiegen werden. „Die politische Agenda der Bundesrepublik Deutschland beruht vielfach auf krassen Fehlinformationen, Halbwahrheiten, Einseitigkeiten und Versatzstücken neoliberaler Propaganda“, in diesem Sinne widmet sich das Buch dem Ziel „Gegenöffentlichkeit herzustellen“. Schwerpunkte der Darstellung reichen von A wie Alte Menschen bis W wie Wirtschaft über Themen wie Bahnprivatisierung, Datenschutz, Finanzmärkte, Korruption und Rechtsstaat. Markante Beispiele sind die Untersuchungen Gerd Bosbachs zur Demografie, die Analyse Christoph Butterwegges zum Sozialstaat, Gabriele Gillens Darstellung zu Niedriglöhnen, Albrecht Kiesers Ausführungen zum Stichwort Ausländer- und Asylpolitik und Werner Rügemers Aufklärungen über „Korruption“. Die schwarzen Flecken im Bewusstsein der Öffentlichkeit sind für Rossum Ausdruck des Einflusses des Neoliberalismus und des komplementären "Totalitarismus der Mitte". Dieser könne - wenigstens einstweilen - auf den klassischen Repressionsapparat einer Diktatur verzichten, da er über Zustimmung oder wenigstens fehlenden Einspruch funktioniere. Hinter der Ignoranz stehe ein "Mix aus Charakterlosigkeit, Korruption, Desorientierung und Berechnung". Die Grundlage von allem sei der Konformismus.[11]

Rezensionen

Bettina Gaus von der TAZ hält die Publikation Gillens und Rossums für eine "Pflichtlektüre für alle, die ihre Wachsamkeit beim täglichen Medienkonsum schärfen möchten und nicht alles glauben wollen, was ihnen als unumstößliche Wahrheit präsentiert wird".[12]

Matthias Becker bemängelt im Freitag den mangelnden Realismus des Buches, das in seiner Ausrichtung exakt dem "politischen Horizont der parlamentarischen Restlinken" entspreche. In Auswahl und Argumentationsstruktur folge es leider oft der neoliberalen Agenda – "nur eben seitenverkehrt: Empören die einen sich über Sozialbetrug, tun die anderen es über Managergehälter, sagen die einen Globalisierung, sagen die anderen Binnennachfrage, die einen wollen mehr Markt und die anderen mehr Staat." Es würde übersehen, dass keine neoliberale Elite dem Rest der Gesellschaft gegenüberstehe. Die Unterschicht Deutschlands sei auf vielfältige Weise gespalten, "in (noch) Beschäftigte und Arbeitslose, in Deutsche und Migranten, in Modernisierungsgewinner und prekäre Existenzen". Bei der Darstellung der Gewerkschaften sei man über deren konzept-, weil prinzipienlose Politik großzügig hinweggegangen.[13]

Preise und Auszeichnungen

Werke (Auswahl)

  • Sich verschreiben. Jean-Paul Sartre, 1939–1953. Fischer Taschenbuch, Frankfurt am Main 1990, ISBN 3-596-10533-1.
  • Simone de Beauvoir und Jean-Paul Sartre. Die Kunst der Nähe. Rowohlt Berlin, Berlin 1998, ISBN 3-87134-276-9 – Übersetzungen ins Chinesische (2000), Hebräische (2000), Koreanische (2003), Rumänische (2003) und Tschechische (2003).
  • Meine Sonntage mit „Sabine Christiansen“. Wie das Palaver uns regiert. Kiepenheuer und Witsch, Köln 2004, ISBN 3-462-03394-8.
  • Die Tagesshow. Wie man in 15 Minuten die Welt unbegreiflich macht. Kiepenheuer und Witsch, Köln 2007, ISBN 978-3-462-03951-1.
  • Schwarzbuch Deutschland. Das Handbuch der vermissten Informationen. Hrsg. von Gabriele Gillen und Walter van Rossum. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 2009, ISBN 978-3-498-02504-5.

Hörfunkbeiträge

  • WDR 3 Gutenbergs Welt "Politische Profile" mit Walter van Rossum [1]
  • Studiozeit Hörspiel: "Die Liebe ist eine Baustelle" - Simone de Beauvoir und Jean-Paul Sartre. Deutschlandfunk 2005.[2]
  • Studiozeit Hörspiel: Das Mögliche hat seine Spur im Sein. Die Utopie der Utopie. Deutschlandfunk 2006.[3]
  • Liebesverhältnisse. Eine unordentliche Liebe um 1913. Deutschlandfunk 2013.[4]

Literatur (Auswahl)

Weblinks

Einzelnachweise

  1. http://www.spiegel.de/kultur/literatur/kritik-an-der-tagesschau-wo-der-zuschauer-nur-zaungast-ist-a-508647.html
  2. Die Tagesshow. Wie man in 15 Minuten die Welt unbegreiflich macht. Kiepenheuer und Witsch, Köln 2007, ISBN 978-3-462-03951-1.
  3. Interview mit Walter van Rossum zur Tagesshow auf allen Kanälen (auf SpiegelKritik. Medienblog für Medienreflexion, 25. Januar 2008).
  4. http://www.deutschlandfunk.de/breitseite-auf-das-nachrichten-flaggschiff.730.de.mhtml?dram:article_id=102970
  5. http://www.zeit.de/2008/20/P-Tagesschau Insa Wilke: Dauerberieselung.Walter van Rossum übt heftige Kritik an den Nachrichtensendungen, ZEIT vom 15. Mai 2008, abgerufen am 31- Januar 201
  6. http://www.deutschlandradiokultur.de/polemik-gegen-die-nachrichtenwelt.950.de.html?dram:article_id=135523
  7. DLF: Die Tagesshow – oder die Welt in 15 Minuten
    Bei YouTube ist die Audio-Version abrufbar
  8. http://www.deutschlandfunk.de/die-tagesshow-oder-die-welt-in-15-minuten-pdf-dokument.media.4ea67da5aefd73a355b91bf1599fb57d.pdf
  9. http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/tv-hochamt-wie-sabine-christiansen-uns-eine-streitbare-demokratie-vorspiegelt-a-304001.html
  10. http://www.taz.de/1/archiv/?dig=2004/07/31/a0346
  11. http://www.heise.de/tp/artikel/30/30203/1.html
  12. http://www.taz.de/1/archiv/print-archiv/printressorts/digi-artikel/?ressort=pb&dig=2009/04/04/a0012&cHash=956f333203
  13. https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/ganz-schon-neoliberal
  14. Walter van Rossum: Zum Empfang des Ernst-Robert-Curtius-Förderpreises. In: Ernst-Robert-Curtius-Preis für Essayistik 1988. Dokumente und Ansprachen. Bouvier, Bonn 1988, ISBN 3-416-02167-3, S. 19–28.
  15. http://www.deutschlandfunk.de/zweierlei-mass-die-berichterstattung-uber-russland-und-die.media.616ab3cde047ec4e9a823a8f690c00f9.pdf
  16. http://www.alternativer-medienpreis.de/pdf/13_audio_rossum.pdf