Nouvelle Vague

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Nouvelle Vague (französisch für Neue Welle) ist eine Stilrichtung des französischen Kinos, die in zwei Phasen verlief. Die erste, weniger beachtete fand bereits 1918 ihren Anfang und wurde maßgeblich von Marcel L’Herbier geprägt. Ihre Fortsetzung fand die Nouvelle Vague dann in ihrer bedeutenderen Phase in den späten 1950er Jahren.

Die Anfänge

Nach dem Ersten Weltkrieg formte sich in der Stummfilmzeit eine eher inhomogene avantgardistische Szene, deren berühmteste Vertreter Abel Gance, René Clair sowie Jean Cocteau waren. Die Entwicklung wurde nachhaltig durch den Zweiten Weltkrieg unterbrochen. Ende der 1950er Jahre entstand dann in Frankreich eine Bewegung unter jungen Cinéasten und den Pionieren der ersten Welle, die sich gegen die eingefahrene Bildsprache und den vorhersagbaren Erzählfluss des etablierten kommerziellen Kinos wandte. Sie griffen die Ideen und Vorstellungen der Vertreter dieser ersten Welle auf. Bekannte Regisseure der Nouvelle Vague waren zuvor Autoren der Cahiers du cinéma. In ihren Artikeln stellten sie sich gegen die Verbiederung und die Vorhersehbarkeit des französischen Qualitätskinos (cinéma de qualité) und propagierten vor allem Filme von Regisseuren wie Alfred Hitchcock, Jean Renoir und Roberto Rossellini.

1954 veröffentlichte François Truffaut den Artikel Eine gewisse Tendenz im französischen Film (Une certaine tendance du cinéma français). Dieser Text gilt als erste eigene theoretische Grundlage der Nouvelle Vague und wendet sich vor allem gegen jene Drehbuchschreiber, die uninspiriert Romanvorlagen adaptieren, ohne selbst einen Bezug zum Kino zu haben. Die Forderung: „Männer des Kinos“ sollten Kino machen und sich nicht von Schriftstellern vorschreiben lassen, was verfilmbar sei und was nicht.

Werke

Der Begründer der Nouvelle Vague, François Truffaut, betonte, sein Freund Jacques Rivette habe mit „Paris nous appartient“ („Paris gehört uns“) die Nouvelle Vague eingeleitet. Doch es war Truffaut selbst, als er mit Sie küssten und sie schlugen ihn („Les quatre cents coups“) 1959 als Regisseur debütierte. War er ein Jahr zuvor noch wegen seiner Kritik als Filmkritiker in Cannes ausgeschlossen, so gewann er mit seinem Debüt den Preis als bester Regisseur. Der 13-jährige Held Antoine Doinel, gespielt von Jean-Pierre Léaud, war Truffauts Alter Ego. Ein Jahr später drehte sein damaliger Freund und Mitstreiter Jean-Luc Godard, basierend auf einem Skript von Truffaut, sein Debüt Außer Atem („Á bout de souffle“) und somit war die Nouvelle Vague etabliert.

Godard wurde mit der Zeit experimenteller gegen Sehgewohnheiten, brachte Schrift-Parolen unter, bei Truffaut blieben die Experimente visuell und erzählerisch. Gemein blieb ihnen der Einsatz Jean-Pierre Léauds, der auch bei Godard spielte (u. a. Masculin – Feminin oder: Die Kinder von Marx und Coca-Cola, Made in USA, Die Chinesin, Die fröhliche Wissenschaft) Truffaut war behänder in der Erzählweise, welches sich vor allem durch seine bislang unerreichte Leichtigkeit trotz oftmals schwerer Themen auszeichnet. Hatte sich Claude Chabrol auf Kriminalfilme und das Sezieren der Bourgeoisie spezialisiert und Godard auf politische Agitprop, blieb Truffauts Genrevielfalt beachtlich: Auf sein Jugenddrama folgte ein experimenteller Gangsterfilm (Schießen Sie auf den Pianisten), auf zwei gegensätzliche Dreiecksgeschichten (Jules und Jim, Die süße Haut) und einen Science-Fiction-Film (Fahrenheit 451) drehte Truffaut die poetische Liebeskomödie Geraubte Küsse, in der sich sein Alter Ego Antoine Doinel für seine Jugendliebe Christine Darbon, gespielt von Claude Jade, entscheidet. Truffaut begleitet das Paar Antoine und Christine weiter mit den Filmen Tisch und Bett und Liebe auf der Flucht, einem Übergang vom Experiment zum romantischen Erzähler, der auch bei diesen Werken, die Filmkunst und Unterhaltung verbinden, visuell und erzählerisch experimentell bleibt.

Neben den Filmen von Truffaut und Godard zählen auch die Werke von Alain Resnais (Hiroshima, mon amour), Claude Chabrol (Schrei, wenn du kannst) und Louis Malle (Das Irrlicht) zu den herausragenden Filmen der Nouvelle Vague.

Politik der Autoren

Begründet auf den Schriften Alexandre Astrucs und unter Federführung von André Bazin, dem Chefredakteur und einem der Gründer der Cahiers, entwickelten sie die Politik der Autoren (politique des auteurs). Diese Politik forderte vom Regisseur, sich an allen Schritten der Filmproduktion zu beteiligen, um so einen eigenen persönlichen Stil entwickeln zu können. Mit dieser charakteristischen Handschrift des Regisseurs sollten die Filme persönlicher und individueller werden und aus dem Schattendasein der Literatur treten. Dabei werde nicht der einzelne Film eines Regisseurs bewertet, sondern immer sein Gesamtwerk. Was zähle, sei das Verhältnis eines Autors zu seinem Film, was sich in der Art seiner Umsetzung ausdrücke. Er unterscheide sich vom Regisseur (réalisateur), der stets nur die vom Drehbuchschreiber vorgeschriebene Geschichte umsetze. Autor (auteur) sei daher, wer Beobachtetes wiedererschafft (recréer). Er könne insofern einem fremden Stoff durch Bearbeitung und Transzendierung seinen persönlichen Stempel aufdrücken. Die Politik der Autoren soll aber nicht mit dem Autorenfilm in Deutschland verwechselt werden. Auch eine Übersetzung mit Auteur-Theorie sei falsch, da sie die mit ihr verbundenen Forderungen an die Regisseure unterschlägt.

Michel Marie begreift die Nouvelle Vague als eine Kunst-Schule (école artistique). Die Politik der Autoren könne in diesem Sinne als ästhetisches Programm verstanden werden, wonach der Autor seine Weltanschauung (vision du monde) dem Film einschreibt. Der feste Korpus von Debütfilmen, die sich auf ein gemeinsames Programm beziehen und als Nouvelle Vague wahrgenommen werden, spricht ebenfalls dafür, von einer Schule zu sprechen. Ein fester Gruppenzusammenhang wird durch die publizistische Unterstützung der Filmzeitschriften (Cahiers du cinéma) gefördert und vor allem – Michel Marie betont dies ausdrücklich – existieren gemeinsame Feinde: die Autoren der Rive Gauche, versammelt um die wesentlich politisiertere Filmzeitschrift Positif.

Impulsgeber und Vorläufer der Nouvelle Vague sind im italienischen Neorealismus, in Dokumentarfilmen von Regisseuren wie Jean Rouch und in den US-amerikanischen B-Movies zu suchen.

Ästhetik

Durch die Entwicklung neuer, leichterer Kameras und lichtempfindlicheren Filmmaterials war es den Filmemachern erstmals möglich, ohne künstliches Licht zu drehen und außerhalb der Filmstudios mit der Handkamera zu arbeiten. Die Fotografie des Kameramanns Raoul Coutard war dabei prägend für die visuelle Ästhetik. Die Regisseure engagierten vor allem junge unbekannte Schauspieler und weniger die etablierten Filmstars. Musik spielte eine wichtige Rolle in den Filmen, ebenso waren außergewöhnliche Erzählstile und neue Filmtechniken charakteristisch, wie beispielsweise die Schnitttechnik des Jump Cut; in Dialogszenen verlaufen Sprache und Bildmontage statt der üblichen Schuss-Gegenschuss-Montage oftmals asynchron. Es entstand der Essayfilm.

Die Blütezeit der Nouvelle Vague dauerte bis Mitte der 1960er Jahre an. Die entwickelten Effekte und Erzähltechniken werden noch heute verwendet, auch in kommerziellen Filmen und der Werbung.

Wichtige Regisseure

Kern

Rive Gauche und erweiterter Kreis

Bekannte Schauspieler

Kameraleute

Bedeutende Filme

Siehe auch

Literatur

  • Simon Frisch: Mythos Nouvelle Vague. Wie das Kino in Frankreich neu erfunden wurde. Schüren, Marburg 2007, ISBN 978-3-89472-534-1 (Dissertation an der Universität Hildesheim, 2005).
  • Frieda Grafe: Nur das Kino – 40 Jahre mit der Nouvelle Vague (= Ausgewählte Schriften in Einzelbänden. 3. Band). Brinkmann & Bose, Berlin 2003, ISBN 3-922660-82-7; darin:
    • S. 106–116: Zwanzig Jahre später – Was die Nouvelle Vague war – nach einer Reihe im Münchner Filmmuseum. Erstveröffentlichung in: Süddeutsche Zeitung vom 17./18. Januar 1981.
    • S. 168–173: Wenn der Hahn kräht – Die Nouvelle Vague im Jahr 2000.
  • Norbert Grob u. a. (Hrsg.): Nouvelle Vague (= Genres & Stile 1). Bender, Mainz 2006, ISBN 3-936497-12-5.
  • Michel Marie: La Nouvelle Vague. Une École Artistique (= Collection 128. 180 cinéma). Armand Colin, Paris 2005, ISBN 2-200-34168-7.
  • James Monaco: The New Wave. Truffaut, Godard, Chabrol, Rohmer, Rivette. 30th anniversary edition. Harbor Electronic Publishing, New York u. a. 2004, ISBN 0-9707039-5-3.
  • Emilie Bickerton: Eine kurze Geschichte der Cahiers du cinéma. diaphanes, Zürich 2010, ISBN 978-3-03734-126-1.
  • Scarlett Winter und Susanne Schlüter (Hrsg.): Körper, Ästhetik, Spiel: Zur filmischen écriture der Nouvelle Vague. Fink, München 2004.

Weblinks