Gustave Flaubert

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Gustave Flaubert

Gustave Flaubert [flo'bɛ:r] (* 12. Dezember 1821 in Rouen, Normandie; † 8. Mai 1880 in Canteleu, Normandie) war ein französischer Schriftsteller, der vor allem als Romancier bekannt ist.

Leben

Flaubert wuchs auf in Rouen (Normandie) als jüngerer Sohn von Achille Cléophas Flaubert, Chefarzt des städtischen Krankenhauses, und erlebte, da dessen Dienstvilla, wie damals üblich, an das Krankenhaus grenzte, das Leiden und Sterben dort aus nächster Nähe mit. Er galt als begabter, aber wenig disziplinierter Schüler, der es vorzog, seine Zeit mit Lesen und Schreiben statt mit Lernen zu verbringen. Zu seinen Jugendfreunden gehörten Louis Bouilhet, der sich später einen gewissen Namen als Lyriker machte, sowie der Bruder von Laure Le Poittevin, der späteren Mutter Guy de Maupassants. In den Sommerferien 1836 verliebte sich Flaubert in dem normannischen Badeort Trouville-sur-Mer in eine über 10 Jahre ältere Frau, Élisa Foucault (1810–1888, ab 1840 Gattin von Maurice Schlesinger), die ihn jahrelang als große, unerreichbare Liebe beschäftigte und sein Schreiben inspirierte.

Flaubert 1850 auf dem Kopf einer Ramsesstatue bei Abu Simbel, fotografiert von Maxime Du Camp

Nach dem Baccalauréat begann er auf Drängen des Vaters ein Jurastudium, das er aber aufgab, nachdem er 1843 einen epileptischen Anfall erlitten hatte. Dennoch machte er in diesen Jahren größere Reisen, deren vorläufig letzte ihn 1850/51 auf den Spuren Chateaubriands, Lamartines oder Nervals in den Vorderen Orient, insbesondere Ägypten, führte. Sein Begleiter war ein wenig jüngerer Freund, der Literat Maxime Du Camp, der schon am Beginn seines Erfolges stand.

Nach der Rückkehr richtete sich Flaubert bei seiner verwitweten Mutter ein und führte mit ihrem und seinem Erbe ein zurückgezogenes Dasein als schriftstellernder Rentier in ihrem Haus in Croisset nahe Rouen. Dieses verließ er nur noch für gelegentliche Aufenthalte in Paris, um dort einige gesellschaftliche Kontakte, z. B. mit Autorenkollegen, zu pflegen oder sich mit seiner langjährigen Geliebten (ab 1846) zu treffen, der zehn Jahre älteren Schriftstellerin Louise Colet. Mit dieser diskutierte er auch in vielen Briefen über literarische Fragen.

Musée Flaubert und Pavillon in Rouen

In Rouen erinnert das Musée Flaubert et d'histoire de la médecine an den Schriftsteller und an seinen Vater. Es ist im ehemaligen Hôtel-Dieu untergebracht, der Wirkungsstätte des Vaters. Das Museum enthält persönliche Gegenstände, Möbel aus Flauberts Kindheit und eine größere Sammlung medizinischer Gegenstände, die an den Vater erinnern. Der Pavillon Flaubert ist ein Gartenhaus, das neben dem Wohnhaus Flauberts in Canteleu–Croisset stand. Das Wohnhaus existiert nicht mehr.

Pavillon Flaubert Croisset Canteleu

Literarisches Schaffen

Flaubert schrieb schon seit seiner Jugend unermüdlich, zunächst im Stil der Romantik. Er stellte aber so hohe Ansprüche an sich selbst, dass er lange Jahre alle Manuskripte unpubliziert ließ. Sein erstes gedrucktes Werk wurde schließlich der 1851 begonnene Roman Madame Bovary, der 1856 im Feuilleton der Revue de Paris erschien. Der Roman trug ihm sogleich einen Prozess wegen Verstoßes gegen die guten Sitten ein, doch wurden Flaubert und die Zeitschrift dank des klugen Plädoyers ihres Anwalts am 7. Februar 1857[1] freigesprochen. Der Prozess wirkte sich letztlich sogar positiv aus, denn er verhalf der Buchversion, als sie 1857 herauskam, zu einem Verkaufserfolg.

Weniger erfolgreich, aber noch einflussreicher auf die Entwicklung des europäischen Romans war Flaubert mit L’Éducation sentimentale (1869).

Die Bovary und die Éducation gelten als epochemachend für die Entwicklung des europäischen Romans, und zwar aufgrund der Idee Flauberts, seine Protagonisten nicht mehr (wie Balzac dies tat) als Ausnahmepersonen zu konzipieren oder zu dämonisieren, sondern als gänzlich unheroische Durchschnittscharaktere darzustellen. Er vermeidet melodramatische Züge; sein Realismus ist unparteiisch und stark versachlicht. Madame Bovary ist keine tragische Heldin; ihre Lage wird sachlich gekennzeichnet, beim Leser werden keine Leidenschaften ausgelöst. Ihr Leben fließt „zäh und träge“.[2]

Salammbô, Gemälde von Gaston Bussière, 1907

Die übrigen Werke Flauberts werden heute meist weniger beachtet. Es sind insbesondere der im antiken Karthago spielende historische Roman Salammbô (1862), zu dessen Vorbereitung Flaubert 1858 nach Tunesien reiste; der Roman Die Versuchung des heiligen Antonius (1874); der seinerzeit erfolgreiche Erzählband Trois Contes (1877), unter anderem mit der anrührenden Erzählung Un cœur simple, oder der unvollendete, als Satire auf das Durchschnittsbürgertum gedachte Roman Bouvard et Pécuchet (postum 1881).

Flaubert gilt als einer der besten Stilisten der französischen Literatur und als ein Klassiker des Romans. Zusammen mit Stendhal und Balzac bildet er das Dreigestirn der großen realistischen Erzähler Frankreichs. Ganz wie die beiden anderen wurde auch er von der Académie française nicht für würdig befunden, aufgenommen zu werden.

Werke

Hauptwerke

Die Handlung des Erstlingswerks Madame Bovary (1856) beruht auf einem Zeitungsbericht aus dem Journal de Rouen von 1848 über den Suizid der Arztgattin Delphine Delamare aus Ry bei Rouen. Sie stellt die Geschichte einer Pächterstochter dar, die nach der Heirat mit einem Dorfarzt rasch unzufrieden mit ihrem sie zwar liebenden, aber biederen Mann ist, und zwar nicht zuletzt deshalb, weil sie sich nach dem Vorbild von Romanen und Frauenmagazinen ein Leben in Leidenschaft und Luxus erträumt. Zwar schafft sie es, mittels zweier Liebschaften und eines gewissen Luxuskonsums einige Schritte zur Realisierung eines solchen Lebens zu tun, wird aber immer wieder eingeholt von der Trivialität und Enge ihrer realen Verhältnisse, bis sie schließlich von Schulden erdrückt Selbstmord begeht. Thema ist also das Scheitern einer romantischen Idealistin (mit der Flaubert sich sehr identifiziert) an einer Welt, in der die Opportunisten und die Materialisten obsiegen, die im Roman vor allem von dem Apotheker Homais und dem Händler Lheureux verkörpert werden.

Der Roman L’Éducation sentimentale (1869) schildert die Geschichte des jungen Provinzlers Frédéric Moreau, der nach Paris geht, wo er sich eine große Zukunft in Politik, Literatur und Liebe erhofft, jedoch die ihm sich durchaus bietenden realen Chancen zugunsten irrealer, idealer Ziele verpasst, und zwar vor allem eine lange schwärmerisch-unerfüllten Liebe zu einer verheirateten Frau, die ihn absorbiert und paralysiert. Nachdem auch seine kurze Begeisterung für die politischen Ideale und Ziele der Revolution von 1848 verpufft ist, versinkt er in intellektueller Mittelmäßigkeit und wird nur durch eine größere Erbschaft vor einem auch materiellen Niedergang bewahrt. Frédéric ist eine Symbolfigur des weniger tragischen als traurigen Weges der „Quarante-huitards“, d. h. der durch die Februarrevolution in Aufbruchstimmung versetzten, dann aber durch die weitere Entwicklung politisch enttäuschten 48er-Generation, der auch Flaubert sich zurechnete. Der Titel des Romans, L’Éducation sentimentale, ist (was keiner der deutschen Titel ahnen lässt) ironisch zu verstehen; denn anders als z. B. die jungen Helden Julien in Stendhals Le Rouge et le Noir oder Rastignac in Balzacs Le Père Goriot erfährt Frédéric von der geliebten reiferen verheirateten Frau letztlich keine „Erziehung“ seiner jünglinghaft schwärmerischen Gefühle zu denen eines sexuell erfahrenen Mannes, sondern nur deren Frustration.

Werkübersicht

Max Slevogt, Illustration zu einer deutschen Ausgabe von Herodias (1918)
Zu Lebzeiten veröffentlichte Werke
  • Bibliomanie, Erzählung, 1836 (deutsch: Bücherwahn)
  • Mémoires d’un fou, Roman, 1838 (deutsch: Erinnerungen eines Verrückten)
  • Novembre, Erzählung, 1842 (deutsch: November)
  • Madame Bovary, Roman, 1857 (deutsch: Madame Bovary, 1858)
  • Salammbô, Roman, 1862 (deutsch: Salambo, 1904)
  • L’Éducation sentimentale, Roman, 1869 (deutsch: Die Erziehung der Gefühle, auch: Die Erziehung des Herzens, Lehrjahre des Herzens, Lehrjahre des Gefühls, Die Schule der Empfindsamkeit, in der Neuübersetzung: Lehrjahre der Männlichkeit. Geschichte einer Jugend.)
  • La Tentation de Saint Antoine, Roman, 1874 (deutsch: Die Versuchung des heiligen Antonius)
  • Le Candidat, Komödie, 1874 (deutsch: Der Kandidat, 1915, übersetzt von Carl Sternheim)
  • Trois Contes: Un cœur simple, La Légende de saint Julien l'Hospitalier, Hérodias, Erzählungen, 1877 (deutsch: Drei Geschichten: Ein schlichtes Herz, Die Legende von Sankt Julian dem Gastfreien, Herodias. Zahlreiche Übersetzungen ins Deutsche; Zweisprachige Ausgabe, mit Nachwort von Walter Boehlich, 1961)
Postum erschienene Werke
  • Le Château des cœurs, Feenspiel, 1880 (deutsch: Schloss der Herzen, 1891)
  • Bouvard et Pécuchet, Roman, 1881 (deutsch: Bouvard und Pécuchet, 1922)
  • mit Maxime Du Camp: Par les champs et les grèves (Voyage en Bretagne). Reisebericht, 1886.
    • deutsch von Cornelia Hasting: Über Felder und Strände. Eine Reise in die Bretagne. Dörlemann Verlag, Zürich 2016.[3]
  • Dictionnaire des idées reçues, 1913 (deutsch: Wörterbuch der Gemeinplätze)
  • Gustave Flaubert – Die Briefe an Louise Colet, Haffmans 1995, ISBN 978-3-251-20187-7
  • Vie et travaux du R. P. Cruchard, 2005 (deutsch: Leben und Werke des Paters Cruchard und andere unveröffentlichte Texte. Übersetzt und kommentiert von Elisabeth Edl, Friedenauer Presse, Berlin 2008)

Literatur

Flauberts Grab in Rouen
  • Pierre Aurégan: Flaubert. Grandes œuvres, commentaires critiques, documents complémentaires. (Balises. Série Les écrivains, 1). Klett, Stuttgart 1992, ISBN 3-12-592543-6. (Nathan, Paris 1992, ISBN 2-09-120226-3) (in franz. Sprache)
  • Frederick Brown: Flaubert. A biography. : Harvard University Press, Cambridge, Mass. 2007, ISBN 978-0-674-02537-0.
  • Annette Clamor: Flauberts Schreiblabor. Lesekultur und poetische Imagination in einem verkannten Jugendwerk. (Bonner romanistische Arbeiten, 79). Peter Lang, Frankfurt 2002, ISBN 3-631-38852-7.
  • Jörg Dünne: Asketisches Schreiben. Rousseau und Flaubert als Paradigmen literarischer Selbstpraxis in der Moderne. (Romanica Monacensia, 65). Narr, Tübingen 2003, ISBN 3-8233-5615-1.
  • Jean-Benoît Guinot: Dictionnaire Gustave Flaubert. CNRS, Paris 2010, ISBN 978-2-271-06928-3.
  • Martin von Koppenfels: Immune Erzähler. Flaubert und die Affektpolitik des modernen Romans. Wilhelm Fink, München 2007, ISBN 978-3-7705-4386-1.
  • Wolfram Krömer: Flaubert. (Erträge der Forschung, 141). WBG, Darmstadt 1980, ISBN 3-534-08295-8.
  • Frank Leinen: Flaubert und der Gemeinplatz. Erscheinungsformen der Stereotypie im Werk Gustave Flauberts. (Trierer Studien zur Literatur, 18). Lang, Frankfurt 1990, ISBN 3-631-43218-6.
  • Herbert Lottman: Flaubert. Eine Biographie. Insel, Frankfurt 1992, ISBN 3-458-16259-3.
  • Wolfgang Matz: 1857: Flaubert, Baudelaire, Stifter. S. Fischer, Frankfurt 2007, ISBN 978-3-10-048920-3.
  • Jean-Paul Sartre: L’idiot de la famille. Gustave Flaubert de 1821 à 1857. 5 Bände. Gallimard, Paris 1971–1972.
  • Ulrich Schulz-Buschhaus: Flaubert. Die Rhetorik des Schweigens und die Poetik des Zitats. (Ars Rhetorica, 6). Lit, Münster 1995, ISBN 3-8258-2504-3.
  • Jean de La Varende: Gustave Flaubert. Mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten. (Rowohlts Monographien, 20). 6. Auflage. Rowohlt, Reinbek 1996, ISBN 3-499-50020-5.
  • Barbara Vinken: Flaubert. Durchkreuzte Moderne. S. Fischer, Frankfurt 2009, ISBN 978-3-10-086006-4.
  • Michel Winock: Flaubert. Aus dem Französischen von Horst Brühmann und Petra Willim. Carl Hanser Verlag, München 2021, ISBN 978-3-446-26844-9. (Französische Originalausgabe erschienen bei Gallimard, Paris 2013, ISBN 978-2-07-013348-2.)
Commons: Gustave Flaubert – Album mit Bildern, Videos und Audiodateien
Wikisource: Gustave Flaubert – Quellen und Volltexte (französisch)
Wikisource: Gustave Flaubert – Quellen und Volltexte

Einzelnachweise

  1. Aufsätze zur Literatur und Kunst 1857–1860. In: Charles Baudelaire: Sämtliche Werke und Briefe. Band V, ISBN 978-3-446-13334-1, S. 297, abgefragt am 6. Februar 2011.
  2. Erich Auerbach: Mimesis. (1946) 10. Auflage, Tübingen, Basel 2001, S. 458.
  3. Zwei Hände schreiben mehr in FAZ vom 19. Mai 2016, Seite R4