Franziskus-Marterl
Das Franziskus-Marterl ist ein Kapellen-Bildstock im Südosten der unvollendeten Wiederaufarbeitungsanlage Wackersdorf „Im Blaubeerwald“ in Altenschwand (Landkreis Schwandorf, Oberpfalz, Bayern).
Das WAA-Widerstands-Marterl ist dem Heiligen Franz von Assisi gewidmet und wird umrahmt von einigen weiteren Protest-Denkmälern wie dem Kreuz von Wackersdorf[1] und Der zerrissene Mensch.
Geschichte
Nachdem 1983 ein Kapellenbau gescheitert war, bauten WAA-Gegner 1984 ein einen Quadratmeter großes Marterl, da dies genehmigungsfrei war.[2] Der kleine kapellenähnliche Bau wurde auf dem von Michael Meier aus Altenschwand gestifteten Grundstück errichtet.[3] Der arbeitslose Nebenerwerbslandwirt weigerte sich, sein Grundstück an die WAA-Betreiberfirma zu verkaufen, obwohl diese ihm Millionen dafür bot.[4] Anfänglich wollte man eine Kapelle bauen, entschied sich dann aber für ein genehmigungsfreies Marterl mit nur einem Quadratmeter Grundfläche.[5] Am 30. September 1984 segnete der katholische Pfarrer Richard Salzl und der evangelische Geistliche Matthias Kietz das Franziskus-Marterl im Taxöldener Forst.[6]
Am Marterl, wo nach Ansicht von Franz Josef Strauß „das Werk des Teufels“[7] betrieben wurde, trafen sich Mitte der 1980er Jahre jeden Sonntag um 14 Uhr WAA-Gegner zu einer ökumenischen Andacht und zogen danach ins Gelände bzw. zum Bauzaun. Das Franziskusmarterl war auch Ausgangspunkt für Bittgänge, Kreuzwege und Lichterprozessionen. Bei einer Bittprozession zur Wallfahrtskirche im nahen Schwandorf wurde eine Votivtafel übertragen und in der dortigen Gnadenkapelle aufgehängt.[8]
Noch heute trifft sich die „Marterlgemeinde“ viermal im Jahr zu einer Andacht – an den Tschernobyl-[9] und Hiroshima-[10] Gedenktagen, zur Erinnerung an den Marterl-Patron Franz von Assisi am 3. Oktober[11] und am Heiligen Abend.[12] Die „Ökumenische Marterlgemeinde“[13] mischt sich auch nach dem WAA-Aus in ökologische Fragen ein.[14]
1988 wollte der Bund Naturschutz in Bayern am Franziskus-Marterl eine Waldkapelle für alle Gläubigen errichten, die gegen die Wiederaufarbeitungsanlage beten wollten. Der Gemeinderat von Bodenwöhr lehnte das Vorhaben wegen Verschandelung des Landschaftsbildes und wegen Eingriffs in die Natur ab.[15]
Am 24. April 2016 wurde am Franziskus-Marterl eine, vom Landkreis Schwandorf errichtete, Gedenktafel enthüllt, die die Baufortschritte sowie die Entwicklung des Widerstandes gegen die geplante Wiederaufarbeitungsanlage bis hin zur Aufgabe des Projekts dokumentiert.[16]
Die zwei „Kreuze von Wackersdorf“
Vom 26. bis 29. Dezember 1985 fertigte der Burglengenfelder Holzbildhauer Stefan Preisl[18] aus einem Fichtenstamm eine 1,60 m große Christusfigur an einem zehn Meter hohen Fichtenkreuz, das im zweiten Anti-WAA-Hüttendorf „Freies Wackerland“ im Taxölderner Forst aufgestellt wurde.[19] Das geweihte Kruzifix stand eine Woche lang. Bei der Räumung des Hüttendorfes am 7. Januar 1986 wurde das Kruzifix von der Polizei abgesägt und weggetragen. Ein Polizeipfarrer beaufsichtigte seinen würdevollen Transport. Die kurz darauf zurückgegebene Christusfigur wurde von Demonstranten zum Franziskus-Marterl gebracht. In der Nacht zum 20. Februar 1986 verschwand die Christusfigur. Die zurückgebliebenen abgebrochenen Hände wurden neben dem neueren Kreuz von Wackersdorf aufgehängt.[1]
Das ca. sieben Meter hohe zweite „Kreuz von Wackersdorf“ wurde 1986 ebenfalls von Stefan Preisl aus Weymouth-Kiefer geschaffen. Am Ostersonntag 1986, an dem 100.000 Menschen beim Ostermarsch nach Wackersdorf demonstrierten, wurde das Kruzifix neben dem Franziskus-Marterl aufgestellt. Nach dem WAA-Baustopp steckten Unbekannte eine Dornenkrone aus Stacheldraht vom Wackersdorfer Bauzaun auf den gesenkten Kopf des Christus.[1]
Einzelnachweise
- ↑ a b c Das Kreuz von Wackersdorf – (Chrismon, August 2011)
- ↑ Symbol des WAA-Widerstandes – Mit einer Jubiläumandacht am Franziskus-Marterl gedachten rund 100 frühere Weggefährten ihrem langen Kampf gegen die Wiederaufbereitungsanlage. – (Mittelbayerische Zeitung vom 4. Oktober 2014)
- ↑ Christliches Symbol gegen WAA - 1984 bauten christliche Widerständler gegen die Atomanlage eine Mini-Kapelle nahe Altenschwand – zum Jubiläum trafen sich die Initiatoren zur Andacht. – (Mittelbayerische Zeitung vom 6. Oktober 2014)
- ↑ Wackersdorf-Urteil: Der Sieg des Michael Meier – Ein Mann hat standgehalten – (Die Zeit vom 5. Februar 1988)
- ↑ Ein Quadratmeter Widerstand – (Oberpfalznetz vom 6. Oktober 2014)
- ↑ Distanz zu Amtskirchen – Der christliche Widerstand gegen die Wiederaufarbeitungsanlage bekam vor 30 Jahren ein Symbol: Das Franziskus-Marterl. – (Oberpfalznetz vom 6. Oktober 2014)
- ↑ Ihr schaut’s ja aus wie die Raubritter – (Der Spiegel, Tom Schimmeck, 11. Juli 1988)
Ausstieg ist nicht Christenpflicht – Mit dem Beistand der Amtskirche will die CSU den Protest gegen die Atomfabrik Wackersdorf brechen – (Der Spiegel vom 18. August 1986) - ↑ Alois Döring: Franziskus in Wackersdorf: Christliche Symbolik im politischen Widerstand. Religiöse Riten und Formen in ökologischen und friedensethischen Protestbewegungen. S. 437 f. In: Rolf Wilhelm Brednich, Heinz Schmitt (Hrsg.): Symbole – Zur Bedeutung der Zeichen in der Kultur. 30. Deutscher Volkskundekongreß in Karlsruhe vom 25. bis 29. September 1995. Waxmann Verlag 1997, S. 435–449, ISBN 978-3-89325-550-4
- ↑ Kritik an Politik und Wirtschaft – (Mittelbayerische Zeitung vom 30. April 2009)
Gedenken an die Atom-Katastrophe – Für die Mitglieder der Marterlgemeinde ist der Widerstand gegen Kernenergie heute so aktuell wie vor 25 Jahren. – (Mittelbayerische Zeitung vom 25. April 2011) - ↑ Atomkraft spaltet immer und stetig – "Marterlgemeinde" nimmt Hiroshima-Tag zum Anlass, Kernenergie-Renaissance zu kritisieren – (Oberpfalznetz vom 13. August 2008)
- ↑ Im Geiste des Franz von Assisi – Andacht der Marterl-Gemeinde bei der Kapelle ( des vom 14. Juli 2014 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. – (Oberpfalznetz vom 7. Oktober 2013)
- ↑ Die Botschaft ist gleichgeblieben – Rund 250 Menschen bei der ökumenischen Andacht am Franziskus-Marterl – (Oberpfalznetz vom 27. Dezember 2005)
Furchtlos mit Gott-Vertrauen – Marterl-Gemeinde feiert den Heiligen Abend ( des vom 8. August 2014 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. – (Oberpfalznetz vom 26. Dezember 2013) - ↑ Demut gefordert – Marterlgemeinde besteht seit 20 Jahren – (Oberpfalznetz vom 6. Oktober 2005)
- ↑ Alois Döring: Franziskus in Wackersdorf: Christliche Symbolik im politischen Widerstand. Religiöse Riten und Formen in ökologischen und friedensethischen Protestbewegungen. S. 449. In: Rolf Wilhelm Brednich, Heinz Schmitt (Hrsg.): Symbole – Zur Bedeutung der Zeichen in der Kultur. 30. Deutscher Volkskundekongreß in Karlsruhe vom 25. bis 29. September 1995. Waxmann Verlag 1997, S. 435–449, ISBN 978-3-89325-550-4
- ↑ Keine Kapelle im Wald – (Der Spiegel vom 21. März 1988)
- ↑ Zeittafel zur WAA-Geschichte enthüllt - (Mittelbayerische Zeitung vom 2. Mai 2016)
- ↑ Bild: "Gestohlenes Kreuz von Wackersdorf" - (Der Kampf gegen die WAA in Bildern - Bildergalerie: Bund Naturschutz)
- ↑ Zeitzeugeninterviews mit Stefan Preisl vom 11.04.2015 über sein Engagement gegen die WAA Wackersdorf, die Wackersdorfer Christusfigur, Ängste der Bevölkerung, das Ende der Bauarbeiten und die SPD-Tradition in der Region. Interview 1, Interview 2, Interview 3, Interview 4, Interview 5 - (Haus der Bayerischen Geschichte)
- ↑ Vor 20 Jahren kam das Aus für die WAA – (Foto von der Kreuzaufstellung in der Mittelbayerischen Zeitung vom 23. April 2009)
- ↑ Bild: "Kreuz von Wackersdorf" - (Der Kampf gegen die WAA in Bildern - Bildergalerie: Bund Naturschutz)
Weblinks
- Das Kreuz von Wackersdorf – (Chrismon, August 2011)
Koordinaten: 49° 18′ 47,8″ N, 12° 14′ 40,6″ O