Boleszewo

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 24. Juli 2023 um 22:43 Uhr durch Sir Gawain (Diskussion | Beiträge) (Literatur: veraltete Literatur entfernt). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Boleszewo
?
Boleszewo (Polen)
Boleszewo (Polen)
Boleszewo
Basisdaten
Staat: Polen

Woiwodschaft: Westpommern
Powiat: Sławieński
Gmina: Sławno
Geographische Lage: 54° 22′ N, 16° 35′ OKoordinaten: 54° 22′ 21″ N, 16° 35′ 9″ O

Höhe: 22 m n.p.m.
Einwohner: 455 ([1])
Kfz-Kennzeichen: ZSL
Wirtschaft und Verkehr
Straße: Verbindungsstraße Droga wojewódzka 205 und Droga krajowa 37 (bei Słowino)
Eisenbahn: PKP-Linie 418 Korzybie–Darłowo
Nächster int. Flughafen: Danzig
Dorfkirche (bis 1945 evangelisch)

Boleszewo (deutsch Rötzenhagen) ist ein Dorf in der Gmina Sławno (Gemeinde Schlawe) im Powiat Sławieński (Schlawer Kreis) der polnischen Woiwodschaft Westpommern.

Geographische Lage

Das Dorf liegt in Hinterpommern, sieben Kilometer nordwestlich von Sławno (Schlawe) und 18 Kilometer von der Ostseeküste entfernt. Die Gemarkung der Ortschaft ist in die ebene Landschaft nördlich des Tals der Grabowa (Grabow) eingebettet und wird im Norden von der Moszczenica (Motze) begrenzt.

Nachbarorte sind im Norden Stary Jarosław (Alt Järshagen), im Osten Sławno (Schlawe), im Süden Rzyszczewo (Ristow) und Rzyszczewko (Neu Ristow) sowie im Westen Karwice (Karwitz) und Słowino (Schlawin).

Ortsname

Die Herkunft des deutschen Ortsnamens Rötzenhagen ist unklar. Die Namensendung „-hagen“ weist auf einen eingehegten oder umfriedeten Ort hin. Vielleicht leitet sich der Name von einem – heute nicht belegbaren – Personennamen ab wie Rutz (=Rudolf) und bedeutet sinngemäß Rodungsplatz des Rudolf.

Geschichte

Rötzenhagen an der rechten Seite der Motze, zwischen der Stadt Schlawe und dem westlich von ihr, näher an der Ostsee gelegenen Kirchdorf Schlawin an der linken Seite des Flüsschens, auf einer Landkarte von 1794

Rötzenhagen war ursprünglich als Hagenhufendorf angelegt worden. Der Name Rötzenhagen fällt erstmals in einer Urkunde des Jahres 1575, mit der Herzog Johann Friedrich von Pommern-Stettin Mitgliedern der Familie Natzmer ihre Besitzungen bestätigte. Dabei bezog er sich auf einen Lehnsbrief von 1512, in dem denselben Personen und auch anderen Besitz und Rechte in Rötzenhagen bescheinigt wurden.[2]

In den Folgejahren war Rötzenhagen von einem Bauerndorf zu einem Gutsdorf geworden. Herr der drei Rötzenhagener Gutshöfe war die Familie Natzmer.[3] 1622 wurde ein Gut, das spätere Gut A, an Philipp von Steinkeller verkauft. Im 18. Jahrhundert war Rötzenhagen B ein Vorwerk, und Rötzenhagen C bestand aus drei Bauernhöfen; in den drei Ortsteilen waren Familien sesshaft, deren Söhne gewöhnlich die Offizierslaufbahn einschlugen.[4] Während des 18. und 19. Jahrhunderts befanden sich alle drei Güter A, B und C in raschem Besitzwechsel der Familien Natzmer, Steinkeller, Bandemer, Schmeling, Petersdorff, Massow, Krüger, Wetzel und Wally. Rötzenhagen B gehörte von 1766 bis 1773 Ewald Georg von Natzmer, der Präsident des Lauenburger Tribunals war. Nach seinem Tode wurde ein Konkursverfahren eröffnet, in dessen Rahmen Rötzenhagen B der Familie Natzmer verloren ging. Rötzenhagen C gehörte von 1780 bis 1810 dem Landrat Gabriel Otto von Schmeling. Durch Verkäufe schrumpfte der Umfang zweier Güter bis zum Ende des Ersten Weltkrieges auf die Größe von zwei Bauernhöfen. 1935 geriet das letzte Gut in Schwierigkeiten und wurde verkauft.

Im Jahre 1818 hatte Rötzenhagen 242 Einwohner. Ihre Zahl stieg bis 1864 auf 568, stand 1895 bei 526 und betrug 1939 noch 483. Im Jahr 1925 lebten in Rötzenhagen 546 Einwohner, die auf 104 Haushaltungen verteilt waren[5]. Im Jahr 1939 betrug die Gesamtfläche der Gemarkung Rötzenhagen 1.150 Hektar, wovon ca. 80 % Ackerland, 15 % Weideland (inklusive Große Wische) und 3 % Wald waren. Die Gemeinde war in vier Wohnorte aufgeteilt:[5]

  • Gut Rötzenhagen A und D
  • Gut Rötzenhagen B
  • Gut Rötzenhagen C
  • Rötzenhagen

Auf die Güter B und C entfielen 137 Hektar bzw. 76 Hektar. Auf der Gemeindefläche standen insgesamt 81 Wohnhäuser[5], und es gab insgesamt 71 landwirtschaftliche Betriebe.[6] Einige Rötzenhagener Bauern pflegten ihre selbst hergestellten Fleisch- und Wurstwaren zur Haltbarmachung in die Räucherhäuser des Nachbarorts Schlawin zu bringen.[7]

Bis 1945 gehörte Rötzenhagen mit Ristow und Schmarsow zum Amtsbezirk Ristow, zum Standesamt Ristow und zum Amtsgerichtsbezirk Schlawe im Landkreis Schlawe i. Pom. im Regierungsbezirk Köslin der Provinz Pommern.

Vor Ende des Zweiten Weltkriegs hatte Rötzenhagen in der Nacht vom 5. März 1945 um 2 Uhr einen Räumungsbefehl erhalten. Am 6. März zog der Treck der Dorfbewohner mit Pferde-Fuhrwerken zunächst in Richtung Schlawe, bog dann auf der Alt Krakower Chaussee in Richtung Ostsee ab, weil die Flucht über die zugefrorene Ostsee versucht werden sollte, und kam bis Scheddin. Da die Rote Armee inzwischen Kolberg erreicht hatte, musste der Fluchtplan jedoch aufgegeben werden, und die Dorfbewohner traten nach vier Tagen Aufenthalt die Heimreise an. Auf dem Heimweg kamen ihnen sowjetische Truppen entgegen, die sie zum Teil ausplünderten und ihnen die Pferde ausspannten. Nachdem in Rötzenhagen noch am 6. März einige deutsche Soldaten gekämpft hatten, wobei elf von ihnen um die Kirche herum fielen, wurde die Ortschaft am 7. März 1945 von Truppen der Roten Armee besetzt. Es kam zu leidvollen Geschehnissen mit Verschleppung, Evakuierung und Drangsalierungen der einheimischen Bevölkerung.[8]

Nachdem ganz Hinterpommern nach Kriegsende seitens der Sowjetunion der Volksrepublik Polen zur Verwaltung unterstellt worden war, wurden die sowjetischen Landwirtschaftsbetriebe allmählich aufgelöst. Auf Anordnung der polnischen Verwaltung musste am 14. Dezember 1946 ein großer Teil der Bevölkerung innerhalb kurzer Zeit mit Handgepäck das Dorf verlassen und sich in Schlawe bei eisiger Kälte auf einem alten Getreidespeicher versammeln. Einzelne Personen wurden auf dem Speicher von den Polen aussortiert und wieder nach Rötzenhagen zurückgeschickt, wo sie auf ihren Höfen Zwangsarbeit zu leisten hatten. Nachdem die Dorfbewohner auf dem Speicher in Schlawe von den Polen nochmals ausgeplündert wurden, trieb man sie mit ihrem restlichen Handgepäck im Schnee zum Bahnhof, um sie für den Weitertransport nach Stettin in Massen in teils offene Güterwaggons einzupferchen (oft bis zu 50 Personen mit Gepäck und Kindern). Während der Fahrt nach Stettin wurde mehrmals die Lokomotive abgekuppelt, und der Zug stand dann tagelang auf freier Strecke. Personen, die den Transport nicht überlebten (insbesondere ältere Menschen, Kranke und Kinder), wurden an den Haltestellen auf bereitgestellte Karren gelegt, abtransportiert und irgendwo begraben. Am zweiten Weihnachtstag 1946 erhielten weitere Dorfbewohner den Räumungsbefehl; sie wurden zu dem Zwischenlager in Schlawe gebracht und nach drei Tagen vom Bahnhof Schlawe aus in offenen Güterwaggons abtransportiert und über Stargard in Pommern in Richtung Westen abgeschoben. Das erlaubte Handgepäck durfte 40 kg pro Person nicht überschreiten. Es blieben nur noch drei deutsche Familien in Rötzenhagen zurück, die erst im Juni 1947 ausreisen durften.[8]

Rötzenhagen wurde in Boleszewo umbenannt. Der Ort ist heute ein Teil der Gmina Sławno im Powiat Sławieński der Woiwodschaft Westpommern. Bis 1998 gehörte er zu der damaligen Woiwodschaft Słupsk.

Die vertriebenen Rotzenhäger führen seit 1986 in Westdeutschland Dorftreffen durch. Zum ersten Treffen kamen 115 Teilnehmer, zuletzt nimmt die Teilnehmerzahl durch Tod und Krankheit ab.[9]

Demographie

Bevölkerungsentwicklung bis 1945
Jahr Einwohner Anmerkungen
1818 242 Kirchdorf und drei Vorwerke[10]
1864 568 am 3. Dezember, Gemeindebezirk mit den drei Gutsbezirken Rötzenhagen A, B und C[11]
1867 370 am 3. Dezember, ohne den Gutsbezirk Rötzenhagen A und D mit 71 Einwohnern, den Gutsbezirk Rötzenhagen B mit 93 Einwohnern und den Gutsbezirk Rötzenhagen C mit 44 Einwohnern, sämtlich Evangelische[12]
1871 356 am 1. Dezember, ohne den Gutsbezirk Rötzenhagen A und D mit 71 Einwohnern, den Gutsbezirk Rötzenhagen B mit 86 Einwohnern und den Gutsbezirk Rötzenhagen C mit 42 Einwohnern, sämtlich Evangelische[12]
1910 353 am 1. Dezember, ohne die drei Rittergüter Rötzenhagen A und D mit 82 Einwohnern, Rötzenhagen B mit 65 Einwohnern und Rötzenhagen C mit 43 Einwohnern[13][14]
1933 488 [15]
1939 483 [15]

Ortsgliederung

Eine ältere und eine neuere Siedlung gehören zu der Ortschaft:

  1. Grünheide (polnisch: Łany), südlich gelegen, gegründet 1820, vor 1945 insgesamt 19 Häuser mit einer Dorfschmiede
  2. Boleszewo-Kolonia (Kolonie Rötzenhagen), nach 1945 entstanden.

Kirche

Evangelische Kirche

In Rötzenhagen waren die Einwohner vor 1945 überwiegend evangelisch. Im Jahr 1925 hatte der evangelische Bevölkerungsanteil 99,5 % betragen.[5] Das Dorf bildete eine selbständige Kirchengemeinde, die jedoch seit ihren Anfängen eine Filialgemeinde im Kirchspiel Altristow (Rzyszczewo) war. Es lag im Kirchenkreis Schlawe der Kirchenprovinz Pommern der Kirche der Altpreußischen Union. Letzter deutscher Geistlicher war Pfarrer Paul Meyer.

Heute gehört die Ortschaft zum Kirchspiel Koszalin (Köslin) in der Diözese Pommern-Großpolen der Evangelisch-Augsburgischen Kirche in Polen.

Römisch-katholische Kirche

Heute leben in Boleszewo überwiegend römisch-katholische Einwohner. Das Dorf ist jetzt – wie auch der Nachbarort Karwice (Karwitz) – eine Filialgemeinde in der Parochie Słowino (Schlawin). Sie liegt im Dekanat Darłowo (Rügenwalde) im Bistum Köslin-Kolberg der Katholischen Kirche in Polen.

Kirchengebäude

Kirchengebäude (Aufnahme von 2008)

Das aus der Zeit um 1500 stammende Kirchengebäude war bis 1915 ein einfacher Fachwerkbau mit polygonalem Chor. Der Turm mit rundbogig geschlossenen Schallöffnungen und seitlichen Rautenmustern sowie die Westwand des Schiffes waren in Ziegeln gemauert und könnten aus einem Vorgängerbau entnommen worden sein.

Im Jahre 1915 wurde das spätmittelalterliche Kirchenschiff auf gleichem Grund aus Ziegeln erneuert. Der Innenraum erhielt vom Maler und Bildhauer Groß aus Stolp eine neue Gestaltung. Zur Wiedereröffnung der Kirche 1916 wurde erstmals eine Orgel angeschafft.

Von der Reformation bis 1945 war die Rötzenhagener Kirche ausschließlich evangelischen Gottesdiensten vorbehalten. Nach 1945 wurde sie zugunsten der katholischen Kirche entschädigungslos enteignet und am 8. Mai 1947 als Marienkirche neu geweiht.

Schule

Schulgeschichte

Das Rötzenhagener Schulgebäude wurde 1926/1927 errichtet. Es besaß zwei Klassenzimmer und zwei Lehrerwohnungen mit dazugehörigen Wirtschaftsgebäuden. Das alte einklassige Schulhaus war in den 30er Jahren des 19. Jahrhunderts erbaut worden. Zuletzt wurden hier mehr als 70 Kinder unterrichtet.

Verkehr

Das Dorf liegt an einer Nebenstraße, die von der Woiwodschaftsstraße 205 (Sławno–Darłowo (Rügenwalde)) abzweigt und nach Słowino (Schlawin) an der Landesstraße 37 (Karwice (Karwitz)–Darłowo) führt. Seit 1878 ist der Ort Bahnstation an der heutigen PKP-Linie Nr. 418 Darłowo–Sławno–Korzybie (Zollbrück).

Literatur

Fußnoten

  1. Website der Gemeinde Sławno, Boleszewo (niem. Rotzenhagen), abgerufen am 13. Dezember 2012
  2. Krause, Band 1 (1986), S. 32 ff.
  3. Ludwig Wilhelm Brüggemann (Hrsg.): Ausführliche Beschreibung des Königlich-Preußischen Herzogtums Vor- und Hinterpommern. Band 2, Stettin 1784, S. 887–888.
  4. Rolf Straubel: Grundbesitz und Militärdienst: Kurzbiographien pommerscher Offiziere (1715 bis 1806), Teil 1. Böhlau Verlag, Köln 2021, S. 992 (eingeschränkte Vorschau).
  5. a b c d Die Gemeinde Rötzenhagen im ehemaligen Kreis Schlawe in Pommern (Gunthard Stübs und Pommersche Forschungsgemeinschaft, 2011) (Memento des Originals vom 9. Oktober 2013 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/gemeinde.roetzenhagen.kreis-schlawe.de
  6. Krause, Band 1 (1986), S. 190.
  7. Krause, Band 1 (1986), S. 310.
  8. a b Krause, Band 1 (1986), S. 342–351.
  9. Martin Krause: Die Sehnsucht nach Heimat. Ein Resümee nach 25 Jahren Rötzenhäger Dorfgemeinschaft anläßlich des 20. Dorftreffens. In: Die Pommersche Zeitung. Nr. 29/2011, S. 8, 14.
  10. Alexander August Mützell und Leopold Krug: Neues topographisch-statistisch-geographisches Wörterbuch des preußischen Staats, Band 4: P-S, Halle 1823, S. 159, Ziffer 2123.
  11. Preußisches Finanzministerium: Die Ergebnisse der Grund- und Gebäudesteuerveranlagung im Regierungsbezirk Köslin (9. Kreis Schlawe). Berlin 1866, S. 26, Ziffern 153–156.
  12. a b Preußisches Statistisches Landesamt: Die Gemeinden und Gutsbezirke des Preußischen Staates und ihre Bevölkerung (VIII. Kreis Schlawe). Berlin 1873, S. 134–135, Ziffern 94–96, und S. 140–141, Ziffern 207–209.
  13. Kreis Schlawe - gemeindeverzeichnis.de (U. Schubert, 2021)
  14. Meyers Gazetteer: Rötzenhagen, Kreis Schlawe
  15. a b Michael Rademacher: Schlawe. Online-Material zur Dissertation, Osnabrück 2006. In: eirenicon.com.