Abtei Gerleve
Die Benediktinerabtei Gerleve liegt zwischen Coesfeld und Billerbeck in Westfalen in einem südlichen Seitental des Coesfelder Bergs auf 125 m Höhe über NN.
Geschichte
Von der Gründung bis 1945
Das Kloster wurde 1899 als bäuerliche Schenkung des Hofes Wermelt von Mönchen der Erzabtei Beuron gegründet und 1904 zur Abtei erhoben. Patron ist der hl. Joseph. Unter Abt Raphael Molitor erlebte das Kloster ab 1906 einen stetigen Aufschwung; 1936 gehörten ihm 100 Mönche an.
1941 wurde die Gemeinschaft im Rahmen des „Klostersturms“ von den Nationalsozialisten bei Aufenthaltsverbot in den Provinzen Rheinland und Westfalen aus der Abtei vertrieben. Die Patres Augustin Hessing (1897–1975) und Gregor Schwake (1892–1967) kamen in das KZ Dachau. Die Klostergebäude wurden teils als Heim der NS-Volkswohlfahrt „Mutter und Kind“, teils als „NS-Lehrhof der Hitler-Jugend des Gaues Westfalen-Nord“ genutzt. Schwangere Frauen aus dem Ruhrgebiet und aus dem Münsterland sollten im leerstehenden Kloster ihre Kinder gebären. So wurden in Gerleve mehr als 800 Kinder geboren. Kurz vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs bezog am 11. Februar 1945 ein Luftwaffenlazarett die Gebäude. Nach der Befreiung am 30. März 1945 diente dieses Lazarett für Verwundete aller Nationen zunächst unter US-amerikanischer, dann sowjetischer und zuletzt polnischer Leitung. Viele der Verwundeten starben. 200 Tote wurden auf dem Klosterfriedhof beigesetzt.
Seit dem Zweiten Weltkrieg
Erst 1946 konnten die Mönche nach Gerleve zurückkehren. 1951 gründete die Gemeinschaft ein weiteres Kloster, das Kloster Nütschau bei Bad Oldesloe in Schleswig-Holstein. Mehrere Mönche sind wissenschaftlich tätig, andere arbeiten in der Seelsorge, den Gästehäusern, der Buchhandlung, der Bibliothek oder dem Garten.
Zu den bekanntesten Mönchen von Gerleve gehörte der Kirchenmusiker und Dichter Gregor Schwake. Im November 2018 zählte der Konvent 37 Mitglieder.[1]
Als Zeichen benediktinischer Gastfreundschaft besitzt die Abtei zwei große Gästehäuser, für Erwachsene das Exerzitienhaus Ludgerirast mit 47 Zimmern und für Jugendliche die Jugendbildungsstätte Haus St. Benedikt mit 80 Plätzen. Im Kloster selbst wurde 1955 zum Osten ein Gästeflügel mit der neuen Klosterpforte mit elf Gästezimmern für männliche Besucher angebaut.
Am Bauensemble wirkten die Architekten Wilhelm Rincklake, Dominikus Böhm, Josef Paul Kleihues und Ulrich Hahn mit. Die Klosterbibliothek zählt rund 230.000 Bände.[2] 2008 entstand die Stiftung Abtei Gerleve zur Unterstützung der Abtei.
Äbte und Prioren
- Melchior Schmitz (1835–1921), Superior der Benediktinercella von 1899 bis 1904
- Chrysostomus Stelzer (1855–1905), Prior von 1904 bis 1905
- Raphael Molitor (1873–1948), Abt von 1906 bis 1948
- Pius Buddenborg (1902–1987), Abt von 1948 bis 1971
- Clemens Schmeing (1930–2018), Abt von 1971 bis 1999
- Pius Engelbert (* 1936), Abt von 1999 bis 2006
- Laurentius Schlieker (* 1951), Prior-Administrator von 2006 bis 2009, Abt seit 2009
Klosterkirche
Die ursprünglichen Klostergebäude der eigentlichen Klosteranlage sind südlich an die mächtige Klosterkirche angebaut, deren 42 m hohe Türme das Gesamtbild der Anlage weithin sichtbar prägen.
Baugeschichte und Architektur
Der Kirchenbau ist eine dreischiffige Basilika im Stil der Neoromanik. Er wurde wie die gesamte Klosteranlage von dem Architekten Wilhelm Rincklake, einem Benediktiner aus der Abtei Maria Laach entworfen und im Jahr 1901 begonnen. 1904 konnte die erste Liturgie hier gefeiert werden, obwohl der östliche Chorabschluss nur provisorisch durch eine Apsis erfolgte, während hier ein weiterer Vierungsarm vorgesehen war.
In den Jahren 1937 und 1938 wurde die durch Witterungseinflüsse stark beschädigte Westfassade nach Plänen des Kölner Architekten Dominikus Böhm restauriert und umgestaltet. Dabei erhielten die Türme, deren Spitzen als Rhombendächer ausgebildet waren, flach geneigte Pyramidendächer.
Ausstattung
1949–1950 wurde der Innenraum im Sinne der liturgischen Bewegung umgestaltet. Ein Josefsbild über dem Hochaltar wurde durch ein Christus-Mosaik des Malers Ludwig Baur ersetzt. 1950 wird die Renovierung durch die Kirchweihe abgeschlossen. Eine weitere Umgestaltung wurde nach den Erfordernissen des Zweiten Vatikanischen Konzils 1970/71 vorgenommen. In den Jahren 2003 und 2004 wurde das Kircheninnere ein weiteres Mal neu gestaltet.
Die Kirche ist im Inneren sehr spärlich eingerichtet, sodass der Blick automatisch auf den Altar im Zentrum der Vierung gerichtet wird. Der Altar aus Elbsandstein wurde von dem Künstler Ulrich Hahn entworfen. Der Altarblock ist durch horizontale und vertikale Schnitte gegliedert, so dass der Eindruck entsteht, er stehe auf zwölf Füßen (in Anlehnung an die zwölf Apostel). Eine ähnliche Gestaltung weist der Ambo auf, der auf vier Füßen (in Anlehnung an die vier Evangeli(st)en) steht. Nördlich und südlich des Altars befindet sich das Chorgestühl der Mönche, unterhalb der beiden großen Rosettenfenster der Querhausseiten.
2005 wurde in der Vierung eine farbig gefasste spätromanische Kreuzigungsgruppe aus Nordspanien aufgehängt. Die Kreuzigungsgruppe wurde im frühen 13. Jahrhundert geschaffen. Die Figuren des Christus, der Maria und des Johannes sind lebensgroß gestaltet.
Im Nordturm befindet sich eine Herz-Jesu-Kapelle, in der ein vergoldeter geschnitzter Holzaltar aufgestellt ist. Dieser Herz-Jesu-Altar aus dem Jahre 1912 wurde von dem Bildhauer Heinrich Seling geschaffen. In einer kleinen Nische der Südwand dieser Kapelle werden die heiligen Öle aufbewahrt.
Im Südturm befindet sich eine Marienkapelle, in der eine spätmittelalterliche Marienstatue aus Süddeutschland steht. In der Marienkapelle befindet sich die letzte Ruhestätte der Schwester von Clemens August Kardinal von Galen, der Gräfin Paula Ursula von Galen (1876–1923), die mit dem Kloster eng verbunden war.[3]
Orgel
Die Orgel der Abteikirche auf der kleinen Empore über dem linken Chorgestühl wurde 1912 von der Orgelbaufirma Späth (Ennetach-Mengen) erbaut. Das Instrument hatte zunächst 25 Register. Es wurde in Anlehnung an Orgeln von Andreas Silbermann und Aristide Cavaillé-Coll disponiert, und durch einen Mitarbeiter der Orgelbaufirma Cavaillé-Coll intoniert. 1971 wurde die Orgel durch das Orgelbauunternehmen Gebrüder Stockmann (Werl) überholt und die Disposition erweitert. Das Instrument zeichnet sich durch einen französisch-romantischen, weichen Klang aus. Es hat heute 43 Register auf drei Manualwerken und Pedal. Die Spiel- und Registertrakturen zum Spieltisch, der ebenerdig im Mönchschor, gegenüber der Orgel aufgestellt ist, sind elektrisch. Neben dem Recit ist auch das Hauptwerk schwellbar angelegt.[4]
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- Koppeln:
- Normalkoppeln: II/I, III/I, III/II, I/P, II/P, III/P
- Suboktavkoppeln: I/I, II/II, II/I
- Spielhilfen: 4000-fache elektrische Setzeranlage, Crescendowalze
Glocken
In den beiden mächtigen Westtürmen hängt ein siebenstimmiges Bronzegeläut. Sechs der Glocken wurden 1946 und 1993 von der Glockengießerei Petit und Edelbrock (Gescher) gegossen. Die kleinste Glocke wurde 1524 von Geert van Wou, Sohn des bekannten holländischen Glockengießers Gerhard van Wou, gegossen.[5]
Nr. | Name | Gussjahr | Gießer, Gussort | ∅ (mm) | Masse (kg) | Schlagton | Inschrift |
1 | Regina pacis | 1946 | Petit & Gebr. Edelbrock, Gescher |
1.687 | 3.100 | h0 –2 | REGINA PACIS – EXSULTANS DEO – IN DEO SALUTARI – BEATUS QUI AUDIT ME. |
2 | Sanctus Joseph | 1.495 | 3.917 | cis0 –5 | SANCTUS JOSEPH CREATORIS NUTRITIUS – GENETRICIS DEI SPONSUS – TERROR DAEMONUM | ||
3 | Salvator mundi | 1993 | 1.353 | 1.630 | dis1 –8 | SALVATOR MUNDI SALVA NOS QUI PER CRUCEM ET RESURRECTIONEM TUAM REDEMISTI NOS. | |
4 | Sanctus Benedictus | 1946 | 1.237 | 797 | e1 –5 | NOS BENEDICTE VALIDO PRECUM DEFENDE BRACHIO | |
5 | Sancti Angeli | 1.085 | 797 | fis1 –5 | SANCTORUM ANGELORUM – OMNIS SPIRITUS LAUDET DOMINUM. | ||
6 | Sancti Petrus et Paulus | 986 | 593 | gis1 –5 | SANCTORUM PETRI ET PAULI APP. [= APOSTOLORUM] – IN FINEM TERRAE SONUS EORUM. | ||
7 | Sanctus Johannes | 1524 | Geert van Wou | 826 | 330 | h1 –5 | IHESUS – MARIA – JOHANNES – GHERARDUS DE WOU ME FECIT ANNO DOMINI MCCCCCXXIIII. |
Veranstaltungen
Seit mehreren Jahren finden im Kloster jeweils Anfang des Jahres die Filmexerzitien des Evangelischen Erwachsenenbildungswerks (Dortmund) (Evangelisches Erwachsenenbildungswerk Westfalen und Lippe, EBW) statt, veranstaltet von Pfarrerin Antje Rösener (Dortmund) und Pfarrer Thomas Damm (Schwerte), der auch das Kirchliche Filmfestival Recklinghausen (Kirchliches Filmfestival Recklinghausen) mit initiierte und organisierte.
Daneben gibt die Abtei Gerleve jährlich ein eigenes umfangreiches Kursprogramm für Interessierte heraus (Wandern, Literatur, Film, Glauben, Exerzitien usw.)
Literatur
- Marcel Albert: 100 Jahre Benediktinerabtei Gerleve. Aschendorff-Verlag, Münster 2004, ISBN 3-402-05486-8.
- Marcel Albert: Abtei Gerleve. (= Westfälische Kunststätten. Heft 100). ISSN 0930-3952 3. überarbeitete Auflage, Westfälischer Heimatbund, Münster 2010.
- Briefe aus der Abtei Gerleve, Quartalszeitschrift, erscheint seit 1970.
- Amandus Eilermann: Abteikirche Gerleve, München/Zürich 1979.
- Pius Engelbert (Hrsg.): Saeculum. Zeit und Welt. 100 Jahre Abtei Gerleve. Dialogverlag, Münster 2004, ISBN 3-933144-93-0.
- Ludger Stühlmeyer: Handschriften im Vergleich: Das Ludgerusoffizium des 12. Jh. in der Abtei Gerleve. In: Curia sonans. Phil.Diss., Bamberg: Bayerische Verlagsanstalt, Heinrichs-Verlag 2010, ISBN 978-3-89889-155-4.
Weblinks
- Webseite der Abtei Gerleve
- „Hundert Jahre Geläute in der Benediktinerabtei Gerleve“ (Heimatpflege Nordrhein-Westfalen 2/2004; PDF-Datei; 787 kB)
- Video und Informationen zum Geläut der Abteikirche Gerleve
- Bilder der Abtei Gerleve im Bildarchiv des LWL-Medienzentrums für Westfalen
- Gärten der Benediktinerabtei Gerleve bei LWL-GeodatenKultur des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe
Einzelnachweise
- ↑ Angabe auf der Netzpräsenz des Klosters, abgerufen am 12. November 2018.
- ↑ Bibliothek, abgerufen am 28. März 2018.
- ↑ Vgl. die Informationen auf der Website der Abtei
- ↑ Informationen zur Späth-Orgel der Abteikirche
- ↑ Nähere Informationen zu den Glocken auf der Website der Abtei
Koordinaten: 51° 56′ 46″ N, 7° 14′ 14″ O