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Traumapädagogik ist ein Sammelbegriff für pädagogische Konzepte zur Arbeit mit traumatisierten Kindern und Jugendlichen in unterschiedlichen Arbeitsfeldern. Dazu gehören die "traumazentrierte Pädagogik" nach Jochen Uttendörfer (2008), das Konzept der Selbstbemächtigung nach Wilma Weiß (2009) und die "Pädagogik des Sicheren Ortes" nach Martin Kühn (2009). Entstandene Begriffe wie traumabezogene Pädagogik, pädagogischer Umgang mit Traumata etc. wurde 2008 ersetzt durch „Traumapädagogik“. Traumapädagogische Ansätze sind nicht mehr auf die stationäre Jugendhilfe begrenzt, sondern kommen in vielfältigen Arbeitsfelder zum Einsatz.

Wurzeln der Traumapädagogik[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Traumapädagogik ist in erster Linie eine Reaktion auf Anforderungen, die sich aus der pädagogischen Praxis ergeben. Pädagogen in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe und Pflegeeltern suchen Antworten auf die zum Teil extremen Verhaltensweisen von traumatisierten Mädchen und Jungen. Als Plattform für die anwachsende Diskussion über Traumapädagogik wurde im Jahr 2002 die von Volker Vogt und Martin Kühn gegründete Webseite www.traumapaedagogik.de (wird derzeit überarbeitet) wichtig. Großen Einfluss hatte auch das 2003 in 1. Auflage 2003 erscheinende Buch von Wilma Weiß Philipp sucht sein Ich. Gleichzeitig entstanden an vielen Orten Überlegungen, Traumaforschung und pädagogische Praxis zusammenzuführen. In Fachdiensten von Einrichtungen nutzen Fachberater mit von ihnen entwickelten Konzepten die Erkenntnisse der Psychotraumatologie und anderer Bezugswissenschaften für die effizientere Unterstützung der lebensgeschichtlich belasteten Mädchen und Jungen 2008 wurde in Hanau auf Initiative von Martin Kühn und Wilma Weiß die BAG Traumapädagogik gegründet.

Pädagogische Ursprünge[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Traumapädagogik nimmt Einflüsse aus unterschiedlichen pädagogischen Richtungen auf:

Die Bezugswissenschaften[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Im Kreis der Bezugswissenschaften sind die Erziehungswissenschaften und die Psychotraumatologie besonders wichtig. Aber auch psychoanalytische Theorien sowie die Bindungs- und Resilienzforschung leisten wichtige Beiträge. Zu einer ganzen Reihe therapeutischer Disziplinen ergeben sich Verbindungen, wie etwa zu Erziehungswissenschaften Pädagogik, Psychotraumatologie, Psychoanalyse, Bindungs- und Resilienzforschung Bindungstheorie, Resilienz, Therapeutische Disziplinen

Die Psychotraumatologie als zentrale Bezugstheorie[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Entstehung von Traumata sowie ihre Wirkungen auf die Persönlichkeit und ihr Verhalten beschreibt die Psychotraumatologie. Ihre Theorien und Ergebnisse sind daher konstitutiv für die Traumapädagogik.

Aktuelle Diskussionspunkte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Traumatische Erfahrungen sind wesentliche Bestandteile des Menschseins.„ (Bessel van der Kolk 2000). Damit sollen Sichtweisen in Frage gestellt werden, traumatische Erfahrungen seien zufällige Sondererfahrungen, die aus dem Kreis der Normalität herausfallen. "PTBS (ausgeschrieben) hat sich als eine sehr verbreitete Störung herausgestellt." Oft wird PTBS als pädagogisches Randphänomen empfunden. Becker plädiert deshalb dafür, das Thema Trauma aus der engen Grenze seiner medizinisch-therapeutischen Definition herauszuholen. Das Trauma liegt nicht im Ereignis; es ist vielmehr so, dass es sich im Nervensystem befindet. (Peter Levine, Maggie Kline 2004). Damit soll klargestellt werden, dass es sich nicht um ein objektiv beschreibbares Ereignis, sondern um eine subjektive Erfahrung handelt.

Traumata[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Folgende Aspekte sind für die Genese von Traumata wichtig:

  • Sie treten auf durch Ereignisse, die normale Anpassungsstrategien des Menschen überfordern
  • Sie sind Bedrohungen für Leben und körperliche Unversehrtheit
  • Sie sind oft die unmittelbare Begegnungen der Betroffenen mit Gewalt und Tod, in extremer Weise Hilflosigkeit und Angst.
  • Psychische Traumata sind immer von Gefühlen intensiver Angst, Hilflosigkeit, Kontrollverlust und drohender Vernichtung begleitet.
  • Traumatische Reaktionen treten auf, wenn Handeln keinen Sinn hat. Dabei besteht jedes Element des komplexen Reaktionsgefüges fort, meist in veränderter und übersteigerter Weise.
  • Grundsätzlich gilt: Frühe Beziehungstraumata sind besonders schädigend

Angelehnt an J. L. Herman 1994

Definitionen von „Trauma“[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Eine klassische Definition von Trauma stammt von Sigmund Freud (1920):

„ein Erlebnis, welches dem Seelenleben innerhalb kurzer Zeit einen so starken Reizzuwachs bringt, dass die Aufarbeitung in normal gewohnter Weise missglückt, woraus dauernde Störungen im Energiebetrieb resultieren müssen.“

Sigmund Freud: GW XI[1]

Die WHO (World Health Organisation) Definition 1991 ICD-10 ist sehr allgemein gehalten: „Kurz- oder langanhaltende Ereignisse oder Geschehen von außergewöhnlicher Bedrohung mit katastrophalem Ausmaß, die nahezu bei jedem tiefgreifende Verzweiflung auslösen würde.“

Konkreter ist die Amerikanische Definition, 1994 DSM-IV: „Potenzielle oder reale Todesbedrohungen, ernsthafte Verletzung oder eine Bedrohung der körperlichen Unversehrtheit bei sich oder bei anderen, auf die mit intensiver Furcht, Hilflosigkeit oder Schrecken reagiert wird."

Traumatypen nach Leonore Terr (1991)[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Terr kontrastiert zwei Typen von Trauma:

Typ I[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnes, unerwartetes traumatisches Erlebnis von kurzer Dauer. z.B. Verkehrsunfälle, Opfer/Zeuge von Gewalttaten, Vergewaltigung im Erwachsenenalter, Naturkatastrophen. Symptome: Meist klare sehr lebendige Wiedererinnerungen. Das Vollbild der PTSD ist zu beobachten. Hier sieht Terr eine eher gute Behandlungsprognose.

Typ II[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Eine Serie miteinander verknüpfter Ereignisse oder lang andauernde, sich wiederholende traumatische Erlebnisse. Körperliche sexuelle Misshandlungen in der Kindheit, überdauernde zwischenmenschliche Gewalterfahrungen u. ä.. Symptome: Hier sind die Wiedererinnerungen nur diffus. Es besteht eine starke Dissoziationstendenz und Bindungsstörungen treten auf. Dieser Typus ist schwer zu behandeln.

Risikofaktoren[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Nicht nur Selbsterlebtes, sondern auch das, wovon man Augenzeuge geworden ist, kann sich traumatisierend auswirken. Faktoren, die Traumatisierung auslösen können, sind besonders emotionale Vernachlässigung, anhaltende Abweisung, körperliche Gewalt, sexuelle Gewalt, häusliche Gewalt, ungebührliche elterliche Machtausübung, Münchhausensyndrom. Eine schwere (insb. psychische) Störung der Eltern, Unfälle, schwere Krankheiten, Krankenhausaufenthalte, (gewaltsamer) Tod eines Familienangehörigen, Obdachlosigkeit, Flucht, Krieg, Naturkatastrophen usw. Traumatisierung durch Trennung, Sucht, Armut, geistige und körperliche Behinderung. Dabei werden derartige Erfahrungen psychisch unterschiedlich verarbeitet, so dass sie sich bei Traumatisierungen unterschiedlich stark auswirken.

Mittlerfaktoren von Traumatisierung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einige Aspekte der Verarbeitung lassen sich verallgemeinern: Je mehr die Ursache des Trauma-Ereignisses in den Identifikationsprozess des Opfers eingreift, desto gravierender sind die Folgen. Je mehr sich Trauma-Ereignisse häufen, umso gravierender sind die seelischen Folgen. Je früher die Traumatisierung einsetzte, umso tiefgreifender sind die Schäden im Aufbau der Persönlichkeitsstruktur. Je mehr schützende (protektive) Faktoren vorhanden sind, desto eher ist eine Bearbeitung möglich

Protektive Faktoren - Resilienz[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Gegen Traumatisierung protektiv wirkende Faktoren liegen sowohl im sozialen Bereich, wie in der Persönlichkeit: Im sozialen Bereich hilft das Leben in einer Großfamilie, kompensatorische Elternbeziehungen oder verlässlich unterstützende Bezugspersonen im Erwachsenenalter. Hilfreich ist unter Umständen eine dauerhaft gute Beziehung zu mindestens einer primären Bezugsperson. Soziale Förderung und Vernetzung in Freundeskreisen, Jugendgruppen, Schule oder Kirche wirken protektiv. Auch Parentifizierung kann von Bedeutung sein. Im Bereich der Persönlichkeit sorgen für Resilienz: Sicheres Bindungsverhalten, überdurchschnittliche Intelligenz, robustes, aktives und kontaktfreudiges Temperament, Humor, Kreativität und Dispositionen der Realitätsanerkennung.

Sekundäre Traumasymptome[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Wenn überwältigende Ereignisse entweder außerordentlich intensiv sind, über längere Zeit anhalten oder wiederholt auftreten, verändert das Gehirn seine Funktionsweise. Es befindet sich in einem Zustand erhöhter Wachsamkeit. Diese erhöhte Wachsamkeit verursacht auch dort die Wahrnehmung von Gefahren, wo tatsächlich keine sind. Normalerweise sendet die Amygdala zu höheren und niedrigen Gehirnbereichen Warnmeldungen. Bei traumatisierten Kindern sendet das Gehirn keine simultanen dualen Botschaften aus. Die Kenntnis und Beobachtung der sekundären Traumasymptome ist für die Traumapädagogik Voraussetzung: Sie lassen sich nach Levine / Kline in Symptome chronischer Übererregung, der Dissoziation Phänomenen der Erstarrung gliedern:

Chronische Übererregung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Panikattacken, Ängste und Phobien, übertriebene Schreckreaktionen, extreme Licht- und Geräuschempfindlichkeit, Überaktivität, Ruhelosigkeit, übertriebene gefühlsmäßige Reaktionen, Alpträume und nächtliche Angstattacken, Vermeidungsverhalten, »Klammern«, sich von gefährlichen Situationen angezogen fühlen, häufiges Weinen und Reizbarkeit, abrupte Stimmungswechsel, zum Beispiel Wutreaktionen, Temperamentsausbrüche, regressive Verhaltensweisen (nach der Flasche verlangen, Daumenlutschen, Bettnässen, Kindersprache u.ä.) Verstärktes Risikoverhalten. Besondere Aufmerksamkeit verdienen die Rückblenden (»Flashbacks«). Ein Flashback ist ein psychischer Zustand, in welchem Gedächtnisinhalte aus einer vergangenen Stresssituation Macht über Erleben und Verhalten in der Gegenwart bekommen. Bilder, Stimmen, Gerüche, Geschmacks- und Körperempfindungen von damals wirken als Gegenwart. Überzeugungen über sich selbst, andere Menschen und die Welt von damals scheinen plötzlich wieder zu gelten. Die gleichen Gefühle sind wieder zu spüren. Die gleichen Verhaltensmuster werden wieder aktiviert. Eine körperliche Stressreaktion wird ausgelöst, die den körperlichen Veränderungen in der vergangenen Stresssituation gleicht.

Dissoziation[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Unter Dissoziation versteht man die „Störung der integrativen Funktionen des Bewusstseins.“ (Janet, 1889). Sie ist der „Schlüssel zum Verständnis der posttraumatischen Störungen.“ (Beckrath-Wilking, 2009) Typisch sind verstärkte Ablenkbarkeit und Unaufmerksamkeit, teilweise Gedächtnisverlust und Vergesslichkeit. Die Fähigkeit zu planen und zu organisieren erscheint reduziert. Es treten Gefühle von Isolation und Getrenntsein auf. Emotionale Reaktionen, die es erleichtern sich an andere Menschen zu binden, sind abgeschwächt. Das Gefühl angestrengt zu sein, Antriebslosigkeit und rasche Ermüdung stellen sich leicht und häufig ein. Wiederholt treten Tagträume auf wie auch die Angst davor, verrückt zu werden. Dazu kommt eine exzessive Scheu. Die Betroffenen leben zeitweise in einer Fantasiewelt oder auch mit fantasierten Freunden.

Kontraktion, Erstarren (Einfrieren) und Bewegungsunfähigkeit[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die körperliche, emotionale und geistige Beweglichkeit wird als stark reduziert wahrgenommen. Es treten Kopfschmerzen Magenschmerzen, Darmkrämpfe und Verdauungsprobleme auf. Typisch sind Selbstwahrnehmungen und Verhaltensweisen, die Hilflosigkeit zum Ausdruck bringen verbunden mit Gefühlen von Schuld und Scham. Häufig wird dasselbe Spiel immer wiederholt. Die Kapazität für Freude ist verringert. Asthma, Bettnässen und Einkoten können auftreten. Das Haltungs- und Koordinationsvermögen erscheint beeinträchtigt. Im Verhalten fallen verminderte Neugier, Vermeidungsreaktionen, aber auch übertriebene Anhänglichkeit, bzw. Regression zu früheren Verhaltensweisen auf.

Ziele der Traumapädagogik[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Traumapädagogik ist eine Bewegung

  • für die angemessene Unterstützung traumatisierter Mädchen und Jungen
  • für eine Pädagogik, die das Wissen um die Dynamik traumatischer Erfahrungen in allen Arbeitsbereichen selbstverständlich berücksichtigt
  • für die angemessene Unterstützung und Wertschätzung der Pädagogen und Pflegeeltern, die einen Hauptteil der Traumaarbeit leisten
  • für eine Vernetzung aller Fachbereiche, die Traumarbeit leisten, auf Augenhöhe
  • für eine gesellschaftliche Diskussion mit dem Ziel, mit Mitgefühl und Verständnis die Benachteiligungen traumatisierter Menschen sozialpolitisch auszugleichen

Konzepte der Traumapädagogik[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Für die Traumapädagogik wurden seit 2007 unterschiedliche Konzepte entwickelt, die jeweils andere Schwerpunkte setzen: die Pädagogik des sicheren Ortes (Kühn 2007), die „traumazentrierte Pädagogik“ (Uttendörfer 2008), die Pädagogik der Selbstbemächtigung (Weiß 2009), Traumapädagogische Gruppenarbeit (Bausum 2009), Stabilisierung und (Selbst)Fürsorge für PädagogInnen als institutioneller Auftrag (Lang 2009) sowie Milieutherapeutische Konzepte (Gahleitner 2010, Wagner 2009).

Bereiche der Traumabearbeitung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Traumabearbeitung geschieht in mehreren Bereichen mit jeweils spezifischen Zielsetzungen. Um den negativen Trend der Persönlichkeitsentwicklung zu stoppen, ist es notwendig, Veränderungen von dysfunktionalen Einstellungen und Überzeugungen herbeizuführen. Um das Vertrauen in den je eigenen Lebenssinn zurückzugewinnen, muss die Möglichkeit geschaffen werden, das Geschehene in die eigene Lebensgeschichte einzuordnen und im Leben, im „Hier und Jetzt“ einen Sinn zu finden. Da meist das Verhältnis zum eigenen Körper Störungen aufweist, stellt sich die Aufgabe, die Aufmerksamkeit gegenüber dem eigenen Körper zu schulen, körperliche Zustände gewahr zu werden und bewusste Körperfürsorge zu entwickeln. Die eigenen Kräfte, traumatische Erinnerungen und traumatischen Stress zu verarbeiten, benötigen Hilfestellung. Im günstigen Fall kann das selbstregulierende Prozesse auslösen. Das gestörte Selbstvertrauen, das von Minderwertigkeitskomplexen, Schuldgefühlen, Kritik an der eigenen Person bis zum Selbsthass reichen kann, muss wieder aufgebaut werden. Dazu gehört die Entwicklung einer respektierenden Haltung gegenüber den eigenen Wunden, Schwierigkeiten oder Beeinträchtigungen. Der Rückzug traumatisierter Personen aus dem sozialen Gefüge lässt sich nur überwinden, wenn das verlorene Vertrauen in Beziehungen und Bindungen zurückgewonnen wird. Dazu wird Berechenbarkeit und Verlässlichkeit der Beziehungen benötigt. Traumatisierte Menschen haben Schwierigkeiten, am sozialen Leben teilzunehmen, gemeinsame Aufgaben, gemeinsame Freizeit und Mitbestimmung in Gesellschaft zu erfahren. Deshalb müssen sowohl die Teilnahme am sozialen Leben wie verbessert wie auch soziale Teilhabechancen erwirkt werden.

Kernstücke der Traumapädagogik[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Lebensgeschichtlich belastete Mädchen und Jungen brauchen soweit als möglich sichere, d. h. berechenbare und für sie selbst transparente Orte. Außerdem benötigen sie viele positive und aufbauende Kontakte und Bindungen. Sie haben ein Anrecht auf Erwachsene, die sie bei der Fähigkeit ein autonomes Leben zurückzugewinnen, der Selbstbemächtigung, unterstützen.

Die traumapädagogische Haltung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

An Menschen, die professionell mit traumatisierten Personen arbeiten, sind besondere Anforderungen an ihre Grundhaltung wie an ihre Einstellungen zu diesem Personenkreis zu stellen. Wilma Weiß formulierte diese Anforderungen wie folgt: „ Jeder Ansatz, jeder pädagogische, therapeutische, sozialpädagogische und auch sozialpolitische Ansatz muss von Respekt, Verständnis und der Bereitschaft zur Beziehung geprägt sein, soll er wirksam werden. Im Kontakt mit den lebensgeschichtlichen belasteten Mädchen und Jungen bedeutet dies konkret, dass ihre Verhaltensweisen normale Reaktionen auf eine extreme Stressbelastung sind. Sie haben dafür ihren guten Grund. Sie haben in ihrem Leben viel überstanden und geleistet und wir unterstützen sie bei der Entwicklung eines guten Lebens. Wir stellen unser Fachwissen zur Verfügung (Profis), sie sind die Experten für ihr Leben.“ [2]

Die Pädagogik zur Selbstbemächtigung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

„Selbstbemächtigung als Kernstück der Traumapädagogik bedeutet, dass die Mädchen und Jungen mit Unterstützung ihrer Bezugspersonen Stück für Stück das Gefühl für sich selbst wiederfinden, sich, ihre Gefühle und Empfindungen wahrnehmen lernen und sich ihre Selbstregulation zurückerobern.“ Wilma Weiß

Typische Gefahren für die traumapädagogische Haltung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die pädagogische Arbeit mit Traumatisierten bietet eine Reihe von typischen Gefährdungen für eine gelingende Arbeitshaltung: Um angemessen mit anderen Personen umzugehen, muss man ihre Verhaltensweisen und ihre Motive verstehen. Gerade das ist aber gegenüber Traumatisierten nicht immer gegeben. Wo Verhaltensweisen nicht oder falsch verstanden werden, liegen Fehlreaktionen nahe. Zur pädagogischen Arbeit gehört das Angebot von Bindungen. Bindungen können sich allerdings ambivalent auswirken. Deshalb drohen gerade bei dieser Arbeit Bindungsfallen. Dazu gehört der Mechanismus von Übertragung und Gegenübertragung. Von den traumatisierten Personen gehen positive wie negative Impulse der Übertragung aus (siehe unten). Auch die Pädagogen können sich nicht ohne weiteres aus diesem Kreislauf befreien. Sie sind ebenso in traumatischen Übertragungen und Gegenreaktionen gefangen. Pädagogen haben in ihrer jeweiligen Lebenssituation eigene Probleme, Herausforderungen und Entwicklungsaufgaben. Sie fragen sich mitunter, wer sie selbst in ihren Schwierigkeiten unterstützt und ihnen zu einem autonomen Leben, der „Selbstbemächtigung“, hilft.

Traumatische Übertragung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Übertragung als Begriff der Psychoanalyse[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Übertragung ist eine psychoanalytische Bezeichnung. Neuauflagen, Phantasien, frühere Erlebnisinhalte beeinflussen aktuelle Beziehungen. Sie sind als Formen der Reaktionsbereitschaft an die Vergangenheit gebunden. Übertragungen gehören zu den natürlichen Erscheinungen des menschlichen Lebens. Übertragungen sind objektbezogen, bzw. personenbezogen. Sie werden durch einen realen Anteil ausgelöst. Beeinflussung und Überzeugung sind Elemente jeder menschlichen Interaktion. Übertragungsdeutungen bewegen sich innerhalb der gegenseitigen Beeinflussung. Es gibt positive Übertragungen, erotisierte Übertragungen, Angstübertragungen, negativ-aggressive Übertragungen. Übertragungsphänomene sind deshalb von elementarer Bedeutung für die Traumapädagogik.

Beobachtung traumatischer Übertragungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Typisch für die traumatische Übertragung ist die destruktive Kraft der frühen Erfahrungen der Mädchen und Jungen, die die Beziehungen zu anderen Menschen immer wieder stört.

Menschen, die an posttraumatischen Syndromen leiden, entwickeln, so Judith Lewis Herman, eine ganz typische Art der Übertragung: Ihre emotionalen Reaktionen auf Autoritätspersonen sind durch die Erfahrungen des Traumas geprägt und gestört. Traumatische Übertragungsreaktionen sind so intensiv, als ginge es um Leben oder Tod, sind Erfahrungen von Gewalt und Hilflosigkeit und Verlassensein. Im Verhältnis zu betreuenden Personen geht es deshalb oft darum, den Berater, die Beraterin unter Kontrolle zu bringen.

Einstellungs- und Leitungsprinzipien traumapädagogischer Arbeit[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Zwischen Pädagoginnen und Kindern[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Aus der traumapädagogischen Grundhaltung ergeben sich Leitlinien im Umgang zwischen Pädagogen und Kindern. Die Bereitschaft der Pädagogen die Lebensleistung der Traumatisierten anzuerkennen; störende Verhaltensweisen und Anpassungsbemühungen als Überlebensstrategien zu verstehen; mit ihrer Stabilität und Sicherheit Teil des sicheren Ortes der Kinder und Jugendlichen zu sein; für Klarheit und Transparenz des Handelns zu sorgen, d. h. vor allem auch den guten Grund des eigenen Handelns zu kennen und zu erklären.

Zwischen Leitung und Pädagogen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Ganz ähnlich stellen sich die Leitlinien für den Umgang der Leitung mit den Pädagogen dar. Die Leitung ist bereit die Arbeitsleistung der Pädagogen zu respektieren; störende Verhaltensweisen, wie Abwehr, Unwissenheit, Rückzug, unverständliche pädagogische Entscheidungen usw. als Ausdruck von erlebter Unsicherheit zu interpretieren, die dazu dienen, die Sicherheit zurückzugewinnen; mit ihrer eigenen Stabilität und Sicherheit Teil des sicheren Ortes der MitarbeiterInnen zu sein; für Klarheit und Transparenz des Handelns zu sorgen, d. h. vor allem auch den guten Grund des eigenen Handelns zu kennen und zu erklären.

Quellen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Wilma Weiß: Philipp sucht sein Ich, zum pädagogischen Umgang mit Traumata in den Erziehungshilfen. Juventa, 6. Auflage 2011, ISBN 978-3-7799-1772-4.
  • Judith Herman: Die Narben der Gewalt, traumatische Erfahrungen verstehen und überwinden. Junfermann, 3. Auflage 2010, ISBN 978-3-87387-525-8.
  • Jacob Bausum, Lutz Besser, Martin Kühn, Wilma Weiß (Hrsg.): Traumapädagogik - Grundlagen, Arbeitsfelder und Methoden für die pädagogiksche Praxis. Juventa 2009, ISBN 978-3-7799-2234-6.
  • Peter A. Levine: Sprache ohne Worte - wie unser Körper Trauma verarbeitet und uns in die innere Balance zurückführt. Kösel, 4. Auflage 2012, ISBN 978-3-466-30918-4
  • Peter A. Levine, Maggie Kline: Kinder vor seelischen Verletzungen schützen - wie wir sie vor traumatischen Erfahrungen bewahren und im Ernstfall unterstützen können. Kösel 2008, ISBN 978-3-466-30837-8
  • David Becker: Die Erfindung des Traumas - verflochtene Geschichten. editionFreitag 2. Auflage 2007, ISBN 978-2-93625-206-4
  • Pierre Janet: Der Geisteszustand der Hysterischen. Leipzig und Wien 1894.
  • Ulrike Beckrath-Wilking, Marlene Biberacher, Volker Dittmar: Traumafachberatung, Traumatherapie & Traumapädagogik: Ein Handbuch zur Psychotraumatologie im beraterischen und pädagogischen Kontext. Junfermann 2012, ISBN 978-38738-7899-0.

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Wilma Weiß: Philipp sucht sein Ich, zum pädagogischen Umgang mit Traumata in den Erziehungshilfen. Juventa, 6. Auflage 2011, ISBN 978-3-7799-1772-4.
  • Judith Herman: Die Narben der Gewalt, traumatische Erfahrungen verstehen und überwinden. Junfermann, 3. Auflage 2010, ISBN 978-3-87387-525-8.
  • Jacob Bausum, Lutz Besser, Martin Kühn, Wilma Weiß (Hrsg.): Traumapädagogik - Grundlagen, Arbeitsfelder und Methoden für die pädagogiksche Praxis. Juventa 2009, ISBN 978-3-7799-2234-6.
  • Peter A. Levine: Sprache ohne Worte - wie unser Körper Trauma verarbeitet und uns in die innere Balance zurückführt. Kösel, 4. Auflage 2012, ISBN 978-3-466-30918-4.
  • Peter A. Levine, Maggie Kline: Kinder vor seelischen Verletzungen schützen - wie wir sie vor traumatischen Erfahrungen bewahren und im Ernstfall unterstützen können. Kösel 2008, ISBN 978-3-466-30837-8.
  • Regina Lackner: Wie Pippa wieder lachen lernte - fachliche Hilfe für traumatisierte Kinder. Springer WienNewYork 2004, ISBN 3-211-22414-9.
  • Michaela Huber: Wege der Traumabehandlung - Trauma und Traumabehandlung Teil 2, Junfermann, ISBN 3-87387-550-0.
  • Bruce D. Perry, Maia Szalavitz: Der Junge, der wie ein Hund gehalten wurde - was traumatisierte Kinder uns über Leid, Liebe und Heilung lehren können. Kösel 4. Auflage 2011, ISBN 978-3-466-30768-5.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Freud 1917, GW XI, S.284
  2. Wilma Weiß: Philipp sucht sein Ich, zum pädagogischen Umgang mit Traumata in den Erziehungshilfen. Juventa, 2011, S. 92.