Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma Europas

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Gedenkstätte im Oktober 2012 nach der Einweihung

Das Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma Europas ist eine Gedenkstätte in Berlin südlich des Reichstags. Sie soll an den Porajmos erinnern, den nationalsozialistischen Völkermord an den als „Zigeuner“ verfolgten europäischen Sinti und Roma. Der Entwurf stammt von Dani Karavan. Das Denkmal wurde am 24. Oktober 2012 im Beisein der Bundeskanzlerin Angela Merkel und des Bundespräsidenten Joachim Gauck eingeweiht.[1] Das Denkmal wurde mit Bundesmitteln errichtet, da es als Gedenkstätte von nationaler und internationaler Bedeutung eingestuft ist. Rund 2,8 Millionen Euro hat die Errichtung gekostet.

Standort und Gestaltung

Brunnenmitte mit Stein und frischer Blume, das Dreieck soll an den KZ-Winkel erinnern.
Detail Brunnenrand

Standort ist ein Grundstück am Simsonweg bzw. an der Scheidemannstraße in Berlin-Tiergarten, das Nahe dem Brandenburger Tor und direkt gegenüber dem Reichstagsgebäude liegt und vom Land Berlin zur Verfügung gestellt wurde. Die Festlegung des konkreten Ortes erfolgte 2001.[2]

Die Gestaltung stammt von dem israelischen Künstler Dani Karavan. Er entwarf ein kreisrundes Wasserbecken („Brunnen“) mit schwarzem – „endlos tiefem“ – Grund. In die Beckenmitte platzierte der Künstler eine dreieckige steinerne Stele, die in der Aufsicht an den Winkel auf der Kleidung der KZ-Häftlinge erinnert. Auf dem Stein liegt jeweils eine frische Blume. Immer wenn sie verwelkt ist, versinkt der Stein in der Brunnentiefe, um sich dann wieder emporzuheben – mit einer neuen Blume; gleichzeitig Symbol des Lebens, der Trauer und Erinnerung.[3] Das Symbol des Brunnens spiegele auch wider – so Karavan –, dass die Beteiligten angesichts der Erinnerungsthematik an die NS-Verbrechen nicht Streit, sondern Besinnung walten lassen sollten.[4] Informationstafeln umgeben die Skulptur mit einer „Chronologie des Völkermordes an den Sinti und Roma“.[5] Auf dem Rand des Brunnens ist auf Englisch, Deutsch und Romanes das Gedicht „Auschwitz“ des italienischen Rom Santino Spinelli (Künstlername „Alexian“) zu lesen: „Eingefallenes Gesicht / erloschene Augen / kalte Lippen / Stille / ein zerrissenes Herz / ohne Atem / ohne Worte / keine Tränen“.

Entstehungsgeschichte

1992 stimmte die Bundesregierung einem Vorschlag des Bundesinnenministeriums zu, ein „Denkmal für die Opfer des nationalsozialistischen Völkermordes an den Sinti und Roma“ zu errichten. Sie erfüllte damit eine lange bestehende Forderung des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma.[6]

Um den Text einer zunächst geplanten Widmung des Denkmals gab es zwischen den beiden von der Bundesregierung in die Vorbereitungen einbezogenen Opferverbänden Zentralrat Deutscher Sinti und Roma und Sinti Allianz Deutschland sowie der Bundesregierung jahrelange Meinungsverschiedenheiten. Ein wesentlicher Streitpunkt war, wie die Opfergruppe zu bezeichnen sei. Die Bundesregierung hatte „Zigeuner“ für den Denkmaltext vorgesehen, was der Zentralrat als unwürdig und unzumutbar ablehnte. Unterstützung erhielt sie von der Sinti Allianz.[7] Ein weiterer Streitpunkt war die Frage des Vergleichs des Genozids an der Roma-Minderheit mit dem an der jüdischen Minderheit. Der Zentralrat kritisierte, dass der Textvorschlag der Bundesregierung diesem opferpolitischen Problem aus dem Weg gehe.[4] Der postnationalsozialistische Tsiganologe und vormalige Regierungsberater Hermann Arnold unterstützte die Gegner des Opferverbands. Es gehe den „Zigeunern“ um Wiedergutmachung, die unangebracht sei, da sie gar nicht Opfer des NS-Rassismus gewesen seien.[8]

Mit dem Eintritt des im Zuge der Mahnmaldiskussion 2006 gegründeten Jenischen Bunds in Deutschland und Europa e. V.[9] entstand zusätzlicher Konfliktstoff durch dessen Forderung nach Anerkennung eines „Holocaust am jenischen Volk“. Man sei ebenfalls als „Zigeuner“ verfolgt worden.[10] Das Einigungsproblem verschärfte sich auch deshalb, weil die kleine Sinti Allianz nun über einen Bündnispartner gegen den gewichtigeren Zentralrat verfügte.

Bauzustand des Denkmals im Juli 2008

Da ein Kompromiss unmöglich war, wurde unter Federführung des Kulturstaatsminister-Büros vom Institut für Zeitgeschichte in München und dem NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln statt einer Widmung eine „Chronologie des Völkermordes an den Sinti und Roma“ erarbeitet, die der Bundesrat am 20. Dezember 2007 einstimmig beschloss.[11] Der Text der Historiker grenzt gegen die opfer- und minderheitspolitischen Positionen der Selbstvertretungen ab und gibt den Forschungsstand wieder. Damit werde, so der Kulturstaatsminister, „den Anliegen der Opferverbände in größtmöglicher Weise Rechnung“ getragen.“[12]

  • Der einleitende Text spricht nun von einer „als Zigeuner“ verfolgten europäischen Minderheit und nennt beispielhaft die ethnischen Teilgruppen der Sinti, der Lalleri, der Lovara und der Manouches, ferner in unklarer Bezeichnung „Roma“. „Ziel des nationalsozialistischen Staates und seiner Rassenideologie“ sei „die Vernichtung dieser Minderheit“ gewesen.
  • Zwei Zitate aus Reden des Bundeskanzlers Helmut Schmidt (1982) und des Bundespräsidenten Roman Herzog (1997) schließen die Chronologie ab und qualifizieren das nationalsozialistische Verbrechen als „Völkermord“ an „Sinti und Roma“,[13] der „aus dem gleichen Motiv des Rassenwahns, mit dem gleichen Vorsatz und dem gleichen Willen zur planmäßigen und endgültigen Vernichtung durchgeführt worden (ist) wie der an den Juden.“ (Herzog) Damit nehmen die Historiker Stellung zur Frage der Singularität der Shoa. Sie lehnen ausdrücklich diese von einigen Historikern (z. B. Guenter Lewy und Yehuda Bauer) eingenommene Position ab und stellen den Genozid an der Roma-Minderheit neben den Genozid an der jüdischen Minderheit.
  • Entgegen dem Wunsch der Sinti Allianz und der ursprünglichen Vorstellung der Bundesregierung verwenden sie die Bezeichnung „Zigeuner“ ausschließlich als Quellenbegriff, wie er in nationalsozialistischen Texten auftritt, das heißt, in enger rassenideologischer Definition als Bezeichnung der ethnischen („rassischen“) Minderheit der Roma.[14] Sie verwenden ihn damit ausdrücklich nicht als eine auch heute noch aktuelle Gesamtbezeichnung, die soziographisch gemeint etwa andere Bevölkerungsgruppen außerhalb der Roma-Ethnie miteinschließen würde. Auch diese Form der Begriffsverwendung lehnte der Zentralrat jedoch stets ab.[15]
  • Zum Abschluss der Einleitung nennen die Historiker „Angehörige der eigenständigen Opfergruppe der Jenischen und andere Fahrende“, die nicht kollektiv, wohl aber individuell „von Verfolgungsmaßnahmen“ betroffen gewesen seien. In der folgenden „Chronologie des Völkermordes an den Sinti und Roma“ gehen sie weder direkt auf diese Gruppen noch indirekt auf als solche deutbare „nach Zigeunerart umherziehende Landfahrer“, Artisten oder Schausteller ein.[16] Mit dem Zusatz zur Einleitung reagieren die Historiker auf die geschichtspolitischen Forderungen des Jenischen Bundes und halten zugleich Distanz zu ihnen. Mit der Widmungsgruppe des Denkmals, den europäischen Roma, steht der Zusatz im Konflikt, nach dem diese Gruppen dieser Minderheit bzw. einer ihrer Untergruppen unstreitig nicht zuzurechnen sind.
Bauzustand des Denkmals im Oktober 2011

Die zunächst bereits für das Jahr 2004 vorgesehenen und durch die Meinungsverschiedenheiten verzögerten Bauarbeiten zum Denkmal begannen symbolisch am 19. Dezember 2008, dem offiziellen Gedenktag des Bundesrates für die Opfer des Völkermordes an den Roma.[17][18][19] Sie sollten im Laufe des Jahres 2009 abgeschlossen sein, zogen sich aber vor allem wegen der Konflikte zwischen dem beauftragten Künstler und den mit der Umsetzung Betrauten bis 2012 hin.[20] Bauausführung und Bauleitung lagen beim Land Berlin. Das Denkmal wurde am 24. Oktober 2012 im Beisein der Bundeskanzlerin Angela Merkel und des Bundespräsidenten Joachim Gauck eingeweiht.[21] Die Betreuung des fertiggestellten Denkmals wird die Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas übernehmen.[22]

Siehe auch

Einzelnachweise und Anmerkungen

  1. Homepage Die Bundesregierung Staatsminister für Kultur und Medien, abgerufen am 24. Oktober 2012
  2. Mahnmal für Sinti und Roma: Endlich Baubeginn, n-tv.de, 14. Dezember 2008, abgerufen am 19. Dezember 2008.
  3. Siehe: Mahnmal für Sinti und Roma. „Wir haben jetzt einen Ort“, in: FAZ, 24. Oktober 2012 ([1]).
  4. a b Rolf Lautenschläger: Absurden Streit um den Text beenden. In: taz, 13. Januar 2005.
  5. Baustart für Mahnmal für Sinti und Roma. In: Kölnische Rundschau online, 19. Dezember 2008, abgerufen am 19. Dezember 2008.
  6. Pressemitteilung Nr. 496, 20. Dezember 2007 Presse- und Informationsamt der Bundesregierung. Kulturstaatsminister Bernd Neumann: Rede am 19. Dezember 2008 anlässlich des symbolischen Baubeginns des „Denkmals für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma“.
  7. Dazu zum Beispiel: Rolf Lautenschläger: Absurden Streit um den Text beenden. In: taz, 13. Januar 2005. Betris Bollow: Mahnmal mit Leerstelle: Streit um die Inschrift am geplanten Berliner Mahnmal für Sinti und Roma, 3sat Kulturzeit, 4. März 2005, abgerufen am 19. Dezember 2008, romainterne Diskussion: goodboard.de, abgerufen am 6. Dezember 2009.
  8. Hermann Arnold, Falsche Gleichsetzung, in: FAZ, 28. Dezember 2004.
  9. HP des Vereins: jenischer-bund.org.
  10. Siehe: jenischer-bund.org; vgl. auch die Stellungnahme der Sinti Allianz vom 18. Dezember 2008, die sich ausführlich zu „als Zigeuner Verfolgten“ äußert, ohne an einer Stelle Jenische zu nennen: openpr.de (PDF).
  11. Baubeginn am Mahnmal für Sinti und Roma. In: Berliner Morgenpost, 15. Dezember 2008. Text siehe uni-hamburg.de. Ein unpassender Copyright-Hinweis erweckt den Eindruck, der Text habe das Plazet des Zentralrats, was nicht der Fall ist.
  12. Mahnmal-Bau startet 16 Jahre später. In: Berliner Morgenpost, 19. Dezember 2008.
  13. „Sinti und Roma“ ist die im deutschsprachigen Raum übliche und vom Zentralrat bevorzugte Gesamtbezeichnung. Die International Romani Union vertritt dagegen „Roma“.
  14. Die Chronologie verweist unter anderem auf die Umsetzung der Nürnberger Gesetze („Zu den artfremden Rassen gehören alle anderen Rassen, das sind in Europa außer den Juden regelmäßig nur die Zigeuner.“) und auf den Himmler-Erlass von 1938 zur „Regelung der Zigeunerfrage aus dem Wesen dieser Rasse“.
  15. Notfalls ohne Inschrift. In: Spiegel Online, 28. Februar 2005; Romani Rose, Wir sind Sinti und Roma, keine "Zigeuner", in: FAZ, 23. März 2005.
  16. Eine eindeutige und unumstrittene Definition, wer als „jenisch“ anzusprechen sei, existiert nicht. Eine im Auftrag der Bundesministeriums für Jugend, Familie und Gesundheit entstandene Untersuchung zur sozialen Lage der Sinti äußert sich auch zu „Landfahrern“. Darin sind „Jenische“, Artisten, Kleinzirkusleute und Schausteller einbezogen: Andreas Hundsalz unter Mitarbeit von Harald P. Schaaf: Soziale Situation der Sinti in der Bundesrepublik Deutschland (Schriftenreihe des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit, Bd. 129), Stuttgart 1982, S. 170. Wie die Gruppen abgegrenzt werden, ist nicht ersichtlich.
  17. Symbolischer Baubeginn des Denkmals für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma. Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, Pressemitteilung Nr. 466 vom 19. Dezember 2008.
  18. An die Verbrechen erinnern. Pressemitteilung des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung zum symbolischen Baubeginn, 19. Dezember 2008
  19. Rede von Kulturstaatsminister Bernd Neumann anlässlich des symbolischen Baubeginns des „Denkmals für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma“ Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, 19. Dezember 2008
  20. Siehe: Harry Nutt, Denkmal für ermordete Sinti und Roma. Die Farbe des Wassers, in: Frankfurter Rundschau, 27. Januar 2011, fr-online.de.
  21. Homepage Die Bundesregierung Staatsminister für Kultur und Medien, abgerufen am 24. Oktober 2012
  22. Bauarbeiten am Denkmal für ermordete Sinti und Roma begonnen. Deutscher Depeschendienst, 19. Dezember 2008, abgerufen am 19. Dezember 2008.

Koordinaten: 52° 31′ 2″ N, 13° 22′ 34″ O