Empfindsamer Stil

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Unter dem Begriff empfindsamer Stil versteht man eine musikalische Stilrichtung, die etwa ab den 1720er und 1730er Jahren die Barockmusik ablöste (in Norddeutschland zwischen 1740 und 1765). Seinen Höhepunkt erlebte der empfindsame Stil in den 1770er Jahren (Zusammenhänge mit dem Sturm und Drang), als die Klassik schon etabliert war.

Deutschland[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der „Empfindsame Stil“ wird auch als „Empfindsamkeit“ bezeichnet. Diese Stilrichtung, die in der norddeutschen Instrumentalmusik in der Mitte des 18. Jahrhunderts auftrat, zeichnete sich durch die Betonung des Ausdrucks aus und war durch eine Vielzahl tief empfundener Emotionen innerhalb eines musikalischen Werkes gekennzeichnet. Die Ästhetik ist typisch für einen Zeitgeschmack, in dem bewegenden Gefühlen nicht nur in der Kunst, sondern auch im Alltag Ausdruck verliehen wurde. Mit dieser „Sensibilität“ ging der Wunsch einher, eine Komposition in eine Aura von Einfachheit und Natürlichkeit zu hüllen. Das waren Eigenschaften, die in der philosophischen Auffassung der Aufklärung hoch geschätzt wurden. Die Komponisten wollten die Wirkung ihrer Musik verstärken, indem sie jedem Thema einen klar definierten, sogar übertrieben expressiven Charakter verleihen. Da der Effekt durch rasche Stimmungswechsel deutlich verstärkt wurde, wurden gegensätzliche Stimmungen nebeneinander gestellt.[1]

Die Tonsprache des empfindsamen Stils ist subjektiv gefühlsbetont, die Melodiephrasen sollen den Hörer unmittelbar und direkt berühren. Typische Merkmale sind lombardische Rhythmen, Vorhaltsbildungen und Seufzermelodik. Die Satztechnik wird einfacher, der Generalbass (Continuo) verliert an Bedeutung, und der harmonische Rhythmus wird verlangsamt.

Die bedeutendsten Vertreter des Empfindsamen Stils waren Johann Adolph Hasse, Carl Philipp Emanuel Bach, Wilhelm Friedemann Bach, Georg Anton Benda, Johann Joachim Quantz und Johann Abraham Peter Schulz.[1] Auch im Musikdrama gab es Parallelen zur Empfindsamkeit, so bei Franz Benda, in Glucks Reformopern und in Teilen von Mozarts Oper Idomeneo.

Ähnlich wie in der Architektur erfolgte seit etwa 1740 eine Absage an die strenge Regelhaftigkeit der älteren, von Johann Sebastian Bach mitgeprägten Musizierpraxis und ein Stilwandel zu mehr Emotion – doch anders als im höfisch-galanten Rokoko mit einfacheren Mitteln. Diese Veränderungen fanden in den Ländern Westeuropas zeitgleich statt.[2]

Einfluss auf diesen Prozess hatten auch die Musikinstrumente (Trend zu Flöte, Streichern und Cembalo). Zu Beginn des 18. Jahrhunderts wurde durch Domenico Scarlatti die Cembalosonate[3] zu einer Hauptgattung der Epoche.

Italien und Frankreich[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In Italien können die Neapolitanische Schule und insbesondere Giovanni Battista Pergolesi mit seinem international rasch bekannten Werk La serva padrona als Vorläufer der Opera buffa gelten, welche die starren Regeln der französischen Barockoper erschütterten und einen natürlicheren Ausdruck zuließen. In Frankreich leitet Jean-Jacques Rousseaus von Pergolesi beeinflusstes Singspiel Le devin du village („Der Dorfwahrsager“), an dem sich Mozarts Bastien und Bastienne orientierte, eine parallele Entwicklung zur deutschen Empfindsamkeit ein und bereitet zugleich die Opéra comique vor. Rousseau benutzt eine einfache Harmonik, verzichtet auf Koloraturen, pathetische Rezitative, komplizierte Polyphonie und Kastratenstimmen, nutzt stattdessen populäre Vaudevilles und natürliche Dialoge, siedelt die Handlung im Milieu der Pastorale an und strebt so nach Ursprünglichkeit und Natürlichkeit.[4]

Vergleich galanter Stil – empfindsamer Stil[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der empfindsame Stil kann als Intensivierung des galanten Stils gelten.[5]

Der galante Stil entstand schon im Spätbarock in Abkehr vom strengen polyphonen Stil. Wichtigste Merkmale waren:

  • Nähe zum Ideal des Belcanto (Kantabilität, Natürlichkeit, Verständlichkeit)
  • dominante Melodiestimme, weitgehender Verzicht auf Kontrapunkt
  • einfache, aber effektvolle harmonische Abläufe
  • kurze, einfache Melodiephrasen, die oft wiederholt werden
  • elegante Melodik und Ornamentation

Der empfindsame Stil war gekennzeichnet durch:

  • Zulassen von Emotion und Empfindung
  • häufige Abwechslung der Affekte

Komponisten[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Siehe auch[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Jeffrey Leighton Snedeker: Empfindsamer Stil and the music of Carl Philipp Emanuel Bach. An examination of the solo keyboard sonatas. Ohio State University, 1. Januar 1985, OCLC 13724964 (englisch, etd.ohiolink.edu).
  • Douglass Seaton: The empfindsamer Stil. In: Ideas and styles in the Western musical tradition. Mayfield Pub. Co., Mountain View, Calif. 1991, ISBN 0-87484-956-X.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. a b Empfindsamer Stil – musical movement. In: Encyclopædia Britannica. (englisch, britannica.com).
  2. Western music – The tonal era and after. 1600 to the present. In: Encyclopædia Britannica. Hier Abschnitt: Precursors of the Classical style (englisch, britannica.com).
  3. Domenico Scarlatti. Die 555 Cembalosonaten (34 CDs) – jpc. jpc.de, abgerufen am 10. November 2016.
  4. Jens-Peter Gaul: Jean-Jacques Rousseau. München 2001, S. 62 f.
  5. Karl Heinrich Wörner: Empfindsamer Stil. In: Geschichte der Musik. ein Studien- und Nachschlagebuch. Vandenhoeck & Ruprecht, 1993, ISBN 978-3-525-27811-6, S. 279 (books.google.de).
  6. Barbara Zuber: Wilde Blumen am Zaun der Klassik. In: Heinrich Schenker, Peter Böttinger (Hrsg.): Domenico Scarlatti. (= Musik-Konzepte. Heft 47). Edition Text + Kritik, München 1986, ISBN 3-88377-229-1, S. 3 ff.
  7. Johann Joachim Quantz: Versuch einer Anweisung die flute traversière zu spielen. Hrsg.: Hans-Peter Schmitz. Bärenreiter, Kassel 1953, OCLC 15387304 (Erstausgabe: 1752, Faksimile-Nachdruck der 3. Auflage Berlin, 1789).
  8. Leopold Mozart: Leopold Mozarts gründliche Violinschule mit vier Kupfertafeln und einer Tabelle. Johann Jakob Lotter & Sohn, Augsburg 1787, OCLC 852497608 (books.google.de).