Entzugssyndrom

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Klassifikation nach ICD-10
F10.3 durch Alkohol
F11.3 Opioide
F12.3 Cannabinoide
F13.3 Sedativa oder Hypnotika
F14.3 Kokain
F15.3 andere Stimulantien einschl. Koffein
F16.3 Halluzinogene
F17.3 Tabak
F18.3 flüchtige Lösungsmittel
F19.3 multiplen Substanzgebrauch und Konsum sonstiger psychotroper Substanzen
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ICD-10 online (WHO-Version 2019)

Ein Entzugssyndrom (auch Entzugserscheinung oder Abstinenzsyndrom) ist jede körperliche und psychische Erscheinung, die infolge von teilweisem oder vollständigem Entzug von psychotropen Substanzen bzw. deren Wirkstoffe auftritt (stoffliche Sucht). Bei Medikamenten (z. B. Antidepressiva) wird dies als „Absetzerscheinung“ bezeichnet.

Jede Substanzgruppe erzeugt spezifische Entzugssymptome. Ihr Auftreten ist ein Kriterium für die Diagnose eines Abhängigkeitssyndroms.[1]

Nach ICD-10 erfolgt die Einteilung der psychischen und Verhaltensstörungen durch psychotrope Substanzen in substanzspezifische Untergruppen (F10-F19). Kommt es zu einem Entzugssyndrom, wird eine 3 angefügt, beispielsweise F12.3 bei Cannabinoiden. Falls zusätzlich ein Delir auftritt, wird eine 4 eingesetzt, beispielsweise F10.4 bei einem alkoholbedingten Delirium tremens.[1] Die Unterscheidung erfolgt, weil es sich beim Delir um ein lebensbedrohliches Geschehen handelt.

Die wichtigsten Substanzen, bei deren Absetzen Entzugserscheinungen auftreten, sind:

Das Alkoholentzugssyndrom (AES) ohne Delirium ist ein komplexes, unterschiedlich schwerwiegendes Zustandsbild, das meist 4–12 Stunden nach der letzten Alkoholaufnahme (oder der Verminderung der Trinkmenge) auftritt und mehrere Tage akut anhalten kann. Bei rund einem Drittel der Betroffenen ist eine medikamentöse Behandlung erforderlich, für die sowohl europäische als auch US-amerikanische Leitlinien erarbeitet wurden.[2]

Der Benzodiazepin-Entzug, z. B. von Lorazepam, Diazepam oder Flunitrazepam kann eine Vielzahl von störenden bis gefürchteten Symptomen nach sich ziehen. Zu diesen gehören Schlaflosigkeit und andere Schlafstörungen, z. B. mit Alpträumen, intrusive Erinnerungen, Panikattacken, Sprachstörungen und Rhetorikschwierigkeiten, generalisierte Angstzustände und Phobien, Depressionen, Aggressionen, Zwangsstörungen, übersteigerte Sinneswahrnehmung, Depersonalisation und Derealisation und andere unangenehme Erscheinungen. Auch Bluthochdruck, und dadurch Kopfschmerzen und Schwindel, sind häufig, ferner Ohrgeräusche. Da Benzodiazepine als solche potente Antikonvulsiva sind, kann es zu einem Entzugsanfall (im Sinne eines sog. Gelegenheitsanfalls) kommen, allerdings nur in seltenen Fällen.[3][4][5] Durch den Symptomkomplex, gelten Benzodiazepinentzüge für Betroffene als häufig enorm belastend und quälend.

Konsumenten von Cannabinoiden können eine psychische Abhängigkeit entwickeln, wobei verschiedene Studien wie die Kleiber-Kovar-Studie und der Roques-Report von einem eher geringen Abhängigkeitspotenzial ausgehen, andere Studien jedoch ein höheres Suchtpotenzial ermitteln.[6]

Eine Studie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg von 2008 mit etwa 200 stationären Patienten während eines Cannabisentzuges lieferte ein uneinheitliches Bild bezüglich der Schwere der zu erwartenden Entzugserscheinungen, wobei zwei Gruppen erkannt wurden: eine Gruppe hatte kaum oder nur geringe körperliche und psychische Entzugserscheinungen, während die zweite Gruppe stärkere Beschwerden angab.

Mitglieder der ersten Gruppe nannten nach ihrer Selbstwahrnehmung für Entzugssymptome auf einer Skala von 0 bis 4 (1=mild, 4=stark) Werte zwischen 0 (keine) und 1 (milde); dabei wurden körperliche Beschwerden wie Appetitminderung und Schlafstörungen, Magenbeschwerden und vermehrtes Schwitzen, aber auch psychische Entzugssymptome wie etwa Angstgefühle, Verärgerung, Aggressionen, Reiz- und Erregbarkeit sowie Ruhelosigkeit berichtet. Die zweite Gruppe beschrieb im Mittel milde bis moderate Beschwerden.

Etwa 30 % der Patienten gaben in den ersten vier Tagen einen moderaten bis starken Suchtdruck an; die geringer betroffene Gruppe klagte nur in den ersten beiden Tagen über milde bis geringe Beschwerden. Die Autoren kamen zu dem Schluss, dass „[…] selbst bei hoch belasteten Patienten nur bei einem Teil der Probanden ein Cannabisentzugssyndrom nachweisbar […]“ gewesen wäre.[7]

4-Hydroxybutansäure (GHB) und γ-Butyrolacton (GBL) erzeugen einen ähnlichen Entzug wie Alkohol mit bei schwerwiegendem Verlauf Übelkeit, Erbrechen und Delirium, jedoch von deutlich geringerer Dauer. In den meisten Fällen nehmen die körperlichen Symptome bereits nach 12 bis 96 Stunden ab, er kann aber auch bis zu 2 Wochen anhalten.[8]

Je nach Suchtpotential des Rauchers können erste Entzugssymptome bereits nach einer mehrstündigen Rauchpause (zum Beispiel durch die Nachtruhe) auftreten. Dabei handelt es sich um eine Pulsverlangsamung, einen Abfall des diastolischen Blutdrucks, Aggressivität, Reizbarkeit, üble Laune, Depressivität, Nervosität, Unruhe oder Ängstlichkeit, verminderte Konzentrationsfähigkeit, Schweißausbrüche oder Schlafstörungen, gesteigerten Appetit und in der Folge Gewichtszunahme. Häufig kommt es auch zu spontanen Stimmungsschwankungen und diffusen, unangenehmen Gefühlen.[9] Das Entzugssyndrom besteht in der Regel 1–4 Wochen lang, selten über Monate.[2][10]

Nach anhaltendem Konsum führt der absolute (vollständige) oder relative (z. B. durch eine Dosisreduktion) Entzug von Opioiden (wie Buprenorphin, Codein, Dihydrocodein, Heroin, Methadon oder Morphin) zu einem unterschiedlich stark ausgeprägten Opioidentzugssyndrom. Dabei handelt es sich um ein (nicht zwingend notwendiges) Kriterium für die Diagnose einer Abhängigkeit von Opioiden.

Nach abrupter Beendigung einer längeren Therapie mit Steroiden kann es durch mangelnde Produktion in der Nebennierenrinde zu Komplikationen kommen.

Einzelnachweise

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  1. a b ICD-10 Klassifizierung der psychischen und Verhaltensstörungen (Memento des Originals vom 9. Mai 2015 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.dimdi.de
  2. a b Mathias Berger, Jörg Angenendt (Hrsg.): Psychische Erkrankungen: Klinik und Therapi e. 3., vollst. neu bearb. und erw. Auflage. Elsevier, Urban & Fischer, München, Jena 2009, ISBN 978-3-437-22481-2.
  3. Ursula M. Borgiel: Altenpflege Heute: Alle Kompetenzbereiche der generalistischen Pflegeausbildung. Elsevier Health Sciences, 2021, ISBN 978-3-437-06145-5 (google.com [abgerufen am 21. Februar 2023]).
  4. Manfred Gerlach, Claudia Mehler-Wex, Susanne Walitza, Andreas Warnke, Christoph Wewetzer: Neuro-/Psychopharmaka im Kindes- und Jugendalter: Grundlagen und Therapie. Springer-Verlag, 2016, ISBN 978-3-662-48624-5 (google.com [abgerufen am 21. Februar 2023]).
  5. Das Ashton Handbuch: KAPITEL III: BENZODIAZEPIN-ENTZUGSSYMPTOME
  6. Ridenour et al.: Factors associated with the transition from abuse to dependence among substance abusers: implications for a measure of addictive liability. In: Drug Alcohol Depend. 80. Jahrgang, Nr. 1, 2005, S. 1–14, PMID 16157227.
  7. Anna-Bettina Watzke: Cannabisentzugssymtome und Hinweise auf Persönlichkeitsstörungen bei stationär behandelten Patienten während des Cannabisentzuges Ergebnisse einer Längsschnittstudie. Halle (Saale) 2008, OCLC 436310810 (online [PDF] Dissertation).
  8. Friedemann Hagenbuch: GHB / GBL – der neue Kick? Merkblatt der Landesärztekammer. (Memento des Originals vom 29. September 2015 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.aerztekammer-bw.de Ärzteblatt Baden-Württemberg, 02/2011, S. 93–94.
  9. Rauchen-Aufgeben.org: Nichtraucher Fakten. (PDF; 600 kB) Archiviert vom Original am 16. Juni 2012; abgerufen am 2. Mai 2011.  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.rauchen-aufgeben.org
  10. Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universität Tübingen: Tabakentzugssyndrom (Memento des Originals vom 10. Oktober 2011 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.medizin.uni-tuebingen.de