Eugen Steimle

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Eugen Steimle beim Einsatzgruppen-Prozess

Eugen Steimle (vollständiger Name: Eugen Karl Steimle; * 8. Dezember 1909 in Neubulach bei Calw; † 6. Oktober 1987 in Ravensburg[1]) war in der Zeit des Nationalsozialismus ranghoher Mitarbeiter (SS-Standartenführer) des Sicherheitsdienstes (SD) und war als Leiter zweier Sonderkommandos von Einsatzgruppen des SD für Massenmorde in der Sowjetunion verantwortlich.

Leben[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Karriere im SD[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Steimle entstammte einem streng pietistischen Elternhaus. Er studierte Geschichte, Germanistik und Französisch an den Universitäten von Tübingen und Berlin. In Tübingen wurde er 1929 Mitglied der Verbindung Normannia. Im Mai 1935 bestand er sein Lehramtsexamen und im März 1936 qualifizierte er sich als Studienassessor.

Am 1. Mai 1932 trat er in die NSDAP (Mitgliedsnummer 1.075.555), die SA sowie den NSDStB ein. 1933/34 war er Hochschulgruppenführer des NSDStB und Führer der Studentenschaft an der Universität Tübingen. Von Oktober 1934 bis April 1936 war er Studentenführer des NSDAP-Gaus Württemberg-Hohenzollern.[2] Mit dem Wechsel zur SS (SS-Nummer 272.575) im April 1936 trat er dem Sicherheitsdienst (SD) bei (von Gustav Adolf Scheel angeworben, der den SD-Oberabschnitt Südwest organisierte). Schon im September 1936 leitete er das SD-Büro in Stuttgart. Zunächst leitete er den SD-Unterabschnitt Württemberg und von 1939 bis 1943 den SD-Leitabschnitt Stuttgart.[3]

Vom 7. September bis 10. Dezember 1941 war er Kommandeur des Sonderkommandos 7a innerhalb der Einsatzgruppe B. Innerhalb von zwei Monaten ermordete Steimles Einheit unter seinem Kommando 500 Juden. Von August 1942 bis Januar 1943 war er Leiter des Sonderkommandos 4a der Einsatzgruppe C. Nach Deutschland zurückgekehrt, wurde er 1943 Chef der Gruppe VI B im Reichssicherheitshauptamt (RSHA), die als Bestandteil des Auslandsnachrichtendienstes für „Westeuropa“ zuständig war. Auf Grund der politischen Krise im Sommer 1943, den wichtigsten Bündnispartner Deutschlands betreffen, lag ab diesem Zeitpunkt sein besonderer Schwerpunkt auf Italien. Für den Nachrichtendienstlichen Einsatz in diesem Raum bereitete er mehrere SD-Offiziere vor, darunter auch SS-Hauptsturmführer Johannes Clemens. Kurze Zeit darauf entsandte er auch seinen bisherigen Bereichsleiter für Italien, Klaus Hügel nach Rom. Steimle wurde 1944 zum SS-Standartenführer befördert.

Nach Kriegsende legte er sich das Pseudonym Dr. Hermann Burlach zu und verbarg sich schließlich in Groß-Höchberg bei einem Landwirt, wo er am 1. Oktober 1945 festgenommen wurde.[4]

Nach 1945[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Eugen Steimle auf der Tübinger Heimkehrertafel (2010)

Steimle wurde 1948 im Nürnberger Einsatzgruppen-Prozess zum Tode verurteilt. Als er dort gefragt wurde, wie viele Personen in der russischen Stadt Welikije Luki ermordet worden seien, gab er zunächst an, dies nicht zu wissen. Später, auf Drängen des Staatsanwaltes Benjamin Ferencz, antwortete er: „Ich denke es waren weniger als Tausend.“ Im Gericht versuchte Steimle die Verantwortung für die Taten einerseits auf den Führer-Befehl und andererseits auf seine Untergebenen abzuwälzen, die die Untersuchungen vorgenommen hätten. Drei junge Frauen wurden als kommunistische Partisanengruppe unter seinem Befehl erschossen. Steimle konnte sich vor Gericht nur auf Vermutungen berufen, auf deren Basis er die Erschießungen begründete.[5] Sein Verteidiger war Erich Mayer.

Seine Strafe wurde dann im Januar 1951 von einem Gnadengericht auf 20 Jahre Gefängnis reduziert. Am 28. Juni 1954 wurde er aus dem Kriegsverbrechergefängnis Landsberg entlassen.

Steimle profitierte von den Gnadenentscheidungen des amerikanischen Hohen Kommissars McCloy im Januar 1951, der 79 von 89 Häftlingen in Landsberg ihre Strafen verringerte. McCloy war dabei wesentlich beeinflusst durch Eingaben und Appelle bundesrepublikanischer Politiker und Kirchenleute.[6] Die bewusst geschaffene sprachliche Verwirrung zwischen kriegsgefangenen Soldaten einerseits und verurteilten Kriegsverbrechern andererseits führte so weit, dass die Stadt Tübingen auf einer Tafel für spätheimkehrende Kriegsgefangene auch die Namen der verurteilten Kriegsverbrecher Otto Abetz und Eugen Steimle aufführte. Im August 2003 wurde schließlich die Gedenktafel für die Kriegsgefangenen am Tübinger Holzmarkt, die dort seit 1951 hing, gänzlich entfernt.[7]

Nach der Freilassung wurde Steimle, zu seinen pietistischen Wurzeln zurückkehrend, Lehrer für Deutsch und Geschichte an der privaten Oberstufe des damals evangelischen Gymnasiums der Zieglerschen Anstalten in Wilhelmsdorf.[8] Das Oberschulamt in Tübingen hatte allerdings Steimles Wirken an der staatlichen Unter- und Mittelstufe der Schule untersagt. Versuche Steimles, wieder in das Beamtenverhältnis aufgenommen zu werden, blieben ohne Erfolg.[9] Er trat 1975 in den Ruhestand.[4]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Georg Herrmann: Eugen Steimle – Der Barras. Erinnerungen an den Massenmörder. In: Wolfgang Proske: Täter Helfer Trittbrettfahrer, Bd. 4: NS-Belastete aus Oberschwaben. Kugelberg Verlag, Gerstetten 2015, ISBN 978-3-945893-005, S. 281–292 (Erinnerungen eines ehemaligen Schülers an die Zeit in Wilhelmsdorf, Abiturjahrgang 1966).
  • Helge Dvorak: Biographisches Lexikon der Deutschen Burschenschaft, Bd. 1.8, Supplement L–Z. Winter, Heidelberg 2014, ISBN 978-3-8253-6051-1, S. 304–305.
  • Christian Ingrao: Hitlers Elite. Die Wegbereiter des nationalsozialistischen Massenmordes. Übersetzt von Enrico Heinemann und Ursel Schäfer. Propyläen, Berlin 2012, ISBN 978-3-549-07420-6 (zuerst Paris 2010);
  • Michael Grüttner: Biographisches Lexikon zur nationalsozialistischen Wissenschaftspolitik, Heidelberg 2004, S. 166f.
  • Rainer Lächele: Vom Reichssicherheitshauptamt in ein evangelisches Gymnasium. Die Geschichte des Eugen Steimle. In: Rainer Lächele, Jörg Thierfelder (Hrsg.): Evangelisches Württemberg zwischen Weltkrieg und Wiederaufbau. Calwer Verlag, Stuttgart 1995, ISBN 3-7668-3289-1, S. 260–288 (= Quellen und Forschungen zur württembergischen Kirchengeschichte, Band 13);
  • Horst Junginger: Tübinger Exekutoren der Endlösung. Effiziente Massenmörder an vorderster Front der SS-Einsatzgruppen und des Sicherheitsdienstes (PDF).

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Sterberegister des Standesamtes Ravensburg Nr. 5081/1987.
  2. Michael Grüttner: Biographisches Lexikon zur nationalsozialistischen Wissenschaftspolitik (= Studien zur Wissenschafts- und Universitätsgeschichte. Band 6). Synchron, Heidelberg 2004, ISBN 3-935025-68-8, S. 166–167.
  3. Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland 1933–1945 (Quellensammlung), Bd. 3: Deutsches Reich und Protektorat. September 1939 – September 1941, bearbeitet von Andrea Löw, München 2012, ISBN 978-3-486-58524-7, S. 80.
  4. a b Ernst Klee: Das Personenlexikon zum Dritten Reich, Frankfurt am Main 2007, S. 599.
  5. Musmanno, Michael A., U.S.N.R, Military Tribunal II, Case 9: Opinion and Judgment of the Tribunal. Nuremberg: Palace of Justice. 8 April 1948. S. 168–171 (original mimeographed copy), hier S. 168 (online (Memento vom 2. Dezember 2002 im Internet Archive)).
  6. Rainer Lächele: Vom Reichssicherheitshauptamt in ein evangelisches Gymnasium. Die Geschichte des Eugen Steimle. In: Rainer Lächele, Jörg Thierfelder (Hrsg.): Evangelisches Württemberg zwischen Weltkrieg und Wiederaufbau. Calwer Verlag, Stuttgart 1995, S. 272.
  7. Gedenken an Gefallene und Vermisste; Umgang mit der "Heimkehrertafel" (Memento vom 22. Mai 2014 im Internet Archive) (PDF; 48 kB) Memento vom 22. Mai 2014, Original nicht mehr erreichbar
  8. Gymnasium Wilhelmsdorf (Hrg.): 150 Jahre Gymnasium Wilhelmsdorf (früher KI), Wilhelmsdorf 2007, S. 16.
  9. Rainer Lächele: Vom Reichssicherheitshauptamt in ein evangelisches Gymnasium. Die Geschichte des Eugen Steimle. In: Rainer Lächele, Jörg Thierfelder (Hrsg.): Evangelisches Württemberg zwischen Weltkrieg und Wiederaufbau. Calwer Verlag, Stuttgart 1995, S. 272 f.