Griechisches Referendum 2015

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Stimmzettel

Das griechische Referendum 2015 ist ein am 5. Juli 2015 stattfindendes Referendum, in dem sich die Bevölkerung zur Annahme oder Ablehnung der von den Vertretern der Euro-Gruppe und des Internationalen Währungsfonds gemachten Vorschlägen zur mittelfristigen Lösung der griechischen Staatsschuldenkrise äußern soll. Die griechische Regierung unter Ministerpräsident Alexis Tsipras hat den Wählern die Ablehnung der Vorschläge empfohlen.

Vorgeschichte

Im Anschluss an die Parlamentswahl 2015 verhandelte die neue griechische Regierung von Februar bis Juni 2015 mit den Gläubigerinstitutionen über weitere Maßnahmen zur Bewältigung der griechischen Staatsschuldenkrise. Wenige Tage vor Auslaufen des zweiten Hilfsprogramms brach die griechische Seite überraschend die Verhandlungen ab und Premierminister Alexis Tsipras kündigte in der Nacht auf den 27. Juni 2015 in einer Fernsehansprache ein Referendum an.[1] Das griechische Parlament votierte am selben Tag mit 178 zu 120 Stimmen für das Referendum. Dabei stimmten neben den Regierungsparteien auch Teile der Opposition zu.[2]

Dieses ist erst das zweite Referendum seit dem Ende des Obristenregimes: 1974 stimmte das griechische Volk in einem Referendum über die Abschaffung der Monarchie ab.[3] Im Zusammenhang mit der Staatsschuldenkrise hatte bereits Tsipras’ Amtsvorgänger Giorgos A. Papandreou ein Referendum angekündigt, dieses jedoch nach massiver innen- und außenpolitischer Kritik abgesagt.[4] Er warb aber noch im Mai 2015 für ein solches Referendum.[5]

Rechtsgrundlage und Inhalt

Gemäß Artikel 44 der griechischen Verfassung[6] ordnet der Präsident der Republik bei politischen Grundsatzfragen ein Referendum an, wenn das Parlament auf Vorschlag der Regierung mit absoluter Mehrheit dafür votiert hat. Evangelos Venizelos von der PASOK, sowie die Parteien To Potami und Nea Dimokratia zweifelten die Verfassungsmäßigkeit des Referendums an, da dieses für fiskalpolitische Angelegenheiten nicht vorgesehen sei.[7]

Die Wähler sollen im Referendum folgende Frage beantworten:

„Soll der von der Europäischen Kommission, der Europäischen Zentralbank und dem Internationalen Währungsfonds der Eurogruppe am 25. Juni vorgelegte Entwurf einer Vereinbarung, der aus zwei Teilen besteht, welche einen einheitlichen Vorschlag darstellen, angenommen werden?
Das erste Dokument ist überschrieben «Reforms for the completion of the Current Program and Beyond» (Reformen für die Beendigung des laufenden Programms und darüber hinaus) und das zweite «Preliminary Debt sustainability analysis» (Vorläufige Schuldentragfähigkeitsanalyse).
Die Bürger des Landes, die den Vorschlag der Institutionen ablehnen, stimmen: NICHT ANGENOMMEN / NEIN.
Die Bürger des Landes, die den Vorschlag der Institutionen annehmen, stimmen: ANGENOMMEN / JA“[8]

Die Formulierung der Frage des Referendums wurde von verschiedener Seite als zu kompliziert und deswegen „nahezu sinnlos“ bzw. schwer verständlich kritisiert. Auch sei es unüblich und ein Versuch einer Wählerbeeinflussung, dass die von der Regierung favorisierte „Nein“-Antwort auf dem Stimmzettel über der „Ja“-Antwort angeordnet sei.[9] Beobachter verweisen in diesem Zusammenhang (Nein vor Ja) darauf, dass Nein (Ochi) in Griechenland ein positiv besetzter Begriff ist und sogar ein Ochi-Tag in Erinnerung an den Widerstand gegen Benito Mussolini gefeiert wird.[10] Am 28. Juni 2015 veröffentlichte die Europäische Kommission den letzten Vereinbarungsentwurf der drei Gläubigerinstitutionen, um Transparenz über den Inhalt der Abstimmung herzustellen.[11] Das Dokument beschreibt Reformmaßnahmen zu zehn Themenkreisen, nämlich mittelfristige Finanzplanung, Mehrwertsteuerreform, strukturelle fiskalische Maßnahmen, Rentenreform, öffentliche Verwaltung einschließlich Rechtssystem und Korruptionsbekämpfung, Steuerverwaltung, finanzieller Sektor, Arbeitsmarkt, Gütermärkte und Privatisierung. Diese umstrittenen Reformmaßnahmen stehen in direktem Zusammenhang mit internationalen Hilfszahlungen an den griechischen Staat.[12]

Der Staatsrat wies am 3. Juli 2015 Beschwerden zurück, die von zwei Bürgern mit dem Ziel eingereicht worden waren, dass das oberste Verwaltungsgericht Griechenlands das Referendum annullieren möge.[13] Die Fragestellung ist nach Ansicht der Kläger zu technisch für den kurzen Zeitraum und betreffe unzulässigerweise Fragen der Staatsfinanzen. Zwölf Anwälte hatten eine Gegenerklärung eingereicht, dass das Referendum zulässig sei, da es Fragen der Souveränität betreffe. [14] Der Gerichtshof wies die Klage ab und ließ das Referendum zu.[15]

Positionen zum Referendum

Demonstranten in Athen die sich für ein „Nein“ (ΟΧΙ) bei der Abstimmung aussprechen

Von den im Parlament vertretenen Parteien werben die beiden Regierungsparteien, die sozialistische SYRIZA[16][17] und die nationalkonservative ANEL[18], ferner die faschistische Chrysi Avgi[19] für ein „Nein“ zu der von den europäischen Institutionen vorgeschlagenen Vereinbarung. Die konservative Nea Dimokratia, die linksliberale To Potami und die sozialdemokratische PASOK lehnen zwar ein Referendum ab, treten jedoch für ein „Ja zu Europa und zum Euro“ ein.[20][21] Die kommunistische KKE ruft dazu auf, ungültig zu stimmen.[22]

In seiner Fernsehansprache vom 29. Juni 2015 erläuterte der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras den Hintergrund des Referendums. Seiner Ansicht nach könne das griechische Volk ein besseres Verhandlungsergebnis erzielen, wenn es den Vorschlag der drei Institutionen ablehne. Zugleich deutete Tsipras seinen Rücktritt an, falls die Bevölkerung mit „Ja“ stimmen sollte.[23][24]

Eine vor der Ankündigung des Referendums durchgeführte Meinungsumfrage des Instituts Alco vom 24. – 26. Juni 2015 ergab eine deutliche Mehrheit von 57 zu 29 Prozent dafür sich mit der Eurogruppe zu verständigen (Frage: „Verständigung oder Abbruch“) [25], bei einer Umfrage von Kapa Research, auch von 24. – 26. Juni 2015 durchgeführt, stimmten 47,2 gegen 33 Prozent einer Verständigung mit der Eurogruppe zu.[26] Eine weitere Meinungsumfrage, die am 3. Juli 2015 veröffentlicht wurde, ergab 44,8 % Jastimmen gegen 43,4 % Neinstimmen bei 11,8 % Unentschiedenen.[27]

Führende Politiker der Eurostaaten, wie der deutsche Vizekanzler und Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel, der italienische Premierminister Matteo Renzi und der französische Präsident François Hollande warnten öffentlich, dass ein „Nein“ bei dem Referendum zwangsläufig das Ausscheiden Griechenlands aus dem Euro-Währungsverbund bedeuten würde.[28] Der Präsident der Europäischen Kommission Jean-Claude Juncker sagte in einer Stellungnahme am 29. Juni 2015, dass von europäischer Seite alles versucht worden sei, Griechenland in der Eurozone zu halten und dass er sich durch seine griechischen Verhandlungspartner durch den Abbruch der Verhandlungen und die Ankündigung des Referendums „ein wenig verraten“ fühle.[29] Der Präsident des Europäischen Parlaments Martin Schulz (SPD) warf der Regierung Tsipras vor, sie habe eine Einigung im Schuldenstreit womöglich nie gewollt und bezeichnete das angekündigte Referendum als „manipulativ“.[30] Eurogruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem sprach die Möglichkeit eines Grexits an, sollten die Wähler in Griechenland beim Referendum mit „Nein“ stimmen.[31]

Der Europarat kritisierte den Termin des Referendums. Zwischen Ankündigung und Abstimmungstermin müssten zwei Wochen liegen, um den Wählern ausreichend Zeit für eine Meinungsbildung zu geben, forderte das Gremium. Der gewählte Termin verstoße daher gegen Europarat-Richtlinien.[32]

Am 1. Juli 2015 wies die Euro-Gruppe zwischenzeitliche Angebote der griechischen Regierung zurück und stellte Verhandlungen über weitere Hilfszahlungen bis zum Abschluss des Referendums zurück.[33]

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Tsipras kündigt Volksabstimmung an, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 26. Juni 2015
  2. Schuldenkrise: Griechisches Parlament stimmt für Referendum, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 28. Juni 2015
  3. What will Greeks vote on?, bloomberg.com, 27. Juni 2015
  4. Papandreou verzichtet auf Euro-Referendum, Die Zeit, 3. November 2011
  5. Krise in Griechenland: Ex-Premier Papandreou fordert Euro-Referendum, Spiegel Online, 4. Mai 2015.
  6. Verfassung Griechenlands in deutscher Übersetzung auf www.verfassungen.eu.
  7. Βενιζέλος: «Αντισυνταγματικό το δημοψήφισμα!» emea.gr, 27. Juni 2015, abgerufen am 27. Juni 2015 (griechisch).
  8. Griechischer Originaltext laut Dekret des Präsidenten der Republik:
    «Πρέπει να γίνει αποδεκτό το σχέδιο συμφωνίας το οποίο κατέθεσαν η Ευρωπαϊκή Επιτροπή, η Ευρωπαϊκή Κεντρική Τράπεζα και το Διεθνές Νομισματικό Ταμείο στο Eurogroup της 25ης Ιουνίου και αποτελείται από δύο μέρη τα οποία συγκροτούν την ενιαία πρότασή τους; Το πρώτο έγγραφο τιτλοφορείται «b» («Μεταρρυθμίσεις για την ολοκλήρωση του τρέχοντος προγράμματος και πέραν αυτού») και το δεύτερο «Preliminary Debt sustainability analysis» (Προκαταρκτική ανάλυση βιωσιμότητας χρέους). Οσοι από τους πολίτες της χώρας απορρίπτουν την πρόταση των θεσμών ψηφίζουν: ΔΕΝ ΕΓΚΡΙΝΕΤΑΙ/ΟΧΙ.
    Οσοι από τους πολίτες της χώρας συμφωνούν με την πρόταση των τριών θεσμών ψηφίζουν: ΕΓΚΡΙΝΕΤΑΙ/ΝΑΙ.»
    Dekret des Präsidenten der Republik vom 28. Juni 2015, wiedergegeben bei antenna.gr
  9. The Greek referendum question makes (almost) no sense. BBC News, 29. Juni 2015, abgerufen am 29. Juni 2015 (englisch).
  10. Warum die Griechen so gerne „Nein“ sagen. Abgerufen am 1. Juli 2015.
  11. Information from the European Commission on the latest draft proposals in the context of negotiations with Greece, Europäische Kommission, 28. Juni 2015
  12. Diesen Deal wollte Tsipras nicht Süddeutsche Zeitung vom 29. Juni 2015
  13. ekathimerinicom , **Council of State rejects appeal to suspend referendum, 3.Juli 2015
  14. Markus Bernath, Luise Ungerboeck: Referendum spaltet Griechenland und Europartner, Der Standard, 2. Juli 2015
  15. http://m.faz.net/aktuell/wirtschaft/eurokrise/griechenland/staatsrat-gericht-erlaubt-griechenland-referendum-13683265.html
  16. Τ. Κορωνάκης: Το περήφανο Όχι σημαίνει Αξιοπρέπεια, syriza.gr, 27. Juni 2015
  17. I Efimerida Πολιτική Γραμματεία ΣΥΡΙΖΑ: Καλεί το λαό να πει ηχηρό «όχι», iefimerida.gr, 27. Juni 2015
  18. Οι ΑΝΕΛ στηρίζουν το 'όχι' στην πρόταση των θεσμών, news247.gr, 27. Juni 2015
    Von den 13 Abgeordneten der ANEL rückten am 2.Juli 2015 allerdings vier von der Linie der Partei ab [1], Ta Nea, 2.Juli 2015
  19. Μιχαλολιάκος: Η Χρυσή Αυγή είναι υπέρ του δημοψηφίσματος, e-typos.com, 27. Juni 2015
  20. «Η κυβέρνηση εκτελεί σχέδιο εξόδου της χώρας από την Ευρώπη», real.gr, 27. Juni 2015
  21. ΝΔ - Ποτάμι - ΠΑΣΟΚ: Το ερώτημα είναι ναι ή όχι στο ευρώ, patrastimes.gr, 27. Juni 2015
  22. http://inter.kke.gr/de/articles/Das-Referendum-vom-5-Juli-und-die-Haltung-der-KKE/
  23. Ekathemerini vom 29. Juni 2015
  24. Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 30. Juni 2015
  25. Δημοσκόπηση Alco: Το 57 % θέλει συμφωνία, euro2day.gr, 27. Juni 2015
  26. Δημοσκόπηση: Μεγάλη η διαφορά υπέρ του «ναι» σε συμφωνία και ευρώ!, star.gr, 27. Juni 2015
  27. Ekathemerini vom 3. Juli 2015
  28. Greece crisis: No vote would mean euro exit, leaders warn. BBC News, 29. Juni 2015, abgerufen am 29. Juni 2015 (englisch).
  29. Rédaction de France Info: Crise grecque : Juncker se sent „trahi“, Obama et Hollande mobilisés. 29. Juni 2015, abgerufen am 1. Juli 2015 (französisch, Juncker sagte wörtlich: „Je me sens un peu trahi“ (Quelle mit Link zu Audio-Wiedergabe)).
  30. Schulz zu Griechen-Referendum: Frust und Enttäuschung. tagesschau.de, 2. Juli 2015, abgerufen am 2. Juli 2015.
  31. Vor griechischem Referendum: Dijsselbloem bringt Grexit ins Spiel. tagesschau.de, 2. Juli 2015, abgerufen am 2. Juli 2015.
  32. "Europarat kritisiert griechisches Referendum" Meldung der Nachrichtenagentur Reuters
  33. Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 1. Juli 2015