Die hamiltonsche Mechanik, benannt nach William Rowan Hamilton, ist ein Teilgebiet der klassischen Mechanik. Sie untersucht die Bewegung im Phasenraum. Dabei handelt es sich um die Menge der Paare von Orts- und Impulswerten, die man bei dem betrachteten System von Teilchen anfänglich frei vorgeben kann. Danach bestimmt die Hamilton-Funktion durch die hamiltonschen Bewegungsgleichungen, wie sich die Orte und Impulse der Teilchen (bei Vernachlässigung von Reibung) mit der Zeit ändern.
Die Bewegungsgleichungen wurden 1834 von William Rowan Hamilton angegeben.
Alle Bewegungsgleichungen, die aus einem Wirkungsprinzip folgen, kann man als dazu äquivalente hamiltonsche Bewegungsgleichungen formulieren. Diese haben zwei entscheidende Vorteile:
- Zum einen besagt der Satz von Liouville, dass die Bewegung im Phasenraum volumentreu ist. Daraus folgt, dass es bei der Bewegung im Phasenraum keine Wirbel und Staupunkte gibt, vergleichbar dem Fluss einer inkompressiblen Flüssigkeit.
- Zum anderen besitzen die hamiltonschen Bewegungsgleichungen eine große Gruppe von Transformationen, die kanonischen Transformationen, die es gestatten, sie in andere, manchmal lösbare hamiltonsche Gleichungen zu transformieren.
Mit den hamiltonschen Bewegungsgleichungen untersucht man insbesondere integrable und chaotische Bewegung und verwendet sie in der statistischen Physik.
Die Hamilton-Funktion eines Systems von Teilchen ist ihre Energie als Funktion des Phasenraumes. Sie hängt von den (verallgemeinerten) Ortskoordinaten und von den (verallgemeinerten) Impulskoordinaten der Teilchen ab und kann auch von der Zeit abhängen.
Die Zahl der Koordinaten und Impulse nennt man die Zahl der Freiheitsgrade. Der Phasenraum ist -dimensional.
Die Hamilton-Funktion bestimmt die zeitliche Entwicklung der Teilchenorte und Teilchenimpulse durch die hamiltonschen Bewegungsgleichungen:
Dies ist ein System gewöhnlicher Differentialgleichungen erster Ordnung für die unbekannten Funktionen der Zeit,
Wenn die Hamilton-Funktion nicht explizit von abhängt, dann schneiden sich die Lösungskurven nicht und es geht durch jeden Punkt des Phasenraums eine Lösungskurve.
Bei zeitabhängigen kann man die Zeit als einen zusätzlichen Freiheitsgrad mit zugehörigem Impuls und der zeitunabhängigen Hamilton-Funktion auffassen. Daher beschränken wir uns im Folgenden auf zeitunabhängige Hamilton-Funktionen. Allerdings ist die Funktion nicht nach unten beschränkt und die Hyperfläche konstanter Energie ist nicht, wie bei einigen Überlegungen vorausgesetzt, kompakt.
Bei einem Teilchen der Masse , das sich nichtrelativistisch in einem Potential bewegt, setzt sich die Hamilton-Funktion aus kinetischer und potentieller Energie zusammen:
Die zugehörigen hamiltonschen Bewegungsgleichungen
sind Newtons Gleichungen für die Bewegung in einem konservativen Kraftfeld,
Insbesondere ist die potentielle Energie eines eindimensionalen harmonischen Oszillators Die hookesche Federkraft in der Bewegungsgleichung
bewirkt, dass die Bahn um die Ruhelage schwingt,
Dabei ist die Amplitude und eine Zeit, zu der diese maximale Auslenkung durchlaufen wird.
Für ein relativistisches, freies Teilchen mit der Energie-Impuls-Beziehung ist die Hamilton-Funktion
Die hamiltonschen Bewegungsgleichungen besagen, wie die Geschwindigkeit mit dem Impuls zusammenhängt und dass sich der Impuls nicht mit der Zeit ändert:
Wenn die Hamilton-Funktion wie in diesen Beispielen nicht von der Zeit abhängt, behält das System von Teilchen seine anfängliche Energie, sie ist dann eine Erhaltungsgröße.
Die hamiltonschen Bewegungsgleichungen folgen aus dem hamiltonschen Prinzip der stationären Wirkung.
Von allen denkbaren Bahnen im Phasenraum,
die anfänglich zur Zeit durch den Anfangspunkt
und schließlich zur Zeit durch den Endpunkt
laufen, ist die physikalisch durchlaufene Bahn diejenige, auf der die Wirkung
stationär ist.
Betrachtet man nämlich eine einparametrige Schar von Kurven
die anfänglich zur Zeit durch den Anfangspunkt
und schließlich zur Zeit durch den Endpunkt
laufen, so ist die Wirkung für extremal, falls dort die Ableitung nach verschwindet.
Wir bezeichnen diese Ableitung als Variation der Wirkung
Ebenso ist
die Variation des Ortes und
die Variation des Impulses.
Die Variation der Wirkung ist nach der Kettenregel
Den zweiten Term schreiben wir als vollständige Zeitableitung und einen Term, bei dem ohne Zeitableitung auftritt:
Das Integral über die vollständige Ableitung ergibt zur Anfangs- und Endzeit und verschwindet, weil dann verschwindet, denn es gehen alle Kurven der Schar durch dieselben Anfangs- und Endpunkte. Fassen wir schließlich die Terme mit und zusammen, so beträgt die Variation der Wirkung
Damit die Wirkung stationär ist, muss dieses Integral für alle und alle verschwinden, die anfänglich und schließlich verschwinden. Das ist genau dann der Fall, wenn die Faktoren verschwinden, mit denen sie im Integral auftreten:
Die Wirkung ist also stationär, wenn die hamiltonschen Bewegungsgleichungen gelten.
Die Hamilton-Funktion ist die bezüglich der Geschwindigkeiten Legendre-Transformierte der Lagrange-Funktion
Dabei sind auf der rechten Seite mit den Geschwindigkeiten diejenigen Funktionen gemeint, die man erhält, wenn man die Definition der Impulse
nach den Geschwindigkeiten auflöst.
Wenn man die Definition der Impulse invertieren und nach den Geschwindigkeiten auflösen kann, dann gelten die hamiltonschen Bewegungsgleichungen genau dann, wenn die Euler-Lagrange-Gleichungen der Wirkung
erfüllt sind.
Denn die partielle Ableitung von nach den Impulsen ergibt nach der Kettenregel und der Definition der Impulse
Ebenso ergibt die Ableitung nach den Ortskoordinaten
Die Euler-Lagrange-Gleichung besagt
Also gelten die hamiltonschen Bewegungsgleichungen, wenn die Euler-Lagrange-Gleichung gilt. Umgekehrt gilt die Euler-Lagrange-Gleichung, wenn die hamiltonschen Bewegungsgleichungen gelten.
Beispielsweise hängt beim freien relativistischen Teilchen mit der Lagrangefunktion
der Impuls gemäß
von der Geschwindigkeit ab. Umgekehrt ist die Geschwindigkeit daher die Funktion
des Impulses. In die obige Gleichung für eingesetzt ergibt sich die schon angegebene Hamilton-Funktion des freien, relativistischen Teilchens.
Hängt die Lagrangefunktion nicht explizit von der Zeit ab, dann besagt das Noether-Theorem, dass die Energie
auf den physikalischen Bahnen ihren anfänglichen Wert behält. Der Vergleich mit der Legendre-Transformation zeigt, dass es sich bei der Hamilton-Funktion um diese Energie handelt, bei der die Geschwindigkeiten als Funktion der Impulse aufzufassen sind:
Der Wert einer Phasenraumfunktion ändert sich auf Bahnen mit der Zeit dadurch, dass er explizit von abhängt und dadurch, dass sich der Bahnpunkt ändert:
Die physikalisch durchlaufenen Bahnen genügen den hamiltonschen Bewegungsgleichungen:
Mit der von Siméon Denis Poisson eingeführten Poisson-Klammer zweier Phasenraumfunktionen und
gilt also
Mit Poisson-Klammern geschrieben gleicht das Formelbild der hamiltonschen Bewegungsgleichungen den heisenbergschen Bewegungsgleichungen der Quantenmechanik.
Als Koordinatenfunktionen aufgefasst haben die Phasenraumkoordinaten die Poisson-Klammern
Ihnen entsprechen in der Quantenmechanik nach kanonischer Quantisierung die kanonischen Vertauschungsrelationen.
Die Poisson-Klammer ist antisymmetrisch, linear und genügt der Produktregel und der Jacobi-Identität.
Für alle Zahlen und und alle Phasenraumfunktionen gilt
Die differenzierbaren Phasenraumfunktionen bilden eine Lie-Algebra mit der Poisson-Klammer als Lie-Produkt.
Zu jeder (zeitunabhängigen) Phasenraumfunktion gehört das Vektorfeld
das Phasenraumfunktionen längs der Kurven ableitet, die die hamiltonschen Gleichungen mit lösen.
Die Abbildung der Anfangswerte der Lösungskurven auf ist der zu gehörige hamiltonsche Fluss.
Der Phasenraum mit seiner Poisson-Klammer ist eine symplektische Mannigfaltigkeit mit der symplektischen Form
Angewendet auf die zu und gehörigen Vektorfelder ergibt diese Zweiform die Poisson-Klammer der beiden Funktionen:
Die symplektische Form ist invariant unter jedem hamiltonschen Fluss. Dies besagt Folgendes:
Ist anfänglich eine zweidimensionale Fläche im Phasenraum gegeben, dann wird sie mit der Zeit durch den hamiltonschen Fluss einer Phasenraumfunktion auf die Fläche abgebildet. Die mit der symplektischen Form gemessene Größe der Anfangsfläche stimmt mit der Größe zu jeder späteren Zeit überein. Hamiltonscher Fluss ist flächentreu:
Da das Flächenelement invariant ist, ist auch das Volumenelement invariant unter hamiltonschem Fluss. Dieser Befund ist Liouvilles Theorem. Das Volumen eines Bereichs des Phasenraumes ändert sich nicht bei hamiltonscher Zeitentwicklung:
Insbesondere bleibt der Bereich, innerhalb dessen sich das System anfänglich wegen der Messfehler befindet, gleich groß. Daraus kann man allerdings nicht schließen, dass sich anfängliche Unkenntnis nicht vergrößert. Bei chaotischer Bewegung können Anfangswerte, die sich zunächst nur durch kleine Messfehler unterschieden, auf einen großen Bereich mit vielen kleinen Löchern wie Schlagsahne verteilt werden. Auch Schlagen von Sahne vergrößert ihr mikroskopisch ermitteltes Volumen nicht.
Die Hamilton-Gleichungen vereinfachen sich, falls die Hamilton-Funktion von einer Variablen, beispielsweise nicht abhängt. Dann liegt eine Symmetrie vor: die Hamilton-Funktion ist invariant unter der Verschiebung von Umgekehrt können bei Vorliegen einer Symmetrie (in einer Umgebung eines Punktes, der kein Fixpunkt ist) die Orts- und Impulsvariablen so gewählt werden, dass die Hamilton-Funktion von einer Variablen nicht abhängt. Dann ist einfach
Die Bewegungsgleichungen sind integrabel, wenn die Hamilton-Funktion nur von den Impulsen abhängt. Dann sind die Impulse konstant und die Ableitungen der Hamilton-Funktion nach den Impulsen sind die zeitlich konstanten Geschwindigkeiten, mit denen die Koordinaten linear zunehmen,
Ist zudem die Phasenraumfläche konstanter Energie kompakt, dann handelt es sich bei den Koordinaten um die Winkel auf einem Torus, die um vergrößert wieder denselben Punkt benennen,
Der Phasenraum solch eines integrablen Systems besteht aus -dimensionalen Tori, um die sich die Lösungskurven der hamiltonschen Gleichungen winden.
So wie in der Mechanik die Hamilton-Funktion die Zeitentwicklung bestimmt, so bestimmt der Hamilton-Operator die Zeitentwicklung in der Quantenmechanik. Man erhält ihn für viele quantenmechanische Systeme aus der Hamilton-Funktion des entsprechenden klassischen Systems durch kanonische Quantisierung, indem man den algebraischen Ausdruck für als Funktion von Operatoren und liest, die den kanonischen Vertauschungsrelationen genügen.