„Hochtemperaturreaktor“ – Versionsunterschied

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Helium bietet im Vergleich zu [[Kohlenstoffdioxid]] (CO<sub>2</sub>), das in anderen gasgekühlten Reaktoren verwendet wird, die zusätzlichen Vorteile, dass es nicht chemisch verändert oder zersetzt werden kann und durch [[Neutron]]enbestrahlung praktisch nicht [[Aktivierung (Radioaktivität)|aktiviert]] wird (nur aus dem sehr kleinen Helium-3-Anteil von 0,00014 % entsteht [[Tritium]]). Dem stehen als Nachteile gegenüber, dass in reinem Helium die Oxid-Schutzschichten auf Metallen zerstört werden – geringe Mengen an Korrosionsmittel wie Wasserdampf im Helium können dies zwar beheben, aber nur auf Kosten einer ständigen Korrosion der Graphitkomponenten durch das Korrosionsmittel – und dass Helium als einatomiges Gas sehr leicht durch feste Materialien diffundiert, so dass Dichtigkeit gegen Helium schwer erreichbar ist. Der AVR-Reaktor (siehe unten) verlor 1 % seines Kühlmittels pro Tag, für neuere Reaktoren rechnet man mit 0,3 % pro Tag.
Helium bietet im Vergleich zu [[Kohlenstoffdioxid]] (CO<sub>2</sub>), das in anderen gasgekühlten Reaktoren verwendet wird, die zusätzlichen Vorteile, dass es nicht chemisch verändert oder zersetzt werden kann und durch [[Neutron]]enbestrahlung praktisch nicht [[Aktivierung (Radioaktivität)|aktiviert]] wird (nur aus dem sehr kleinen Helium-3-Anteil von 0,00014 % entsteht [[Tritium]]). Dem stehen als Nachteile gegenüber, dass in reinem Helium die Oxid-Schutzschichten auf Metallen zerstört werden – geringe Mengen an Korrosionsmittel wie Wasserdampf im Helium können dies zwar beheben, aber nur auf Kosten einer ständigen Korrosion der Graphitkomponenten durch das Korrosionsmittel – und dass Helium als einatomiges Gas sehr leicht durch feste Materialien diffundiert, so dass Dichtigkeit gegen Helium schwer erreichbar ist. Der AVR-Reaktor (siehe unten) verlor 1 % seines Kühlmittels pro Tag, für neuere Reaktoren rechnet man mit 0,3 % pro Tag.


=== Brennstoff, Moderator und Strukturmaterial ===
=== Brennstoff, Deine Mutter !! ===
Der [[Kernbrennstoff]] wird in Form von ''coated particles'' (siehe [[Pac-Kügelchen]]) verwendet, deren Pyrokohlenstoff- und Siliziumcarbid-Hüllen den Austritt von Spaltprodukten verhindern sollen und so die sonst üblichen Brennstabhüllen ersetzen. Die Kügelchen werden mit weiterem Graphit als Strukturmaterial umhüllt. Mit derartigem Brennstoff sind höhere [[Abbrand (Kerntechnik)|Abbrände]] als bei [[Leichtwasserreaktor]]en erreichbar<ref>Massimo (s. Literaturliste) S. x</ref>. Der Wegfall der metallischen Hüllrohre verbessert die Neutronenbilanz im Reaktor, denn die Neutronenabsorption im Graphit ist geringer als in den Hüllrohrwerkstoffen<ref>Massimo (s. Literaturliste) S. x</ref>.
Der [[Kernbrennstoff]] wird in Form von ''coated particles'' (siehe [[Pac-Kügelchen]]) verwendet, deren Pyrokohlenstoff- und Siliziumcarbid-Hüllen den Austritt von Spaltprodukten verhindern sollen und so die sonst üblichen Brennstabhüllen ersetzen. Die Kügelchen werden mit weiterem Graphit als Strukturmaterial umhüllt. Mit derartigem Brennstoff sind höhere [[Abbrand (Kerntechnik)|Abbrände]] als bei [[Leichtwasserreaktor]]en erreichbar<ref>Massimo (s. Literaturliste) S. x</ref>. Der Wegfall der metallischen Hüllrohre verbessert die Neutronenbilanz im Reaktor, denn die Neutronenabsorption im Graphit ist geringer als in den Hüllrohrwerkstoffen<ref>Massimo (s. Literaturliste) S. x</ref>.



Version vom 1. Juni 2012, 12:08 Uhr

Moderatorkugel aus Graphit für Kugelhaufenreaktoren

Als Hochtemperaturreaktor (HTR) werden Kernreaktoren bezeichnet, die wesentlich höhere Arbeitstemperaturen ermöglichen als andere bekannte Reaktortypen. Erreicht wird dies durch die Verwendung eines gasförmigen Kühlmittels, Graphits als Moderator und keramischer statt metallischer Werkstoffe im Reaktorkern.

Die Bezeichnung Hochtemperaturreaktor wird im Deutschen oft gleichbedeutend mit Kugelhaufenreaktor benutzt. Dieser ist jedoch nur eine von verschiedenen möglichen Bauformen des HTR (siehe unten).

Verschiedene Hochtemperaturreaktoren waren als Prototypen und Versuchsreaktoren jahrelang in Betrieb, jedoch hat sich das Konzept bis heute wegen verschiedener Schwierigkeiten und Pannen im praktischen Betrieb nicht durchgesetzt.

Zweck der höheren Temperatur

Eine möglichst hohe Kühlmittelaustrittstemperatur (also die Temperatur, mit der das Kühlmittel den Reaktorkern verlässt) ist aus zwei Gründen erwünscht:

  • Falls der Reaktor zur Stromerzeugung dient, macht eine höhere Kühlmittelaustrittstemperatur – wie bei jedem anderen Wärmekraftwerk – die Energiegewinnung wirtschaftlicher, da sie bei der Umwandlung der Wärmeleistung in mechanische Leistung einen höheren thermischen Wirkungsgrad ermöglicht.
  • Reaktoren mit genügend hoher Kühlmittelaustrittstemperatur können nicht nur zur Stromerzeugung, sondern auch zur Lieferung von Prozesswärme genutzt werden.

Die in der Tabelle genannten Wirkungsgrade sind die theoretischen Maxima. Die technisch erreichten Wirkungsgrade liegen stets tiefer. Der THTR-300 (siehe unten) erreichte knapp 40 %. Reale Wirkungsgrade von Leichtwasserreaktorkraftwerken liegen bei 33 %, die bisher höchsten realen Wirkungsgrade von Kernkraftwerken erreichten mit 42 % britische Advanced Gas-cooled Reactors.

Maximale Kühlmitteltemperaturen[1] und damit theoretisch erreichbarer Wirkungsgrad (bei 25 °C Umgebungstemperatur)
Reaktortyp Temperatur (°C) Carnot-Wirkungsgrad
Siedewasserreaktor 285 47 %
RBMK 285 47 %
CANDU-Reaktor 300 48 %
Druckwasserreaktor 320 50 %
Brutreaktor, natriumgekühlt 550 64 %
Advanced Gas-cooled Reactor 650 68 %
Hochtemperaturreaktor 750 71 %

Ausführung

Kühlmittel

Gas statt einer Flüssigkeit als Kühlmittel verringert sehr wirksam die mechanische Abnutzung und die Korrosion der umströmten Teile. Die bisher bekannt gewordenen HTR-Konstruktionen verwenden das Edelgas Helium.

Helium bietet im Vergleich zu Kohlenstoffdioxid (CO2), das in anderen gasgekühlten Reaktoren verwendet wird, die zusätzlichen Vorteile, dass es nicht chemisch verändert oder zersetzt werden kann und durch Neutronenbestrahlung praktisch nicht aktiviert wird (nur aus dem sehr kleinen Helium-3-Anteil von 0,00014 % entsteht Tritium). Dem stehen als Nachteile gegenüber, dass in reinem Helium die Oxid-Schutzschichten auf Metallen zerstört werden – geringe Mengen an Korrosionsmittel wie Wasserdampf im Helium können dies zwar beheben, aber nur auf Kosten einer ständigen Korrosion der Graphitkomponenten durch das Korrosionsmittel – und dass Helium als einatomiges Gas sehr leicht durch feste Materialien diffundiert, so dass Dichtigkeit gegen Helium schwer erreichbar ist. Der AVR-Reaktor (siehe unten) verlor 1 % seines Kühlmittels pro Tag, für neuere Reaktoren rechnet man mit 0,3 % pro Tag.

Brennstoff, Deine Mutter !!

Der Kernbrennstoff wird in Form von coated particles (siehe Pac-Kügelchen) verwendet, deren Pyrokohlenstoff- und Siliziumcarbid-Hüllen den Austritt von Spaltprodukten verhindern sollen und so die sonst üblichen Brennstabhüllen ersetzen. Die Kügelchen werden mit weiterem Graphit als Strukturmaterial umhüllt. Mit derartigem Brennstoff sind höhere Abbrände als bei Leichtwasserreaktoren erreichbar[2]. Der Wegfall der metallischen Hüllrohre verbessert die Neutronenbilanz im Reaktor, denn die Neutronenabsorption im Graphit ist geringer als in den Hüllrohrwerkstoffen[3].

In allen Prototyp-HTR enthielten die überwiegende Zahl der Brennstoffkügelchen hochangereichertes, also waffenfähiges Uran und Thorium im Verhältnis 1:5 bis 1:10. Aus dem Thorium wird durch Neutroneneinfang und anschließende Betazerfälle Uran-233 erbrütet. Das Uran-233 wird teilweise zusätzlich zum Uran-235 gespalten und so direkt zur Energiegewinnung mit ausgenutzt; das entspricht dem Erbrüten und der Verbrennung des Plutoniums bei Verwendung von Uran-238 als Brutmaterial im Standardbrennstoff.

Als Moderator und zugleich als Strukturmaterial im Reaktorkern dient Graphit, also reiner Kohlenstoff. Zur Brennelementherstellung werden die Brennstoffkügelchen in eine Masse aus Graphitpulver und Kunstharz eingebracht. Diese wird dann in der gewünschten Form des Brennelements durch Druck verfestigt und das Harz bei hoher Temperatur unter Luftabschluss ebenfalls in Kohlenstoff umgewandelt.

Zwei verschiedene geometrische Formen der Brennelemente sind erprobt worden:

  • in Großbritannien und USA prismatische Blöcke,
  • in Deutschland tennisballgroße Kugeln, die im Reaktorbehälter eine lose Schüttung bilden (Kugelhaufenreaktor).

Die Kugel-Brennelemente können während des laufenden Betriebes von oben nachgefüllt und unten entnommen werden. Ist der Brennstoff noch unverbraucht, werden die Brennelemente oben wieder zugegeben, andernfalls aus dem Reaktor ausgeschleust. Der Kugelhaufenreaktor hat dadurch den Sicherheitsvorteil, dass er nicht wie andere Reaktoren mit einem größeren Brennstoffvorrat für z. B. ein ganzes Betriebsjahr beladen werden muss. Wird diese Möglichkeit ausgenutzt, müssen allerdings Zufuhr und Entnahme der Brennelemente ständig funktionieren, damit der Reaktor nicht unterkritisch wird. Ein Nachteil liegt darin, dass Reaktoren mit einer solchen Betriebsweise (ähnlich auch CANDU und RBMK) grundsätzlich zur Erzeugung von waffengeeignetem Plutonium zugleich mit der Stromerzeugung genutzt werden können (siehe unten, Proliferationsgefahr). Ein weiterer wesentlicher Nachteil liegt darin, dass sich bei einem ständig bewegten Reaktorkern mit Brennelementen von unterschiedlichem Abbrand Unsicherheiten hinsichtlich der Brennstoffverteilung ergeben.

Im Betrieb der bisherigen Kugelhaufenreaktoren haben sich dieses Kugelfließen und die Kugelentnahme als Schwachstellen herausgestellt. Über der Entnahmestelle bildeten sich häufig stabile, gewölbeartige Kugelpackungen, die das "Fließen" der Schüttung verhinderten und so die planmäßige Entnahme unmöglich machten. Außerdem fließen die Kugeln sehr ungleichmäßig [4], was zu zusätzlichen Störungen in der Kernbrennstoffverteilung führt.

Derzeitige Kugelbrennelemente erlauben, wie Auswertungen von AVR-Erfahrungen[5] sowie Nachuntersuchungen von bestrahlten modernen Brennelementen[6] 2008–2010 ergeben haben, nur Nutztemperaturen von unter 750°C, da sonst zu viele radioaktive metallische Spaltprodukte aus den Brennelementen freigesetzt werden. Damit sind die bisher avisierten innovativen Prozesswärmeanwendungen wie Kohlevergasung zur Treibstofferzeugung oder Wasserstofferzeugung durch Wasserspaltung außerhalb der aktuellen Möglichkeiten von Kugelhaufenreaktoren, da sie Nutztemperaturen von ca. 1000°C erfordern. Gleiches gilt für Stromerzeugung mit Helium-Gasturbinen, die nur bei Temperaturen > 850°C Wirkungsgradvorteile bietet. Wichtige Alleinstellungsmerkmale der Kugelhaufentechnologie sind damit in Frage gestellt und der VHTR (Very High Temperature Reactor), der im Rahmen des Generation-IV Nuklearverbunds entwickelt werden sollte, ist in weitere Ferne gerückt. Ob Prozesswärmeanwendungen bei niedrigen Temperaturen (wie z. B. Prozessdampfnutzung zur Ausbeutung von Ölschiefern) mit Kugelhaufenreaktoren wirtschaftlich sein können, ist noch unklar.

Leistungsdichte und Sicherheitseigenschaften

Die Wärmeleistungsdichte im HTR-Kern ist sehr viel geringer als bei herkömmlichen Reaktoren, max. etwa 6 MW/m³ gegenüber beispielsweise 100 MW/m³ bei Druckwasserreaktoren. Dies bedeutet einerseits, dass ein HTR-Kern und der gesamte Reaktor für eine vorgegebene Reaktorleistung größer sind als ein vergleichbarer Reaktor anderen Typs, so dass die Bau- und die Entsorgungskosten entsprechend höher liegen. Andererseits liegt in der geringen Leistungsdichte ein erheblicher Sicherheitsvorteil. Die Wärmekapazität der großen Graphitmasse zusammen mit der Temperaturbeständigkeit von Graphit bewirkt, dass ein kleiner HTR sich bei Kühlungsverluststörfällen und einigen Typen von Reaktivitätsstörfällen („Leistungsexkursionen“) sehr unempfindlich verhält.[7] Ein zu schneller Reaktivitätseintrag – z. B. durch sehr schnelles Ausfahren der Steuerstäbe, das sich aber durch konstruktive Maßnahmen weniger wahrscheinlich machen lässt – hätte aber auch beim HTR gravierende Folgen wie etwa ein Platzen der Brennelemente eventuell sogar gefolgt von einem Behälterbersten.

Von Seiten der Kugelhaufenbefürworter wurde wegen der vorgenannten positiven Sicherheitseigenschaften häufig angeführt, dass Kugelhaufenreaktoren sich inhärent sicher und sogar katastrophenfrei konstruieren lassen.[8] Dieser Anspruch ist selbst bei den Befürwortern der Nukleartechnologienutzung umstritten: Häufiges Gegenargument ist, dass ein Kugelhaufen-HTR zwar keine Kernschmelze kennt, aber dafür andere sehr schwere Störfälle vorkommen können, die es wiederum in Leichtwasserreaktoren nicht gibt.[9]

Zusätzliche Unfallrisiken bestehen durch Luft- und Wassereinbrüche (siehe Störfall im AVR Jülich). Ein bei Luftzutritt denkbarer Brand der großen Graphitmenge könnte ähnlich wie bei der Katastrophe von Tschernobyl zur weiträumigen Verteilung gefährlicher Radioaktivitätsmengen führen. Wassereinbrüche können unter Umständen zur prompten Überkritikalität führen, ähnlich wie ein positiver Kühlmittelverlustkoeffizient in Reaktoren mit flüssigem Kühlmittel, oder zu chemischen Explosionen.[10][5] Prompte Überkritikalität beim Wassereinbruch im Kugelhaufenreaktor wurde nach dem Tschernobyl-Unfall verstärkt untersucht, da es Ähnlichkeiten von RBMK-Reaktor einerseits und Kugelhaufenreaktor bei Wassereinbruch andererseits gibt.[11][12][13] Die Ergebnisse zeigen, dass es oberhalb eines Wassergehaltes von 50 kg/m³ im Leervolumen des Reaktorkerns zu einem positiven Temperaturkoeffizienten kommt. Solche Wasserdichten sind beim Kugelhaufenreaktoren nur mit flüssigem Wasser im Kern möglich. Weiterhin reicht die dabei mögliche Reaktivitätszunahme tief in den prompt überkritischen Bereich hinein (keff bis 1,04), sodass eine nukleare Leistungsexkursion eintreten kann. Die Dopplerverbreiterung würde zwar die nukleare Leistungsexkursion bremsen, aber ein vor Zerstörung des Reaktors wirksamer Effekt wäre in vielen Fällen nicht zu erwarten: Unter ungünstigen Bedingungen würde nämlich erst ein Temperaturanstieg im Brennstoff um ca. 2500°C die Leistungsexkursion stoppen.[11] Ein Sicherheitsgutachten von 1988 spricht daher vom Chernobyl-Syndrom des Kugelhaufenreaktors.[12] Zur Wahrscheinlichkeit solcher Unfallszenarien gilt einerseits, dass Feuchtedetektion im Helium vom Reaktorschutzsystem mit Schnellabschaltung beantwortet wird. Andererseits hat es 1978 beim Jülicher Kugelhaufenreaktor AVR durch menschliches Versagen für ca. drei Tage einen nuklearen Betrieb gegeben, während flüssiges Wasser in den Reaktor strömte.[12] Ein anderes untersuchtes Störfallszenario mit dem Potential einer prompten Überkritikalität betrifft das Anfahren des Reaktors mit Brennelementen, die störfallbedingt mit Wasser vollgesogen sind.

Verbleib des abgebrannten Brennstoffs

Die mechanische, thermische und chemische Beständigkeit der Brennstoffkügelchen und die Dichtheit gegen Austritt von Spaltprodukten hat eine Kehrseite: eine Wiederaufarbeitung der gebrauchten HTR-Brennelemente ist sehr kostspielig. Eine wirtschaftliche Energieversorgung mit HTR setzt also die Entscheidung für die direkte Endlagerung des Atommülls voraus.

Proliferationsgefahr

Speziell beim Kugelhaufenreaktor kann durch geringe Verweildauer des einzelnen Brennelements erreicht werden, dass relativ reines Plutonium-239 oder (bei Verwendung von Thorium als Brutstoff) Uran-233, also für Kernwaffen geeigneter Brennstoff entsteht. Wird der erhöhte Aufwand der Aufarbeitung in Kauf genommen, kann dieser Reaktortyp also ähnlich den CANDU- und RBMK-Reaktoren ein Proliferationsrisiko darstellen.[14]

Versuchs- und Prototypanlagen in Europa und den USA

Hochtemperaturreaktor AVR im Forschungszentrum Jülich

In den 1960er Jahren ging der Versuchs-HTR DRAGON in Winfrith, Großbritannien, in Betrieb. Er hatte prismatische Brennelemente und 20 MW Wärmeleistung.

Es folgten vier HTR-Prototypkraftwerke:

  • Kernkraftwerk Peach Bottom in USA (prismatische Brennelemente, elektrische Leistung 42 MW),
  • AVR in Jülich, Deutschland (Kugelbrennelemente, elektrische Leistung 15 MW)

und in den 1970er Jahren

Eine Rückschau auf den Versuchsbetrieb des AVR legte der Verein Deutscher Ingenieure VDI 1990 vor [15]

Störfälle und Probleme

Beim AVR in Jülich kam es am 13. Mai 1978[16] zu einem gefährlichen Störfall: infolge eines länger unbemerkten Lecks im Überhitzerteil des Dampferzeugers traten 27,5 t Wasser in den He-Primärkreislauf und damit in den Reaktorkern ein.[17] Dies ist einer der gefährlichsten Störfälle für einen Hochtemperaturreaktor: wegen des positiven Reaktivitätseffekts des Wassers (Möglichkeit einer prompten Überkritikalität des Reaktors) und der möglichen chemischen Reaktion des Wassers mit dem Graphit können explosionsfähige Gase entstehen. Der Störfall blieb wahrscheinlich nur deshalb ohne schwere Folgen, weil der Kern nur Temperaturen unter 500 °C aufwies und weil das Leck klein blieb.

Im Jahr 1999 wurde entdeckt, dass der AVR-Bodenreflektor, auf dem der Kugelhaufen ruht, im Betrieb zerbrochen war und dass sich einige hundert Brennelemente im entstandenen Riss verklemmt haben.[18]. Die Brennelemente konnten großenteils nicht entfernt werden.

2008 erschien ein Bericht von Rainer Moormann, Mitarbeiter im Forschungszentrum Jülich, in dem die übermäßige radioaktive Kontamination des Reaktors auf die bei diesem Reaktortyp prinzipiell unzureichende Überwachung des Reaktorkerns sowie einen länger andauernden Betrieb bei unzulässig hohen Temperaturen zurückgeführt wird. Dies habe u. a. dazu geführt, dass Spaltprodukte aus den Graphitkugeln austreten konnten. Moormann stellt die Frage, ob das Kugelhaufenprinzip überhaupt verantwortbar ist: er sieht grundsätzliche Probleme von Kugelhaufenreaktoren, nicht nur ein AVR-Problem.[19][20] Moormann hält die Charakterisierung des Kugelhaufenreaktors als katastrophenfrei und inhärent sicher für wissenschaftlich unredlich, unter anderem da die oben dargestellten Risiken durch Wasser- und Lufteinbrüche dabei ausser Acht gelassen werden. Der ehemalige Chef-Konstrukteur des damaligen Bau-Konsortiums Dr. Urban Cleve verweist hingegen auf den ursprünglichen Sicherheitsbericht, der diese Störfälle seiner Aussage nach bereits mit betrachtete und verneint daher jegliche Gefährdung.[21] Während die Einlässe von Rainer Moormann aus der deutschen Kugelhaufencommunity als Äusserungen eines „Demagogen, der den sichersten Reaktor der Welt in den Schmutz gezogen hat“ bezeichnet wurden[22], sieht die amerikanische LaRouche-Bewegung, die sich seit langem für Kugelhaufenreaktoren einsetzt, auch positive Aspekte mit der Begründung, dass alle Erkenntnisse zum Versuchskernkraftwerk AVR zukünftig zu einer besseren Konzeption des Hochtemperaturreaktors führen könnten.[23]

Entwicklung des Kugelhaufenkonzepts

Die ersten grundlegenden Arbeiten und Patente zu Kugelhaufenreaktoren gehen auf den US-Wissenschaftler Farrington Daniels aus den 1940er Jahren zurück. Er initiierte zu dem damals auch Daniels pile genannten Kugelhaufenreaktor Forschungsarbeiten im Oak Ridge National Laboratory, die jedoch bald zugunsten von Leichtwasserreaktoren beendet wurden.[9][24]

Weitreichende Entwicklungsarbeiten zum Kugelhaufenkonzept stammen von Rudolf Schulten und Mitarbeitern aus dem Forschungszentrum Jülich, wo der Kugelhaufenreaktor bis 1989 das zentrale Forschungsgebiet darstellte.

Nach der 1989 erfolgten Stilllegung des THTR-300 nach nur 14 Monaten von Problemen begleitetem Volllastbetrieb wurde die staatliche Förderung für Kugelhaufenreaktoren in Deutschland stark eingeschränkt. Heute (2011) wird am Kugelhaufen-HTR-Konzept in Deutschland nur noch in kleinem Umfang geforscht: So wird am Forschungszentrum Jülich der Großversuchsstand NACOK zur Untersuchung von Kugelhaufenreaktor-Problemen betrieben.[25]

Deutsche Forschungszentren und Unternehmen sind oder waren an Projekten in der Volksrepublik China, Südafrika und Indonesien beteiligt, wo die Technik unter dem internationalen Namen PBMR (Pebble Bed Modular Reactor) bekannt ist. Die Entwicklung geht in Richtung kleinerer, dezentral untergebrachter und angeblich inhärent sicherer Reaktoren. Durch besonders geringe Leistungsdichte sollen Gefahren vermieden werden, und durch die Modularität und den gleichen Aufbau der Kleinreaktoren sollen diese billig in größeren Mengen herstellbar werden. Geringe Leistungsdichte vergrößert jedoch die Entsorgungsprobleme durch das zwangsläufig größere Abfallvolumen.

Die südafrikanische Regierung beendete im September 2010 das PBMR-Kugelhaufenreaktorprojekt nach Investitionen von ca. 1.5 Mrd €, da sich weder weitere Investoren noch Kunden finden ließen.[26]

Entwicklungsarbeiten zu Hochtemperaturreaktoren (in Kugelhaufen- oder anderer Bauweise) werden noch beim MIT, der General Atomics (USA), der Romaha B. V. (Niederlande) und bei AREVA in Frankreich[27][28] durchgeführt.

In den USA wurde seit 2005 an einem fortgeschrittenen Kugelhaufenreaktor (PB-AHTR) gearbeitet, der einige sicherheitstechnische Nachteile des Standardkonzepts beseitigen soll: Der PB-AHTR sollte nicht mit Helium, sondern mit einer Salzschmelze gekühlt werden, was nahezu drucklosen Betrieb ermöglicht. Außerdem sollten die Kugeln in Kanälen geführt werden, was ein geregelteres Fließverhalten gestattet.[29]

In den USA wurde Anfang 2012 jedoch entschieden, die Entwicklungsarbeiten für das NGNP-Projekt, welches einen Hochtemperaturreaktor der 4. Generation zur Wasserstofferzeugung zum Ziel hat, auf der Basis des französischen ANTARES-Konzepts mit prismatischen Brennelementen fortzuführen und die bisher ebenfalls verfolgte Kugelhaufenreaktoroption zurückzustellen.[30] Der für ca. 2027 geplante NGNP-Reaktor soll jedoch, aus den im Abschnitt "Brennstoff, Moderator und Strukturmaterial" genannten Gründen, im ersten Schritt auf eine Nutztemperatur von 750°C beschränkt bleiben und damit noch keine Wasserstofferzeugung durch Wasserspaltung ermöglichen.

2003 gab die chinesische Regierung bekannt, bis zum Jahr 2020 dreißig Kernreaktoren dieses Typs errichten zu wollen. Der Baubeginn eines Prototyp-Kraftwerks (HTR-PM)[31] mit einer thermischen Leistung von 250 MW war 2008. Experimente am kleinen Kugelhaufenreaktors HTR-10 nahe Peking, der seit 2003 in Betrieb ist, sind Gegenstand zahlreicher Veröffentlichungen.[32] Seit 2005 ist der HTR-10 nur noch selten in Betrieb, was von Kugelhaufenbefürwortern auf die Priorisierung des HTR-PM zurückgeführt wird, von Kritikern aber mit technischen Problemen beim Kugelumwälzen in Verbindung gebracht wird.

Im April 2011 gaben Nuklearwissenschaftler der TU Dresden bekannt, dass es in Polen Überlegungen gibt, an der Grenze zu Deutschland einen Kugelhaufenreaktor zu bauen. Die “Leipziger Volkszeitung” berichtete von Gesprächen zwischen der TU Dresden und polnischen Vertretern.[33] Nach polnischen Angaben beziehen sich die Überlegungen allerdings erst auf einen Zeitraum ab 2043.

Siehe auch

Literatur

Weblinks

Wiktionary: Hochtemperaturreaktor – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

  1. Kugeler u. Schulten (s. Literaturliste) S. 2
  2. Massimo (s. Literaturliste) S. x
  3. Massimo (s. Literaturliste) S. x
  4. W.Scherer, Die zähe Flüssigkeit als Modell für das Kugelfließen in Hochtemperaturreaktoren, Bericht Jül-2331 (1989)
  5. a b R. Moormann: AVR prototype pebble bed reactor
  6. http://darwin.bth.rwth-aachen.de/opus3/volltexte/2010/3307/pdf/3307.pdf
  7. Massimo (s. Literaturliste) S. x
  8. K. Kugeler: Gibt es den katastrophenfreien Kernreaktor? In: Physikalische Blätter 57 (2001) No 11 S. 34 ff (Online (abgerufen 18. Februar 2012)
  9. a b Ulrich Kirchner, Der Hochtemperaturreaktor, Campus Forschung Bd. 667 (1991)
  10. R. Moormann: PBR safety revisited
  11. a b J.Szabo et al.: Reactivity effects of water ingress in HTGRs - a review. In: Technical committee on reactivity transient accidents. Proc. of the first technical committee meeting organized by the IAEA and held in Vienna, 17.-20.11.1987. Document IAEA-TC-610
  12. a b c J.Benecke, P.Breitenlohner, D.Maison, M.Reimann, E.Sailer: Überprüfung kerntechnischer Anlagen in NRW: Kritik der Sicherheitseinrichtungen und der Sicherheitskonzepte des THTR-300 und des Versuchsreaktors Jülich (AVR), Gutachten für die NRW Landesregierung, März (1988). Das Gutachten war lange Zeit vertraulich, kann aber jetzt gemäß Umweltinformationsgesetz bei der Atomaufsicht im NRW-Wirtschaftsministerium in Düsseldorf eingesehen werden. Die Zusammenfassung ist abgedruckt in http://bwv-verlag.de/shop/bwv/index.php?page=detail&match=LISA_NR2=3021
  13. J.Szabo et al., Nuclear safety implications of water ingress accidents in HTGRs, Nuclear Society of Israel, Transactions 1987, IV-13 ff
  14. Armin Tenner, Development of Nuclear Energy (2007) http://www.inesglobal.com/_Conferences/2007/Moscow/Moscow.htm
  15. VDI-Society for Energy Technologies (Publ.), AVR-Experimental High-Temperature Reaktor - 21 years of successful operation for a future technology, VDI-Verlag GmbH, Düsseldorf 1990
  16. Zusammenfassender Bericht über Meldepflichtige Ereignisse 1977/1978, Bundesministeriums für Strahlensicherheit
  17. Bericht Safety-Related Experiences With The AVR Reactor K.J. Krüger, G.P. Invens, Arbeitsgemeinschaft Versuchs-Reaktor G.m.b.H.
  18. http://www.wmsym.org/archives/2000/pdf/36/36-5.pdf
  19. http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,637916,00.html
  20. Präsentation Graphite Dust in AVR, Bärbel Schlögl, FZJ, Jülich
  21. Die Technik der Hochtemperaturreaktoren, beschrieben von Dr.-Ing. Urban Cleve, Dortmund
  22. M.Täubner, Kann denn Wahrheit Sünde sein ? Brand Eins, Mai 2012 S. 106-109
  23. Majorie Mazel Hecht,Modular High-Temperature-Reactors Can Change The World, 21st Century Science & Technology, Fall 2008, Seite 20: http://www.scribd.com/doc/11349160/High-Temperature-Reactor
  24. F. Daniels, Neutronic reactor system, Patent US2809931, angemeldet 1945, erteilt 1957, http://www.freepatentsonline.com/2809931.pdf
  25. s.S. 19 in https://services.nordrheinwestfalendirekt.de/broschuerenservice/download/70495/rz_cef_internet_final.pdf
  26. South Africa cancels PBMR funding http://www.neimagazine.com/story.asp?storyCode=2057624
  27. http://areva.com/mediatheque/liblocal/docs/pdf/activites/reacteurs-services/reacteurs/pdf-plaq-antares-va/index.html
  28. Jean-Claude Gauthier, Gerd Brinkmann, Bernie Copsey, Michel Lecomte: ANTARES: The HTR/VHTR project at Framatome ANP. (PDF 178kB) In: 2nd International Topical Meeting on HIGH TEMPERATURE REACTOR TECHNOLOGY, Beijing, CHINA,, September 22-24, 2004. Abgerufen am 19. November 2011.
  29. A MODULAR PEBBLE-BED ADVANCED HIGH TEMPERATURE REACTOR, Bericht University of Berkely (2008), http://pb-ahtr.nuc.berkeley.edu/08-001%20PB-AHTR%20NE170%20Design%20Project%20Rpt.pdf (abgerufen 28. März 2012)
  30. "Areva prismatic HTGR is ‘optimum’ technology for next generation plant, says US alliance", Nuclear Engineering International 15.02.2012, http://www.neimagazine.com/story.asp?sectioncode=132&storyCode=2061766
  31. SUN Yuliang: HTR-PM Project Status and Test Program. (PDF 3.8MB) Abgerufen am 9. November 2011.
  32. Evaluation of high temperature gas cooled reactor performance:Benchmark analysis related to initial testing of the HTTR and HTR-10
  33. Polen plant Kugelhaufenreaktor an der deutschen Grenze. In: contratom.de. Abgerufen am 19. November 2011.