Minna von Barnhelm
Minna von Barnhelm oder das Soldatenglück ist ein Lustspiel in fünf Aufzügen von Gotthold Ephraim Lessing. Das Stück wurde 1767 fertiggestellt, seine Ausarbeitung begann jedoch schon im Jahre 1764. Lessing gab als Entstehungsdatum auf dem Titelblatt offiziell das Jahr 1763 an, vermutlich um die Nähe zum Siebenjährigen Krieg zu betonen, vor dessen Hintergrund das Stück spielt. Lessings Stück gilt als eine der wichtigsten Komödien der deutschsprachigen Literatur.
Personen
- Major von Tellheim, verabschiedet
- Minna von Barnhelm
- Graf von Bruchsall, ihr Oheim
- Franziska, ihr Mädchen
- Just, Bedienter des Majors
- Paul Werner, gewesener Wachtmeister des Majors
- Der Wirt
- Eine Dame in Trauer
- Ein Feldjäger
- Riccaut de la Marlinière
Handlung
Das Stück spielt kurz nach dem Ende des Siebenjährigen Krieges, am 22. August des Jahres 1763. Der verwundete und unehrenhaft entlassene Major von Tellheim, der für die preußische Armee tätig war, befindet sich – ohne finanzielle Mittel und schweren Bestechungsvorwürfen ausgesetzt – mit seinem Diener Just in einem Berliner Gasthof, wo er auf den Ausgang seines Prozesses wartet. Ihm wird vorgeworfen, die Order Friedrichs II. missachtet zu haben, sogenannte Kriegskontributionen einzutreiben: Geldforderungen an die im Krieg unterlegenen Gegner. Tellheim war zu Kriegszeiten in Thüringen (damals zum Kurfürstentum Sachsen gehörig) stationiert. Dort hatte er sich mit den thüringischen Ständen auf die kleinstmögliche Summe geeinigt und das Geld zudem aus eigener Tasche gegen Aushändigung eines Schuldscheins vorgeschossen. Als Tellheim nach Kriegsende diesen Schuldschein bei der Berliner Kriegskasse einlösen wollte, beschuldigte man ihn der Bestechung durch die thüringischen Stände.
Minna von Barnhelm, mit der Tellheim sich in Thüringen verlobt hatte, reist ihm nun nach Berlin nach, mit dem Ziel, ihn zu heiraten. Tellheim jedoch sieht sich in seiner momentanen Situation nicht in der Lage, Minna heiraten zu können: „Vernunft und Notwendigkeit befehlen“ ihm, Minna zu vergessen (II. Akt, Szene 9), so dass er alle Überredungskünste Minnas zurückweist. Der von Geldnöten geplagte Tellheim weigert sich ohnehin, jede Hilfe anzunehmen. So schlägt er etwa das Angebot seines Freundes Werner aus, ihm Geld zu leihen, und verweigert sogar, das ihm rechtmäßig zustehende Geld von Witwe Marloff anzunehmen – Geld, das Tellheim ihrem Mann zu Kriegszeiten geliehen hatte. So versetzt Tellheim notgedrungen beim Wirt sogar seinen Verlobungsring, den er von Minna einst erhalten hatte. Minna jedoch erkennt den Ring und nimmt ihn dem Wirt ab.
Minna versucht nun, Tellheim durch eine List zurückzugewinnen: sie vertauscht ihren eigenen Verlobungsring mit dem von Tellheim und gibt ihm eben diesen Ring zurück. So scheint es, als würde Minna nun ihrerseits die Verbindung lösen. Zudem behauptet Minna fälschlicherweise, dass sie von ihrem Oheim enterbt worden sei, also ebenso mittellos sei wie Tellheim. Als Tellheim dies hört, ändert sich sein Verhalten in grundlegender Weise. Er versucht nun alles Nötige dafür zu tun, Minna nun doch heiraten zu können. Ein überraschender Brief des Königs bringt zudem die Nachricht von der Niederschlagung des Prozesses, so dass Tellheim nun auch juristisch rehabilitiert ist und auch das ihm zustehende Geld erhalten wird. Der Konflikt scheint gelöst, doch Minna treibt ihr Spiel weiter und weigert sich, Tellheim unter diesen Umständen heiraten zu können. Sie spiegelt damit Tellheims eigenes Verhalten wider, der sich stets weigerte, „sein ganzes Glück einem Frauenzimmer zu verdanken.“ (IV, 6) So droht der Komödie kurz vor dem Ende ein tragischer Ausgang. Als jedoch Minnas Oheim eintrifft, klärt sich die Situation auf, sodass Minnas und Tellheims Heirat nichts mehr im Wege steht.
Deutungsvarianten
Seit dem Beginn der literaturwissenschaftlichen Interpretationsgeschichte der Minna wird der Konflikt von Liebe und Ehre immer wieder als das zentrale Problem dieser Komödie angesehen. Tellheim wird dabei zumeist die Rolle des in übertriebener Weise auf seine Ehre pochenden Starrkopfes zugeschrieben, der sich mit der ungerechten Anklage nicht abfinden kann, während Minna diese Verbissenheit durch ihre spielerische List überwindet und Tellheim somit wieder liebesfähig macht.
Kritiker dieser traditionellen Deutung führen vor allem an, dass Tellheims Lage als Angeklagter kein anderes Verhalten zulassen würde. Da ihm bei einem negativen Ausgang seines Prozesses der vollständige Verlust seines sozialen Status drohe, sei eine Hochzeit mit Minna unter diesen Umständen undenkbar. Der Konflikt des Stückes kann also aus Sicht dieser Deutung nicht durch die Personen des Stückes selbst gelöst werden. Das glückliche Ende sichert hier erst der Brief des Königs, welcher die Botschaft vom Ende des Prozesses bringt.
In neuerer Zeit wurde auch immer wieder auf Tellheims Unvermögen hingewiesen, sich von anderen Menschen in seiner Lage helfen zu lassen. Sowohl Minnas Hilfsangebote als auch die seiner Freunde (Werner) lehnt er ab. Tellheims Fehler bestehe demnach nicht darin, verbissen an seiner Ehre festzuhalten, sondern in seiner Unfähigkeit, sein Glück anderen Personen zu verdanken. Für diese Deutung spricht auch, dass Tellheim sofort bereit ist, Minna doch zu heiraten, als er hört, dass sie von ihrem Oheim enterbt sei – also zu einem Zeitpunkt, an dem seine Ehre durch den Brief des Königs noch keineswegs wiederhergestellt wurde.
Daneben stehen auch andere Motive des Stückes immer wieder im Fokus der Interpretation, wie etwa die Funktion des Geldes für die sozialen Beziehungen der Charaktere, die Auseinandersetzung mit Preußen und dem Krieg, die im Untertitel des Stückes angedeutete Frage nach Glück und Unglück oder das für die Zeit des 18. Jahrhunderts ungewöhnlich ausgeglichene Verhältnis der Geschlechter.
Zeitgenössische Rezeption
Das Stück hatte bei seiner Uraufführung am 30. September 1767 in Hamburg, der ein kurzfristiges Aufführungsverbot und ein Streit mit der Berliner Zensurbehörde vorausging, außerordentlichen Erfolg und wurde daraufhin im deutschsprachigen Raum von allen wichtigen Bühnen gespielt. Goethe feierte die Minna in den Gesprächen mit Eckermann rückblickend als „ein glänzendes Meteor. Es machte uns aufmerksam, daß noch etwas Höheres existierte, als wovon die damalige schwache literarische Epoche einen Begriff hatte.“ Prägend für die nachfolgende Interpretationsgeschichte wurden vor allem auch seine Bemerkungen in Dichtung und Wahrheit, wo es hieß: „Eines Werkes aber, der wahrsten Ausgeburt des Siebenjährigen Krieges, von vollkommenem norddeutschen Nationalgehalt, muß ich hier vor allen ehrenvoll erwähnen; es ist die erste aus dem bedeutenden Leben gegriffene Theaterproduktion, von spezifisch temporärem Gehalt, die deswegen eine nie zu berechnende Wirkung tat: Minna von Barnhelm.“
Aufführungen
Bis heute ist die „Minna“ eines der meistgespielten Schauspiele in Deutschland. Eine sehr entstaubte Inszenierung von Andrea Breth hatte am 16. Dezember 2005 am Wiener Burgtheater mit Sven-Eric Bechtolf und Sabine Haupt in den Hauptrollen Premiere: im Mittelpunkt dieser unkonventionellen Interpretation steht statt der Ehre das Geld. Seit Januar 2005 läuft das Stück im Deutschen Theater in Berlin. Die Inszenierung besticht durch ihre prominente Besetzung: Martina Gedeck spielt die Minna, Ulrich Matthes Tellheim und Nina Hoss Franziska.
Eine Bearbeitung als Musical (Buch und Liedtexte von Michael Wildenhain, Idee und Konzept von Klaus Wagner, Musik von Konstantin Wecker und Nicolas Kemmer) wurde am 2. Dezember 2000 am Theater Heilbronn uraufgeführt und bis zum 7. April 2001 insgesamt 22mal aufgeführt.
Ausgaben
- Gotthold Ephraim Lessing: Minna von Barnhelm oder das Soldatenglück. Ein Lustspiel in fünf Aufzügen. Berlin 1767. DTV Deutscher Taschenbuch Verlag 1997. ISBN 3-423-02610-3
- Gotthold Ephraim Lessing: Minna von Barnhelm. Stuttgart (Reclam) 1996. ISBN 3-15-000010-6
- Gotthold Ephraim Lessing: Minna von Barnhelm. Husum (Hamburger Lesehefte) 2007. ISBN 9783872910189
Literatur
- Gotthold Ephraim Lessing: Minna von Barnhelm, Erläuterungen und Dokumente, Stuttgart: Reclam 2003. ISBN 3-15-016037-5
- Fick, Monika: Lessing-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung, 2. Auflage, Stuttgart, Weimar: J. B. Metzler Verlag 2004, S. 242 - 258.
- Steinmetz, Horst (Hg.): Gotthold Ephraim Lessings „Minna von Barnhelm“. Dokumente zur Rezeptions- und Interpretationsgeschichte. Königstein: 1979.
- Saße, Günter: Der Streit um die rechte Beziehung. Zur „verborgenen Organisation“ von Lessings „Minna von Barnhelm“. In: Mauser, Wolfgang (Hg.): Streitkultur. Strategien des Überzeugens im Werk Lessings. Tübingen 1993. S. 38-55.
- Matzkowski, Bernd: Gotthold Ephraim Lessing: Minna von Barnhelm. Königs Erläuterungen und Materialien (Bd. 312). Hollfeld: C. Bange Verlag 2001. ISBN 978-3-8044-1695-6
- Oliver Binder, Ulrich Müller: Lessings Minna von Barnhelm als Musical: „Minna. Musical“ von Michael Wildenhain, Konstantin Wecker, Nicolas Kemmer (2001). In: Stuttgarter Arbeiten zur Germanistik, Nr. 423. Stuttgart: Hans-Dieter Heinz, Akademischer Verlag 2004 [2005], S. 43-54. ISBN 3-88099-428-5.
Verfilmungen
- 1940 unter dem Titel Das Fräulein von Barnhelm (Regie: Hans Schweikart)
- 1957 Minna von Barnhelm of soldatengeluk (Regie: Max Douwes), Niederlande
- 1960 Heldinnen (Regie: Dietrich Haugk; mit Marianne Koch, Paul Hubschmid, Johanna von Koczian), BRD
- 1962 Minna von Barnhelm (Regie: Martin Hellberg), DDR
- 1976 Minna von Barnhelm (Regie: Franz Peter Wirth) mit Reinhild Solf, Frank Hoffmann), BRD