Otto Kant

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Otto Kant (geboren am 24. Juni 1899 in Berlin, gestorben 1960[1] oder 1962 in Springfield)[2] war ein deutscher Psychiater.

Leben und Werdegang[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Er war der Sohn von Therese Kant, geb. Raske und Adolf Kant, Kaufmann in Berlin. Sein Bruder war der spätere Arzt und Psychiater Fritz Kant.[3] Er besuchte das Friedrichswerder'sche Gymnasium bis zu seiner Notreifeprüfung 1917 und war dann „Frontkämpfer“ und hat im Januar und März 1919 „an der Bekämpfung beider Spartakistenaufstände in Berlin […] teilgenommen“.[4]

Sein Studium absolvierte er an den Universitäten Berlin, Heidelberg, Bonn, Freiburg, Göttingen und München; Er schloss 1920 das Physikum in Bonn und 1923 das medizinische Examen in Göttingen ab, wo er 1924 den Doktortitel erwarb.[5]

Am 9.9.1925 heiratete er Bertha Kauffmann (1895–1987)[6]. Otto Kant war Psychiater, Neurologe und Privatdozent an der Eberhard Karls Universität Tübingen[7], nachdem er in Göttingen an der Heil- und Pflegeanstalt bei Geheimrat Schultze (September 1923 bis Juni 1924) und in Berlin als Volontärassistent an der 3. Medizinischen Poliklinik bei Geheimrat Goldscheider ausgebildet worden war.[8]

Kant war seit März 1931 Privatdozent und von Januar 1925 bis März 1935 als zunächst Volontär- und Hilfsassistent, seit März 1925 als Assistenzarzt an der Universitätsnervenklinik Tübingen.[9] Zum 1. April 1935 verließ er die Klinik. Robert Eugen Gaupp attestierte ihm im Bemühen um eine Krankenkassenzulassung, als Direktor der Tübinger Universitäts-Nervenklinik, dass „sein Verbleib in der Nervenklinik bis zum 1. April 1935 in gewissem Sinne auch im Interesse der Klinik lag“, da er dort „einen grossen Teil der schwierigen Arbeit an der Klinik gut und gewissenhaft erledigte. Wie wenig ihm jüdische Eigenschaften unangenehmer Art äusserlich und innerlich anhaften, mag daraus hervorgehen, dass niemand in der Klinik vor 1933 daran gedacht hatte, er könnte nicht rein arischer Abstammung sein. Er ist alter Corpstudent, Kriegsteilnehmer, hat in seinem Auftreten etwas Vornehmes und Bescheidenes, ist wissenschaftlich begabt und hat sich auch hier an der Klinik mit schwierigen wissenschaftlichen Problemen sehr vielfach beschäftigt.“[10] Otto Kant floh, wie sein Bruder Fritz, „der 1934 als sogenannter Nicht-Arier aufgrund des sogenannten Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums in die Emigration getrieben wurde“,[11] in die Vereinigten Staaten, wo er weiter als Psychiater wirken konnte.[1]

Werk[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In seiner Habilitationsschrift Zur Biologie der Ethik[12], die in die vom Wiener Kreis herausgegebene Schriftenreihe „Schriften zur wissenschaftlichen Weltauffassung“ aufgenommen wurde, orientiert sich der Robert-Eugen-Gaupp-Schüler Otto Kant auf empirischer Grundlage u. a. an Sigmund Freud. Er entwickelt eine Theorie des Schuldgefühls und unterscheidet dabei ein reales und ein fiktives, und kritisiert Friedrich Nietzsche für die Ableitung des Schuldgefühls aus einem „Willen zur Macht“, da damit z. B. eine Bereitschaft zur Selbstaufgabe nicht erklärt werden könne. In seiner realen Form liege ein Konflikt der Gesamtpsyche zwischen „tierischen“ Impulsen und einem moralischen Ich-Ideal vor. Otto Kant verfolgt die sich daraus ergebenden Implikationen für die Psychopathologie und die Ethik.[13]

Sein psychodynamisches Verständnis der Schizophrenie wurde, wie das seines Bruders Fritz Kant, „in Deutschland sowohl von den Heidelberger Phänomenologen (weil sie keine reinen Phänomenologen waren) als auch von den Psychoanalytikern (weil sie keine Psychoanalytiker waren) abgelehnt. Aber alle kannten ihre Arbeiten und zitierten daraus immer wieder. In der amerikanischen Emigration haben sie beide ihre Schizophrenieforschungen fortgesetzt, wurden dort aber wenig verstanden, so daß sie schließlich sowohl in Deutschland wie in den USA vergessen wurden.“[14]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. a b Juden an der Universität Tübingen im Nationalsozialismus, Bericht des Arbeitskreises „Universität Tübingen im Nationalsozialismus“, 19. Januar 2006, PDF, S. 6.
  2. Otto Kant 1899–1962 - Ancestry®. Abgerufen am 7. Juni 2023 (amerikanisches Englisch).
  3. U. H. Peters, Ein Jahrhundert der deutschen Psychiatrie (1899–1999), in: Fortschritte der Neurologie - Psychiatrie 67 (1999), 540–557, 550.
  4. Personalakte an der Universität Tübingen.
  5. Personalakte an der Universität Tübingen.
  6. https://magravestones.org/view.php?id=17792
  7. Carl Schneider: Kant, Otto, Zur Biologie der Ethik. In: Theologisches Literaturblatt, Band 53, Nr. 15, 1932, S. 235–236 (Rezension) Digitalisat
  8. Personalakte an der Universität Tübingen.
  9. Priv.-Doz. Dr. Otto Kant: Kritisches zur Charakterlehre Freuds und Adlers. (Aus der Klinik Gaupp in Tübingen). Münch. med. Wochenschr. 1933, Nr. 17
  10. Personalakte an der Universität Tübingen.
  11. Andreas Michael Weidmann, Professor Dr. med. Max Mikorey (1899–1977). Leben und Werk eines Psychiaters an der Psychiatrischen und Nervenklinik der Ludwig-Maximilians-Universität München, Diss. TU München 2006, 80. Nach Michael Grüttner, Sven Kinas, Die Vertreibung von Wissenschaftlern aus den deutschen Universitäten 1933–1935, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 2007, 123–186, 185, wurde Otto Kant „1938 die Venia legendi entzogen wurde, weil er nach nationalsozialistischen Kriterien ‚Mischling I. Grades‘ war“. Ausweislich seiner Personalakte an der Universität Tübingen erfolgte dies am 4.6.1938 aufgrund nicht angekündigter Vorlesungen nach abgelaufener Beurlaubung.
  12. Otto Kant: Das Schuldgefühl. In: Zur Biologie der Ethik: Psychopathologische Untersuchungen über Schuldgefühl und Moralische Idealbildung. Zugleich ein Beitrag zum Wesen des Neurotischen Menschen (= Schriften zur Wissenschaftlichen Weltauffassung). Springer, Vienna 1932, ISBN 3-7091-5363-8, S. 9–118, doi:10.1007/978-3-7091-5363-5_3.
  13. Vgl. Review im Journal of Neuropathology, 1933.
  14. U. H. Peters, Ein Jahrhundert der deutschen Psychiatrie (1899–1999), in: Fortschritte der Neurologie - Psychiatrie 67 (1999), 540–557, 550.