Vermeidend-restriktive Ernährungsstörung

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Klassifikation nach ICD-11
6B83 Vermeidend-restriktive Ernährungsstörung [ARFID]
ICD-11: EnglischDeutsch (Entwurf)

Die vermeidend-restriktive Ernährungsstörung (engl. Avoidant/restrictive food intake disorder, ARFID) ist gekennzeichnet durch die Vermeidung bestimmter Nahrungsmittel oder der Nahrungsaufnahme im Allgemeinen zu einem Grad, der für Betroffene negative gesundheitliche und/oder persönliche Konsequenzen hat. Dies kann sowohl Mangelerscheinungen infolge eines nicht gedeckten Nährstoff- und Energiebedarfs und daraus entstehende Probleme umfassen als auch Beeinträchtigungen im Berufs- und Privatleben, z. B. durch Nicht-Teilnahme an bestimmten sozialen Aktivitäten.

Die Ursachen des Vermeidungsverhaltens liegen meist in sensorischen Charakteristika der verschmähten Nahrungsmittel (Geschmack, Geruch, Konsistenz, Aussehen etc.), der Angst vor negativen Folgen (z. B. Ersticken) oder einem generellen Desinteresse an Nahrung begründet. Niemals ist das Verhalten jedoch durch übermäßige Beschäftigung mit dem eigenen Körperbild motiviert,[1] das heißt, ARFID und Magersucht können nicht gleichzeitig vorliegen. Allerdings kann in Einzelfällen aus ARFID eine Magersucht entstehen.[2] Besonders häufig ist ARFID bei Autismus zu beobachten.

ARFID als eigenständiges Krankheitsbild wurde erstmals 2013 im DSM-5 definiert und in der Folge auch in den ICD-11 aufgenommen, der 2022 in Kraft trat.

Symptome und Diagnose[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Von ARFID Betroffene vermeiden aktiv bestimmte Nahrungsmittel(-gruppen) oder die Nahrungsaufnahme allgemein. Das Verhalten geht dabei weit über die „normale“ Abneigung gegenüber einzelnen Lebensmitteln im Sinne individueller Präferenzen hinaus und zieht bedeutende negative Konsequenzen nach sich.

Bei zu einseitiger oder unzureichender Ernährung verursacht ARFID Mangelerscheinungen, da der Nährstoff- und Energiebedarf des Körpers nicht gedeckt werden kann. Betroffene leiden sehr häufig, aber nicht immer an Untergewicht und daraus entstehenden Komplikationen. Je nach Art der verschmähten Lebensmittel ist aber auch durch ARFID verursachtes Übergewicht möglich.[3] Viele Betroffene sind auf Nahrungsergänzungsmittel angewiesen, bei starkem Untergewicht kann Sondennahrung notwendig werden. Neben den gesundheitlichen Folgen kann die Ernährungsstörung auch persönliche, familiäre, soziale, schulische, berufliche und sonstige Lebensbereiche beeinträchtigen, wenn z. B. bestimmte Aktivitäten gemieden werden. So kann ARFID beispielsweise zu Vereinsamung und infolgedessen zu Depressionen führen.

In der ursprünglichen Fassung des DSM-5 von 2013 waren Folgen für die körperliche Gesundheit noch als notwendiges diagnostisches Kriterium eingestuft, was in der Fassung von 2022 revidiert wurde.[4] Auch der ICD-11 benennt diesen Aspekt nur als hinreichendes Kriterium, das nicht zwingend für eine Diagnose vorliegen muss.

Als häufigste Ursache der Ernährungsstörung werden sensorische Charakteristika der betroffenen Nahrungsmittel benannt, z. B. deren Geschmack, Geruch, Konsistenz oder Aussehen. Weiterhin kann das Vermeidungsverhalten durch Angst motiviert sein, z. B. vor dem Ersticken, Erbrechen oder Bauchschmerzen, wobei der Störung in diesen Fällen häufig einschlägige negative Erfahrungen vorausgehen.[5] Als dritte mögliche Ursache wird ein allgemeines Desinteresse an Nahrung genannt. Die verschiedenen Ursachen können kombiniert auftreten und schließen einander nicht gegenseitig aus.

Prinzipiell wird ARFID nicht durch eine übermäßige Beschäftigung mit dem eigenen Körperbild verursacht, wie z. B. bei Magersucht (Anorexia nervosa) oder Bulimie. Auch darf das Vermeidungsverhalten für die Diagnose ARFID nicht auf Nahrungsmittelallergien, andere organische oder psychische Erkrankungen, Nebenwirkungen von Medikamenten, die Einnahme anderer Substanzen, Entzugserscheinungen, religiöse Praktiken (z. B. Fasten) oder die mangelnde Verfügbarkeit von Nahrung zurückzuführen sein.

Verbreitung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Bislang liegen keine Erkenntnisse über die Verbreitung von ARFID in der Bevölkerung vor. Insgesamt sind Kinder und Jugendliche jedoch häufiger betroffen als Erwachsene und im Schnitt jünger als Patienten mit Anorexia nervosa oder Bulimie.[5] Besonders häufig ist die Störung im Zusammenhang mit Autismus zu beobachten, auch hier liegen jedoch noch keine Statistiken vor.

Differentialdiagnosen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Da sich ARFID häufig durch Untergewicht und dessen Folgen (trockene Haut, Lanugohaar, Wachstumsstörungen, Entwicklungsverzögerungen etc.) äußert, ist eine zentrale Differentialdiagnose Anorexia nervosa. Die Unterscheidung findet durch die Motivation hinter dem Essverhalten statt. Patienten mit Magersucht leiden an einer gestörten Selbstwahrnehmung, solche mit ARFID nicht. Da ARFID eine noch vergleichsweise neue Diagnose darstellt, wird es mitunter als Magersucht fehldiagnostiziert.

Weiterhin kommen gastrointestinale Erkrankungen als Differentialdiagnosen in Betracht, da gastrointestinale Symptome einer Mangelernährung zunächst unspezifisch sein können. Hier besteht die Gefahr, dass das Essverhalten als eine Folge missinterpretiert und nicht als Ursache erkannt wird.[6]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Jacqueline Zimmerman, Martin Fisher: Avoidant/Restrictive Food Intake Disorder (ARFID). In: Current Problems in Pediatric and Adolescent Health Care. Band 47, Nr. 4, 1. April 2017, ISSN 1538-5442, S. 95–103, doi:10.1016/j.cppeds.2017.02.005 (sciencedirect.com [abgerufen am 11. März 2024]).
  2. Kendra R. Becker, Lauren Breithaupt, Elizabeth A. Lawson, Kamryn T. Eddy, Jennifer J. Thomas: Co-occurrence of avoidant/restrictive food intake disorder and traditional eating psychopathology. In: Journal of the American Academy of Child and Adolescent Psychiatry. Band 59, Nr. 2, 26. November 2019, ISSN 0890-8567, S. 209–212, doi:10.1016/j.jaac.2019.09.037, PMID 31783098, PMC 7380203 (freier Volltext).
  3. Karla Areli Medina Tepal, Rosalia Vázquez Arévalo, Eva María Trujillo ChiVacuán, Juan Manuel Mancilla Díaz: Avoidant/Restrictive Food Intake Disorder (ARFID): Review of Case Studies. In: Revista Mexicana de Trastornos Alimentarios/Mexican Journal of Eating Disorders. Band 13, Nr. 1, 9. Februar 2023, ISSN 2007-1523, S. 71–84, doi:10.22201/fesi.20071523e.2023.1.748 (unam.mx [abgerufen am 11. März 2024]).
  4. Avoidant/Restrictive Food Intake Disorder. In: APA. 2022, abgerufen am 11. März 2024.
  5. a b Martin M. Fisher, David S. Rosen, Rollyn M. Ornstein, Kathleen A. Mammel, Debra K. Katzman, Ellen S. Rome, S. Todd Callahan, Joan Malizio, Sarah Kearney, B. Timothy Walsh: Characteristics of Avoidant/Restrictive Food Intake Disorder in Children and Adolescents: A “New Disorder” in DSM-5. In: Journal of Adolescent Health. Band 55, Nr. 1, Juli 2014, ISSN 1054-139X, S. 49–52, doi:10.1016/j.jadohealth.2013.11.013.
  6. Hannah Schöffel: Charakteristik von vermeidend/restriktiver Essstörung in der Allgemeinpädiatrie. Leipzig 2022 (qucosa.de).