„Demokratische Schule“ – Versionsunterschied

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'''Demokratische Schule''' bezeichnet eine [[Alternativschule]], die folgende Kriterien erfüllt:<ref name=IDEC>{{Internetquelle |url=http://de.idec2005.org/documentation/resolution/ |titel= Resolution der International Democratic Education Conference 2005|abruf=2019-05-11}}</ref>
'''Demokratische Schule''' ist ein Oberbegriff für [[Alternativschule|Alternativschulen]], der seit der Gründung der ''Demokratischen Schule Hadera'' (Israel) im Jahr 1987 von hunderten [[Basisdemokratie|basisdemokratisch]] und radikal freien Schulen weltweit übernommen wurde.<ref name=IDEC>{{Internetquelle |url=http://de.idec2005.org/documentation/resolution/ |titel= Resolution der International Democratic Education Conference 2005|abruf=2019-05-11}}</ref>


== Definition ==
* Es gibt bewusst keinen für alle [[Schüler]] verbindlichen [[Lehrplan]].
Es existiert keine allgemein anerkannte Definition Demokratischer Schulen. Einig sind sich Demokratische Schulen in dem Anspruch keinerlei verpflichtende oder wertende Vorgaben an den Lernprozess ihrer Schüler zu stellen, also [[selbstbestimmtes Lernen]] zu ermöglichen und die Schule [[Basisdemokratie|basisdemokratisch]] zu organisieren. In der Regel geschieht dies durch eine Schulversammlung.<ref name=":0">{{Literatur |Autor=Geller, Karl |Titel=Geschichte der Demokratischen Schule |Hrsg= |Sammelwerk= |Band= |Nummer= |Auflage=1 |Verlag=Tologo Verlag |Ort=Leipzig |Datum=01.02.2020 |ISBN= |Seiten=}}</ref>
* Möglichst viele Belange des schulischen Zusammenlebens werden [[Basisdemokratie|basisdemokratisch]] geregelt, wobei jedes Mitglied der Schulgemeinschaft eine Stimme hat.
* Jeder Schüler kann sich frei in der Schule bewegen, solange er die Freiheit anderer nicht einschränkt oder gegen von der Gemeinschaft beschlossene Regeln verstößt.


Der europäische Dachverband [[European Democratic Education Community|EUDEC]] nennt drei Kernmerkmale, die eine Demokratische Schule ausmachen<ref>{{Internetquelle |autor= |url=https://eudec.org/democratic-education/what-is-democratic-education/ |titel=How EUDEC Defines Democratic Education |werk= |hrsg= |datum= |abruf=04.03.2020 |sprache=Englisch}}</ref>:
Demokratische Schulen ermöglichen ihren Schülern somit ein [[selbstbestimmtes Lernen]].

# Ein gefestigter und allgemein anerkannter Umgang der Gleichwertigkeit und Verantwortung.
# Entscheidungen werden kollektiv von allen Mitgliedern der Gemeinschaft unabhängig von Alter oder Status getroffen. Jeder Schüler und jeder Lehrer hat ein gleiches Mitspracherecht zu wichtigen Entscheidungen, wie zum Beispiel Schulregeln, Lerninhalte, Projekte, Anstellung des Schulpersonals und Finanzen.
# Selbstbestimmtes Entdecken: Lernende wählen, was sie lernen möchten, wann, wie und mit wem sie lernen. Lernen kann innerhalb oder außerhalb des Klassenzimmers geschehen, durch Spiel, ebenso wie durch klassisches studieren und forschen. Lernen muss der intrinsischen Motivation der Schüler folgen und auf ihre Interessen abzielen.

== Typische Merkmale Demokratischer Schulen ==

* Keine Noten und keinerlei fremdbestimmte Beurteilung

* Altersmischung über das ganze Spektrum der Schülerschaft

* Kein allgemeiner oder verpflichtender [[Lehrplan]]

* Selbstregulierung durch demokratische Institutionen, wie Schulversammlung und Konfliktlösungskomitee; dadurch Sicherung von Menschenrechten, insb. Gleichwertigkeit zwischen Lehrer und Schüler

* Positiven Bezug zur Heterogenität der Schülerschaft

* Regelmäßig tagende Schulversammlung als oberste Autorität der Schule

* Bewegungsfreiheit auf dem kompletten Schulgelände
* Schülerzahlen von in der Regel 15-150 Schülern, in Ausnahmefällen auch mehr
* Spielen wird in allen Altersstufen positiv angesehen<ref>{{Literatur |Autor=Klemm, Ulrich |Titel=Geschichte und Gegenwart Freier Demokratischer Schulen – ‚Warte, bis der
Schüler den ersten Schritt macht‘ |Hrsg=Aydin Gürlevik, Christian Palentien und Robert Heyer |Sammelwerk=Privatschulen versus staatliche Schulen |Band=4 |Nummer= |Auflage= |Verlag=Springer VS |Ort=Wiesbaden |Datum=2013 |ISBN=978-3-531-18199-8 |Seiten=115–135}}</ref>

== Konzepte Demokratischer Schulen ==
Die genaue Zahl Demokratischer Schulen ist nicht bekannt. Je nach Definition existieren weltweit Hunderte bis Tausende Schulen, hauptsächlich in demokratischen Staaten. Besonders verbreitet sind sie in Israel, den USA, Frankreich, Japan und den Niederlanden. In Deutschland gibt es 23 Demokratische Schulen (Stand 2019)<ref name=":0" />.

=== Summerhill ===
[[Summerhill]] ist der berühmteste und älteste Vertreter Demokratischer Schulen. 1921 in Dresden als Internationale Schule Hallerau von [[A. S. Neill]] gegründet, zog die Internatsschule mehrmals um und befindet sich heute in Leiston ([[Suffolk]], England). Neill verhalf mit seinen zahlreichen Publikation Summerhill nicht nur zu neuen Schülern, sondern auch zu internationaler Berühmtheit. Sein Buch „Summerhill - Theorie und Praxis der antiautoritären Erziehung“ (auf Englisch: Summerhill: A Radical Approach to Child Rearing) wurde zur „Bibel einer weltweiten Gemeinde freiheitlich gesinnter Lehrer und Erzieher“ und spielte eine entscheidende Rolle in der Gründung der freien Alternativschulen in Deutschland. Der hohe internationale Bekanntheitsgrad nahm jahrzehntelang keinen Abriss. So kamen 1970 an einem einzigen Tag 300 unangemeldete Gäste, was den Schulalltag so erschwerte, dass die Schulversammlung 1971 ein Besuchsverbot erließ und Neill sich vornahm die Schülerzahl auf 60 zu begrenzen. Summerhill hat auf fast alle anderen Konzepte Demokratischer Schulen einen entscheidenden Einfluss gehabt, ist aber als Internat eine Ausnahme.<ref name=":1">{{Literatur |Autor=Kühn, Axel |Titel=A. S. Neill und Summerhill: Eine Rezeptions- und Wirkungsanalyse. |Hrsg= |Sammelwerk= |Band= |Nummer= |Auflage= |Verlag=Universität Tübingen |Ort=Tübingen |Datum=2002 |ISBN= |Seiten=}}</ref>

In Summerhill werden bis auf wenige Ausnahmen alle Schulregeln per Mehrheitsbeschluss von der Schulversammlung getroffen, in der jeder Schüler, Mitarbeiter und Lehrer eine Stimme hat. Auch Konflikte und Regelverletzungen werden hier besprochen und sanktioniert. Lediglich finanzielle Entscheidungen, Sicherheitsaspekte und die Einstellung des Personals werden von der Schulleitung (nicht wählbar) getroffen.<ref>{{Literatur |Autor=Popenoe, Joshua |Titel=Schüler in Summerhill. |Hrsg= |Sammelwerk= |Band= |Nummer= |Auflage= |Verlag=Rowohlt |Ort=Reinbek bei Hamburg |Datum= |ISBN= |Seiten=46}}</ref>

Grundsätzlich ist in Summerhill jeder Schüler frei in dem was er tut, solange er nicht gegen die Schulregeln verstößt. Unterricht,wie Mathematik, Werken, Englisch, usw. wird angeboten, ist aber nicht verpflichtend. Die Grundsätze der Pädagogik in Summerhill haben sich seit der Gründung nicht verändert, was durch das hohe mediale Interesse gut dokumentiert werden konnte. Jedoch wird berichtet, dass in unregelmäßigen Abständen sämtliche Regeln durch die Schulversammlung abgeschafft werden (sog. Anarchie-Phase), was aber nur kurz andauert, bis wieder neue Regeln verabschiedet werden.<ref name=":1" />

=== Sudbury Valley School ===
Die 1968 gegründete ''[[Sudbury Valley School]]'' in [[Framingham]] ([[Massachusetts]], USA), ist von Summerhill beeinflusst, hat aber noch einen radikaleren Begriff von Lernfreiheit. Kurse und andere Formen formalen Unterrichts werden nur angeboten, wenn Schüler explizit darum bitten. Lehrer nehmen an Sudbury Schulen daher eine passivere Rolle ein, als an anderen Demokratischen Schulen.<ref>{{Literatur |Autor=Gray, Peter |Titel=Befreit Lernen |Hrsg= |Sammelwerk= |Band= |Nummer= |Auflage= |Verlag=Drachen Verlag |Ort= |Datum= |ISBN=978-3927369917 |Seiten=}}</ref> Mittlerweile gibt es mehr als 40 [[Sudbury-Schulen]], von denen sich die meisten in den USA befinden.<ref>{{Internetquelle |autor= |url=https://hvsudburyschool.com/sudbury-schools-international/ |titel=List of Schools Similar to HVSS |werk= |hrsg=Hudson Valley Sudbury School |datum= |abruf=04.03.2020 |sprache=en}}</ref>

=== Soziokratische Schulen ===
Soziokratische Schulen sind vor allem in den Niederlanden vertreten und beziehen sich auf die [[Soziokratie|Soziokratische Methode]] von [[Gerard Endenburg]]. Entscheidungen fallen im Konsent, einer schwachen Form des [[Konsens]], bei dem niemand einen begründeten "schwerwiegenden Einwand" haben darf. Kleine Schulen haben nur einen Entscheidungskreis, größere Schulen organisieren sich in Lerngemeinschaften (ähnlich einer Schulklasse). Die einzelnen Lerngemeinschaften sind in Kreisen organisiert und sind an den Schülerkreis angebunden. D. h. ein oder zwei Schüler/Lehrer sitzen in beiden Kreisen und übermitteln Informationen und Entscheidungen. Dieser wiederum ist an den Schulkreis (oberstes Gremium) angebunden, ebenso wie der Lehrer-, der Eltern und der Unterstützerkreis, welcher wiederum der übergeordnete Kreis einiger Arbeitskreise ist. Alle Delegierten sind dabei an die Entscheidungen ihres jeweiligen Kreises gebunden.<ref name=":2">{{Literatur |Autor=Strauch, Barbara; Reijmer, Annewiek |Titel=Soziokratie. Kreisstrukturen als Organisationsprinzip
zur Stärkung der Mitverantwortung des Einzelnen |Hrsg= |Sammelwerk= |Band= |Nummer= |Auflage= |Verlag=Verlag Franz Vahlen. |Ort=München |Datum=2018 |ISBN=978-3800654161 |Seiten=}}</ref>

Lernen ist grundsätzlich frei. Formellem Lernen wird jedoch mehr Bedeutung beigemessen, als in Sudbury Schulen.

Die Frisch-Schule in Erbach im Bundesland Hessen bezeichnet sich selbst als erste Soziokratische Schule Deutschlands (Gründung 2014).<ref>{{Internetquelle |autor= |url=http://www.frisch-schule.de/frisch-schule/Start.html |titel=Stand der Dinge |werk=Frisch Schule |hrsg= |datum= |abruf=18.06.2019 |sprache=Deutsch}}</ref>

Schulen die sich selbst soziokratisch organisiert nennen, verstehen sich oft nicht als Demokratische Schule, sondern haben eine soziokratische Organisation des Lehrerkollegiums und eventuell der Elternschaft oder des Trägervereins, aber ohne (relevante) Schülerbeteiligung.<ref name=":2" />


Zudem gibt es noch weitere Konzepte, die die Kriterien Demokratischer Schulen erfüllen, sich aber nicht als solche bezeichnen. Dazu zählen Agile Learning Centers, die staatlichen Schulen Lycée Experimental de Saint-Nazaire und Lycée autogéré de Paris in Frankreich, die [[Schule für Erwachsenenbildung (Berlin)|Schule für Erwachsenenbildung]] in Berlin sowie einige [[Antipädagogik|anarchistische Schulen]] und von Schülern besetzte Schulen. Historisch zählen das Waisenhaus Dom Sierot und sein Ableger Nasz Dom von [[Janusz Korczak]], sowie der [[Kees Boeke (Pädagoge)|Kees Boeckes]] [[Werkplaats Kindergemeenschap]] in den Anfangsjahren ebenso als Demokratische Schule.<ref name=":0" />


== Geschichte ==
== Geschichte ==
Als älteste demokratische Schule gilt die [[Summerhill]]-Schule in Leiston ([[Suffolk]], England), die 1921 von dem schottischen Pädagogen [[A. S. Neill]] gegründet wurde.
Als älteste demokratische Schule gilt die [[Summerhill]]-Schule in Leiston ([[Suffolk]], England), die 1921 von dem schottischen Pädagogen [[A. S. Neill]] gegründet wurde.

In ihrem Konzept am weitgehendsten ist die 1968 gegründete ''[[Sudbury Valley School]]'' in [[Framingham]] ([[Massachusetts]], USA). Mittlerweile gibt es mehr als 40 [[Sudbury-Schulen]], von denen sich die meisten in den USA befinden.


Weltweit gibt es mindestens 200 demokratische Schulen. Die größte Zahl gibt es in den [[USA]], [[Israel]] und [[Frankreich]]. Weitere befinden sich in [[Belgien]], [[Brasilien]], [[Bulgarien]], Costa Rica (die [[Summerhill Latinoamericano]]), [[Dänemark]], [[Deutschland]], [[Vereinigtes Königreich|Großbritannien]], [[Irland]], [[Japan]], [[Kanada]], [[Neuseeland]], [[Niederlande]], [[Peru]], [[Polen]], [[Rumänien]], [[Schweiz]]<ref>{{Internetquelle |url= http://www.schulefokus.ch/ |titel=Demokratische Schule Fokus (Website der Schule) |abruf=2019-09-14}}</ref>, [[Tschechien]], [[Slowakei]] und [[Südafrika]].
Weltweit gibt es mindestens 200 demokratische Schulen. Die größte Zahl gibt es in den [[USA]], [[Israel]] und [[Frankreich]]. Weitere befinden sich in [[Belgien]], [[Brasilien]], [[Bulgarien]], Costa Rica (die [[Summerhill Latinoamericano]]), [[Dänemark]], [[Deutschland]], [[Vereinigtes Königreich|Großbritannien]], [[Irland]], [[Japan]], [[Kanada]], [[Neuseeland]], [[Niederlande]], [[Peru]], [[Polen]], [[Rumänien]], [[Schweiz]]<ref>{{Internetquelle |url= http://www.schulefokus.ch/ |titel=Demokratische Schule Fokus (Website der Schule) |abruf=2019-09-14}}</ref>, [[Tschechien]], [[Slowakei]] und [[Südafrika]].

Version vom 4. März 2020, 23:32 Uhr

Demokratische Schule ist ein Oberbegriff für Alternativschulen, der seit der Gründung der Demokratischen Schule Hadera (Israel) im Jahr 1987 von hunderten basisdemokratisch und radikal freien Schulen weltweit übernommen wurde.[1]

Definition

Es existiert keine allgemein anerkannte Definition Demokratischer Schulen. Einig sind sich Demokratische Schulen in dem Anspruch keinerlei verpflichtende oder wertende Vorgaben an den Lernprozess ihrer Schüler zu stellen, also selbstbestimmtes Lernen zu ermöglichen und die Schule basisdemokratisch zu organisieren. In der Regel geschieht dies durch eine Schulversammlung.[2]

Der europäische Dachverband EUDEC nennt drei Kernmerkmale, die eine Demokratische Schule ausmachen[3]:

  1. Ein gefestigter und allgemein anerkannter Umgang der Gleichwertigkeit und Verantwortung.
  2. Entscheidungen werden kollektiv von allen Mitgliedern der Gemeinschaft unabhängig von Alter oder Status getroffen. Jeder Schüler und jeder Lehrer hat ein gleiches Mitspracherecht zu wichtigen Entscheidungen, wie zum Beispiel Schulregeln, Lerninhalte, Projekte, Anstellung des Schulpersonals und Finanzen.
  3. Selbstbestimmtes Entdecken: Lernende wählen, was sie lernen möchten, wann, wie und mit wem sie lernen. Lernen kann innerhalb oder außerhalb des Klassenzimmers geschehen, durch Spiel, ebenso wie durch klassisches studieren und forschen. Lernen muss der intrinsischen Motivation der Schüler folgen und auf ihre Interessen abzielen.

Typische Merkmale Demokratischer Schulen

  • Keine Noten und keinerlei fremdbestimmte Beurteilung
  • Altersmischung über das ganze Spektrum der Schülerschaft
  • Kein allgemeiner oder verpflichtender Lehrplan
  • Selbstregulierung durch demokratische Institutionen, wie Schulversammlung und Konfliktlösungskomitee; dadurch Sicherung von Menschenrechten, insb. Gleichwertigkeit zwischen Lehrer und Schüler
  • Positiven Bezug zur Heterogenität der Schülerschaft
  • Regelmäßig tagende Schulversammlung als oberste Autorität der Schule
  • Bewegungsfreiheit auf dem kompletten Schulgelände
  • Schülerzahlen von in der Regel 15-150 Schülern, in Ausnahmefällen auch mehr
  • Spielen wird in allen Altersstufen positiv angesehen[4]

Konzepte Demokratischer Schulen

Die genaue Zahl Demokratischer Schulen ist nicht bekannt. Je nach Definition existieren weltweit Hunderte bis Tausende Schulen, hauptsächlich in demokratischen Staaten. Besonders verbreitet sind sie in Israel, den USA, Frankreich, Japan und den Niederlanden. In Deutschland gibt es 23 Demokratische Schulen (Stand 2019)[2].

Summerhill

Summerhill ist der berühmteste und älteste Vertreter Demokratischer Schulen. 1921 in Dresden als Internationale Schule Hallerau von A. S. Neill gegründet, zog die Internatsschule mehrmals um und befindet sich heute in Leiston (Suffolk, England). Neill verhalf mit seinen zahlreichen Publikation Summerhill nicht nur zu neuen Schülern, sondern auch zu internationaler Berühmtheit. Sein Buch „Summerhill - Theorie und Praxis der antiautoritären Erziehung“ (auf Englisch: Summerhill: A Radical Approach to Child Rearing) wurde zur „Bibel einer weltweiten Gemeinde freiheitlich gesinnter Lehrer und Erzieher“ und spielte eine entscheidende Rolle in der Gründung der freien Alternativschulen in Deutschland. Der hohe internationale Bekanntheitsgrad nahm jahrzehntelang keinen Abriss. So kamen 1970 an einem einzigen Tag 300 unangemeldete Gäste, was den Schulalltag so erschwerte, dass die Schulversammlung 1971 ein Besuchsverbot erließ und Neill sich vornahm die Schülerzahl auf 60 zu begrenzen. Summerhill hat auf fast alle anderen Konzepte Demokratischer Schulen einen entscheidenden Einfluss gehabt, ist aber als Internat eine Ausnahme.[5]

In Summerhill werden bis auf wenige Ausnahmen alle Schulregeln per Mehrheitsbeschluss von der Schulversammlung getroffen, in der jeder Schüler, Mitarbeiter und Lehrer eine Stimme hat. Auch Konflikte und Regelverletzungen werden hier besprochen und sanktioniert. Lediglich finanzielle Entscheidungen, Sicherheitsaspekte und die Einstellung des Personals werden von der Schulleitung (nicht wählbar) getroffen.[6]

Grundsätzlich ist in Summerhill jeder Schüler frei in dem was er tut, solange er nicht gegen die Schulregeln verstößt. Unterricht,wie Mathematik, Werken, Englisch, usw. wird angeboten, ist aber nicht verpflichtend. Die Grundsätze der Pädagogik in Summerhill haben sich seit der Gründung nicht verändert, was durch das hohe mediale Interesse gut dokumentiert werden konnte. Jedoch wird berichtet, dass in unregelmäßigen Abständen sämtliche Regeln durch die Schulversammlung abgeschafft werden (sog. Anarchie-Phase), was aber nur kurz andauert, bis wieder neue Regeln verabschiedet werden.[5]

Sudbury Valley School

Die 1968 gegründete Sudbury Valley School in Framingham (Massachusetts, USA), ist von Summerhill beeinflusst, hat aber noch einen radikaleren Begriff von Lernfreiheit. Kurse und andere Formen formalen Unterrichts werden nur angeboten, wenn Schüler explizit darum bitten. Lehrer nehmen an Sudbury Schulen daher eine passivere Rolle ein, als an anderen Demokratischen Schulen.[7] Mittlerweile gibt es mehr als 40 Sudbury-Schulen, von denen sich die meisten in den USA befinden.[8]

Soziokratische Schulen

Soziokratische Schulen sind vor allem in den Niederlanden vertreten und beziehen sich auf die Soziokratische Methode von Gerard Endenburg. Entscheidungen fallen im Konsent, einer schwachen Form des Konsens, bei dem niemand einen begründeten "schwerwiegenden Einwand" haben darf. Kleine Schulen haben nur einen Entscheidungskreis, größere Schulen organisieren sich in Lerngemeinschaften (ähnlich einer Schulklasse). Die einzelnen Lerngemeinschaften sind in Kreisen organisiert und sind an den Schülerkreis angebunden. D. h. ein oder zwei Schüler/Lehrer sitzen in beiden Kreisen und übermitteln Informationen und Entscheidungen. Dieser wiederum ist an den Schulkreis (oberstes Gremium) angebunden, ebenso wie der Lehrer-, der Eltern und der Unterstützerkreis, welcher wiederum der übergeordnete Kreis einiger Arbeitskreise ist. Alle Delegierten sind dabei an die Entscheidungen ihres jeweiligen Kreises gebunden.[9]

Lernen ist grundsätzlich frei. Formellem Lernen wird jedoch mehr Bedeutung beigemessen, als in Sudbury Schulen.

Die Frisch-Schule in Erbach im Bundesland Hessen bezeichnet sich selbst als erste Soziokratische Schule Deutschlands (Gründung 2014).[10]

Schulen die sich selbst soziokratisch organisiert nennen, verstehen sich oft nicht als Demokratische Schule, sondern haben eine soziokratische Organisation des Lehrerkollegiums und eventuell der Elternschaft oder des Trägervereins, aber ohne (relevante) Schülerbeteiligung.[9]


Zudem gibt es noch weitere Konzepte, die die Kriterien Demokratischer Schulen erfüllen, sich aber nicht als solche bezeichnen. Dazu zählen Agile Learning Centers, die staatlichen Schulen Lycée Experimental de Saint-Nazaire und Lycée autogéré de Paris in Frankreich, die Schule für Erwachsenenbildung in Berlin sowie einige anarchistische Schulen und von Schülern besetzte Schulen. Historisch zählen das Waisenhaus Dom Sierot und sein Ableger Nasz Dom von Janusz Korczak, sowie der Kees Boeckes Werkplaats Kindergemeenschap in den Anfangsjahren ebenso als Demokratische Schule.[2]

Geschichte

Als älteste demokratische Schule gilt die Summerhill-Schule in Leiston (Suffolk, England), die 1921 von dem schottischen Pädagogen A. S. Neill gegründet wurde.

Weltweit gibt es mindestens 200 demokratische Schulen. Die größte Zahl gibt es in den USA, Israel und Frankreich. Weitere befinden sich in Belgien, Brasilien, Bulgarien, Costa Rica (die Summerhill Latinoamericano), Dänemark, Deutschland, Großbritannien, Irland, Japan, Kanada, Neuseeland, Niederlande, Peru, Polen, Rumänien, Schweiz[11], Tschechien, Slowakei und Südafrika.

Als weltweit größte galt lange Zeit die Moskauer Schule Nr. 734 "Schule der Selbstbestimmung"[12][13] mit 600 Schülern. Die Democratic School of Hadera in Israel hatte im April 2017 563 Schüler, die Demokratische Schule in Kfar Saba (Israel) hatte mehr als 400 Schüler. Die meisten Demokratischen Schulen haben deutlich weniger Schüler.

In Deutschland gehören die Freie Schule Frankfurt, die Freie Schule Leipzig, die Kapriole in Freiburg, die Neue Schule Hamburg, die Schule für Erwachsenenbildung, die Demokratische Schule X in Berlin die Freie Schule Heckenbeck und die Demokratische Schule Infinita in Steinhorst zu den demokratischen Schulen.

Seit 1993 findet jährlich die International Democratic Education Conference (IDEC) statt. Seit 2008 gibt es die European Democratic Education Community (EUDEC). Auf ihrer Website findet man weitere demokratische Schulen aus dem deutschsprachigen Raum.[14]

In Israel gibt es ein Institute for Democratic Education (Institut für Demokratische Bildung).[15]

Vielfalt

Alle demokratischen Schulen gehen von einem grundlegenden Respekt gegenüber Kindern aus. In der konkreten Ausgestaltung der Lernfreiheit und der demokratischen Entscheidungsstrukturen sowie des Schulalltags gibt es allerdings deutliche Unterschiede zwischen verschiedenen Schulen.[16][17]

Während in Sudbury-Schulen Unterrichtskurse keine große Rolle spielen und nur auf Initiative von Schülern eingerichtet werden,[18][19] ist das Lernen in anderen Schulen großteils nicht durch die Schüler selbst initiiert, das heißt die Schule bietet diverse Kurse gemäß den traditionellen Schulfächern an, an denen die Schüler teilnehmen können, aber nicht müssen. In der Regel können die Lehrer in solchen Schulen (und meist auch die Schüler) weitere Kurse oder Projekte zu Themen anbieten, die sie interessieren. In einigen Schulen bieten die Mitarbeiter zwar keine Kurse an, aber präparieren die Lernumgebung immer wieder neu, sodass die Schüler dort jene Dinge entdecken, die die Erwachsenen für wichtig halten (vorbereitete Umgebung). In allen Schulen spielt das informelle Lernen eine wichtige Rolle.

In den meisten demokratischen Schulen gibt es eine wöchentliche Schulversammlung, in einigen tritt sie jedoch ohne festen Rhythmus zusammen, sobald Bedarf danach besteht. In den meisten Schulen werden Beschlüsse mit einfacher Mehrheit der Anwesenden gefasst, einzelne Schulen verlangen eine qualifizierte Mehrheit. Es gibt auch Schulen, die nach dem Konsensprinzip arbeiten. In einigen Schulen sind die Versammlungen eher formlos, ungezwungen und spontan, in anderen gibt es eine Geschäftsordnung mit formalisierten Verfahren, die eine effiziente Bearbeitung der Tagesordnung bewirken und verhindern, dass Leute überrollt werden.

Regeln und Regelverletzungen werden in verschiedenen demokratischen Schulen recht unterschiedlich gehandhabt.[20] In einigen Schulen haben Schüler und Mitarbeiter eine enorme Zahl sehr detaillierter Regeln ausgearbeitet und haben für den Umgang mit Regelverletzungen eine gesonderte Schulversammlung oder ein Justizkomitee, das nach einem festgelegten Verfahren Sanktionen verhängen kann. Andere Schulen haben relativ wenige Regeln und bevorzugen ausschließlich Mediations­verfahren anstelle eines Justizsystems. Einige Schulen verwenden sowohl Mediationsverfahren als auch formalisierte Justizverfahren.

Demokratische Schulen unterscheiden sich auch darin, inwieweit sie die Eltern der Schüler einbeziehen. In einigen Schulen dürfen Eltern beispielsweise über Finanzen mitabstimmen, in einigen haben sie ein Stimmrecht auch im alltäglichen Schulleben, in anderen überhaupt keines. In manchen Schulen wird die Anwesenheit von Eltern als störend empfunden, in anderen sind sie willkommen, in noch anderen wird die Mitarbeit der Eltern erwartet. Einige Schulen sind als Community Schools organisiert, in denen der Übergang von Schulleben und Familienleben fließend und die Schule eher Teil einer größeren Gemeinschaft ist, die zusammenlebt und teilweise auch ihre Erwerbsarbeit gemeinsam organisiert.

Sofern eine demokratische Schule als Internat arbeitet, handelt es sich zugleich um eine sogenannte Kinderrepublik.

Siehe auch

Literatur

  • Axel Backhaus u. a. (Hrsg.) (2008): Demokratische Grundschule – Mitbestimmung von Kindern über ihr Leben und Lernen. Universi Verlag: Siegen.
  • David Gribble: Schule im Aufbruch. Neue Wege des Lernens in der Praxis Arbor-Verlag, Freiburg 2001, ISBN 3-924195-59-5
  • Matthias Hofmann: Geschichte und Gegenwart Freier Alternativschulen. Eine Einführung. Ulm 2013, ISBN 978-3-86281-057-4
  • Matthias Hofmann: Alternativschulen – Alternativen zur Schule Ulm 2015, ISBN 978-3-86281-086-4
  • Sudbury Valley School Press: Die Sudbury Valley School. Eine neue Sicht auf das Lernen. tologo verlag, Leipzig 2005, ISBN 3-9810444-0-1

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Resolution der International Democratic Education Conference 2005. Abgerufen am 11. Mai 2019.
  2. a b c Geller, Karl: Geschichte der Demokratischen Schule. 1. Auflage. Tologo Verlag, Leipzig 1. Februar 2020.
  3. How EUDEC Defines Democratic Education. Abgerufen am 4. März 2020 (englisch).
  4. Klemm, Ulrich: Geschichte und Gegenwart Freier Demokratischer Schulen – ‚Warte, bis der Schüler den ersten Schritt macht‘. In: Aydin Gürlevik, Christian Palentien und Robert Heyer (Hrsg.): Privatschulen versus staatliche Schulen. Band 4. Springer VS, Wiesbaden 2013, ISBN 978-3-531-18199-8, S. 115–135.
  5. a b Kühn, Axel: A. S. Neill und Summerhill: Eine Rezeptions- und Wirkungsanalyse. Universität Tübingen, Tübingen 2002.
  6. Popenoe, Joshua: Schüler in Summerhill. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg, S. 46.
  7. Gray, Peter: Befreit Lernen. Drachen Verlag, ISBN 978-3-927369-91-7.
  8. List of Schools Similar to HVSS. Hudson Valley Sudbury School, abgerufen am 4. März 2020 (englisch).
  9. a b Strauch, Barbara; Reijmer, Annewiek: Soziokratie. Kreisstrukturen als Organisationsprinzip zur Stärkung der Mitverantwortung des Einzelnen. Verlag Franz Vahlen., München 2018, ISBN 978-3-8006-5416-1.
  10. Stand der Dinge. In: Frisch Schule. Abgerufen am 18. Juni 2019 (deutsch).
  11. Demokratische Schule Fokus (Website der Schule). Abgerufen am 14. September 2019.
  12. Schüler helfen ehemaligen Zwangsarbeitern und anderen NS-Opfern in Kiew, Minsk und Moskau -Die „Schule der Selbstbestimmung“ in Moskau. Abgerufen am 6. Mai 2019.
  13. Annegret Wulff: Demokratiebildung in Russland. S. 141–144, abgerufen am 6. Mai 2019. Der Bericht wurde von der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft herausgegeben.
  14. Member Schools. In: eudec.org/schools. Abgerufen am 24. November 2019.
  15. Uriel Kashi: Demokratiebildung in Israel – Geschichte und aktuelle Ansätze. (PDF) Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft, 2008, S. 34–48, abgerufen am 10. Mai 2019. Das Institute for Democratic Education wird dort ausführlich dargestellt.
  16. Henning Graner: Interpretationen Demokratischer Schulen. In: unerzogen. In der Bildungslandschaft ... da tat sich was. Ausgabe 1/18. tologo, ISSN 1865-0872, S. 46: „In der Einführung dieser Artikelserie zu den unterschiedlichen Interpretationen einer Demokratischen Schule wird begründet, warum es eine Theorie der Demokratischen Schulen braucht, um die Vielfalt Demokratischer Schulen verstehen zu können.“
  17. David Jahr & Robert Kruschel: "Demokratie? - Das machen wir hier schon lange!" Ein Modell zur Einordnung demokratischer Praktiken an Schulen. In: unerzogen. Demokratische Schulen - vielfältig und in Bewegung. Ausgabe 1/15. tologo Verlag, ISSN 1865-0872, S. 11–16.
  18. Matthias Hofmann: Geschichte und Gegenwart Freier Alternativschulen - Eine Einführung. 2. Auflage. Klemm + Oelschläger, Ulm 2013, ISBN 978-3-86281-057-4, Kapitel 5.6 Das Sudbury-Konzept, S. 131–132: „In Sudbury Schulen gibt es keine Lehrpläne o. ä.. Die SchülerInnen entscheiden immer frei, ob und wann sie etwas tun. Lernvereinbarungen mit und ohne LehrerInnen kommen durch die Initiative der SchülerInnen zu stande.“
  19. Christian Füller. Unter Mitarbeit von Annegret Nill und Wolf Schmidt: Ausweg Privatschule? Was sie besser können, woran sie scheitern. 1. Auflage. Edition Körber-Stiftung, Hamburg 2010, ISBN 978-3-89684-077-6, Die Graswurzeldemokraten – Selbstbestimmung als Prinzip – Zu Besuch in der Werkstattschule Rostock und der Neuen Schule Hamburg, S. 165: „Sudbury-Schulen arbeiten im Geiste freier Erziehung – das heißt in maximaler Selbstbestimmung der Kinder. Sie entscheiden, ob und was gelernt wird.“
  20. Martin Wilke: Rechtssysteme Demokratischer Schulen. In: unerzogen. Demokratische Schulen - vielfältig und in Bewegung. Ausgabe 1/15. tologo Verlag, ISSN 1865-0872, S. 6–10.