„Cantharidin“ – Versionsunterschied

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== Geschichte ==
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Cantharidin wurde erstmals 1810 von [[Pierre-Jean Robiquet]] isoliert.<ref name="Reinhard W. Hoffmann">{{Literatur| Autor=Reinhard W. Hoffmann | Titel=Classical Methods in Structure Elucidation of Natural Products | Verlag=Wiley | Datum=2018 | ISBN=978-3-906390-73-4 | Seiten=28 | Online={{Google Buch | BuchID=w2k9DwAAQBAJ | Seite=28 }} }}</ref> Nach Kriegsberichten soll die Giftwirkung des Cantharidins schon den Truppen [[Napoléon Bonaparte|Napoleons]] beim [[Ägyptenfeldzug]] zum Verhängnis geworden sein, die in den Sümpfen des [[Ägypten|ägyptischen]] [[Nildelta]]s Frösche gefangen und verspeist hatten. Diese ernährten sich vor allem von den besagten Käfern und lagerten das Cantharidin ein, ohne selbst Schaden daran zu nehmen.<ref name="spektrum.de">Spektrum der Wissenschaft: [https://www.spektrum.de/news/die-chemischen-oeko-kampfstoffe-der-insekten/1282241 Die chemischen Öko-Kampfstoffe der Insekten], abgerufen am 19. November 2023</ref> Die ersten Beschreibungen des Gebrauchs in der Medizin stammen aus dem Altertum, zum Beispiel von [[Hippokrates von Kos|Hippokrates]] und [[Plinius der Ältere|Plinius dem Älteren]].
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== Eigenschaften ==
== Eigenschaften ==

Version vom 19. November 2023, 12:11 Uhr

Strukturformel
Struktur von Cantharidin
Allgemeines
Name Cantharidin
Andere Namen
  • Kantharidin
  • (2S,3R)-2,3-Dimethyl-7-oxabicyclo[2.2.1]heptan-2,3-dicarbonsäureanhydrid
Summenformel C10H12O4
Kurzbeschreibung

farblose, orthorhombische Plättchen[1]

Externe Identifikatoren/Datenbanken
CAS-Nummer 56-25-7
EG-Nummer 200-263-3
ECHA-InfoCard 100.000.240
PubChem 5944
ChemSpider 5731
DrugBank DB12328
Wikidata Q410884
Eigenschaften
Molare Masse 196,20 g·mol−1
Aggregatzustand

fest

Schmelzpunkt

218 °C[2]

Löslichkeit
  • sehr schlecht in Wasser (30 mg·l−1 bei 20 °C)[3]
  • wenig löslich in organischen Lösemitteln[1]
Sicherheitshinweise
GHS-Gefahrstoffkennzeichnung[4]
Gefahrensymbol

Gefahr

H- und P-Sätze H: 300​‐​315​‐​319​‐​335
P: 261​‐​264​‐​301+310​‐​305+351+338[4]
Toxikologische Daten
Soweit möglich und gebräuchlich, werden SI-Einheiten verwendet.
Wenn nicht anders vermerkt, gelten die angegebenen Daten bei Standardbedingungen (0 °C, 1000 hPa).

Cantharidin, auch Kantharidin, ist ein Naturstoff und zählt zur Gruppe der Terpenoide. Es handelt sich dabei um ein giftiges Monoterpen mit für den Menschen tödlicher Wirkung.

Vorkommen

Spanische Fliege (Lytta vesicatoria)

Cantharidin kommt in verschiedenen Käferarten, in Mitteleuropa dem Ölkäfer (Meloe proscarabaeus) vor. Benannt wurde es nach der Familie Cantharidae (Weichkäfer) bzw. dem früheren Gattungsnamen der Spanischen Fliege (Cantharis/Lytta vesicatoria), als deren Bestandteil es erstmals beschrieben wurde.[6]

Geschichte

Cantharidin wurde erstmals 1810 von Pierre-Jean Robiquet isoliert.[7] Nach Kriegsberichten soll die Giftwirkung des Cantharidins schon den Truppen Napoleons beim Ägyptenfeldzug zum Verhängnis geworden sein, die in den Sümpfen des ägyptischen Nildeltas Frösche gefangen und verspeist hatten. Diese ernährten sich vor allem von den besagten Käfern und lagerten das Cantharidin ein, ohne selbst Schaden daran zu nehmen.[8] Die ersten Beschreibungen des Gebrauchs in der Medizin stammen aus dem Altertum, zum Beispiel von Hippokrates und Plinius dem Älteren.[9]

Eigenschaften

Chemische Eigenschaften

Beim Cantharidin handelt es sich um ein Monoterpen, das in farblosen, orthorhombischen Plättchen kristallisiert. Es hat eine Schmelztemperatur von 218 °C. Es ist unlöslich in Wasser, löslich in Chloroform, Aceton und Ethanol. In Säuren und Alkalien ist es gut löslich.

Biochemische Eigenschaften

Cantharidin gilt in der traditionellen chinesischen Medizin als Anti-Krebsmedikament. Cantharidin inhibiert die Serin-/Threonin-spezifischen Protein-Phosphatasen 1 und 2A und gilt als Leitstruktur in der Entwicklung neuer Antitumormedikamente.[10]

Biologische Bedeutung

Ölkäfer mit Cantharidintropfen

Cantharidin ist in der Hämolymphe einer Reihe von Käferarten enthalten, vor allem bei den Ölkäfern (Meloidae), auch nach der Wirkung des Cantharidin auf die menschliche Haut „Blasenkäfer“ genannt, den Feuerkäfern (Pyrochroidae) und bei Vertretern der Familie der Scheinbockkäfer (Oedemeridae). Die biologische Bedeutung ist dabei unterschiedlich. So setzen die Ölkäfer den Giftstoff vor allem als Wehrsekret ein, das bei einer potentiellen Bedrohung an den Beingelenken tropfenförmig ausgepresst wird (Reflexbluten). Bei den Feuerkäfern stellt Cantharidin vor allem ein Lockpheromon dar, das die Männchen für die Weibchen attraktiv macht. Auf die meisten anderen Insekten wirkt Cantharidin dagegen abschreckend, nur die Blumenkäfer (Anthicidae) werden ebenfalls angelockt, da sie auf diese Weise die Leichen von Ölkäfern finden können. Auch bei ihnen spielt Cantharidin eine Rolle bei der Paarung: die Weibchen überprüfen vor der Paarung den Cantharidingehalt der Vorratsbehälter unter den Flügeln der Männchen und machen davon ihre Paarungswilligkeit abhängig. Die Käfer können den Stoff allerdings nicht selbst produzieren, sondern entnehmen ihn den Ölkäfern. Ebenfalls attraktiv wirkt Cantharidin auch auf einige Arten der Gnitzen (Ceratopogonida), einer Mückengruppe, die cantharidinhaltige Käferarten besaugen.

Cantharidin ist ein starkes Reiz- und Nervengift, wodurch es als Wehrsekret sehr effektiv ist. Auf der Haut und vor allem auf den Schleimhäuten übt es eine starke Reizwirkung aus. Beim Menschen und bei anderen Wirbeltieren löst es die Bildung von Blasen und teilweise tiefen Nekrosen aus. Außerdem führt es zu Entzündungen und insbesondere zu einer starken Schädigung der Nieren. Wegen der ausgeprägten Toxizität ist die Einnahme von Cantharidin nicht zu empfehlen.

Sequestrierung

Einige Tierarten haben sich darauf spezialisiert, Ölkäfer zu verzehren und deren Gift in ihrem Gewebe einzulagern, um sich oder andere Artangehörige damit vor Prädatoren zu schützen. Dazu gehört auch die Sporngans (Plectropterus gambensis), einer der wenigen Giftvögel, deren Fleisch daher für Menschen unverzehrbar ist.[11][12]

Anwendung am Menschen

Cantharidin galt als potenzsteigerndes Mittel, das beim Mann eine langanhaltende Erektion herbeiführen soll. Die Anwendung ist umstritten, vor allem, da die Erektion sehr schmerzhaft sein kann, die Dosierung sehr schwierig ist. Erreicht werden soll sie durch Einreiben der Genitalien oder Einnahme von aufgelöstem Cantharidin, wobei dafür meistens die Spanische Fliege (Lytta vesicatoria) zermahlen wird.

Anwendung fand Cantharidin vor allem bei der Hautreiztherapie sowie als Mittel zur Entfernung von Warzen, häufig in Form eines transdermalen Pflasters (Cantharidenpflaster). Aufgrund der stark reizenden Wirkung auf die Haut wird Cantharidin in der Pharmakologie experimentell beim Hautblasenversuch (Cantharidin-Test) verwendet. Dabei wird durch Cantharidin eine Hautblase hervorgerufen, in deren Flüssigkeit die Konzentration von Arzneistoffen gemessen werden kann. Aufgrund der Wirkung bei Überdosierung sollte es nur nach Absprache mit einem Arzt angewendet werden.

Die für den Menschen geringste tödliche Dosis LDLo liegt bei etwa 0,5 mg/kg Körpergewicht. Im antiken Griechenland wurde das Gift neben dem Schierlingsbecher zur Vollstreckung von Todesurteilen verwendet.

Im Juli 2023 erteilte die Food and Drug Administration (FDA) Cantharidin unter dem Präparatennamen Ycanth eine Zulassung für die lokale Behandlung von Molluscum contagiosum (Dellwarzen) bei erwachsenen und pädiatrischen Patienten ab 2 Jahren. Die Anwendung erfolgt durch medizinisches Personal je nach Bedarf alle 3 Wochen als einmaliges Auftragen auf die betroffenen Hautstellen des Patienten.[13] Die häufigsten Nebenwirkungen an der Applikationsstelle sind Blasenbildung, Schmerzen, Juckreiz, Schorfbildung, Rötungen, Verfärbungen, Ödeme und Erosion der Haut. Bei versehentlicher oraler Verabreichung können lebensbedrohliche oder tödliche Vergiftungen auftreten.[13]

Literatur

Einzelnachweise

  1. a b Eintrag zu Cantharidin. In: Römpp Online. Georg Thieme Verlag, abgerufen am 11. November 2014.
  2. a b c Datenblatt Cantharidin (PDF) bei Carl Roth, abgerufen am 12. Dezember 2007.
  3. a b Eintrag zu Cantharidin in der ChemIDplus-Datenbank der United States National Library of Medicine (NLM) (Seite nicht mehr abrufbar)
  4. a b Datenblatt Cantharidin bei Sigma-Aldrich, abgerufen am 15. März 2011 (PDF).Vorlage:Sigma-Aldrich/Name nicht angegeben
  5. Toxicon. Vol. 23, S. 36, 1985.
  6. John L. Capinera: Encyclopedia of Entomology. Springer Science & Business Media, 2008, ISBN 978-1-4020-6242-1, S. 3136 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  7. Reinhard W. Hoffmann: Classical Methods in Structure Elucidation of Natural Products. Wiley, 2018, ISBN 978-3-906390-73-4, S. 28 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  8. Spektrum der Wissenschaft: Die chemischen Öko-Kampfstoffe der Insekten, abgerufen am 19. November 2023
  9. Edwin Stanton Faust: Die Tierischen Gifte. Vieweg-Teubner Verlag, 1906, ISBN 978-3-663-19878-9, S. 207 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  10. Yulin Ren, A. Douglas Kinghorn: Antitumor potential of the protein phosphatase inhibitor, cantharidin, and selected derivatives. In: Bioorg. Med. Chem. Band 32, 2021, doi:10.1016/j.bmc.2021.116012, PMID 33454654 (englisch).
  11. Stefan Bartram, Wilhelm Boland: Chemistry and ecology of toxic birds. In: ChemBioChem. Band 2, Nr. 11, November 2001, S. 809–811, doi:10.1002/1439-7633(20011105)2:11<809::AID-CBIC809>3.0.CO;2-C (englisch).
  12. Karem Ghoneim: Cantharidin toxicosis to animal and human in the world: A review. In: Standard Res. J. Toxicol. Environ. Health Sci. Band 1, 2013, S. 1–22 (englisch, semanticscholar.org [PDF]).
  13. a b FDA approves first treatment for molluscum contagiosum. In: fda.gov. 24. Juli 2023, abgerufen am 30. August 2023 (englisch).
Commons: Cantharidin – Sammlung von Bildern