Corioliskraft

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Animation zur Corioliskraft auf eine Kugel, die sich auf einer Drehscheibe nach außen bewegt: oben aus Sicht eines außenstehenden ‚unbewegten‘ Beobachters, unten aus Sicht eines mit der Scheibe ‚mitbewegten‘ Beobachters (der zum Beispiel am roten Punkt steht).

Die Corioliskraft [kɔrjoˈliːskraft][1] ist eine Schein- oder Trägheitskraft, die einen bewegten Körper quer zu seiner Bewegungsrichtung ablenkt, wenn diese relativ zu einem rotierenden Bezugssystem beschrieben wird und nicht zu dessen Rotationsachse genau parallel liegt. Die Corioliskraft tritt nicht in Erscheinung, wenn die Bewegung aus Sicht eines nicht rotierenden Bezugssystems (z. B. eines Inertialsystems) beschrieben wird. Sie wurde 1775 von Pierre-Simon Laplace erstmals korrekt aus den Newton’schen Gesetzen der Mechanik hergeleitet[2], wird aber nach Gaspard Gustave de Coriolis benannt, der diese Kraft in einer 1835 erschienenen Publikation ausdrücklich hervorhob[3]. Im Unterschied zur Zentrifugalkraft und Eulerkraft, die auch als Scheinkräfte in rotierenden Bezugssystemen auftreten, verschwindet die Corioliskraft, wenn der Körper sich relativ zum rotierenden Bezugssystem (z. B. der Erdoberfläche oder seinem Platz auf einem Karussell) nicht bewegt.

Spürbar ist die Corioliskraft z. B., wenn man auf einer Drehscheibe auf einem Kinderspielplatz zu laufen beginnt. Deutlich erkennbar wird der Einfluss der Corioliskraft auch bei langfristigen großräumigen Phänomenen, wie z. B. in der Meteorologie bei der Drehrichtung der Windfelder um Hoch- und Tiefdruckgebiete und bei der Ausbildung erdumspannender Windsysteme wie der Passatwinde und des Jetstreams. In der physikalischen Ozeanographie beeinflusst die Corioliskraft maßgeblich die Meeresströmungen. Die verbreitete These, dass sie auch für die Drehrichtung des Strudels in der Badewanne und im Spülbecken verantwortlich sei, trifft hingegen nicht zu.[4][5][6] Wie stark der Einfluss der Corioliskraft auf die Strömung eines Mediums ist, wird durch deren Rossby-Zahl beschrieben.

Die Corioliskraft und dazugehörige Coriolisbeschleunigung berechnen sich nach den Formeln und . Darin ist die Winkelgeschwindigkeit des Bezugssystems, die Geschwindigkeit des Körpers relativ zu diesem Bezugssystem und die Masse des Körpers.

In der Technischen Mechanik wird als Coriolisbeschleunigung diejenige Beschleunigung bezeichnet, die das seitliche Abweichen des bewegten Körpers verhindert. Sie ist das Negative der oben beschriebenen Coriolisbeschleunigung.[7]

Einführung – Die Corioliskraft auf einer sich drehenden Scheibe

Eine Person, die auf einer sich drehenden Scheibe (z. B. auf manchen Spielplätzen oder auf einem Karussell) mitfährt, erfährt eine nach außen gerichtete Zentrifugalkraft. Bewegt sich die Person relativ zu der Scheibe, so erfährt sie darüber hinaus eine Kraft, die sie aus ihrer momentanen Bewegungsrichtung zur Seite ablenkt. Dies ist die Corioliskraft. Ohne einige Übungen macht sie das einfache Geradeausgehen zunächst praktisch unmöglich.

Falsch ist die Ansicht, dass die Corioliskraft nur bei radialen Bewegungen wirke, also bei solchen, die entweder von der Drehachse weg oder zu ihr hin gerichtet sind. Tatsächlich ist die Stärke der Corioliskraft unabhängig von der Richtung der Bewegung auf der Drehscheibe.[8] Da sie immer quer zur Bewegungsrichtung wirkt, führt sie eine Bewegung mit konstanter Geschwindigkeit auf eine Kreisbahn. Dreht sich die Scheibe – wie auf dem Bild – rechtsherum, wirkt die Corioliskraft nach links, bezogen auf die Bewegungsrichtung des roten Körpers.

Bewegt der Körper sich tangential, also mit konstantem Abstand zur Drehachse, dann hat die Corioliskraft eine radiale Richtung. Sie hat also die gleiche (oder entgegengesetzte) Richtung wie die Zentrifugalkraft und wirkt daher nur wie deren Verstärkung oder Abschwächung, je nach Bewegungsrichtung auf der Scheibe – mit der Drehung bzw. entgegengesetzt. Das muss auch deshalb so sein, weil so ein tangential bewegter Körper in einem geeignet gewählten Bezugssystem, das entsprechend schneller oder langsamer rotiert als die Scheibe, ruht. In diesem Bezugssystem erfährt er also keine Corioliskraft, und die gesamte auf ihn wirkende Trägheitskraft muss als Zentrifugalkraft erscheinen. Läuft man z. B. auf der Scheibe entgegen ihrem Drehsinn und genau mit ihrer Umlaufgeschwindigkeit, ist die Corioliskraft genau doppelt so groß wie die Zentrifugalkraft. Der Körper erscheint dann kräftefrei. Von außen betrachtet tritt die laufende Person dann ja auch auf der Stelle, stellt also einen insgesamt ruhenden Körper dar.

Eine Bewegung parallel zur Rotationsachse, also senkrecht zur Drehscheibe, ruft keine Corioliskraft hervor. Beim senkrechten Hochhüpfen oder beim Hochschießen eines Gegenstandes parallel zur Drehachse ist jedoch zu beachten, dass die Drehscheibe dann im Allgemeinen auf den Körper keine Zentripetalkraft mehr ausüben kann. Er wird dann durch die Zentrifugalkraft beschleunigt und beginnt sich deshalb, relativ zur Scheibe, in horizontaler Richtung zu bewegen. Dadurch entsteht auch eine Corioliskraft, und der Körper wird durch die vektorielle Summe aus Zentrifugalkraft und Corioliskraft beschleunigt. Wenn der Körper wieder landet, z. B. weil eine Gravitationskraft parallel zur Rotationsachse wirkt, kommt er nicht mehr am Ausgangspunkt an.

Kinematische Herleitung

Für die Herleitung der Coriolisbeschleunigung (und damit auch der -kraft) betrachte man ein Bezugssystem Q, das sich im Inertialsystem I befindet. In diesem System betrachten wir einen Punkt P. Der Ursprung des Systems sei frei im System I bewegbar, beschrieben durch , das System kann sich zum Inertialsystem verdrehen, was über den Winkelgeschwindigkeitsvektor bzw. den Winkelbeschleunigungsvektor beschrieben wird. Die Position des Punktes P relativ zum Ursprung ist mit gegeben. Um anzugeben, in welchem System ein Vektor abgeleitet wird, wird das Inertialsystem vor dem Differentialoperator angegeben. Es gilt weiterhin (im Allgemeinen) für jeden Vektor x in Q:

Für den absoluten Vektor zum Punkt P ergibt sich dann

für die Geschwindigkeit

und für die Beschleunigung

Einen der Beschleunigungsanteile nennt man Coriolisbeschleunigung (Vorzeichenkonvention Technische Mechanik):

Dieser Beschleunigung wirkt nach dem d’Alembertschen Prinzip eine Trägheitskraft

entgegen, die den Punkt P, sofern keine Zwangsbedingung vorliegt, aus Sicht des Betrachters in Q um

beschleunigt.

Corioliskraft aufgrund der Erdrotation

Auf ein sich auf der Erde bewegendes Objekt wirkt die Corioliskraft, die auf die Erdrotation zurückgeht. Ausgenommen sind lediglich Bewegungen parallel zur Erdachse, z. B. an den Polen die vertikalen Bewegungen nach oben oder nach unten, am Äquator die horizontalen Bewegungen genau nach Norden oder nach Süden. Der Einfluss der Erdrotation auf die Bewegung von Körpern wurde erstmals von Isaac Newton untersucht[Beleg benötigt].

Vertikale Bewegungen

Außer an den Polen haben vertikale Bewegungen auf der Erdoberfläche einen senkrecht zur Erdachse gerichteten Anteil. Dieser erzeugt eine Corioliskraft, die bei einer Abwärtsbewegung nach Osten, bei einer Aufwärtsbewegung nach Westen gerichtet ist.

Lässt man einen Gegenstand fallen, wird er aufgrund der Corioliskraft nach Osten abgelenkt. Frühe Messungen dieses Effektes stammen von Giovanni Battista Guglielmini (1791 in Bologna), Johann Friedrich Benzenberg (1802 in Hamburg) und Ferdinand Reich (1832 in Freiberg), siehe Fallexperimente zum Nachweis der Erdrotation.

Eine alte Frage, über die schon im 17. Jhdt. Marin Mersenne spekulierte, ist die, wo eine senkrecht nach oben geschossene Kanonenkugel wieder am Boden ankommt – ohne Berücksichtigung von Luftbewegung und Luftwiderstand. Durch die Corioliskraft wird die Kugel während der Aufwärtsbewegung nach Westen und während der Abwärtsbewegung nach Osten beschleunigt. Dadurch entsteht beim Aufstieg eine westliche Geschwindigkeitskomponente, die im Umkehrpunkt ihr Maximum erreicht, und beim Abstieg wegen der ostwärts gerichteten Corioliskraft gleichermaßen wieder abnimmt. Unten erreicht sie wieder den Wert Null. So hat während des gesamten Fluges die Geschwindigkeit eine nach Westen gerichtete Komponente. Im Ergebnis wird die Kugel daher nach Westen abgelenkt. Bei 50° geographischer Breite beträgt bei einer Anfangsgeschwindigkeit von 100 m/s (Steighöhe ca. 500 m) die Westablenkung 65 cm.

Gleichgewicht zwischen der Corioliskraft und dem Druckgradienten am Beispiel eines Tiefdruckgebietes auf der Nordhalbkugel.
Rot – horizontale Komponente der Corioliskraft
Blau – Druckgradientkraft

Horizontale Bewegungen

Eine horizontale Bewegung, also eine Bewegung in einer Tangentialebene der Erdoberfläche, ruft eine Corioliskraft hervor, die im Allgemeinen auch eine vertikale Komponente hat. Diese ist neben der parallel zu ihr wirkenden Schwerkraft meist vernachlässigbar schwach und spielt in der Praxis nur als Korrekturglied bei Präzisionsmessungen des Erdschwerefeldes eine Rolle. Z. B. macht sie ein Flugzeug, das am Äquator mit Schallgeschwindigkeit nach Osten fliegt, um annähernd ein Tausendstel seines Gewichts leichter – fliegt es nach Westen, wird es entsprechend schwerer. In der Geophysik, z. B. in Bezug zu rein horizontalen Ozean- oder Luftströmungen, bezeichnet man daher meist die horizontale Komponente der vollen Corioliskraft allein schon als „die Corioliskraft“. Für sie gilt, wie für das oben erläuterte Beispiel der horizontalen Drehscheibe, dass die Corioliskraft stets quer zur Bewegungsrichtung wirkt und dass ihre Stärke nicht von der Bewegungsrichtung abhängt. Bei einer Nord-Süd-Bewegung wirkt exakt die gleiche horizontale Komponente der Corioliskraft wie bei einer Ost-West-Bewegung.

Die Corioliskraft (genauer: ihre horizontale Komponente) zieht den auf der Nordhalbkugel bewegten Körper nach rechts, auf der Südhalbkugel nach links, und zwar umso stärker, je näher er sich an den Polen befindet und je schneller er sich bewegt. Bei Bewegungen am Äquator ist die horizontale Komponente der Corioliskraft Null.

Die Corioliskraft hat wesentlichen Einfluss auf die Formen der großräumigen Bewegungen in der Atmosphäre und im Ozean. Theoretisch berücksichtigt wurde dies erstmals in der von Laplace (1778) aufgestellten Gezeitentheorie. Des Weiteren modifiziert die Corioliskraft den Einfluss des Windes auf die Meeresströmungen, wie um 1905 von Vagn Walfrid Ekman erklärt wurde (siehe Ekman-Transport und Korkenzieherströmung). Allgemein wird der Einfluss der Corioliskraft auf bestimmte Bewegungen etwa im Meer und in der Atmosphäre durch die dimensionslose Rossby-Zahl charakterisiert. Je kleiner diese ist, umso stärker ist die Bewegung durch Corioliskraft geprägt.

Einfluss der Corioliskraft auf das Wetter

Auswirkung der Corioliskraft auf ein großskaliges Windsystem, hier Tiefdruckgebiet bei Island (Nordhalbkugel)

Die Corioliskraft ist dafür verantwortlich, dass großräumig betrachtet die Luftmassen von Hochdruckgebieten nicht einfach zu Tiefdruckgebieten strömen, wie es das Druckgefälle nahelegt, sondern Spiralbahnen beschreiben. Allgemein dreht sich die Luft auf der Nordhalbkugel um Hochdruckgebiete im Uhrzeigersinn, um Tiefdruckgebiete gegen den Uhrzeigersinn. Auf der Südhalbkugel ist dies genau umgekehrt. Diese Wirbel entstehen dadurch, dass die vom Druckgefälle vom Hochdruckgebiet zum Tiefdruckgebiet hin beschleunigte Luft durch die Corioliskraft abgelenkt wird, auf der Nordhalbkugel nach rechts. Die Luft verlässt das Hochdruckgebiet daher in Form eines rechts drehenden Wirbels, also im Uhrzeigersinn. Um das Tiefdruckgebiet entsteht aus dem gleichen Grund ein linksdrehender Wirbel. Die dort hineinströmende Luft wird nach rechts abgelenkt und kann sich dem Zentrum nur in dem Maß nähern, in dem das Druckgefälle eine Linkskurve verursacht. Das sich ergebende Strömungsbild lässt sich durch das geostrophische Gleichgewicht zwischen dem horizontalen Druckgefälle und der Corioliskraft erklären: In einem Wirbel, der sich um ein Tiefdruckgebiet gegen den Uhrzeigersinn dreht, wirkt die Corioliskraft nach außen und kompensiert die nach innen gerichtete Kraft, die vom Druckgefälle verursacht ist. Das geostrophische Gleichgewicht formt nur die großskaligen Wettermuster. Auf die Drehrichtung im kleinräumigen Bereich, beispielsweise von Tornados hat die Corioliskraft keinen direkten Einfluss. Weiterhin spielt die Corioliskraft auch bei der Bildung der Rossbywellen und Yanai-Wellen eine wichtige Rolle.

Corioliskraft und Eisenbahn

Im Schienenverkehr führt die Corioliskraft theoretisch dazu, dass bei geraden Strecken diejenige Schiene, die in Fahrtrichtung rechts liegt, auf der Nordhalbkugel geringfügig stärker belastet wird als die linke Schiene. Dieser Effekt ist aber so klein, dass er gegenüber geringfügigen Krümmungen und Höhenunterschieden beider Schienen, die ebenfalls eine ungleichmäßige Belastung zur Folge haben, keine technische Relevanz hat.

Ein Zug (z. B. ein ICE 3 mit 400 t Masse), der bei einer geografischen Breite von 51 Grad (Köln) mit einer Geschwindigkeit von 250 km/h fährt, erfährt eine Kraft von 3.200 N nach rechts. Dies ist weniger als ein Promille der Gewichtskraft. Hat der Zug acht Wagen mit je vier Achsen, wird jedes rechte Rad mit einer Corioliskraft von ca. 100 N nach rechts gegen die Schiene gedrückt. Im Vergleich dazu ergibt sich bei dieser Geschwindigkeit und bei einem Kurvenradius von 3.000 m die erforderliche Zentripetalkraft auf jedes Rad zu 20.000 N, also 200-mal so viel wie die Corioliskraft.

Trägheitskreise

Aufgrund der Corioliskraft beschreibt eine Luft- oder Wassermasse, die sich in einem mit der Erde mitrotierenden Bezugssystem mit der Geschwindigkeit bewegt, ohne Einfluss anderer Kräfte „Trägheitskreise“ mit Radien von In mittleren Breiten mit Werten des Coriolisparameters (siehe unten) von und einer typischen Meeres-Strömungsgeschwindigkeit von ergibt sich ein Radius von Die Bewegung erfolgt auf der Nordhalbkugel im Uhrzeigersinn, auf der Südhalbkugel entgegen dem Uhrzeigersinn. Die Periode der Umlaufbewegung ist z. B. bei 60 Grad geographischer Breite rund 15 Stunden. Sie wurden z. B. bei frei schwimmenden Bojen in der Ostsee beobachtet, die zunächst einer durch starke Winde angefachten Oberflächenströmung folgten, nach dem Abflauen des Windes aber Kreisbahnen bzw. Zykloiden (da eine Strömung der Kreisbewegung überlagert war) beschrieben.[9][10] Für den Verlauf von Meeres- und Luftströmungen spielt die Corioliskraft eine wichtige Rolle, neben anderen Kräften, die sich mit ihr ins Gleichgewicht setzen oder sie sogar dominieren (Geostrophie).

Corioliskraft und Foucaultsches Pendel

Der Begriff der Corioliskraft erlaubt ein einfaches Verständnis des Foucaultschen Pendels. Da das Pendel (auf der Nordhalbkugel) durch die Corioliskraft nach rechts gezogen wird, dreht sich seine Schwingungsebene. Die Geschwindigkeit der Drehung nimmt mit zunehmendem Abstand vom Pol ab.

Erosion von Flussufern

Die Corioliskraft führt auch dazu, dass auf der Nordhalbkugel diejenigen Flussufer, die in Fließrichtung rechts liegen, im Mittel stärker erodiert werden als die linken. Dieses Phänomen wurde erstmals im Jahre 1763 von Michail Wassiljewitsch Lomonossow beschrieben. Erste Erklärungen stammten von Pjotr Andrejewitsch Slowzow (1827) und Karl Ernst von Baer (1856).[11] Obwohl diese Forscher glaubten, der Effekt trete nur bei Flüssen auf, die von Süden nach Norden fließen, wird der Effekt bis heute als Baersches Gesetz bezeichnet. Die korrekte Sichtweise, dass der Effekt von der Fließrichtung unabhängig ist, formulierte 1859 erstmals Jacques Babinet und später Albert Einstein (1926).[12][13][14][15][16]

Corioliskraft in der Technik

Bei einer rotierten Stimmgabel bewegen sich die Zinken zusätzlich zur normalen Bewegung seitlich aneinander vorbei. Diese Bewegung beruht auf der Corioliskraft.

Corioliskräfte sind in der Technik dann von Bedeutung, wenn eine Drehbewegung von einer zweiten Bewegung „überlagert“ wird. Dies ist beispielsweise bei einem Roboter der Fall, der sich dreht und gleichzeitig seinen Greifarm ausfährt.

  • Wenn eine Last am Ausleger eines Krans nach innen oder außen fährt, während der Kran sich dreht, hängt sie aufgrund der Corioliskraft nicht senkrecht nach unten, sondern wird seitlich ausgelenkt. Wird die Last längs des Auslegers nach innen eingefahren, eilt sie dem Kran voraus.
  • In der Getriebetechnik (Koppelgetriebe) und in der Robotik spielen die Corioliskräfte ebenfalls eine wichtige Rolle, da auch hier gleichzeitige Bewegungen entlang mehrerer Freiheitsgrade erfolgen. Benutzt man zur Vereinfachung der Beschreibung rotierende Koordinatensysteme, treten für Bewegungen in diesen rotierenden Bezugssystemen auch Corioliskräfte auf.
  • Zur Messung des Massenstromes durchströmender Flüssigkeiten oder Gase verwendet man den Coriolis-Massendurchflussmesser. Das Messrohr wird in Schwingungen versetzt. Diese werden im Ein- und Auslauf gemessen und verglichen. Bei der Corioliswaage wird vor allem Schüttgut durch die Messung der Änderung des benötigten Drehmoments eines Rotortellers vermessen.
  • Bei Kreiselpumpen wird das Medium vom meist axial gelegenen Ansaugkanal durch das Pumpenrad in Rotation versetzt und durch die Zentrifugalkraft nach außen zum Ausgang geschleudert. Dabei übt das Medium Corioliskräfte auf das Pumpenrad aus, wodurch sich ein Bremsmoment für den Antrieb ergibt. Die effektiv aufgewendete Energie der Pumpe ist also etwa proportional zum radial verlaufenden Massenstrom, dem Radius des Pumpenrades und der Drehzahl (Verwirbelungen, Rückströmungen und Reibung außer Acht gelassen).
  • Einige Drehratensensoren zur Messung von Drehgeschwindigkeiten nutzen die Corioliskraft in Form des sogenannten „Stimmgabelprinzips“,[17] das im nebenstehenden Bild erläutert wird. Aufgrund der Drehbewegung bewegen sich die Zinken der Stimmgabel nicht nur aufeinander zu, sondern sie führen zusätzlich seitliche Bewegungen zueinander aus, die durch die Corioliskraft verursacht werden. Die seitliche Auslenkung ist näherungsweise proportional zur Drehgeschwindigkeit und kann beispielsweise durch eine kapazitive oder induktive Messung erfasst werden.[18]

Berechnung und Spezialfälle

Rotationsebene, Winkelgeschwindigkeit und Geschwindigkeit

Die Coriolisbeschleunigung und bei Körpern der Masse auch die Corioliskraft wirkt auf einen Körper, der sich in einem rotierenden Bezugssystem bewegt. Dafür gilt allgemein die Formel . Bei bekanntem Winkel  zwischen Geschwindigkeit und Rotationsachse kann man mit den Beträgen rechnen: . Die Richtung der Kraft ist bei einem sich in mathematisch positiver Richtung, also links herum, drehenden System in Bewegungsrichtung gesehen rechtwinklig nach rechts, bei einem sich in mathematisch negativer Richtung drehenden System rechtwinklig nach links. In den typischen Koordinatendarstellungen bei rotierenden Systemen stellen sich die Formeln so dar:

Zylinderkoordinaten Kugelkoordinaten geografische Koordinaten

wobei

  • der Betrag der Winkelgeschwindigkeit des Bezugssystems und
  • der Geschwindigkeitsvektor der Bewegung des Körpers, relativ zum rotierenden Bezugssystem, ist und dabei
  • bei den Zylinderkoordinaten der Index die Komponente parallel zur Rotationsachse und die Indizes und die radiale und tangentiale Komponenten senkrecht zur Rotationsachse,
  • bei den Kugelkoordinaten der Index den Abstand zum Ursprung und die Indizes und den Azimut- und Polarwinkel,
  • bei den geografischen Koordinaten der Index den Abstand zur Kugeloberfläche und die Indizes und die geografische Breite und Länge bezeichnen.

Überlagerung mit der Zentrifugalkraft bei tangentialer Bewegung

Steht man z. B. auf einer Drehscheibe, spürt man nur die Zentrifugalkraft und muss sie durch eine gleich große Zentripetalkraft ausgleichen. Läuft man aber in konstantem Abstand von der Achse entgegen der Drehbewegung, dann scheint sich die Zentrifugalkraft zu verringern, obwohl die Scheibe unverändert rotiert. Der Grund ist die zusätzlich wirkende Corioliskraft radial nach innen. Läuft man gerade mit der Umlaufgeschwindigkeit der Scheibe, ist die Corioliskraft genau doppelt so groß wie die Zentrifugalkraft. Als resultierende Kraft erfährt der Körper also genau die Kraft, die er benötigt, um sich – aus Sicht des rotierenden Bezugssystems – auf einer Kreisbahn entgegengesetzt der Rotationsgeschwindigkeit zu halten. Aus dem Inertialsystem heraus gesehen ruht der Körper und ist kräftefrei. Bewegt sich der Körper hingegen in Richtung der Rotation, wirkt die Corioliskraft nach außen – dadurch ist eine größere Zentripetalkraft notwendig als im nicht rotierenden System, um ihn auf seiner Bahn zu halten. Vom Betrag her ergibt sich die Gleichheit der Kräfte genau dann, wenn man die Corioliskraft mit berücksichtigt:

Bewegt sich der Körper in konstantem Abstand zur Rotationsachse, mit der Geschwindigkeit im rotierenden Bezugssystem, dann entspricht das im Inertialsystem einer Kreisbewegung mit der Geschwindigkeit .

Berechnet man nun die scheinbare Zentrifugalkraft aus dem Inertialsystem und aus dem rotierenden System heraus , wird die Gleichheit der Beträge durch die Corioliskraft hergestellt:

Dabei gilt:

  1. ist die Zentrifugalkraft, die aufgrund der Rotation des Bezugssystems auftritt, selbst wenn der Körper sich nicht bewegte. Diese ist nach außen gerichtet und proportional zum Quadrat der Winkelgeschwindigkeit und dem Abstand von der Rotationsachse.
  2. ist die Zentrifugalkraft, die aufgrund der kreisförmigen Bewegung relativ zum Bezugssystem auftritt, selbst wenn das System nicht rotierte. Diese ist nach außen gerichtet und proportional zum Quadrat der Bewegungsgeschwindigkeit geteilt durch den Krümmungsradius der Bewegung.
  3. ist die Corioliskraft. Sie ist nach außen gerichtet, wenn sich der Körper in Richtung der Rotation bewegt und nach innen, wenn er sich entgegen der Rotation bewegt.

Bewegung auf der Oberfläche einer Kugel und Coriolisparameter

Kartesisches Koordinatensystem mit dem Ursprung auf der geographischen Breite eines rotierenden Himmelskörpers (f-Fläche) von Westen aus gesehen
Corioliskraft bei Bewegungen horizontal zur Erdoberfläche (Vorzeichen beachten)
Der Coriolisparameter in Abhängigkeit vom Breitengrad

Bei horizontalen Bewegungen - also solchen, die auf die Oberfläche einer Kugel eingeschränkt sind - fällt in geografischen Koordinaten und die vertikale Komponente der Coriolisbeschleunigung weg. Mit dem Coriolisparameter ergibt sich dann der Betrag der Coriolisbeschleunigung als und die Richtung so, dass ein Rechtssystem bildet. Die Erdrotation (eine Umdrehung in 23 Stunden 56 Minuten 4,09 Sekunden = 1 Sternentag = 86164,09 s) erfolgt mit einer Winkelgeschwindigkeit von Damit nimmt der Coriolisparameter in mittleren Breiten eine typische Größenordnung von an.

Vertikale Bewegung - Das Gedankenexperiment von Mersenne

Bei reinen Aufwärtsbewegungen wirkt die Corioliskraft nach Westen, beim senkrechten freien Fall wirkt sie nach Osten. Ihr Betrag ist

Ein über die Länge L frei fallender Körper erfährt aufgrund der Corioliskraft eine Ostablenkung von

Eine mit der Anfangsgeschwindigkeit senkrecht nach oben geschossene Kugel wird zunächst nach Westen abgelenkt um den Betrag

Hat sie die Steighöhe erreicht, so besitzt sie eine Westgeschwindigkeit von Beim Herunterfallen der Kugel muss man deshalb zusätzlich zur obigen Formel noch den Beitrag zur Ostablenkung berücksichtigen:

Der gesamte Versatz ergibt sich aus der Differenz der beiden Ausdrücke nach Vereinfachungen zufolge der Gesetze für die Steig- und Fallzeiten zu einer effektiven Abweichung nach Westen um

g ist dabei jeweils die Erdbeschleunigung.

Am Äquator ist der Versatz am größten (). Wegen ergibt sich kein Unterschied zwischen Nord- und Südhalbkugel.

Verwandte Begriffe

Als Corioliseffekt bezeichnet man jede Erscheinung, die durch die Corioliskraft zustande kommt.

Experimenteller Zugang

Am Teufelsrad, das als Fahrgeschäft um 1910 aufkam und nur mehr an wenigen Orten betrieben wird, kann an der eigenen Körperbewegung die Corioliskraft erfahren werden. Ebenso am Drehhocker, wenn durch Heranziehen der Arme der Pirouetteneffekt ausgelöst wird. Hierbei wirkt die mit der Erhöhung der Winkelgeschwindigkeit verbundene Trägheitskraft allerdings der Corioliskraft entgegen und hebt sie im Extremfall eines kreisenden Massenpunktes sogar ganz auf.

Historische Aufsätze

  • J. F. Benzenberg: Versuche über das Gesetz des Falles, den Widerstand der Luft und die Umdrehung der Erde. Dortmund 1804, 2. Auflage, Hamburg 1824.
  • F. Reich: Fallversuche über die Umdrehung der Erde: angestellt in dem Brüderschachte bei Freiberge. Freiberg 1832.
  • G. Coriolis: Memoire sur les equations du mouvement relatifs des systems de corps. In: J. Ec. Polytech. Nr. 15, 1835, S. 142–154 (online [PDF]).
  • Adrian Gill: Atmosphere-Ocean Dynamics (International Geophysics). Academic Pr Inc, 1982, ISBN 0-12-283522-0.
  • P. S. Laplace: Recherches sur plusieurs points du système du monde. In: Mém. Acad. Roy. d. Sci. Band 88, 1775, S. 75–182 (online).
    Zu dieser Quelle sollte man die Fußnote 12 in „The Coriolis Effect: Four centuries of conflict between common sense and mathematics“[19] beachten.
  • K. E. von Baer: Über ein allgemeines Gesetz in der Gestaltung der Flußbetten. In: Kaspische Studien. Nr. VIII, 1860, S. 1–6.

Einzelnachweise

  1. Corioliskraft, die, Duden online, abgerufen am 30. November 2013. Anstelle der Betonung auf dem zweiten i wird oft auch das erste i oder das zweite o betont.
  2. P. S. Laplace: Recherches sur plusieuers points du Système du Monde. In: Mém. Acad. roy.des Sciences. 88. Jahrgang, 1775, S. 75–182. Zitiert in David Edgar Cartwright: Tides: A Scientific History. Cambridge 1999, eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche
  3. G-G Coriolis: Memoire sur les équations du mouvement relatif des systèmes de corps. In: J. De l'Ecole royale polytechnique. 15. Jahrgang, 1835, S. 144–154. In dieser Veröffentlichung wird die Vorarbeit von Laplace (1775) nicht erwähnt.
  4. Christoph Drösser: Stimmt’s? Seltsamer Strudel. Auf: zeit.de. 3. März 2010, abgerufen am 14. Dezember 2014.
  5. Jearl Walker: Der fliegende Zirkus der Physik. Oldenbourg Wissenschaftsverlag, 2007, ISBN 978-3-486-58067-9 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  6. Norbert Lossau: Fünf Minuten Physik: Badewannen und Tiefdruckgebiete. In: Die Welt. 6. Juni 2007.
  7. Jürgen Dankert, Helga Dankert: Technische Mechanik. 6. Auflage. Vieweg-Teubner, 2011, ISBN 978-3-8348-1375-6.
  8. Richard Feynman u. a.: Vorlesungen über Physik. Seite 19-2, die letzten beiden Sätze des Kapitels.
  9. Anders Persson: The Coriolis Effect – a conflict between common sense and mathematics. (pdf) The Swedish Meteorological and Hydrological Institute, Norrköping, Sweden, archiviert vom Original am 28. November 2007; abgerufen am 22. Juni 2016 (englisch, siehe S. 3 Fig.1).
  10. Anders Persson: The Coriolis Effect: Four centuries of conflict between common sense and mathematics, Part I: A history to 1885. In: History of Meteorology. Band 2, 2005, S. 1–24 (englisch, meteohistory.org [PDF; 673 kB; abgerufen am 22. Juni 2016] siehe S 2 Fig.1).
  11. L. S. Berg: P. A. Slowzow und das Baersche Gesetz. In: Geschichte der russischen geographischen Entdeckungen. Gesammelte Aufsätze. VEB. Bibliographisches Institut, Leipzig. 1954.
  12. Albert Einstein: Die Ursache der Mäanderbildung der Flußläufe und des sogenannten Baerschen Gesetzes. In: Die Naturwissenschaften. Band 14, Nr. 11, 1926, 223-224 Online: Der handschriftliche Entwurf dieser Veröffentlichung von Einstein.
  13. Peeter Müürsepp: Über die Bildung der Flußbetten. Das Baer-Babinetsche Gesetz.. Wissenschaftshistorische Abhandlung.
  14. Ernst Peter Fischer: Ein Genie und sein überfordertes Publikum, "Die Ursache der Mäanderbildung der Flußläufe und des sogenannten Baerschen Gesetzes" (Einstein, 1926), 1996 S. 140.
  15. Karl-Heinz Bernhardt: Teetassen-Zyklonen und Flußmäander – Einstein klassisch 2005 S. 81-95.
  16. Florian Freistetter: ScienceBlogs Albert Einstein, die Zahl Pi und die Mäanderbildung bei Flüssen 2011.
  17. MEMS-Sensoren im Überblick, Automobil-Elektronik. (Memento vom 23. Mai 2013 im Internet Archive) April 2007 (PDF; 2,8 MB).
  18. Dissertation von Detlef Billep: Modellierung und Simulation eines mikromechanischen Drehratensensors. (PDF; 4,6 MB).
  19. A. O. Persson: The Coriolis Effect: Four centuries of conflict between common sense and mathematics, Part I: A history to 1885. In: History of Meteorology. Band 2, 2005, S. 1 (PDF).

Literatur

  • Henry M. Stommel, Dennis W. Moore: An introduction to the Coriolis force. Columbia Univ. Pr., New York 1989, ISBN 0-231-06637-6.
  • Halliday-Resnick-Walker: Halliday Physik. 2. Auflage, Wiley-VCH, 2009, S. 154 ff.

Weblinks

Wiktionary: Corioliskraft – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen
Wikibooks: Corioliskraft – Lern- und Lehrmaterialien