Euler-Mascheroni-Konstante

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Die Euler-Mascheroni-Konstante (nach den Mathematikern Leonhard Euler und Lorenzo Mascheroni), auch Eulersche Konstante, ist eine wichtige mathematische Konstante, die besonders in den Bereichen Zahlentheorie und Analysis auftritt. Sie wird mit dem griechischen Buchstaben (Gamma) bezeichnet.

Die blaue Fläche stellt die Eulersche Konstante dar.

Ihre Definition lautet:

wobei die n-te harmonische Zahl, den natürlichen Logarithmus und die Abrundungsfunktion bezeichnet.

Ihr numerischer Wert ist auf 100 dezimale Nachkommastellen genau (Folge A001620 in OEIS):

γ = 0,57721 56649 01532 86060 65120 90082 40243 10421 59335 93992 35988 05767 23488 48677 26777 66467 09369 47063 29174 67495 …

Mit Stand vom November 2009, Berechnung abgeschlossen am 13. März 2009, sind 29.844.489.545 dezimale Nachkommastellen bekannt.[1]

Allgemeines

Trotz großer Anstrengungen ist bis heute unbekannt, ob diese Zahl rational oder irrational, ob sie algebraisch oder transzendent ist.[2] Es wird aber stark vermutet, dass sie zumindest eine irrationale Zahl ist. Den ersten konkreten Beweisversuch hierzu unternahm 1926 Paul Émile Appell mit Hilfe der unten genannten Entwicklung von Joseph Ser. Durch Berechnung der Kettenbruchentwicklung von γ (Folge A002852 in OEIS)

γ = [0; 1, 1, 2, 1, 2, 1, 4, 3, 13, 5, 1, 1, 8, 1, 2, 4, 1, 1, 40, 1, 11, 3, 7, 1, 7, 1, 1, 5, 1, 49, 4, 1, 65, 1, 4, 7, 11, 1, 399, 2, 1, 3, 2, 1, 2, 1, 5, 3, 2, 1, …]

erhält man untere Schranken für positive ganze Zahlen p und q mit γ = p/q (zum Beispiel ergeben 475.006 Teilnenner q > 10244.663).[3]

Im Gegensatz zu Quadratwurzeln aus rationalen Zahlen beim Satz des Pythagoras und zur Kreiszahl bei Umfang und Fläche eines Kreises mit rationalem Radius tritt die Eulersche Konstante bei endlichen elementargeometrischen Problemen nicht auf. Es gibt jedoch viele technische Probleme, die auf die Summierung der endlichen harmonischen Reihe führen, wie etwa das Schwerpunktproblem des freitragenden Auslegers, das Problem der optimalen Sitzreihen-Erhöhung in Theatern und Kinos. Die Eulersche Konstante tritt bei vielen Problemen der Analysis, Zahlentheorie und Funktionentheorie und insbesondere bei speziellen Funktionen auf.

Konvergenz

Die Existenz der Eulerschen Konstanten ergibt sich aus der Teleskopsumme

die wegen nach dem Majorantenkriterium konvergiert.

Die Euler-Mascheroni-Konstante in mathematischen Problemen

Die Eulersche Konstante tritt in der Mathematik sehr häufig und manchmal auch ganz unerwartet in unterschiedlichen Teilgebieten auf. Hauptsächlich tritt sie bei Grenzwertprozessen von Zahlenfolgen und Funktionen, sowie bei Grenzwerten der Differential- und Integralrechnung auf. Das Auftreten lässt sich (wie auch bei anderen mathematischen Konstanten) je nach Art des Grenzwertes so unterteilen:

1. Als Funktionswert oder Grenzwert von Speziellen Funktionen.

Der Wert ist das Negative der Ableitung der Gammafunktion an der Stelle 1, also

.

Hieraus ergeben sich die folgenden Grenzwertdarstellungen, wobei die Riemannsche Zeta-Funktion und die Digamma-Funktion bezeichnet:

2. In Entwicklungen spezieller Funktionen, z. B. bei der Reihenentwicklung des Integrallogarithmus von Leopold Schendel, der Besselfunktionen oder der Weierstraß'schen Darstellung der Gammafunktion.

3. Bei der Auswertung bestimmter Integrale.

Hier gibt es eine reichhaltige Fülle, zum Beispiel:

oder auch

Es gibt auch sehr viele invariante Parameterintegrale, z. B.:

Man kann auch als ein Doppelintegral (J. Sondow 2003[4], 2005[5]) mit der äquivalenten Reihe ausdrücken:

.

Es gibt einen interessanten Vergleich (J. Sondow 2005) des Doppelintegrals und der alternierenden Reihe:

.

In diesem Sinne kann man sagen, dass die „alternierende Eulersche Konstante“ ist (Folge A094640 in OEIS).

Außerdem sind diese zwei Konstanten mit dem Paar

von Reihen verknüpft, wobei und die Anzahl der Einsen bzw. der Nullen in der Binärentwicklung von sind (Sondow 2010[6]).

Ferner gibt es eine ebenso reichhaltige Fülle an unendlichen Summen und Produkten, etwa

Die letzte Formel wurde 1998 von Sondow gefunden.[7]

4. Als Grenzwert von Reihen. Reihendarstellungen sind jedoch im Gegensatz zu prinzipiell seltener. Als einfachstes Beispiel ergibt sich aus der Grenzwert-Definition:

.

Als Beispiele von Reihen mit rationalen Gliedern sind nur die Reihen von Euler, Giovanni Enrico Eugenio Vacca, S. Ramanujan und Joseph Ser bekannt. An Reihen mit irrationalen Gliedern gibt es unzählige Variationen, deren Glieder aus rational gewichteten Werten der riemannschen Zeta-Funktion an den ungeraden Argumentstellen ζ(3), ζ(5), … bestehen. Ein Beispiel einer besonders schnell konvergierenden Reihe ist:

0,0173192269903…

Eine weitere Reihe ergibt sich aus der Kummerschen Reihe der Gammafunktion:

Bezeichnungen

Man kann sagen, dass die Eulersche Konstante diejenige Konstante mit den meisten Bezeichnungen ist. Euler selbst bezeichnete sie mit C und gelegentlich mit O oder n. Es ist jedoch zweifelhaft, ob er damit ein eigenständiges Symbol für seine Konstante einführen wollte. Mascheroni bezeichnete die Konstante nicht – wie oft behauptet – mit γ, sondern mit A. Das γ-Missverständnis rührt von dem häufig unüberprüft zitierten Artikel von J. W. L. Glaisher her (wobei Glaisher dort ausdrücklich anmerkt, dass er Mascheronis Buch nicht gesehen hat):

„Euler’s constant (which throughout this note will be called γ after Mascheroni, De Morgan, &c.) [...]
It is clearly convenient that the constant should generally be denoted by the same letter. Euler used C and O for it; Legendre, Lindman, &c., C; De Haan A; and Mascheroni, De Morgan, Boole, &c., have written it γ, which is clearly the most suitable, if it is to have a distinctive letter assigned to it. It has sometimes (as in Crelle, t. 57, p. 128) been quoted as Mascheroni’s constant, but it is evident that Euler’s labours have abundantly justified his claim to its being named after him.“

Glaisher: On the history of Euler’s constant, 1872, S. 25 und 30[8]

Andere Mathematiker verwenden die Bezeichnungen C, c, ℭ, H, γ, E, K, M, l. Der Ursprung der heute üblichen Bezeichnung γ ist nicht sicher. Carl Anton Bretschneider verwendete die Bezeichnung γ neben c in einem 1835 entstandenen und 1837 veröffentlichten Artikel,[9] Augustus De Morgan führte die Bezeichnung γ in einem in Teilen von 1836 bis 1842 veröffentlichten Lehrbuch im Rahmen der Behandlung der Gammafunktion ein.[10]

Verallgemeinerungen

Die Eulersche Konstante kennt mehrere Verallgemeinerungen. Die wichtigste und bekannteste ist die der Stieltjes-Konstanten:

Anzahl berechneter Dezimalstellen

1734 berechnete Leonhard Euler sechs Dezimalstellen (fünf gültige), später 16 Stellen (15 gültige). 1790 berechnete Lorenzo Mascheroni 32 Dezimalstellen (30 gültige), wovon jedoch die drei Stellen 20 bis 22 falsch sind – anscheinend aufgrund eines Schreibfehlers, sie sind allerdings mehrfach im Buch angegeben. Der Fehler war Anlass für mehrere Neuberechnungen.

Anzahl veröffentlichter gültiger Dezimalstellen von γ
Jahr Stellen Autor
1734 5 Leonhard Euler[11]
1735 15 Leonhard Euler[12]
1790 19 Lorenzo Mascheroni[13]
1809 22 Johann Georg Soldner[14]
1811 22 Carl Friedrich Gauß[15]
1812 40 Friedrich Bernhard Gottfried Nicolai[15]
1826 19 Adrien-Marie Legendre[16]
1857 34 Christian Fredrik Lindman[17]
1861 41 Ludwig Oettinger[18]
1867 49 William Shanks[19]
1871 99 J. W. L. Glaisher[20]
1871 101 William Shanks[21]
1877 262 John Couch Adams[22]
1952 328 John William Wrench, Jr.[23]
1961 1.050 Helmut Fischer & Karl Zeller[24]
1962 1.270 Donald E. Knuth[25]
1962 3.566 Dura W. Sweeney[26]
1973 4.879 William A. Beyer & Michael S. Waterman[27]
1976 20.700 Richard P. Brent[28]
1979 30.100 Richard P. Brent & Edwin M. McMillan[29]
1993 172.000 Jonathan Borwein
1997 1.000.000 Thomas Papanikolaou
1998 7.286.255 Xavier Gourdon
1999 108.000.000 Xavier Gourdon & Patrick Demichel
2009 29.844.489.545 Alexander J. Yee & Raymond Chan

Siehe auch

Literatur

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Large Computations von Alexander J. Yee, 7. März 2011 (englisch)
  2. Thomas Jagau: Is the Euler-Mascheroni constant an irrational number?, Question of the Week, 11. Mai 2011 (englisch) in JunQ: Journal of Unresolved Questions
  3. Bruno Haible, Thomas Papanikolaou: Fast multiprecision evaluation of series of rational numbers (PDF-Datei, 197 kB), 1997 (englisch)
  4. Jonathan Sondow: Criteria for irrationality of Euler's constant,, Proceedings of the American Mathematical Society 131, 2003, S. 3335–3344 (englisch)
  5. Jonathan Sondow: Double integrals for Euler's constant and ln 4/π and an analog of Hadjicostas's formula, American Mathematical Monthly 112, 2005, S. 61–65 (englisch)
  6. Jonathan Sondow: New Vacca-type rational series for Euler's constant and its "alternating" analog ln 4/πAdditive Number Theory, Festschrift In Honor of the Sixtieth Birthday of Melvyn B. Nathanson, Springer, New York, 2010, S. 331–340 (englisch)
  7. Jonathan Sondow: An antisymmetric formula for Euler’s constant (PDF-Datei, 227 kB), Mathematics Magazine 71, Juni 1998, S. 219–220 (englisch; online (Memento vom 4. Juni 2011 im Internet Archive))
  8. J. W. L. Glaisher: On the history of Euler's constant. The Messenger of Mathematics 1, 1872, S. 25–30 (englisch)
  9. Car. Ant. Bretschneider: Theoriae logarithmi integralis lineamenta nova (13. Oktober 1835). Journal für die reine und angewandte Mathematik 17, 1837, S. 257–285 (lateinisch; „γ = c = 0,577215 664901 532860 618112 090082 3..“ auf S. 260)
  10. Augustus De Morgan: The differential and integral calculus, Baldwin and Craddock, London 1836–1842 (englisch; „γ“ auf S. 578)
  11. Leonh. Eulero: De progressionibus harmonicis observationes (11. März 1734), Commentarii academiae scientiarum imperialis Petropolitanae 7, 1740, S. 150–161 (lateinisch; „C=0,577218“ auf S. 157)
  12. Leonh. Eulero: Inventio summae cuiusque seriei ex dato termino generali (13. Oktober 1735), Commentarii academiae scientiarum imperialis Petropolitanae 8, 1741, S. 9–22 (lateinisch; „constans illa addita =0,5772156649015329“ auf S. 19)
  13. Laurentio Mascheronio: Adnotationes ad calculum integralem Euleri/ In quibus nonnulla Problemata ab Eulero proposita resolvuntur. Petrus Galeatius, Ticini 1790–1792 (lateinisch; „A = 0,577215 664901 532860 618112 090082 39“ auf S. 23 und S. 45)
  14. J. Soldner: Théorie et tables d’une nouvelle fonction transcendante, Lindauer, München 1809 (französisch; „H=0,5772156649015328606065“ auf S. 13)
  15. a b Carolus Fridericus Gauss: Disquisitiones generales circa seriem infinitam Pars I (30. Januar 1812), Commentationes Societatis Regiae Scientiarum Gottingensis recentiores 2 (classis mathematicae), 1813, S. 3–46 (lateinisch; „ψ0=−0,5772156649 0153286060 653“ und „ψ0=−0,5772156649 0153286060 6512090082 4024310421“ auf S. 36; auch in Gauß: Werke. Band 3, S. 154)
  16. A. M. Legendre: Traité des fonctions elliptiques et des intégrales Eulériennes (Band 2), Huzard-Courcier, Paris 1826, S. 434 (französisch)
  17. Christiano Fr. Lindman: De vero valore constantis, quae in logarithmo integrali occurit, Archiv der Mathematik und Physik 29, 1857, S. 238–240 (lateinisch)
  18. L. Oettinger: Ueber die richtige Werthbestimmung der Constante des Integrallogarithmus (Oktober 1861), Journal für die reine und angewandte Mathematik 60, 1862, S. 375–376
  19. William Shanks: On the calculation of the numerical value of Euler’s constant, which Professor Price, of Oxford, calls E (28. März/9. April/29. August 1867/14. Juni 1869), Proceedings of the Royal Society of London 15, 1867, S. 429–431 431–432; 16, 1868, S. 154; 18, 1870, S. 49 (englisch)
  20. J. W. L. Glaisher: On the calculation of Euler’s constant (6./14. Juni 1871), Proceedings of the Royal Society of London 19, 1871, S. 514–524 (englisch)
  21. William Shanks: On the numerical value of Euler’s constant, and on the summation of the harmonic series employed in obtaining such value (30. August 1871), Proceedings of the Royal Society of London 20, 1872, S. 29–34 (englisch)
  22. J. C. Adams: Note on the value of Euler’s constant; likewise on the values of the Napierian logarithms of 2, 3, 5, 7, and 10, and of the modulus of common logarithms, all carried to 260 places of decimals (6. Dezember 1877), Proceedings of the Royal Society of London 27, 1878, S. 88–94 (englisch)
  23. J. W. Wrench, Jr.: Note 141. A new calculation of Euler’s constant, Mathematical tables and other aids to computation 6, Oktober 1952, S. 255 (englisch)
  24. H. Fischer, K. Zeller: Bernoullische Zahlen und Eulersche Konstante, Zeitschrift für Angewandte Mathematik und Mechanik 41 (Sonderheft), 1961, S. T71–T72 (Zentralblatt-Zusammenfassung)
  25. Donald E. Knuth: Euler’s constant to 1271 places (12. Januar 1962), Mathematics of Computation 16, 1962, S. 275–281 (englisch)
  26. Dura W. Sweeney: On the computation of Euler’s constant (29. Juni 1962), Mathematics of Computation 17, 1963, S. 170–178 (englisch)
  27. W. A. Beyer, M. S. Waterman: Error analysis of a computation of Euler’s constant (26. Juni 1973), Mathematics of Computation 28, 1974, S. 599–604 (englisch)
  28. Richard P. Brent: Computation of the regular continued fraction for Euler’s constant (27. September 1976), Mathematics of Computation 31, 1977, S. 771–777 (englisch)
  29. Richard P. Brent, Edwin M. McMillan: Some new algorithms for high-precision computation of Euler’s constant (22. Januar/15. Mai 1979), Mathematics of Computation 34, 1980, S. 305–312 (englisch)